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Parallel zu den dramatischen Ereignissen auf der Krankenstation, in Marons Quartier und in der Kommandozentrale hatte ich mich auf einem der Flure zum nächsten Computermikrofon begeben. Hier hatte ich IDUSA nach Shimars Position gefragt, eine Auskunft, die mir der Rechner auch bereitwillig erteilte. Ihre Antwort irritierte mich allerdings sehr: „Shimar ist auf dem Weg zu Ihrer Position, Allrounder.“ „Er ist was?“, fragte ich. „IDUSA, bist du sicher?“

Natürlich war sie sicher. Die Frage hätte ich mir schenken können, das wusste ich. Ich wusste aber auch, dass sie wusste, dass es sich um eine rein rhetorische Frage handeln musste. Zumindest hoffte ich das. Aber auch ein Sensorenfehler konnte eine falsche Information auslösen. Das verwarf ich aber auch gleich wieder, denn ich wusste zu genau, wie gut Jenna die Systeme der Station im Griff hatte. Meine Hoffnung, IDUSA würde die Rhetorik erkennen, zerschlug sich aber im gleichen Augenblick. „Natürlich bin ich sicher, Allrounder.“, sagte sie. „Meine Sensoren funktionieren einwandfrei und somit kann ich ihn eindeutig orten und seine Position in Beziehung zur Ihren setzen.“ „Das war eine rhetorische Frage, IDUSA.“, sagte ich. „Es tut mir leid.“, erwiderte sie. „Aber etwas Derartiges vermag ich nicht zu erkennen. Das ist aber ein Problem, mit dem die meisten künstlichen Intelligenzen zu kämpfen haben. Die besten Ingenieure kämpfen seit Jahrhunderten um eine Lösung. Als Sternenflottenoffizierin müssten Sie das ja eigentlich wissen.“ „Da hast du schon Recht.“, sagte ich, behielt mir aber einen weiteren Satz vor, den ich weitaus später benutzen würde, wenn der Plan, den ich verfolgte, funktionieren sollte. Statt des Satzes sagte ich also nur: „Ich denke, dass wir das Problem zusammen lösen können, IDUSA!“ „Wie soll das Ihrer Meinung nach vonstatten gehen?“, fragte mich der Rechner und ich hatte fast das Gefühl, leichte Verwirrung in ihrer Stimme wahrzunehmen. „Die findigsten Ingenieure der Föderation und der Tindaraner arbeiten seit Jahrhunderten daran, ohne ein Ergebnis vorweisen zu können. Meines Wissens umfasst die Ausbildung einer Kommunikationsoffizierin und Raumschiffpilotin keine Programmierkenntnisse. Wie wollen Sie mir also helfen können?“ „Das warte mal ab!“, sagte ich selbstbewusst. „Du weißt, dass ich oft auch ungewöhnliche Wege beschreite, um Probleme zu lösen. Vielleicht reicht ja gerade das, was man als Kommunikationsoffizierin lernt, völlig aus, um dein Problem in den Griff zu bekommen. Schließlich handelt es sich ja um ein kommunikatives Problem, nicht wahr? Aber es liegt natürlich ganz bei dir, ob du dich auf das Experiment einlassen kannst oder nicht.“

Ich schlenderte langsam zur gegenüber liegenden Wand und lehnte mich dort demonstrativ an. Ich wusste, dass ihre Auswertung der Datenbank, die sie sicher konsultieren würde, eine Weile dauern würde. Wie gesagt: In der Sternenflotte war ich bekannt wie ein bunter Hund dafür, Probleme manchmal auf sehr unkonventionelle Weise anzugehen. Jeden Gedanken an Shimar hatte ich längst weit von mir geschoben. Mit meiner Aktion wollte ich IDUSA aber auch zeigen, dass ich anscheinend alle Zeit der Welt hatte, wenn nicht sogar des gesamten Universums und aller anderen Dimensionen noch dazu.

