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Wir fuhren erst einmal die Straße entlang, auf der wir uns bereits befunden hatten. Dann fragte Tak nach einer Weile: „Wo wollten Sie denn hin?“ „Zum Stadtpark, Technical Assistant!“, sagte Mikel fest. „Also gut.“, sagte Tak und versuchte, sich in dem ganzen Chaos auf der richtigen Straße einzuordnen, was ihm auch tatsächlich sehr routiniert gelang, wie Mikel feststellen konnte. Da er sehr nah bei ihm saß, war dem blinden Agenten des Sternenflottengeheimdienstes durch sein hervorragendes Gehör sofort aufgefallen, dass Tak nur wenig schaltete und sicher und zügig in eine Lücke in der sich vor ihm befindenden Schlange gefahren war. Ihnen scheint die Technik keinen Strich durch die Rechnung zu machen, Tak.“, stellte der erste Offizier der Granger fest. „Da haben Sie Recht, Agent.“, sagte Tak. „Weil ich weiß, wie man das System ausschaltet. Das ist etwas schwieriger und die Meisten, die das tun wollen, werden bei der Hotline, die wir eingerichtet haben, erst mal nachfragen müssen, weil es von Hersteller zu Hersteller verschieden ist. Normalerweise soll das Sicherheitssystem ja auch nicht ausgeschaltet werden.“ „Tja.“, sagte ich von hinten. „So einen Fall wie heute, den gab es ja auch noch nicht.“ „Stimmt, Allrounder.“, sagte Tak.

Ich lehnte mich auf dem Sitz zurück, nachdem ich mein Sicherheitskraftfeld, das aus der Lehne des Vordersitzes kam, mit einem Knopf, der sich direkt neben meiner rechten Hand an der Tür befand, aktiviert hatte. Ich fühlte mich unglaublich sicher in diesem Jeep bei Mikel und Tak. Jetzt wusste ich, dass wir sicher ankommen würden und uns nichts mehr passieren konnte. Ich fühlte mich sogar so sicher, dass ich ins Träumen geriet. Ach ja, der Stadtpark. Da war ja etwas gewesen.

Meine Gedanken führten mich zu dem Wochenende zurück, das ich kürzlich auf der Erde verbracht hatte, nachdem meine letzte Mission vorbei gewesen war. Zu jenem Wochenende, an dem ich Vargas und Farina kennen gelernt, oder besser, wie in Farinas Fall, wieder kennen gelernt und unsere Freundschaft erneuert hatte.

Ich war also an jenem Samstagmorgen in den Stadtpark gegangen und hatte mich auf meinen Lieblingsplatz neben einem kleinen Teich gesetzt. Hier gab es eine kleine Steinmauer, auf die ich mich setzte und meine Beine baumeln ließ.

Während ich also so dasaß, bemerkte ich nicht, wie sich mir zwei Gestalten näherten. Eine von ihnen setzte sich rechts, die andere sich links neben mich. Dann wurde ich von einer etwas krächzenden, aber dennoch hohen weiblichen Stimme angesprochen: „Hi, Betsy! Schön, dich mal wieder zu sehen.“ „Kennen wir uns, Miss?“, fragte ich irritiert zurück. „Ich bin es.“, sagte sie und etwas berührte mich an der rechten Hand. Dieses Gefühl war mir vertraut und ich wusste sofort, dass es sich um einen Flügel handelte, der mich da gerade in so altvertrauter Weise berührt hatte. „Farina?!“, fragte ich, die ich sie erst jetzt erkannt hatte. „Genau!“, lächelte mir die Ornitoide zu. Dann rutschte sie näher an mich heran und ihre Stummelflügel, die, wie bei terranischen Pinguinen auch, eher Flossen ähnelten, umfingen mich, soweit das möglich war. Sie drückte mich fest an ihr schwarzweißes Federkleid, dessen Weichheit mir jetzt wieder sehr vertraut war.

Erst nach gefühlten 20 Minuten ließ sie mich los. „Es ist schon eine Weile her.“, sagte ich, nachdem ich ob ihres festen Griffes wieder zu Atem gekommen war. „Da hast du Recht.“, lachte sie. „Was machst du so? Ich hörte, du bist jetzt auf dem dritten Flaggschiff der Sternenflotte!“ „Richtig.“, bestätigte ich. „Und du?“ „Ich habe im Kindergarten von Little Federation als Erzieherin angefangen.“, sagte sie. „Und wir scheinen beide geheiratet zu haben. Zumindest trägst du einen Ehering. Ach übrigens, das ist Vargas, mein Mann.“

