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Wenig später waren wir in dem Wald angekommen, in dem das Oberkommando an Hand meiner Meldung das Einhorn vermutete. Allerdings war man nicht sicher, denn man konnte es weder auf den bildgebenden Sensoren, noch allein aufgrund seiner Lebenszeichen lokalisieren. Nur der Vergleich meiner Informationen mit für sie historischen Karten aus meinem Heimatjahrhundert hatte sie eine eventuelle Position des Wesens feststellen lassen. Über dieser kreiste nun das Shuttle des Außenteams in einer geo-stationären Umlaufbahn.

„Ich gehe davon aus, dass sich das Einhorn instinktiv unsichtbar gemacht hat.“, machte Illiane einen Versuch, die Umstände zu erklären. „Ich meine, auch wenn seine Kräfte noch nicht ausgereift sind, so dürfte es doch genug instinktive Fähigkeiten haben, um sein Überleben zu sichern, oder?“ „Kein oder, St. John!“, sagte Sedrin stolz. „Ihre Theorie ist die einzige vernünftige Erklärung zu dem Thema, die ich bisher gehört habe. Ich hatte gehofft, dass Sie, als Quellenwesen, endlich gelernt hätten, Ihr Licht nicht immer so häufig unter den Scheffel zu stellen. Was meinen Sie, als Hobbyverhaltensforscherin, zu Allrounder St. Johns Theorie, Allrounder Scott?“ „Ich halte das durchaus für möglich, Agent.“, entgegnete ich der resoluten Spionageoffizierin. „Obwohl ich nicht ganz verstehe, warum die Natur es so einrichtet, dass so ein kleines hilfloses Wesen nur passive Verteidigungsmechanismen zur Verfügung hat. Die meisten aktiven Kräfte bilden sich bei Mächtigen meines Wissens erst im späten Teenageralter aus. Ich verstehe einfach nicht, warum!“ „Dann werde ich Ihnen einmal eine ganz einfache Frage stellen, beziehungsweise Sie ermutigen, sich einmal ein bestimmtes Szenario vor Augen zu führen.“, sagte Sedrin, die dafür offenbar eine Erklärung zu haben schien. „Stellen Sie sich einmal ein mächtiges Kind in der Trotzphase im Alter von ca. drei Jahren vor. Haben Sie eine Ahnung, was es in unkontrollierter Wut mit aktiven Kräften anrichten könnte, auch dann, wenn es ihm später leid täte?!“ Die Vorstellung allein ließ mich hörbar schlucken. „Sehen Sie?!“, sagte Sedrin streng. „Ich, ich, ich denke schon, Agent.“, stammelte ich und senkte beschwichtigend den Kopf. „Bitte verzeihen Sie mir. Das hätte mir klar sein müssen. Aber offenbar war ich durch die emotionale Situation und mein Mitleid mit dem armen Fohlen gedanklich blockiert.“ „Erklärung akzeptiert, Allrounder.“, sagte Sedrin. „Mutter Schicksal sei Dank bin ich ja keine Vulkanierin. Ich kann also sehr gut nachvollziehen, wie es Ihnen geht. Um ehrlich zu sein, mir geht es genauso. Aber ich lasse mich davon allerhöchstens in der Art beeinflussen, dass ich versuche, das Mitleid in Motivation zu verwandeln, diese Mission deshalb jetzt erst recht erfolgreich zu beenden!“ „Das ist auch mein Motiv, Madam!“, sagte ich und auch Illiane nickte zustimmend. „Na also.“, sagte Sedrin. „Dann sind wir uns ja einig, Ladies.“

