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Es war inzwischen Sommer in meiner Heimatstadt Little Federation im 30. Jahrhundert geworden. Scotty war extra von Celsius angereist, um seinen Sommer mit mir zu verbringen. Allerdings war es für ihn sehr merkwürdig, dass ich entgegen meiner Gewohnheiten die Erde auch schon so früh wieder aufgesucht hatte. Sonst bat ich meinen Commander eigentlich immer später im Jahr um Heimaturlaub. Was der eigentliche Grund dafür war, würde ich meinem Mann, der mich vom Raumflughafen in Washington abgeholt hatte, aber erst sagen können, wenn wir in meinem Haus angekommen wären.

An einer Ampel drehte er sich zu mir um. „Also nun erzähl mal, Darling. Was bringt dich dazu, derart von deinen Gewohnheiten abzuweichen?“, fragte er mit einem verschmitzten Grinsen in seiner mir doch so wohl bekannten und vertrauten tiefen Stimme. „Das werde ich dir sagen, aber erst, wenn wir da sind.“, sagte ich und gab die Erschöpfte. „Eines nur schon mal vorweg. Wenn alles so läuft, wie es soll, dann werde ich in den nächsten Tagen wohl wenig Zeit für uns beide haben. Ich muss nämlich immer auf Abruf sein.“ „Du redest echt merkwürdig, Darling.“, stellte Scotty fest. „Aber ich will mal geduldig sein und auf deine Infos warten. Du bist ja schließlich als sehr zuverlässig bekannt.“ „Das muss man auch sein, als Kommunikationsoffizierin und Pilotin des dritten Flaggschiffes der Sternenflotte.“, lächelte ich und war froh, dass Scotty mich wieder auf ein unverfängliches Thema gelenkt hatte.

Wir bogen in die Einfahrt zu meinem Haus ein und er half mir, meinen Koffer ins Haus zu tragen. Dann setzten wir uns im Wohnzimmer auf das neue weiße Sofa, das ich gemeinsam mit einer Freundin ausgesucht hatte. Ich hatte nämlich den Eindruck gewonnen, dass ich dringend andere Möbel benötigte. Ein Tapetenwechsel war einfach mal angebracht gewesen, so dachte ich jedenfalls. Das hatte auch in gewisser Weise etwas mit der Zerstörung meiner gesamten Einrichtung durch Shimars Verkettung mit meinem Auferstehen von den Toten zu tun.

Jene Freundin, die meine neuen Möbel mit mir ausgesucht hatte, war auch der Grund dafür, weshalb ich früher als sonst Urlaub genommen hatte. Ich hatte irgendwie das Gefühl gehabt, mich dafür bei ihr revanchieren zu müssen. Den Vorschlag, wie ich dies denn tun könne, den sie mir daraufhin unterbreitete, fand ich sehr rührend. Mir kamen heute noch die Tränen, wenn ich daran dachte. Jetzt war es also an mir, meinem Mann zu gestehen, auf was ich mich mal wieder eingelassen hatte.

Ich setzte mich also zurecht, drehte meinen Kopf in seine Richtung und begann: „Du kennst doch sicher Farina und Vargas.“ „Ne.“, meinte Scotty flapsig, aber dennoch sehr ruhig. „Wer soll das sein?“ „Sie wohnen am anderen Ende der Stadt.“, erklärte ich. „Ich habe sie neulich im Stadtpark kennen gelernt. Sie stammen ursprünglich von Cryalis neun. Sie sind Ornitoide. Sie sehen aus wie Pinguine. Wir haben uns gleich total toll verstanden und Farina hat mich sogar erkannt. Sie war auf der Akademie eine Zeit lang meine Klassenkameradin, bevor sie gemerkt hat, dass die Sternenflotte nichts für sie war. Ich habe sie leider nicht so schnell erkannt, weil sich ihre Stimme sehr verändert hatte. Sie und ihr Mann sind mit einer sehr privaten und intimen Bitte an mich herangetreten. Sie möchten, dass ich ihre Cantira werde, wenn sie demnächst zusammen ein Ei haben.“ „Du sollst ihre was werden?!“, fragte Scotty verwirrt und ich konnte regelrecht hören, wie ihm die Gesichtszüge entgleisten. Der Himmel mochte wissen, was er sich gerade vorstellte. Ein Penny für deine Gedanken, Scotty!, dachte ich, sagte aber nur: „Ruhig, ganz ruhig. Es ist nichts Schlimmes daran. Was könnte denn der Begriff Cantira deiner Meinung nach heißen, hm?“ Meine Äußerung sollte ihm Gelegenheit geben, über die Situation nachzudenken und nicht vorschnell zu urteilen. „Das weiß ich doch nich’.“, flapste Scotty. „Woher soll ich das wissen?! Ich bin Schrauber und kein Poet. Mit Sprachen kenne ich mich nich’ so gut aus wie du, Frau Kommunikationsoffizier. Du musst mir da schon helfen, ansonsten wäre das ziemlich unfair.“