Sie warf ihm einen auffordernden Blick zu, worauf er sagte: „Hallo, Betsy. Ich darf doch Betsy sagen, oder?“ „Sicher.“, lächelte ich. „Schließlich sind Sie der Mann meiner Freundin, Vargas.“ „Dann sollten wir beide uns aber auch duzen.“, schlug er vor und ich nickte. „Das ist sehr gut.“, sagte er. „Zumal wir mit einer sehr privaten Bitte zu dir kommen. Wir möchten, dass du unsere Cantira wirst, wenn wir demnächst zusammen Nachwuchs planen. Weißt du, was das ist?“ „Sie ist Sternenflottenoffizierin!“, zischte Farina ihrem Mann zu. „Natürlich wird sie wissen, was das ist. Bitte beleidige nicht ihr kulturelles Wissen!“

Bestimmt befreite ich mich aus Farinas Griff, stand dann auf, räusperte mich und sagte dann langsam und deutlich: „Zunächst mal: Wir Sternenflottenoffiziere haben, genau wie ihr Zivilisten, auch nicht alles im Kopf, was fremde Kulturen angeht. Aber wir wissen, wo es steht! Also. Ich werde jetzt mein Pad holen und dann …“ „Das musst du nicht.“, sagte Vargas. „Wir werden es dir erklären. Wir möchten, dass du das Lied singst, zu dem wir tanzen, damit Farina das Ei, das sie gelegt hat, in meine Brutfalte befördern kann. Es gibt natürlich auch Profis aus unserem Volk, die das tagtäglich tun, aber wir wollen dich!“ „Welche Ehre.“, sagte ich etwas verschämt. „Aber es wird euer erstes Kind sein und ich bin auch eine gesangliche Amateurin. Wäre es nicht besser, wenn ihr euch an eine professionelle Cantira wenden würdet?“ „Du schaffst das!“, sagte Vargas fest und mit Überzeugung. „Wir vertrauen dir! Vor allem Farina vertraut dir und sie hat wiederum mich überzeugt! Du musst einen ziemlich starken Eindruck bei ihr hinterlassen haben, als ihr zusammen auf der Akademie wart.“

Ich dachte eine Weile nach. Dann sagte ich: „Also gut. Gebongt. Aber bitte gebt mir noch etwas Zeit zum Üben.“ „Die hast du.“, sagte Farina. „Zumindest laut meinem Biorhythmus. Wir sagen dir schon Bescheid. Aber wir würden gern in der nächsten Zeit anfangen, es zu versuchen. Du weißt schon, was ich meine.“ „Oh ja.“, lächelte ich. „Über die Bienen und die Blumen weiß ich Bescheid. Ich muss es nur früh genug wissen, um meinen Commander um Urlaub bitten zu können.“ „Kein Problem.“, sagte Farina tröstend. „Gib uns einfach dein Rufzeichen auf deiner Basis. Dann sagen wir dir Bescheid, wenn es geklappt hat.“ „Also gut.“, sagte ich. „Machen wir es so.“ Ich wusste zwar, dass ich mein Rufzeichen nicht einfach jedem Zivilisten geben durfte, eigentlich sogar nur Angehörigen, Aber in diesem Fall war eine Ausnahme wohl angebracht. Das hatte ich einfach so eigenmächtig beschlossen. Würde mir Commander Kissara dafür den Kopf abreißen wollen, würde ich ihn wohl auch hinhalten müssen. Es wäre ja schließlich meine eigene Schuld gewesen.

„Bei allen Göttern! Festhalten!“ Tak’s plötzlicher Ausruf hatte mich jäh in die Realität zurückgeholt. Ich hatte mich dabei derart heftig erschrocken, dass ich bei einer unwillkürlichen Kopfbewegung mit ebendiesem an die Seitenwand der Fahrgastzelle gestoßen war und das so heftig, dass mir für einen Moment etwas schwindelig wurde. Aber das lag nicht nur an seinem Ausruf, sondern auch an der Tatsache, dass er den Jeep plötzlich abrupt bremste und es ihm wohl nur unter größten mühen gelungen war, ihn doch noch sicher auf dem Grünstreifen neben der Straße zum Stehen zu bringen. Auch an Mikel war das Geschehen wohl nicht spurlos vorbeigegangen. Auch er musste sich erst einmal sammeln.