Wir bogen auf einen Waldweg ein. Das, was wir dort aber dann zu sehen bekamen, jagte zumindest Illiane einen eiskalten Schauer über den Rücken und ließ sie hörbar scharf Luft einziehen. „Was haben Sie?!“, fragte Sedrin leicht alarmiert, die so eine Reaktion schon von ihr kannte. In ihrer gemeinsamen Zeit auf der Eclypse hatte sie diese immer dann gezeigt, wenn sie große Angst hatte. Da sich Illiane und Sedrin sehr stark angefreundet hatten, nahm die Demetanerin die Reaktion ihres Gegenübers nicht wirklich krumm. Im Gegenteil! Diese Reaktion sprach ihre rassetypischen Helferinstinkte an, weshalb sie geduldig zuhörte, als Illiane stammelte: „Da stehen ein Mann und ein Hund. Beide sind wie eingefroren! Ich weiß, das ist logisch, wenn die Zeit stillsteht, aber ich finde es echt gespenstisch! Bitte verzeihen Sie, Agent. Ich denke, Ensign Sato hätte sich nicht so angestellt.“ „Die hatte auch einen Vorteil gegenüber dir.“, griff ich Sedrin vor. „Die war zur Akademie der Sternenflotte gegangen, was du nie bist. Mir scheint, die Quellenwesen haben dich wissenstechnisch so eingestellt, dass du auf dem Stand bist, den du bei Ende eurer Mission hattest. Alles andere wäre sicher zu risikoreich für sie. Das große universelle Wissen, das sie haben, dir zu lassen, wenn du sterblich bist, ist bestimmt …“ „Genau!“, skandierte Sedrin. „Exakt das Gleiche wollte ich auch gerade sagen. Sie haben ein sehr gutes Verständnis für unsere Situation, Betsy. Ach übrigens, Illiane, haben die Quellenwesen Ihnen gesagt, was mit Ihnen geschieht, wenn diese Mission vorbei ist?“ „Sie sagen, ich werde zu ihnen zurückkehren und dieser Körper, der gewissermaßen eine Leihgabe ist, wird sich einfach auflösen. Sie werden also keine Scherereien mit meiner Beerdigung haben.“ „Als ob die Beerdigung einer Freundin Scherereien bedeuten würde.“, sagte Sedrin. „Das haben Sie mir noch nie gesagt.“, sagte Illiane gerührt und vergoss sogar eine Träne. „Ich habe es zwar immer gespürt, aber Sie haben es nie gesagt.“ „Commander Huxley hätte mir sicher den Kopf abgerissen und das Oberkommando noch dazu.“, entgegnete die Demetanerin. „Das musste ich schon schlau anfangen, wenn nicht bekannt werden sollte, dass ich eine Freundschaft zu einer Untergebenen aufgebaut hatte. Bei Ihnen, Betsy und bei Agent Mikel ist das was anderes. Sie waren schon seit Ihrer Kindheit Freunde, also lange bevor Sie der Sternenflotte beitraten. Da konnten sie nichts machen, aber …“ „Und im Geheimhalten sind Sie ja sehr gut, Frau Geheimdienst.“, frotzelte ich, machte aber gleich danach wieder ein verschämtes Gesicht. „Die Wahrheit zu sprechen.“, begann Sedrin. „Sollte Ihnen niemals peinlich sein, Betsy. Aber nun noch einmal zu dem Mann am Wegrand. Um ihn einordnen zu können, wüsste ich gern, wer er ist. Falls Dill und Logar aus irgendeinem Grund die mentale Sicherung nicht aufrecht halten können, muss ich, als kommandierende Offizierin dieser Mission, wissen, ob uns von ihm Gefahr drohen könnte, oder ob er Dinge tun könnte, die am Ende die Zeitlinie gefährden.“ „Um das beurteilen zu können, Agent.“, begann ich, die geahnt hatte, dass ihre Worte wohl als Aufforderung an mich zu verstehen waren, ihr die Situation zu verdeutlichen. „müsste ich eine genauere Beschreibung von dem Mann bekommen.“ „Na los, Illiane!“, sagte Sedrin mit einem auffordernden Blick zu ihrer ehemaligen Kameradin. „Sie haben ihn am genauesten gesehen.“ „Also gut.“, sagte Illiane, der das Herz bis zum Hals klopfen musste, was ich ihrer Stimme durchaus anhören konnte, wenn sie sich an die für sie so unheimliche Begegnung erinnerte. „Er war ca. 1,90, trug grüne Kleidung, war muskulös und hatte einen Vollbart. Er trug ein Gewehr über der Schulter und hatte einen kleinen Hund dabei. Ich würde sagen, ein Dackelrüde.“ „Dass du so genau hingeschaut hast.“, grinste ich sie an. „Rüden sind bei den meisten Hunderassen größer und stämmiger gebaut als Hündinnen.“, sagte Sedrin. „Ich hatte angenommen, das wüssten Sie.“ „Das weiß ich natürlich auch, Agent.“, entgegnete ich in fast tröstender Tonlage. „Ich habe auch lediglich einen Scherz gemacht, um sie aufzuheitern. Sie sollte nicht mehr an ihre Angst erinnert werden, wenn sie an das Bild denkt.“ „Clever!“, lobte Sedrin. „Und wenn Sie schon so clever anfangen, dann wissen Sie doch mit Sicherheit auch, wer der Mann ist, nicht wahr?“ „Das stimmt, Agent!“, sagte ich sicher. „Er ist unser Förster und könnte uns schon gefährlich werden, weil sein Hund das Einhorn vielleicht finden kann. Es ist auf natürliche Art gezeugt worden und nicht durch die Kräfte eines Mächtigen entstanden. Es könnte also durchaus einen Geruch haben.“ „Genau das Gleiche hat der Chief-Agent auch schon vermutet.“, sagte Sedrin. „Deshalb habe ich auch neulich von ihr eine kleine süße Frachtsendung erhalten. Aber mehr sage ich dazu noch nicht! Vielleicht müssen wir das, was ich da bekommen habe, ja gar nicht einsetzen. Das hoffe ich sogar.“ „Es wird doch wohl hoffentlich keine Technologie aus dem 30. Jahrhundert sein?!“, hinterfragte ich ihre Sätze erschrocken. „Hm, jein.“, überlegte sie. „Aber Sie können davon ausgehen, dass ich alles versuchen werde, um die Zeitlinie unangetastet zu lassen! Bitte vertrauen Sie mir.“

