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Ich wollte gerade mit einem Vortrag beginnen, als mich ein Ausruf Agent Mikels, der sich mit dem Ei auf einen Stein in der Nähe der Wiese gesetzt hatte, plötzlich daran hinderte. „Kommt bitte alle sofort her!“, war seine aufgeregte Stimme zu vernehmen. Erschrocken folgten wir alle der Bitte, auch Farina, die in diesem Augenblick sehr allarmiert schien. Etwas musste nicht stimmen, das ahnten wir.

Data hatte mich untergehakt und war mit mir der erste am Ort des Geschehens gewesen. Ihm fiel sofort Mikels angespanntes Gesicht auf und die Tatsache, dass der erste Offizier der Granger seinen Erfasser über das Ei hielt und ständig auf das Display des Gerätes deutete. Im Ohr hatte er einen Ohrhörer, über den ihm der Erfasser ständig relevante Informationen zu geben schien, die ihn sehr in Angst und Schrecken versetzen mussten, jedenfalls dann, wenn man die Regungen seines Gesichtes, die Data mir beschrieb, richtig interpretierte.

Der Commander beugte sich zu dem einen Rang unter ihm stehenden Agenten herunter und sah sich das Display an. Ich, die ich dies zwar bemerkt hatte, aber natürlich nicht in gleicher Weise verfahren konnte, fragte nur etwas irritiert: „Was ist passiert, Commander?“ Statt Data antwortete mir aber Mikel sehr aufgeregt: „Die Temperatur in dem Ei fällt! Sie fällt zu schnell und das Interpretationsprogramm sagt, dass wir nur noch drei Minuten haben, bis sie in den kritischen Bereich kommt, in dem der befruchtete Zellkern geschädigt wird, oder gar abstirbt. Offensichtlich bin ich nicht warm genug. Commander, wo ist Ihre Frau?“

Zwei oder drei Sekunden vergingen. Offensichtlich nutzte Data gerade seine Verbindung, um Cupernica die neuen Fakten mitzuteilen und ihre genaue Position zu erfragen. „Dann sagte der Androide gewohnt sachlich: „Cupernica befindet sich auf dem Zubringer zu dieser Straße. Sie hängt aber in einem Stau fest. Sie schätzt, dass sie noch mindestens eine Viertelstunde benötigen wird, bis sie hier ankommt. „Das ist zu lang, verdammt!“, sagte Mikel. „Viel zu lang!“ „Das ist korrekt.“, bestätigte Data. „Zumal sie mir auch gesagt hat, dass die nötige Temperatur wohl nur in Vargas‘ Brutfalte erreicht werden kann. Aber ohne den Tanz können wir das Ei dort nicht platzieren. Der Tanz löst nämlich eine hormonell bedingte Ausdehnung und Ausstülpung der Falte aus. Würden wir versuchen, das Ei manuell einzuführen, würden wir ihm sehr wehtun und es unter Umständen vielleicht sogar zerbrechen. Meine Frau rät dringend davon ab! Sie sagt, es ist unbedingt nötig, dass wir nach anderen Lösungen suchen!“ Er klang bei seinen letzten Worten sehr bestimmt. „Tja.“, sagte Mikel. „Dann gibt es ja wohl nur noch eine Lösung. Die Beiden müssen tanzen und damit sie das können, musst du singen, Betsy!“ „Oh mein Gott!“, sagte ich. „Ich glaube, da haben wir ein Problem. Textsicher bin ich, aber mit der Melodie und dem Takt hapert es noch ein wenig.“ „Ich verstehe nicht, wo das Problem liegt.“, sagte Mikel. „Wir würden dir einen kleinen Patzer schon verzeihen.“ „Da hast du Recht.“, sagte ich. „Du verstehst nicht. Wenn ich mich vertue, kann das dazu führen, dass sich Vargas und Farina auch vertun und dann kann das Ei zerstört werden. Das heißt, das Leben ihres Kindes ist vorbei, noch bevor es richtig angefangen hat!“ „Das kommt darauf an, wie man Leben definiert.“, sagte Data. „Im Glauben der Bewohner von Cryalis neun beginnt es allerdings schon mit der befruchteten Zelle.“