Es dauerte tatsächlich nicht lange und ich hörte ihre Stimme aus dem kleinen Lautsprecher: „Allrounder, ich habe es mir überlegt. Lassen Sie es uns zumindest versuchen.“ „OK!“, sagte ich etwas lauter, denn ich konnte auf die Entfernung nicht genau einschätzen, ob IDUSA mich akustisch wahrnehmen können würde. Dann ging ich wieder zum Mikrofon. „Also.“, sagte ich. „Du weißt doch, dass du sicher warst, Shimar lokalisieren zu können.“, erklärte ich. „Bestätigt.“, sagte die künstliche Intelligenz. „Dann weißt du.“, fuhr ich fort. „Dass es nur eine logische Konsequenz geben kann. Meine Frage muss also rhetorischer Natur sein, denn faktisch wäre sie ja nicht korrekt, da es ja keinen Zweifel an deiner Funktionalität gibt. Das kannst du übrigens auch auf andere Dinge anwenden, zum Beispiel auf Sprichworte, oder Ironie, mit denen ihr künstlichen Intelligenzen ja auch eure Schwierigkeiten habt. Wenn jemand zum Beispiel sagt, dass er für jemanden anders seine Hand ins Feuer legt, dann kannst du deine Datenbank konsultieren und dort nachsehen, ob du Daten darüber findest, dass derjenige ein Kandidat für Selbstgefährdung ist oder nicht. So kannst du alles über deine Datenbank verifizieren. Wenn es dort keine Übereinstimmung zu den zu verifizierenden Fakten gibt, muss es rhetorisch oder als Sprichwort, oder auch ironisch gemeint sein. Es sei denn, du bekämst später andere Informationen. Aber bis dahin kannst du davon ausgehen. Übrigens würde mich interessieren, ob die Ingenieure, die mit deinem Problem gekämpft haben, dafür den Phaser oder das Schwert benutzt haben. Die Wahl der Waffen kann schließlich manchmal entscheidend sein, wenn man einen strategischen Vorteil erlangen will.“

Ich war gespannt! Auf ihre Reaktion war ich total gespannt! Ich hatte mir große Mühe gegeben, bei meinem letzten Satz, bei dem es sich auch um den handelte, den ich zurückgestellt hatte, nicht etwa zu lächeln, um ihr keine versteckten Hinweise zu geben. Ich wollte, dass sie nur allein meine Theorie ausprobieren musste. Wenn sie wusste, dass es Lösungsversuche von technischer Seite gegeben hatte, dann musste sie diese ja auch in der Datenbank finden können und merken, dass sie nichts mit dem zu tun hatten, was ich gerade gesagt hatte. Dann musste sie allein durch diese Abweichung ja darauf kommen, dass es nicht wörtlich gemeint sein konnte. Das würde das, was ich gerade versucht hatte, ihr zu erklären, ja nur bestätigen.

Tatsächlich konnte IDUSA wenige Sekunden später mit einem Ergebnis aufwarten. „Ich habe meine Datenbank konsultiert, Allrounder.“, sagte sie. „Genau, wie Sie es mir für solche Fälle aufgetragen haben. Ich stellte fest, dass weder ein Phaser, noch ein Schwert benutzt wurden, um die Probleme zu lösen. Also muss Ihre Frage einen rein rhetorischen Hintergrund haben. Dass Sie so etwas fragen, überrascht mich allerdings. Sie, als ein biologisches Wesen, das außerdem keine Vulkanierin ist, dürften doch eigentlich mit so etwas sehr vertraut sein und wissen, dass das Kämpfen in diesem Fall nicht wörtlich zu nehmen ist.“ „Clevere Schülerin!“, lobte ich. „Bedeutet das.“, setzte IDUSA zu einer Frage an. „Sie haben diese Formulierung mit Absicht gewählt, um mich zu testen?“ „Genau das!“, bestätigte ich.

Ich hörte einen Laut hinter mir, den ich mit dem Angriffslaut eines Tigers verband. Nur war er um ein Vielfaches leiser und irgendwie zärtlich. Die Stimme, die ihn hervorgebracht hatte, hatte ich auch längst erkannt. Wenn, dann war es ein Tiger, der einen warmen weichen zärtlichen Schmuseangriff auf mich vorhatte. Das war etwas, das ich sehr gern über mich ergehen lassen wollte!