Ich holte tief Luft und machte einen Laut, der im Allgemeinen auf meine Umgebung immer sehr beruhigend gewirkt hatte. Dann sagte ich: „Der Begriff Cantira ist verwandt mit dem lateinischen Wort cantare für singen. Abgesehen von der Tatsache, dass ich es sehr faszinierend finde, dass ein Wort aus einer außerirdischen Sprache erfolgreich auf ein Lehnwort aus einer irdischen Sprache zurückverfolgt werden kann, Was könnte also deiner Meinung nach eine Cantira sein und tun?“ „Eine Sängerin!“, sagte Scotty jetzt sehr sicher. „Sie singt! Aber was hat das mit dem Ei zu tun?“ „Du weißt vielleicht.“, holte ich aus. „Dass bei den Pinguinen das Männchen das Ei in einer Brutfalte ausbrütet. Das Weibchen übergibt ihm das Ei, indem beide einen Tanz vollführen.“ „Is’ ja auch logisch.“, unterbrach er mich. „Pinguine haben schließlich keine Hände.“ Ich nickte und fuhr fort: „Was im Tierreich instinktiv funktioniert, ist bei den Bewohnern von Cryalis neun über die Jahrhunderte zu einer regelrechten fast religiösen Zeremonie geworden. Es gibt ein Jahrtausende altes überliefertes Lied, nach dem der Tanz vollführt werden muss. Versingt sich die Cantira, beziehungsweise der Cantiro, kann das zur Folge haben, dass sich das Paar vertanzt und das Ei kann zerstört werden. Das bedeutet den Tod des Ungeborenen.“

Scotty gab einen schweren Seufzer von sich. „Oh, Darling.“, sagte er dann. „Warum musst du dich auch immer auf so was einlassen?! Da freut man sich darauf, endlich mal einen schönen Urlaub mit der eigenen Frau zu verbringen und dann so was!“ „Davon habe ich nie gesprochen!“, rechtfertigte ich mich. „Wenn du meine letzte SITCH-Mail richtig gelesen hättest, dann wüsstest du, dass Zeit im Moment ein sehr knappes Gut bei mir ist. Ich habe dir zwar geschrieben, ich würde auf der Erde sein, aber das war nicht gleichbedeutend damit, dass ich Zeit für dich hätte.“ „Verstehe!“, sagte Scotty mit viel Enttäuschung in der Stimme. „Du musst dich ja wieder auf Dinge einlassen, die vielleicht zu viel Verantwortung für dich bedeuten, nur weil du ein schlechtes Gewissen hast.“ „Ach so!“, sagte jetzt auch ich etwas lauter. „Ich hatte nämlich nicht vor, derartige Anschuldigungen auf mir sitzen zu lassen. „Du meinst also, ich würde das nicht hinkriegen! Tolles Bild, das du da von deiner Frau malst, wirklich!“ „So meinte ich das doch nich’.“, sagte Scotty. „Ich wollte nur sagen …“

Mein stationäres Sprechgerät, das auf dem Schreibtisch stand, hatte seinen Satz piepend unterbrochen. „Für dich!“, knurrte er. Dann warf er einen kurzen Blick auf das Gerät, als wollte er es dafür bestrafen, dass es seine Standpauke, die er mir gerade halten wollte, zerstört hatte.