Farina hatte alles mitbekommen. Sie hatte sich jetzt ängstlich zwischen uns gedrängt. „Oh nein!“, rief sie fast panisch. „Das Baby wird sterben, nicht wahr? Unser armes Kind wird …!“ „Niemand wird hier sterben, Farina! Hören Sie? Niemand wird hier sterben! Nicht, wenn wir es verhindern können!“, sagte Mikel. Dabei versuchte er den Eindruck zu vermitteln, die Situation unter Kontrolle zu haben. Das war eine Angewohnheit, die er und ich oft in Anwesenheit von Zivilisten zeigten. Wahrscheinlich, weil wir, als Offiziere der Sternenflotte, das Gefühl hatten, die armen arglosen Geschöpfe jederzeit unter unsere Fittiche nehmen zu müssen.

Mikel warf seinen Kopf herum in Datas Richtung. Der Androide hatte sofort verstanden und bestätigte: „Der Agent hat vollkommen Recht! Hier wird heute niemand sterben. Ich denke auch, dass noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft sind.“ „Danke, Sir.“, sagte Mikel. „Aber wo in aller Welt sollen wir für mich eine passende musikalische Begleitung hernehmen?“, fragte ich und zeigte verschämt auf die Reste meines Pads in meiner Umhängetasche. „Wir müssen bedenken, dass wir nicht mehr viel Zeit haben.“

Alle begannen nachzudenken. Alle inklusive Tak, der plötzlich aufstand und fast wie hypnotisch flüsterte: „Eigentlich ist Sprache technisch gesehen auch nichts weiter als eine Aneinanderreihung von Tönen, genau wie Musik.“ Dann ging er zu Data hinüber, der ihn aber bereits verstanden zu haben schien. Er aber schien der Einzige zu sein. Wir anderen standen nur ratlos da und beobachteten, wie Data zunächst sein Haftmodul aus der Tasche zog und Tak dann folgte.

Die Männer hatten sich auf den Weg zum Fahrzeug des Asiaten gemacht. Während dessen erklärte Tak Data seinen Plan. „Ihr Stimmsynthesizer dürfte doch in der Lage sein, jede Art von Geräusch hervorzubringen, nicht wahr, Commander?“, fragte der technische Assistent. „Das ist korrekt.“, sagte der Androide. „Und ich glaube auch schon zu wissen, worauf Sie hinaus wollen, Tak. Deshalb habe ich mein Haftmodul auch schon bereit. Ich habe es immer dabei, müssen Sie wissen.“ „Das lässt sich denken, Sir.“, sagte Takahashi.

Sie waren am Fahrzeug angekommen und Tak setzte sich auf die Fahrerseite, um gleich darauf etwas in den Bordcomputer einzugeben. Dann forderte er Data auf, sein Haftmodul zu benutzen. Das tat der Androide auch, indem er sich das Modul selbst auf die Stirn setzte und dann das kurze davon abgehende Kabel Tak reichte, der es in eine Buchse steckte. Dann sah er gebannt auf den Bildschirm. „Das System erkennt Sie nicht.“, analysierte er die Meldung, die der Rechner ausgespuckt hatte. „Aber das habe ich mir schon gedacht. Ich werde dem Computer erklären müssen, wer Sie sind.“ „Dazu dürften umfangreiche Programmierarbeiten notwendig sein.“, sagte Data. „Diese dauern sicher zu lang. Ich schlage vor, dass wir zu meinem Fahrzeug gehen. Dieses kennt und erkennt mich. Ich habe das gleich bei Lieferung einbauen lassen.“ „Also gut.“, sagte Tak. „Dann breche ich das jetzt hier ab. Aber wieso Ihr Fahrzeug? Sagten Sie nicht, Sie hätten einen Unfall …“ „Das sagte ich.“, unterbrach Data ihn bestätigend, aber gleichzeitig etwas tadelnd. „Aber das bedeutet nicht, dass es nicht mehr betriebsbereit ist. Als das Fahrzeug von Mr. Vargas und seiner Frau unvermittelt vor mir auftauchte, weil es auf der falschen Spur unterwegs war, konnte ich, Dank meiner überlegenen Reflexe, schnell genug ausweichen. So habe ich einen Zusammenstoß verhindert. Mr. Vargas muss dann sein Fahrzeug vor Schreck übersteuert haben.“ „Tut mir leid, Commander.“, sagte Tak. „Da habe ich wohl etwas vorschnell geurteilt. Das ist aber eine typische Eigenart der Menschen. Bitte entschuldigen Sie.“ „Schon gut.“, sagte Data gewohnt nüchtern.