Ich drehte mich also der Stimme zu und gab einen gurrenden Laut von mir zur Antwort. Dann grinste ich über beide Ohren. Das Nächste, das ich spürte, waren Shimars Arme, die sich um mich legten. Dann gab er mir einen nassen stürmischen Kuss. „Ich habe gespürt, dass du wieder hier bist!“, sagte er schnell und leicht außer Atem. „Wie lange weißt du das schon, Srinadar?“, fragte ich. „Seit ihr in der Dimension der Nidari-Travelers aufgebrochen seid.“, sagte er. „Einer von denen hat unsere Schutzverbindung untersucht und sie dafür über die Grenzen der Dimensionen hinaus aktiviert. Deshalb weiß ich es. Es sieht aus, als würde seine Telepathie noch nachwirken. Ich habe nicht schlecht gestaunt. Es gibt sie also wirklich! Oh, bei allen Göttern! Jetzt weiß ich, warum ich mich ausgerechnet in dich verlieben sollte! Ich glaube, das war Schicksal, damit du uns zu unseren mythisch geglaubten Schwestervölkern führen kannst!“ „Schicksal, hm.“, machte ich. „Na ja. Das würde zumindest einiges erklären. Ich habe mich immer schon gefragt, warum ausgerechnet mir immer solche Dinge passieren.“ „Kann ich mir vorstellen.“, sagte Shimar. „Aber ich finde das total aufregend! Und weil du so aufregend bist, habe ich für uns eine kleine Überraschung in der Simulationskammer vorbereitet! Komm mit!“

Er fasste meine Hand, aber im gleichen Moment machte das Signal der Sprechanlage seine Pläne zunichte. Im Display konnte er gut Zirells Aufforderung lesen, dass wir uns sofort im Konferenzraum einfinden sollten. „Klasse Timing, Zirell!“, sagte Shimar missmutig. „Das war sicherlich nicht wörtlich, sondern ironisch gemeint.“, sagte IDUSA. „Ihre medizinischen Werte weisen nämlich darauf hin, dass Sie es nicht wörtlich gemeint haben können. Sie sind nämlich nicht in jener Hochstimmung, die normalerweise zu Ihren Worten passen würde.“ „Richtig, IDUSA.“, sagte Shimar und hakte mich unter, um mit mir in Richtung Konferenzraum zu gehen. Unterwegs zischte er mir noch zu: „Was war das denn? Seit wann kann sie Ironie? Hat Jenn’ …?“ „Nicht Jenn’!“, sagte ich stolz. „Sondern ich.“ „Du?“, fragte er erstaunt. „Das musst du mir erklären.“ „Oh sicher.“, sagte ich. „Hör mal zu.“ Dann erklärte ich ihm meinen Ansatz, während wir gemeinsam den Weg zum Versammlungsort beschritten.

Bald waren dort fast alle versammelt. Fast alle, außer Nidell, die freiwillig bei Jaden auf der Krankenstation geblieben war und ihm mit IDUSAs Hilfe ermöglichte, alles auf dem Monitor mit anzusehen. Zirell stand in der Mitte des Raums und hatte ein Pad in der Hand. Auf diesem war eine Datei mit Stichworten zu sehen. Die Tindaranerin wollte wohl sicher gehen, nichts zu vergessen. „Ihr wisst sicher alle, warum wir hier sind.“, sagte sie. „Im Groben wissen wir Bescheid.“, sagte Jenna. „Es geht darum, Commander Huxley und dem Wesen zu helfen.“ „Das ist richtig, Jenna.“, sagte Zirell und gab IDUSA einen Befehl auf Tindaranisch, worauf diese alle Reaktionstabellen über einen Simulator im Raum lud. Jetzt konnten alle sehen, was auch Zirell sah. Alle sahen jetzt das, was Sedrin und mir bei den Nidari-Travelers widerfahren war. Dann folgte ein Bericht, den Sedrin nach der Vernehmung der Zeugen in Little Federation verfasst hatte. Sie und ich hatten uns mit der Weitergabe der Daten gegenüber Agent Maron einverstanden erklärt.