Aus dem Augenwinkel hatte er das Rufzeichen desjenigen wahrgenommen, der jetzt gerade etwas von mir zu wollen schien. Von mir, die sich gerade in ihr Pad vergraben hatte, auf dem sich eine Version des erwähnten Liedes befand. Es war eine Version aus instrumentaler Musik, die von auf Cryalis neun benutzten volkloristischen Instrumenten gespielt wurde. Die Stimme des Computers meines Pads las mir den Text in Farinas und Vargas‘ Muttersprache Cryalisch vor. Die Sprache erinnerte in ihrer Lautung sehr stark an das Gälische und ich hätte mir bestimmt die Zunge gebrochen, hätte ich jetzt schon laut mitgesungen. Da mir aber klar war, dass ich dafür wohl noch eine Weile üben müsste, tat ich dies zunächst nur in Gedanken, dies aber so konzentriert, dass ich Scottys Ansprache gar nicht wahrgenommen hatte. Als ich auch auf wiederholtes Ansprechen seinerseits nicht reagierte, beschloss er, statt mir das Gespräch entgegenzunehmen. Er hatte wohl Sorge, der Rufer könnte sein Vorhaben, mich zu erreichen, sonst abbrechen. Am Rufzeichen im Display hatte er einwandfrei das Rathaus von Little Federation erkannt. Das kam nicht zuletzt auch dadurch, dass es als Solches im Adressverzeichnis abgespeichert war. Er konnte sich zwar auch nicht erklären, was die Stadt um diese Uhrzeit von mir wollen konnte, Immerhin war es sieben Uhr morgens an einem Sonntag, aber wenn er es herausfinden wollte, würde er wohl antworten müssen.

Er nahm also das Mikrofon in die Hand und drückte den Sendeknopf, um dem Gerät zu verdeutlichen, dass er das Gespräch annahm. Dann sagte er: „Hier ist Montgomery Scott auf dem Rufzeichen von Betsy Scott.“, um gleich darauf den Knopf wieder loszulassen.

Das Gerät schaltete befehlsgemäß um und Scotty sah das Bild einer jungen Frau auf dem Bildschirm. Sie war klein, er schätzte sie auf ca. 1,60 m, menschlich und hatte lange blonde Haare, die sie hochgesteckt hatte. Wahrscheinlich, damit sie ihr beim Arbeiten am Bildschirm nicht ständig im Gesicht hingen. Sie trug eine biedere weiße Bluse und einen in gedecktem Blau gehaltenen langen Rock dazu. An ihren Füßen hatte sie weiße flache Schuhe. Sie sah eben aus wie jemand, der im Büro arbeitet, fand Scotty. Dass er damit gar nicht so falsch lag, ging auch bald aus ihrer Antwort hervor, die sie mit erleichtertem Ausdruck im Gesicht und mit ihrer klaren glockenhellen Stimme vortrug: „Mr. Scott! Sie glauben gar nicht, wie froh ich bin, Sie erreicht zu haben. Es ist etwas passiert! Wir benötigen die Hilfe von jedem technischen Fachmann, die wir kriegen können! Das Verkehrsleitsystem! Es ist total zusammengebrochen und tut unsinnige Dinge. Es gibt falsche Informationen! Es gab schon diverse Unfälle deswegen! Ach, bitte verzeihen Sie. Ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Claire Simson. Ich bin die Sekretärin des Bürgermeisters. Ich wusste, dass Mrs. Scott mit einem Ingenieur verheiratet ist. Schließlich sind Ihre Frau und Sie sehr berühmt!“

Endlich hatte sie ihren aufgeregten Redeschwall beendet, allerdings nur, um sich einen Schluck Kaffee aus einer auf ihrem Schreibtisch stehenden Tasse zu gönnen und somit ihre vor Nervosität extrem trockene Kehle anzufeuchten. Diesen Moment nutzte Scotty sofort, um einzuhaken: „Ruhig, Miss Simson. Ruhig. Den Fehler werde ich schon finden! Es gibt noch keinen, den ich nich’ gefunden habe. Die meisten von ihnen ergeben sich sogar freiwillig, wenn ich anrücke. Also bleiben Sie ganz ruhig und warten Sie auf den alten Scotty.“

Er beendete die Verbindung mittels eines Druckes auf die 88-Taste und hängte das Mikrofon ein. Dann sagte er: „Ich muss gehen, Darling. Die Pflicht ruft.“ „Ja, ja!“, sagte ich und dachte: gerettet vom Gong, mein Lieber! Aber so leicht kommst du mir nicht davon. Das andere Thema werden wir trotzdem noch ausdiskutieren, wenn du wieder da bist.

Ich beobachtete noch, wie er aus der Tür ging. Dann nahm ich mein Pad, das immer noch vor mir lag, steckte es in eine extra dafür ausgestattete Tasche und hing mir diese um. Scottys und mein erster richtiger Ehestreit war auch an mir nicht spurlos vorbeigegangen. Ich fand allerdings, dass ich jetzt dringend abgelenkt werden musste und womit ging das wohl besser, als mit dem Job, für den ich aber noch kräftig üben musste. Das wollte ich aber nicht hier im Haus tun. Zu viel erinnerte mich an den Streit mit Scotty. Um mich richtig konzentrieren zu können, benötigte ich einen freien Kopf und den bekam ich wohl am besten an der frischen Luft!

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