Sie gingen wie vereinbart zum Fahrzeug des Androiden. Hier verband sich Data dann sofort mit dessen Bordcomputer. „Ich möchte eine bestimmte demetanische Kulturseite im Föderationsnetzwerk aufrufen.“, erklärte Tak und diktierte Data die Adresse. „Dort haben sie vielleicht auch das Lied in einer Version, die mit Ihrem Betriebssystem kompatibel ist. Die haben da alles. Von der klingonischen Oper bis Shakespeare.“ „Also gut.“, sagte Data. Nur werde ich die Suche selbst starten.“ „OK.“, sagte Tak. „Ich würde es an Ihrer Stelle mit den Begriffen: Cryalis neun, Eiübergabe und Tanz versuchen.“ „Genau das hatte ich auch vor.“, sagte Data und initiierte die Suche schneller, als Tak hinschauen konnte.

„Eine sehr gute Wahl, Technical Assistant.“, sagte er nach einer kurzen Weile. Ich bin bereits fündig geworden. Während des Downloads werde ich allerdings die Verbindung mit meiner Frau beenden, damit die Strahlung keine Störungen verursacht.“ „Genau das wollte ich Ihnen gerade vorschlagen.“, sagte Tak. „Dann sehe ich ja, dass ich bei Ihnen in guten Händen bin, Technical Assistant.“, sagte Data. „Nur Mut! Sie verstehen Ihr Handwerk!“ „Das mag ja sein.“, sagte Takahashi bescheiden. „Nur habe ich bei solchen Operationen normalerweise immer einen Chefingenieur im Hintergrund gehabt, der mir auf die Finger geschaut hat.“ „Das ist aber in diesem Fall gänzlich unnötig.“, sagte Data motivierend. „Sie schaffen das auch sehr gut allein. Formal ist das sicher auch richtig so, aber der Zweck heiligt manchmal eben die Mittel.“ „Ja.“, nickte der immer noch sehr aufgeregte Japaner. „Aber Buddha sei Dank, eben nur manchmal.“ Ungerührt von seiner Reaktion initiierte Data den Download.

Wenige Sekunden später war er damit fertig. „Passen Sie auf, Tak.“, forderte er den Japaner auf, ihm jetzt genau zuzuhören. Dann war aus seinem Mund statt seiner Stimme jene musikalische Begleitung zu hören, die ich benötigen würde. Dies ließ Data aber nur anspielen und schaltete gleich wieder um.

Tak ließ hörbar die Luft aus seinen Lungen entweichen. „Lassen Sie uns nun zum Allrounder gehen.“, sagte Data. „Ich werde ihr noch einiges erklären müssen. Da das Programm zum Abspielen der Musik auf dieselben Hardwarekomponenten zugreift, die ich auch zum Erzeugen von Worten benutze, werde ich nicht mit ihr verbal kommunizieren können, während ich die Musik abspiele. Eine Kommunikation zwischen uns könnte aber notwendig werden. Wir werden eine nonverbale Kommunikation auf taktiler Basis finden müssen, wenn ich sie durch das Lied führen soll. Sie hat ja verdeutlicht, dass sie noch einen leichten Hilfsbedarf hat.“ „OK.“, sagte Tak. „Kommen Sie.“