Die Aufzeichnungen hatten geendet und Zirell sah uns mit einer Mischung aus Freude, Erstaunen und Entsetzen an. Entsetzen wohl deshalb, weil sie in ihrem gesamten Leben einfach so die Existenz der Nidari-Travelers geleugnet hatte, nur weil man es ihr gesagt hatte. „Diese Daten.“, sagte die tindaranische Kommandantin. „Werden selbstverständlich auch der Zusammenkunft zu Gesicht gebracht werden. Ich bin neugierig, ob sie Sytania dann immer noch verdächtigen. Aber das soll jetzt nicht unser Problem sein. Wir müssen uns jetzt um Jaden und Nyell, so heißt das Wesen doch, oder, Sedrin?“ Sedrin nickte nur, worauf Zirell fort fuhr: „Und um Nyell kümmern. Ishan, wie schätzt du den Gesundheitszustand der Beiden ein?“

Der Arzt trat vor und neben sie hin. Dann sagte er: „Nun, Commander Jaden H. Huxley würde sich sicherlich bester Gesundheit erfreuen, wenn man Nyell aus seinem Gehirn entfernen würde. Dies könnte sicher telepathisch, oder auch auf technologischem Wege geschehen, hätte aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ihren sofortigen Tod zur Folge! Das ist etwas, mit dem sicher weder Jaden, noch Nyell, oder einer von uns einverstanden sind. Das Einzige, was hier helfen würde, zumindest meinem bisherigen Wissen nach, ist ihr Aufenthalt in der Sifa eines Vendar, der sie durch das Fütterungsritual mit der eigenen Energie stabilisieren könnte. Aber der einzige Kandidat hierfür, den wir auf der Station haben, ist im Moment nicht aufnahmefähig.“

Joran meldete sich: „Kannst du meine Sifa nicht mit Medikamenten so weit stimulieren, Ishan?“ „Das könnte ich zwar.“, antwortete der Arzt. „Aber ich darf es nicht. Ich müsste dir so viel Medizin geben, dass sie deinen Körper vergiften und deine Sifa auf immer schädigen würde, Joran! Bringen würde uns das also gar nichts!“ „Kelbesh!“, fluchte der Vendar leise und setzte sich wieder.

Shannon war zu ihm geschlichen und hatte sich neben ihn gesetzt. Der blonden Irin, die sonst eigentlich nicht für ihre Sensibilität bekannt war, hatte er doch sehr leid getan und so versuchte sie ihn aufzuheitern, indem sie ihm zuflüsterte: „Hey, Grizzly, vielleicht solltest du Huxley mal das Fütterungsritual beibringen.“ Welche Wellen ihr eigentlich als Scherz gemeinter Spruch noch schlagen sollte, ahnte sie nicht.

Joran hatte gegrinst. Das war ein Umstand, der wiederum Maron nicht entgangen war. Der erste Offizier hatte gesehen, dass Shannon zu Joran gegangen war und auch das, was sie getan hatte. „Wenn Sie etwas beizutragen haben, O’Riley.“, sagte er. „Dann tun Sie es bitte laut und deutlich, damit wir es alle hören können!“ „Oh, es war nur ein kleiner Scherz, Sir.“, sagte Shannon, die sich wohl extrem ertappt fühlte. „Sie kennen mich doch. Ich hab’ das nich’ so ganz ernst gemeint, das mit dem Fütterungsritual. Ups!“

Jenna hatte den Fauxpas ihrer Assistentin auch bemerkt. Sie wusste, dass hinter Shannons kleinen Ausrutschern oft mehr stecken konnte, als diese selbst zugab. Deshalb sagte sie: „Agent Maron hat Recht, Assistant. Sie dürfen ruhig laut sagen, was Sie denken. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass Zirell einem von uns den Mund verboten hat.“ „Ach.“, wischte Shannon ihre Ermunterung weg. „Ich hab’ doch bloß gesagt, dass Joran Huxley versuchen soll, das Fütterungsritual beizubringen. Ich hab’ das aber rein als Witz gemeint, um Ihren Freund ’n bisschen aufzuheitern, Jenn’. Ich weiß doch auch, dass das nich’ geht.“

Mit ihrem letzten Satz musste Shannon ein Rattern in Jennas Kopf ausgelöst haben. Jedenfalls setzte sie plötzlich wieder jenen Blick auf, den ihre Vorgesetzten bereits von ihr kannten und den sie immer dann aufsetzte, wenn in ihr eine Theorie am Reifen war. Maron und Zirell ahnten, dass etwas geschehen würde, wussten aber, dass es noch dauern würde, biss Jenna die Idee vollständig ausgebrütet hatte. Deshalb lächelte Zirell ihren ersten Offizier nur an, worauf dieser konspirativ zurückzwinkerte.