Plötzlich ließ mich ein unvermutetes Geräusch nach rechts lauschen. Mausi, die zuvor einen recht flotten Schritt am Leib gehabt hatte, wurde merklich langsamer und lauschte in meine Richtung. Als kein Kommando oder gar ein tröstendes Wort von mir kam, hielt sie schließlich vollständig an, was ich nicht quittierte, da ich es kaum gemerkt hatte. Ich war nämlich immer noch mit dem Geräusch beschäftigt gewesen. „Anhalten, St. John!“, befahl Sedrin zu Illiane nach hinten, bevor sie ebenfalls ihr Pferd mittels einer energischen Parade zum Stehen brachte. Sie wusste, wenn ich mich so verhielt, dann musste etwas im Busch sein.

Sie wandte sich zu mir um und fragte langsam und deutlich: „Was hören Sie?“ „Schellen.“, flüsterte ich immer noch angespannt lauschend. „Da sind Schellen, Agent.“ „Wo sind sie, Allrounder Scott?“, fragte Sedrin jetzt sehr eindringlich und fast hypnotisch. Ihre Stimmlage hatte mich an die von Lomādo erinnert, als er mir verdeutlicht hatte, dass ich damals durchaus seine Hilfe annehmen durfte. „Welche Richtung? Welche Richtung? Sagen Sie es mir! Sagen Sie es!“, flüsterte Sedrin sehr ruhig, aber gleichzeitig auch sehr bohrend, so dass ich nicht anders konnte, als zu sagen: „Drei Uhr, Madam.“ Ich wusste, dass ihre Vernehmungsmethode zuweilen etwas merkwürdig anmutete, gerade dann, wenn sie wollte, dass sich jemand traute, ihr Informationen zu geben, die er oder sie eigentlich lieber unter Verschluss gehalten hätte, weil die Person Angst vor den Konsequenzen hatte. Aber am eigenen Leib erlebte ich dies jetzt zum ersten Mal.