Die Beiden waren bald wieder bei mir angekommen und Data stellte sich direkt neben mich. „Wir haben eine musikalische Begleitung für Sie, Allrounder.“, sagte er förmlich. „Woher ist die denn auf einmal gekommen?!“, fragte ich erleichtert, aber gleichzeitig leicht irritiert, zurück. „Sie kam von einer demetanischen Kulturseite und ist jetzt in mir.“, antwortete der Androide. „Ich werde die Datei abspielen und sie werden dazu singen. Da ich dann nicht mit Ihnen verbal kommunizieren kann, werden wir untereinander eine nonverbale aber taktile Kommunikation führen. Wenn es Zeit für Sie ist, Atem zu holen, werde ich Ihre Rippen berühren. Wenn Sie zu singen beginnen sollen, berühre ich Ihren Kehlkopf. Wenn Sie aufhören sollen, berühre ich Ihre Lippen.“ „Das war ja sehr leicht zu behalten, Sir.“, sagte ich, räusperte mich, richtete mich auf und sagte: „Bereit, wenn Sie es sind, Commander!“

Data berührte meine Lippen und ich lockerte meine Körperhaltung wieder. „Sehr gut!“, lobte er. „Das zeigt mir, dass unsere neue Sprache von Ihnen bereits verstanden wird. Aber ich hatte auch nichts anderes erwartet.“

Er drehte sich fort und ging zu Farina und Vargas hinüber. Dabei kam er kurz bei Mikel vorbei, den er aufforderte: „Agent, bitte geben Sie mir das Ei.“ Mikel nickte und kam der Bitte des Mannes, der theoretisch sein Vorgesetzter sein konnte, bereitwillig nach. Dann ging Data mit dem Ei in der Hand weiter. Bei den beiden Ornitoiden blieb er stehen und wandte sich an Vargas: „Ich werde das Ei jetzt auf Ihren Füßen platzieren. Das wäre ja auch der Fall, wenn Farina es gerade dort abgelegt hätte und nichts geschehen wäre, das dies verhindert hätte. Farina, bitte stellen Sie sich jetzt mit Ihrem Rücken zu Ihrem Partner und zwar so, dass Ihr Hinterteil das Ei berührt. Sehr gut so. Jetzt warten Sie bitte beide ab.“

Data kehrte zu mir zurück und befahl: „Achtung, Allrounder! Die Ohren gespitzt!“ „Sind gespitzt, Sir!“, antwortete ich schmissig. „Also dann!“, sagte Data, lud das Programm und begann damit, die Musik abzuspielen. Mit der Verständigung hatten wir keine Schwierigkeiten. Ich wusste genau, was er wann von mir wollte und das gab mir ein starkes Gefühl der Sicherheit. Das wiederum führte dazu, dass ich das Lied sehr sicher singen konnte, was Farina und Vargas sicher auch das nötige Vertrauen einflößte.

Plötzlich winkte Vargas Data, der mir sofort bedeutete, mit dem Singen aufzuhören. Dann kam er in einem extremen Watschelgang auf uns zu und nahm, um mir nicht wehzutun, mit seinem Schnabel meinen rechten Ärmel auf. So führte er meine Hand an sein weißes weiches Brustgefieder. Dann forderte er mich auf: „Schau dir ruhig genau an, was du angerichtet hast mit deiner Singerei!“ Dabei konnte ich gut seine Absicht hören, mit mir zu scherzen.

Ich tastete mich also an seinem Gefieder herunter, bis meine vor Aufregung leicht zitternde Hand auf eine große Wölbung an seinem Bauch stieß. Sie war hart und hatte in etwa die Größe eines Modells eines cryalischen Eies, Wie ich es einmal in Cupernicas Praxis angefasst hatte. „Oh mein Gott!“, rief ich aus. „Ich kann es nicht fassen! Willst du mir etwa sagen, Vargas, es ist drin?!“ „Was denn wohl sonst.“ grinste mein ornitoider Freund. „Oder glaubst du ernsthaft, ich hätte heimlich still und leise einen Fußball verschluckt?“ „Nein.“, sagte ich erleichtert und entspannte mich merklich.

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