Die tindaranische Kommandantin wandte sich wieder uns allen zu. Dann fragte sie: „Hat sonst noch jemand etwas beizutragen?“ Wir alle schüttelten vereint die Köpfe. „Dann erkläre ich diese Konferenz hiermit für aufgelöst! Falls doch noch jemand eine Idee haben sollte, kann er oder sie damit ruhig zu mir kommen. Ich bin mit meinem Latein zugegebenermaßen hoffnungslos am Ende und somit für jeden Vorschlag offen! Das wär’s erst mal! Wegtreten!“ Alle verließen in verschiedene Richtungen den Ort des Geschehens.

Shimar hatte mich an die Hand genommen und mich in Richtung von Agent Maron geschoben, den ich erwartungsvoll ansah. „Was gibt es, Allrounder?“, fragte mich der demetanische Spionageoffizier. „Ich dachte, Sie wollten mich vielleicht noch vernehmen, Sir?“, fragte ich verunsichert, denn ich hatte in dieser Hinsicht noch keine Nachricht von ihm bekommen. „Das ist nicht mehr nötig, Betsy.“, sagte er. „Agent Sedrin war so freundlich, mir bereits alle Daten zur Verfügung zu stellen. Darunter befand sich auch eine Aufzeichnung, die alles aus Ihrer beider Sicht schildert, Ihrer sehr privaten Sicht, um genau zu sein. Ihre Vernehmung ist also nicht mehr von Belang. Sie sollten Shimar begleiten. Ich glaube, er hat noch etwas mit Ihnen vor, soweit ich sein grinsendes Gesicht interpretieren kann. Ich denke, es wird etwas sehr Schönes sein. Das haben Sie nach Ihrer erfolgreichen Mission aber auch verdient! Schließlich haben Sie und Agent Sedrin uns allen bewiesen, dass es die Nidari-Travelers tatsächlich gibt und somit auch Sytanias Unschuld! Hoffen wir, dass die Zusammenkunft zumindest diesen Daten Glauben schenkt. Aber solange, bis wir das herausgefunden haben, sollten Sie Ihrer gemeinsamen Freizeitbeschäftigung nachgehen. Agent Sedrin wird das mit Sicherheit auch tun.“ „Danke, Sir.“, sagte ich und drehte mich Shimar zu, um meine Hand in seiner Armbeuge verschwinden zu lassen. Ich konnte aber nicht umhin, Agent Maron noch auf etwas anzusprechen, bevor wir endgültig gingen. „Wissen Sie, dass Sie eine prophetische Gabe haben, Sir?“, fragte ich. „Was meinen Sie?“, fragte er zurück. „Sie haben zu mir gesagt, dass ich eventuell telepathisch untersucht werden würde und Sie haben mich gefragt, ob ich damit einverstanden wäre. Das ist auch genau so eingetreten. Nur erfolgte die Untersuchung nicht durch einen Ihrer tindaranischen Kollegen, sondern durch einen leibhaftigen Nidari-Traveler!“ Bei meinem letzten Satz hatte ich sogar etwas Stolz in meine Stimme gelegt. „Das ist wohl wahr.“, sagte Maron. „Vielleicht war es ja Schicksal, dass ich Sie sozusagen vorwarnen durfte.“ „Das kann schon sein.“, lächelte ich und drehte mich zu Shimar: „Lass uns gehen! Ich bin gespannt wie ein Flitzebogen, was du für mich als Überraschung vorbereitet hast!“ „OK.“, sagte mein Freund und setzte sich in Bewegung. Dann lächelte er mir noch zu: „Es wird dir bestimmt gefallen!“

Wir suchten die Simulationskammer auf, wo wir uns auf die üblichen Sitze setzten und unsere Köpfe in üblicher Weise in die Mulden legten. Dann gab Shimar IDUSA einige Befehle auf Tindaranisch, die ich zwar verstand, auf die ich mir aber irgendwie keinen wirklichen Reim machen konnte. Was meinte er mit Programm Shimar 3 und was mit Unterprofil Shimar 2 und wer zur Hölle waren nicht anwesende Personen, die durch Simulationen ersetzt werden sollten?