Eine Weile lang hatten wir nun schon regungslos dagesessen und die Situation beobachtet, die sich uns geboten hatte. Takahashi hatte nur immer geradeaus gestarrt. Offensichtlich hatte ihn das Gesehene sehr schockiert. „Was um alles in der Welt sollte dieses Manöver, Technical Assistant?!“, empörte sich Mikel schließlich. „Es tut mir leid, Sir.“, sagte Tak fast automatisch zu dem einige Ränge über ihm stehenden Agenten. „Aber vor uns hat es einen Unfall gegeben. Eines der beteiligten Fahrzeuge hat sich gedreht. Ich musste plötzlich ausweichen. Wie geht es Ihnen?“ „Mir geht es gut.“, versicherte Mikel. „Aber Allrounder Betsy scheint mehr passiert zu sein.“ „Ach was.“, hakte ich ein. „Das klang wohl dramatischer, als es in Wahrheit war.“

Ich musste meine Worte plötzlich unterbrechen und lauschen, denn ich hatte den Eindruck gewonnen, etwas gehört zu haben. Es waren uhrwerkgleiche Schritte, die sich da auf uns zubewegten. Diese Schritte konnte ich nur einem Wesen zuordnen, nämlich Commander Data, zumal sie zu schwer waren, um von einer Frau stammen zu können oder gar von einem Kind. Cupernica oder Novus konnte ich also ausschließen.

Data kam auf unser Fahrzeug zu und bedeutete Tak mittels eines Handzeichens, das Fenster herunterzufahren. Dies tat der Technical Assistant der Sternenflotte auch bereitwillig. Dann wandte sich der Androide freundlich an uns alle: „Ich wollte Sie nur informieren, dass es zwar einen Unfall gab, an dem ich einer der Beteiligten war, es aber keine größeren Personenschäden gegeben hat. Das zweite Fahrzeug hat zwar wirtschaftlichen Totalschaden, aber ich konnte die Insassen befreien. Es handelt sich um Farina und Vargas. Sie waren wohl auf dem Weg zur Praxis meiner Frau, weil die Eiablage kurz bevor stand.“ „Oh nein!“, fuhr ich ihm erschrocken dazwischen. „Ist etwa …“ „Es geht Ihrer Freundin gut, Allrounder.“, versicherte der Androide ruhig. „Dank einer sofort von mir initiierten Datenverbindung mit meiner Frau, über die sie mir das notwendige Wissen übermitteln konnte, war ich in der Lage, Farina als kompetenter Ersthelfer zur Seite zu stehen. Da es keine Komplikationen gab, war das alles kein Problem. Nun aber benötigen wir Sie, Betsy. Das Ei darf nicht sehr lange den feindlichen Temperaturen hier ausgesetzt sein. Die notwendige Bruttemperatur beträgt laut Cupernica, mit der ich immer noch in Kontakt stehe, 40 °. Cupernica ist mit einem Inkubator auf dem Weg hierher. Aber aufgrund der Verkehrsverhältnisse wird es sicher noch etwas dauern, bis sie hier ist. Wir müssen jetzt etwas tun, wenn der Embryo nicht absterben soll.“ „Ich habe eine Wolldecke im Kofferraum.“, sagte Tak, stieg aus und ging nach hinten. „Und ich habe einen Erfasser.“, sagte Mikel und holte seinen Rucksack hervor, den er die ganze Zeit vor sich im Fußraum des Jeeps gehabt hatte. Daraus zauberte er das Gerät hervor. Er war bei unserem Sturz auf dem Hintern gelandet. Dem Rucksack und dessen Inhalt war also nichts passiert. „Wieso schleppst du ständig deinen Erfasser mit dir herum?“, wollte ich wissen. „Du bist ja schon genau so wie Sedrin.“ „Das sollte es dir erklären.“, sagte Mikel. „Ach so.“, verstand ich. „Das ist also eine Berufskrankheit von euch Agenten.“ „Genau.“, sagte Mikel.

Tak war inzwischen, das Dach des eigenen Fahrzeugs als Bastelunterlage missbrauchend, dabei, aus der Wolldecke eine Tasche zu falten. Mikel, der ausgestiegen war und sich ihm interessiert genähert hatte, griff das sofort auf und sagte: „Die legen Sie mir dann mit dem Ei auf den Schoß! Ich fühle mich heute irgendwie wie ein heißer Typ und wenn wir Cupernica entgegenfahren, wird das schon ausreichen.“ „Ok.“, sagte Tak, der erst jetzt von seinem Wolldecken-Origami aufgesehen hatte.