Ohne zu zögern hatte Sedrin den Strick, den sie zuvor losgelassen hatte, wieder ergriffen und mein und ihr Pferd in die von mir angegebene Richtung gedreht. Illiane war uns selbstständig gefolgt. „Aber das ist unmöglich, Agent.“, sagte ich. „Die Schellen erinnern mich an einen Schlitten. Aber es ist Sommer und so kann hier kein Schlitten sein!“ „Ein Schlitten sicher nicht.“, erklärte St. John. „Aber du weißt doch, dass man auch Schellengeläute hört, wenn ein Einhorn in der Nähe ist.“ „Stimmt.“, sagte ich. „Aber bei einem Mischling war ich nicht sicher.“ „Sicher oder nicht.“, sagte Sedrin. „Jetzt wissen wir zumindest, dass es ganz in der Nähe sein muss. Sie werden vorreiten. Schließlich kennen Sie als einzige die Richtung. Wir Sehenden sind jetzt aufgeschmissen, weil es sich bestimmt, wie Illiane schon sicher richtig vermutet hat, aus Angst unsichtbar gemacht hat. Es findet seine Situation sicher nicht sehr angenehm, so weit weg von Mutter und Freunden und dem heimatlichen Stall. Ich habe ein Auge auf Sie und passe auf, dass Sie vor kein Hindernis reiten, wenn mir Ihre Mausi diese Aufgabe nicht schon abnimmt. Ich habe Ihre Interaktion mit ihr längst beobachtet und meine Schlüsse gezogen.“ „Also gut, Agent.“, sagte ich auf Englisch zu Sedrin und dann zu Mausi auf Deutsch: „Na komm, Dicke!“ Sie folgte willig. Warum sie mich so dringend benötigten, war mir jetzt in gewisser Weise klar. Aber warum brauchten sie Illiane? Warum hatten die Quellenwesen sie geschickt und warum brauchten sie ausgerechnet Mausi? Warum hatte Sedrin sie immer wieder ausdrücklich erwähnt? Ich ahnte nicht, dass sich diese Fragen schneller beantworten sollten, als uns allen lieb war.

Mausi trug mich nun allen voran in die Richtung, aus der ich das Geräusch wahrgenommen hatte. Sedrin und Illiane folgten auf ihren Pferden mit etwas Abstand. Die Agentin hatte versprochen, mich nicht aus den Augen zu lassen und dann war da ja auch noch Mausi, die es auf dem Reitplatz mit dem Aufpassen auf mich schon fast zur Perfektion gebracht hatte. Was sollte mir also passieren? Meine Sternenflottenhilfsmittel, die mir im 30. Jahrhundert immer sehr geholfen hatten, hatte ich jetzt selbstverständlich nicht bei mir. Das war aber für mich nicht weiter schlimm, denn ich hatte mir schon gedacht, dass ich dadurch vielleicht sogar einen Vorteil haben könnte. Agent Sedrin hatte, als ich sie darauf angesprochen hatte, nur zu mir gesagt: „Die einzigen Sensoren, die wir benötigen, sind Augen, oder in Ihrem Fall besser Ohren und in Illianes Fall die Nase, Allrounder. Ich halte es durchaus für möglich, dass Sytania versuchen könnte, die Naturgesetze so zu verändern, dass unsere Technologie nicht mehr funktionieren könnte.“ „Schon verstanden, Agent.“, hatte ich erwidert. Jetzt war mir aber auch klar, warum sie mich gerade hier und gerade jetzt abgepasst hatte.

Mausi hatte plötzlich den Kopf leicht gehoben, als wollte sie uns auf etwas aufmerksam machen, das eine geringe Größe hatte. Dann spürte ich, wie sie stehen blieb und sich ihre Flanken leicht senkten und hoben. Außerdem hörte ich ihre intensiver gewordene Atmung. Das Schellengeläute, das ich zuvor gehört hatte, war jetzt genau vor uns. Nur Sedrin und Illiane schienen nichts zu sehen. Jedenfalls entnahm ich dies der Frage der Agentin: „Was hat Mausi da, Betsy?“ „Ich denke.“, sagte ich. „Sie hat gerade Kontakt zu dem Fohlen aufgenommen, Madam. Wir müssen jetzt nur verhindern, dass sie es als herdenfremdes Tier ablehnt. Ich weiß aber auch schon wie.“

Ich stellte mich in die Steigbügel, um mich besser und sicherer abstützen zu können und griff mit der linken Hand in den Riemen am Sattel, den ich auch sonst zum Festhalten in so mancher Situation benutzte. So konnte ich mich besser verankern bei dem, was ich jetzt vorhatte. Die Zügel hatte ich losgelassen. Dann legte ich mich auf den Bauch und tastete an Mausis Hals entlang. Wenig später traf meine rechte Hand auf ihre Ohren, an denen ich mich abwärts entlanghangelte, bis meine Hand unterhalb ihres Kopfes auf den des Halbblutfohlens stieß. Ich begann sofort damit, es zu kraulen. „Ich nehme an.“, sagte Sedrin, die dieses Schauspiel eine ganze Weile beobachtet hatte. „Sie wollen ihr zeigen, dass Sie das Fohlen quasi in Ihrer Herde akzeptieren. Da Mausi auf Sie hört, haben Sie bei ihr im Augenblick den Status einer Leitstute. Das bedeutet, wenn Sie das Fohlen akzeptieren, wird es für sie auch OK sein?“ „Jedenfalls hoffe ich das, Agent.“, entgegnete ich.