Das Programm startete und wir fanden uns auf einer Waldlichtung wieder, die mich an das Dunkle Imperium, genauer an Logars Seite der Dimension, erinnerte. „Was tun wir hier, Srinadar?“, fragte ich, die ich Shimar als neben mir stehend wahrgenommen hatte. „Warte es ab.“, grinste er. „Ruf als Erstes doch einfach mal nach deinem Lieblingspferd unter Logars Rössern.“ „Warum soll ich das?“, fragte ich verwundert. „Kipana kann doch gar nicht hier sein.“ „Wer weiß, wer weiß?“, grinste der junge Tindaraner listig. „Probier es doch einfach mal aus!“ „Na gut.“, sagte ich, holte tief Luft und rief laut: „Kipana! Komm her, dicke Maus! Komm!“

Das Nächste, das ich wahrnahm, war das Getrappel von Hufen, die mir die Anwesenheit eines galoppierenden Pferdes verdeutlichten. Erst kurz vor mir wurde es langsamer und verstummte schließlich ganz. Dann fühlte ich warme weiche Nüstern auf dem Rücken meiner rechten Hand, deren Eigentümerin sich wohl vergewisserte, ob ich es wirklich war. Dann spürte ich eine gut bekannte feuchte warme Zunge, die mir den schon bekannten Code über den Handrücken schleckte, woran auch ich Kipana zweifelsfrei erkannte. Ich erkannte aber außerdem auch, dass sie Sattel und Zaumzeug trug. „Das ist ja total süß von dir!“, freute ich mich gegenüber Shimar. „Warte mal ab!“, sagte er. „Es wird noch süßer.“

Er gab einen Pfiff von sich, worauf es im nahe gelegenen Gebüsch kräftig raschelte. Dann trat jemand aus einem Versteck hervor, der mich mit den Worten: „Ich grüße dich, Betsy El Taria.“, begrüßte und mir seine pelzige weiche Hand gab, an deren Fellstruktur ich ihn, wenn ich bis jetzt auch nicht ganz sicher war, ohne Zweifel erkannt hatte. „Joran?“, fragte ich leicht irritiert, denn die Situation war mir immer noch nicht ganz klar. „In der Tat.“, sagte der Vendar und machte Anstalten, Kipanas Zügel in die Hand zu nehmen. Dann erteilte er Shimar die Anweisung: „Führe Betsy El Taria bitte den Hügel dort hinauf!“, und zeigte in eine bestimmte Richtung. Kipana flüsterte er nur zu: „Komm mit, mein großes Mädchen.“

Shimar führte mich, wie Joran es ihm gesagt hatte, einen sanft ansteigenden Abhang zur Spitze eines kleinen Hügels hinauf, der an den drei anderen Seiten, wie er mir schilderte, viel steiler abfiel. Dann drehte er mich um ca. 90 Grad, so dass ich quer zu einer dieser Seiten stand. „Was wird das, wenn es fertig ist?“, fragte ich. Shimar erwiderte aber nichts. Statt dessen hörte ich Jorans und Kipanas Schritte im Laub, die immer näher kamen. Dann rief Joran dem Pferd ein leises, aber bestimmtes: „Steh!“, zu, worauf Kipana sofort anhielt. „Fein!“, lobte Joran mit viel Stolz in der Stimme und strich ihr über die Stirn.

Shimar führte mich noch einen Schritt näher an die Kante und hieß mich dann, meine rechte Hand nach vorn zu strecken. Ich erreichte tatsächlich das Sattelhorn. Erst jetzt ließ ich ihn, dem ich meine linke Hand auf den Arm gelegt hatte, los, um mit ihr den Steigbügel zu greifen und meinen linken Fuß hineinzustellen. Dann wartete ich, bis Joran mir das OK gab und zog mich hoch. Auf sein OK musste ich warten, weil er mit der anderen Hand den Sattel gerade hielt, damit dieser nicht verrutschen konnte. Shimar achtete von hinten darauf, dass ich nicht abrutschte. Es hätte ja sein können, dass ich vor lauter Aufregung daneben griff. Joran zog den Sattelgurt straff. „Ach so.“, kapierte ich. „Das hier ist also eine natürliche Aufsteighilfe. Aber was macht ihr zwei denn? Ich meine, ihr werdet doch nicht etwa die ganze Zeit zu Fuß neben mir herlatschen wollen, oder?“ „Oh nein.“, sagte Shimar. „Jetzt kommt nämlich Teil zwei meiner Überraschung!“