Data hatte mich zu Farina und Vargas gebracht, die auf einer Wiese auf mich warteten. „Oh, Betsy.“, sagte mein neuer ornitoider Freund erleichtert. „Was für ein Zufall, dass du gerade in der Nähe warst.“ „Tja, manchmal hat man eben Glück im Unglück.“, erwiderte ich. „Wie geht es dir, Farina? Wo ist das Ei?“ „Ich bin etwas müde.“, sagte die Angesprochene. „Aber ansonsten bin ich OK. Ich wollte es erst zurückhalten, weißt du, aber Data hat gesagt, dass ich mir nur schade, wenn ich mich dagegen wehre, dass es kommt. Es ging alles so schnell. Ich musste kaum mithelfen, also pressen. Ich hatte solche Angst, Betsy! Solche Angst! Aber ich war sehr froh, dass Data und Vargas da waren. Ich hätte nie gedacht, dass mir eine Maschine so viel Mut geben kann.“ „Er stand ja auch in Verbindung mit einer Fachfrau.“, sagte ich. „Sie ist zwar auch eine künstliche Lebensform, aber fachlich ausgebildet. Sie ist immerhin Medical Scientist der Sternenflotte.“ „Ich weiß.“, sagte Farina. „Cupernica ist eben so berühmt wie du. Ach, das Ei ist übrigens noch in unserem Fahrzeug. Data meinte, dass es dort wärmer sei und es dort, bis eine andere Möglichkeit gefunden wäre, am besten aufgehoben sei.“

Tak hatte Data gewinkt. „Ich bin fertig.“, sagte der technische Assistent und übergab dem Androiden sein Werk. „Vielen Dank, Tak.“, sagte dieser, nahm die Tasche entgegen und ging damit in Richtung von Farinas und Vargas‘ Fahrzeug. Dann sah er sich die Situation Noch einmal an und entschied dann: „Ich werde zuerst das Fahrzeug stabilisieren. So vermeide ich, dass das Ei, wenn ich mich hineinbeuge, um es zu bergen, durch eine Bewegung des Jeeps Schaden nehmen kann. Immerhin hängt dieser halb im Graben.“ „Wie will er das denn anstellen ohne Rettungsausrüstung?“, fragte Vargas unverständig, der Data lange nicht so gut kannte wie wir. „Abwarten.“, grinste Mikel, der sich wohl schon denken konnte, was jetzt kam. Der Sternenflottenoffizier wusste um die gleichen Zusammenhänge wie ich und wir waren froh, Vargas und Farina somit auf ein Schauspiel aufmerksam machen zu können, das sie von der Angst um ihr ungeborenes Kind für eine Weile ablenken würde.

Ich drehte mich in die Richtung, aus der ich Datas Stimme wahrgenommen hatte und zeigte nach geradeaus. Dann drehte ich meinen Kopf wieder in Vargas‘ und Farinas Richtung und sagte: „Aufgepasst!“ Das war auch gleichzeitig das Signal für Data, mit seiner in den Augen meiner neuen Freunde sicher zirkusreifen Nummer loszulegen. Tatsächlich fasste der Androide das Fahrzeug an der hinteren Stoßstange und zog es scheinbar mühelos rückwärts aus dem Graben auf den Grasstreifen. Dort drehte er es zurecht, bog die beschädigte Beifahrertür auf, um aber dann mit fast schon grazil anmutender Vorsicht das Ei vom Beifahrersitz zu holen und es in Tak’s Tasche zu platzieren, die er dann zu Mikel brachte und ebenfalls sehr vorsichtig auf dessen Schoß ablegte. „Das ist ja unglaublich!“, staunte Vargas. „So stark und grob, aber dann auch so vorsichtig, wenn es darauf ankommt.“ „Das ist nicht korrekt.“, erwiderte Data. „Es ist alles nur eine Frage der Einstellung meiner Servos und die erfolgt durch meine Software. Aber ich gehe davon aus, dass Sie mir gerade ein Kompliment machen wollten, nicht wahr?“ „Allerdings.“, bestätigte Vargas die Annahme des Androiden. „Dann vielen Dank.“, sagte Data höflich.

Vargas drehte sich mir zu. „Vielleicht kannst du mir mal erklären, wie er das gemacht hat. Ich meine, er hat gerade einen Gegenstand gehoben, der fast vier Tonnen wiegt.“ „Das ist für ihn eine Fingerübung.“, lächelte ich. „Er hat vor ca. 800 Jahren schon einmal ein ganzes Raumschiff aus einem See gezogen, das Platz für ca. 400 Leute plus Besatzung geboten hätte, inklusive diverser technischer Einrichtungen wie eines Holo-Decks.“ „Wow!“, staunte Vargas nur. „Das musst du einem unbedarften Zivilisten unbedingt alles mal von Anfang an erzählen, Sternenflottenoffizierin.“ „Sicher.“, lächelte ich erleichtert und war froh, ihn und Farina, die ebenfalls interessiert zuhörte, mit dieser kleinen Geschichtsstunde noch weiter ablenken zu können.

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