Plötzlich spürte ich etwas wie einen nassen Lappen neben meiner Hand. Aufatmend zog ich sie zurück und setzte mich wieder gerade hin. Ich wusste, der nasse Lappen war Mausis Zunge gewesen, mit der sie jetzt das Fohlen liebkoste. Sehen konnte sie es zwar auch nicht, aber riechen wohl dafür umso besser. Sie hatte nie ein eigenes Fohlen gehabt, aber jetzt schienen die Mutterinstinkte bei ihr durchzukommen.

„Verrätst du mir vielleicht, warum deine Mausi die Luft ableckt?!“, fragte Illiane verwundert. „Sie leckt nicht die Luft ab, St. John.“, antwortete ihr Sedrin statt mir, die längst die richtigen Schlüsse gezogen hatte über das, was hier im Gange war. „Warten Sie. Ich zeige Ihnen, was das ist, das sie ableckt. Betsy, wir werden Ihre Hilfe brauchen.“

Sie stieg vom Pferd und wies Illiane an, es ihr gleichzutun. „So und jetzt brauchen wir Sie.“, sagte sie dann an mich gewandt. „Wie kann ich das Fohlen finden, ohne dass Illiane Angst haben muss?“ „Lassen Sie Illiane links von sich gehen und nehmen Sie ihre Hand.“, schlug ich vor. „Ihre eigene rechte Hand legen Sie auf Mausis Hals und streichen daran entlang. Gleich unter ihrem Kopf müssten Sie auf das für Sie anscheinend noch immer unsichtbare Fohlen treffen. Wenn Sie das haben, führen Sie bitte ihre Hand dort hin.“ „Bitte warnen Sie mich aber vor, Sedrin.“, sagte Illiane ängstlich. „Ich werde bis drei zählen.“, sagte Sedrin und führte aus, worum ich sie gerade gebeten hatte. Tatsächlich stieß auch sie bald auf das Fohlen. „Na, mein Kleines.“, sagte sie ruhig. „Wir sind hier, um dich heimzubringen. Vertrau ruhig deiner Ersatzmutter. Sie wird uns helfen, auf dich aufzupassen. So, Illiane. Passen Sie auf! Eins, zwei, drei!“ Damit führte sie Illianes Hand zum Fohlen. Sie aber schreckte verängstigt zurück. „Entschuldigung!“, sagte sie. „Nicht schlimm.“, sagte ich. „Schließ doch einfach beim nächsten Versuch deine Augen. Ich denke, sie blockieren dich. Sie sagen dir, dass da eigentlich nichts sein dürfte, aber deine Hände sagen etwas anderes. Dein armes Gehirn muss ja total überfordert sein.“ „Du meinst also.“, sagte Illiane. „Meine Reaktion ist rein logisch?“ „Ja.“, sagte ich. „Zumindest für eine Sehende, meiner Meinung nach.“

Sedrin zog Illiane ein Stück zurück. Dann sagte sie zu ihr leise, aber bestimmt: „Sie atmen jetzt erst einmal tief durch und dann versuchen wir Betsys Tipp, in Ordnung?“ Die zierliche Halbcapellanerin nickte. Dann tat sie, was die demetanische Agentin ihr gerade vorgeschlagen hatte. Dieses Mal klappte es und Illiane begann sogar, das Fohlen liebevoll zu streicheln. „Na also.“, sagte Sedrin.