Er grinste Joran an, der ihm nur zunickte und dann ging. Mich überkam ein leichtes Gefühl der Unsicherheit. Er kannte sich doch mit Pferden gar nicht aus! Shimar war doch dafür bekannt, sich niemals freiwillig mit etwas außer den eigenen Beinen fortzubewegen, das nicht mindestens Warp eins schaffte. So etwas machte ihm doch keinen Spaß! Was war hier los? Aber auch Kipana spürte meine Unsicherheit und wurde leicht unruhig. Dann geschah aber noch etwas, das mich sehr irritierte. Souverän griff Shimar nach den Zügeln in der Nähe der Trense, wie es jeder machen würde, der ein Pferd führen wollte und sagte: „Hoh, ruhig, Dicke. Es ist alles in Ordnung. Keine Angst!“ Zu mir sagte er nur: „Bitte vertrau mir, Kleines.“ Als Telepath wusste er ja schließlich genau, dass ich die Quelle für Kipanas Angst war.

Joran war zurück. Aber er war nicht allein gekommen. Mit sich hatte er zwei weitere große stattliche Pferde geführt, die ebenfalls gesattelt waren. Eines davon führte er nun auch wieder zu dem Hügel, um es dort in gleicher Weise abzustellen. Dann rief er Shimar zu sich, der es bestieg, wonach er sich selbst auf das Dritte setzte. Jetzt war ich völlig verwirrt! Was ging hier eigentlich vor? Eine Entscheidung zu treffen war mir unmöglich, was auch dazu führte, dass mir Kipana diesen Prozess abnahm, indem sie sich in Bewegung setzte und brav den anderen beiden Pferden folgte, die sich jetzt in Richtung Waldmitte bewegten. Das war mir ganz recht, denn ich konnte, wenn ich hinter ihnen war, sie viel besser hören und besser einschätzen, wenn sie abbogen. „Bist du eigentlich sicher, dass das hier gut gehen wird?“, fragte ich an Joran gewandt. „Ich meine, wegen Shimar.“ „Sei ohne Sorge, Betsy El Taria.“, gab der Vendar zurück. „Ich habe sein Pferd am Strick, wie es jeder anständige Reitlehrer mit seinem Schüler zu Anfang tun sollte!“ Jetzt war es heraus!

Jetzt war heraus, was Shimar für mich als Überraschung geplant hatte. Er hatte extra für mich angefangen, das Reiten zu erlernen! Das war etwas, das ich ihm so gar nicht zugetraut hatte. Vor Freude begann ich sogar zu weinen und stammelte: „Oh, Srinadar! Du, du, du bist so süß, so süß, dass …“ „Ich weiß.“, sagte Shimar. „Ich bin so süß, dass selbst der brasilianische Zuckerhut neidisch werden könnte.“ Joran lachte und auch ich begann wieder zu lächeln. „Es kann ja sowieso nichts passieren.“, sagte ich dann. „Ich meine, das hier ist die Simulationskammer! Die Sicherheitsprotokolle sind online und hier werden die Karten zu unserem Vorteil gemischt.“ „Du weißt, Betsy El Taria.“, erinnerte mich Joran mit mahnender Stimme. „Dass dies ganz im Ermessen des Schreibers des Programms liegt.“ „Außerdem klingst du, als bräuchtest du eine kleine Herausforderung, Kleines.“, fiel Shimar ein.

Er sah Joran an und deutete auf den Strick in seiner Hand und auf mich. Der Vendar nickte nur grinsend. Dann sagte er: „Wie wäre es, wenn du zur Abwechslung mal die Aufsicht und somit den Strick übernehmen würdest, Betsy El Taria. Ich bekomme nämlich langsam einen lahmen Arm.“ „Bist du sicher, dass das in Ordnung geht?“, fragte ich irritiert. „Ich meine, ihr dürft nicht vergessen, Jungs, dass ich nichts sehe.“ „Oh, hier sind fünf Augenpaare, die das sicher gern für dich übernehmen würden, Kleines.“, erwiderte Shimar. „Außerdem kann ich ja auch schon ein bisschen was. Wenn wir im Schritt bleiben, kann gar nichts passieren, sagt Joran. Aber vielleicht hast du heute ja einfach deinen feigen Tag, he?“ Er grinste mich hörbar an. „Ich gebe dir gleich einen feigen Tag, du Frechdachs!“, grinste ich zurück. Dann drehte ich meinen Kopf in Richtung von Kipanas Ohren und sagte: „Na komm, Dicke! Jetzt ist Frauenpower angesagt!“ Dann drückte ich meine Waden leicht an ihre Flanken und schnalzte ihr zwei mal kurz zu, worauf sie antrabte. Joran verlangsamte sein Pferd gleichzeitig fast bis zum Stehen, damit ich zwischen die Beiden gelangen konnte. Dann verlangsamte ich auch Kipana wieder und nahm den Strick aus Jorans Hand im Vorbeireiten entgegen. „Das hat ja prima geklappt!“, lobte Joran, der sich jetzt hinter uns befand. „Das finde ich auch.“, sagte Shimar. „Sie kann eben doch mehr, als sie manchmal zugibt.“ „In der Tat.“, stimmte Joran zu.

Shimar grinste plötzlich und gab einen auf großes Entzücken hindeutenden Laut von sich. Dann sagte er: „Deine Dicke schielt ständig zu meinem Pferd herüber. Es sieht aus, als wollte sie dir tatsächlich helfen, auf mich aufzupassen.“ „Das kann ich mir vorstellen.“, sagte ich.

Alle drei Pferde senkten plötzlich wie auf ein geheimes Kommando die Köpfe und begannen zu prusten und zu schmatzen. Ich begann über beide Ohren zu grinsen. „Das ist ein schönes Geräusch, was, Kleines?“, fragte Shimar. „Ja.“, nickte ich. „Es zeigt, dass sie sich mit uns und der Situation wohlfühlen.“ „Ich weiß.“, sagte Shimar. „Das hatten Joran und ich nämlich in der Theoriestunde schon.“ Wieder begann ich vor Rührung zu schluchzen. Es schien mir, als würde Shimar das wirklich ernsthaft betreiben.

Joran hatte wohl auf die Uhr gesehen. „Wir sollten umkehren.“, sagte er. „Über unser Vergnügen dürfen wir unseren Dienst nicht vergessen, der morgen wieder früh beginnen wird.“ „Hast recht.“, sagte Shimar schnell. „Aber du solltest für die Wendung den Strick wieder übernehmen, glaube ich, Joran. Betsy ist, glaube ich, viel zu gerührt dafür und kann sich wohl nicht so ganz mehr darauf konzentrieren, auch dann, wenn du ihr Anweisungen geben würdest, oder ich.“ „Spricht er die Wahrheit, Betsy El Taria?“, erkundigte sich der Vendar fürsorglich. Ich nickte nur abgekämpft. „Also gut.“, sagte Joran und schloss zu uns auf. Dann übernahm er den Strick aus meiner Hand, worauf wir wieder die Positionen tauschten.

Wir waren bald wieder an den Punkt zurückgekehrt, an dem unser Ausritt begonnen hatte. Hier stiegen wir ab und dann befahl Shimar IDUSA, das Programm zu beenden. „Du bist so knuffig!“, rief ich, fiel ihm um den Hals und küsste ihn stürmisch. „Danke, Kleines.“, sagte Shimar. „Das hättest du nicht von mir gedacht, was?“ Ich gab nur einen negierenden Laut von mir. „Aber deshalb bist du ja so …!“ Ich küsste ihn erneut. „Die Überraschung ist dir echt gelungen!“

IDUSA zeigte sich uns über die Simulatoren in den Sitzen. „Es wird Zeit.“, sagte sie. „Dass Sie beide schlafen gehen. Ihr Dienst …“ „Wissen wir, IDUSA.“, sagte ich. „Aber danke, dass du uns noch mal erinnerst.“ „Möchtest du bei Sedrin im Gästequartier schlafen?“, fragte Shimar. „Oder lieber bei mir?“ „Wie kannst du da noch fragen?!“, erwiderte ich und umarmte ihn erneut fest. Dann wandte ich mich an den Rechner: „IDUSA, sag Agent Sedrin, sie braucht mit dem Abendbrot und auch dem morgigen Frühstück nicht auf mich zu warten!“ „Wird ausgerichtet, Allrounder.“, gab IDUSA zurück. Dann verließen Shimar und ich die Kammer in Richtung seines Quartiers.

 

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