Ich hoffte, dass sie jetzt einige Kapazitäten in ihrem Kopf für mich freischaufeln konnte, jetzt, wo Illiane versorgt war. Also sagte ich: „Mir ist da immer noch etwas nicht ganz klar, Agent. Wozu genau benötigen Sie Mausi?“ „Jeder Profiler.“, begann die Agentin. „Weiß, dass Kinder viel eher fremden Frauen, als fremden Männern vertrauen. Die Mutter ist eben präsenter als der Vater, zumindest in den meisten Fällen. Der Chief-Agent und ich gehen davon aus, dass dies bei Fohlen in diesem geringen Alter ähnlich ist. Mausi ist eine ältere lebenserfahrene Stute. Das kann das Fohlen an ihrem Geruch feststellen. Illiane, ich denke, Sie können am ehesten nachvollziehen, worüber ich rede. Ihr Geruchssinn könnte sicher locker mit dem eines Jagdhundes mithalten.“ „Sie haben Recht, Agent.“, sagte Illiane lächelnd. „Obwohl ich mit meinem auf menschliches Denken ausgelegten Gehirn sicher keinen so großen Wert auf diese Art von Information lege und sie daher bestimmt nicht in dieser Weise verarbeiten kann.“

Sie hielt plötzlich inne und lächelte. Dann sagte sie: „Es muss aufgehört haben, Angst zu empfinden. Jedenfalls rieche ich keine mehr.“ Im gleichen Moment sahen Sedrin und Illiane etwas, das wie das langsam immer klarer werdende Bild auf einem Bildschirm aussah. Es war aber nur das Fohlen, das langsam seine Verteidigung aufgegeben hatte und auch für alle wieder sichtbar geworden war. Da dies sehr langsam passierte, erschrak sich auch Mausi nicht davor. „Gut so, meine Kleine!“, lobte Sedrin. „Du kannst uns wirklich vertrauen.“ „Bist du süß!“, rief Illiane freudig aus. „Schwer zu glauben, dass dir jemand nach dem Leben trachten soll.“ „Sie dürfen nicht vergessen, wer das tut.“, sagte Sedrin. „Für Sytania gelten keinerlei moralische Grenzen und wenn sie irgendwo Angst und Schrecken verbreiten kann, dann tut sie das auch.“

Sedrin hatte gerade ausgesprochen, als das Fohlen aus für uns alle unerfindlichen Gründen plötzlich wieder unsichtbar wurde. „Was hat die Kleine?“, fragte Illiane, die sich dieses Verhalten nicht erklären konnte. „Das weiß ich nicht.“, sagte Sedrin und wandte sich an mich: „Allrounder Scott, was habe ich falsch gemacht?“ „Ich bin sicher, Sie haben gar nichts falsch gemacht, Agent.“, sagte ich, die ich die eventuelle Ursache für das Verhalten des Fohlens unter Umständen bereits kannte, denn ich hatte einige merkwürdige Geräusche wahrgenommen. Geräusche, die nun so gar nicht ins 21. Jahrhundert passen wollten. Ich hörte nämlich das Donnern von Hufen und imperianische Streitwagen. Eines war nur komisch an diesem Donnern. Die Pferde schienen irgendwie nicht richtig im Takt zu laufen. Jedenfalls schien es für mich so. Außerdem waren sie schon so nah, dass ich hören konnte, wie schwer sie atmeten, da sie immer wieder von den Kutschern angetrieben wurden. Ich lauschte noch einige Sekunden diesem Geschehen, um sicher zu sein. Dann meldete ich: „Agent, ich denke, dass ich die Ursache für die Angst des Fohlens kenne.“ „Dann raus damit, Allrounder!“, befahl sie. „Hier sind imperianische Streitwagen.“, sagte ich und drehte mich kurz in die Richtung, aus der ich die Geräusche gehört hatte. Dann drehte ich mich wieder zu ihr und fuhr fort: „Ich denke, Dills und Logars mentaler Schild wird durchlässig. Aber ich höre auch, dass wir trotzdem einen Vorteil haben könnten. Die Pferde unserer Gegner gehen enorm ataktisch. Das mag damit zusammenhängen, dass sie eine geringere Schwerkraft und die hochdichte Atmosphäre des Dunklen Imperiums gewohnt sind, die sie normalerweise fast über dem Boden schweben lässt.“ „Ich kann die Informationen von Allrounder Scott nur bestätigen.“, sagte Illiane unaufgefordert. „Aber ich kann Ihnen auch sagen, dass es sich definitiv um keine Vendar handelt, die Sytania geschickt hat. Der Wind steht so günstig, dass ich die stinkenden und verlausten Imperianer meilenweit riechen kann!“ Sie machte ein angewidertes Gesicht und gab einen auf starken Ekel hinweisenden Laut von sich. „Also gut!“, sagte Sedrin. „Dann eben Plan B!“ Damit stieg sie so schnell auf ihr Pferd, dass Illiane erst nach ihr suchen musste, als sie diese ansprach: „Fangen Sie!“, und ihr einen Gegenstand zuwarf. Dann machte sie ein Geräusch mit den Lippen, auf welches Hin ihr das Pferd sofort die Ohren zudrehte, legte ihr rechtes Bein hinter den Sattelgurt, drückte das linke an die Flanke ihres Pferdes und schnalzte. Das Tier, das sofort verstanden hatte, galoppierte aus dem Stand an und preschte mit ihr in unsere genaue Gegenrichtung davon. Illiane und ich blieben erstaunt zurück. „Was um alles in der Welt hat sie vor?“, fragte ich. „Ich denke.“, antwortete Illiane. „Sie will die Imperianer ablenken, damit wir das Fohlen in Sicherheit bringen können.“, sagte Illiane und gab mir das Ding, das ihr von Sedrin zugeworfen worden war. Ich betastete es genau und erkannte einen Transportverstärker. Dann sagte sie: „Du bist die Einzige, die das Fohlen jetzt sehen kann. Befestige den Verstärker bitte in seiner Mähne. Er wird sich aktivieren, sobald du den Verschluss der Spange geschlossen hast. Dieses Signal kriegt Tak.“ „Alles klar.“, sagte ich, stieg von Mausis Rücken und näherte mich dem Fohlen, das immer noch neben ihr stand und sich von ihr ablecken und somit beruhigen ließ. Aber auch es leckte zurück, soweit es eben an die viel größere Mausi herankam. Das erleichterte mich doch sehr, was ich auch durch ein beruhigtes Aufatmen zum Ausdruck brachte. „Was bedeutet das?“, fragte Illiane. „Wir haben gewonnen!“, sagte ich. „Die Beiden betreiben das, was man unter Verhaltensforschern als so genannte Soziale Körperpflege bezeichnet. Das ist ein feststehender Begriff dafür und sie zeigen damit an, dass sie zu einer Gruppe oder Herde zugehörig sind.“ „Willst du mir damit etwa sagen, die Kleine würde deiner Mausi jetzt folgen, wo auch immer sie hinginge?“ „Wahrscheinlich.“, sagte ich. „Sogar höchst wahrscheinlich. Aber wie will der Agent die Imperianer loswerden?“ „Ich denke, sie will sie ablenken, indem sie sich als Köder zur Verfügung stellt.“, sagte Illiane. „Sie ist ein ebenso guter Köder wie das Einhorn. Das können sie jetzt nicht sehen, denn sie sind ja nicht mit einem blinden Kameraden gesegnet im Gegensatz zu uns. Sie werden genau denselben Fehler machen, den die meisten Sehenden machen, hofft sie, nämlich lieber das nehmen, was sie auf den ersten Blick wahrnehmen können. Sie will sich so lange von ihnen jagen lassen, bis wir das Einhorn an Bord des Shuttles gebracht haben. Sie weiß, wie gern Sytania ihr habhaft werden würde und hofft, dass ihre Soldaten bei ihrem Anblick nicht widerstehen können. Deine Informationen werden für sie in dieser Hinsicht sehr hilfreich sein, denke ich.“ „Nun sei nicht so bescheiden.“, sagte ich. „Was ist denn mit deinen Informationen? Dass Sytania keine Vendar, sondern Imperianer geschickt hat, wird ihr mit Sicherheit auch sehr helfen. Schließlich werden sie nicht so schnell hinter ihren Plan steigen, wenn überhaupt. Die Vendar denken viel mehr nach als die Imperianer.“ „Das stimmt allerdings.“, bestätigte Illiane. „Das weiß ich selbst aus eigener Erfahrung. Aber wir sollten unser Glück nicht zu sehr strapazieren und vor allem das vom Agent nicht. Wer weiß, wie lange sie die Soldaten ablenken kann. Bitte tu es jetzt, Betsy.“

Ich näherte mich dem Einhorn und befestigte den Transportverstärker in ihrer Mähne. Dabei flüsterte ich ihr zu: „Ganz ruhig, meine Süße. Es wird alles gut.“ Dann schloss ich die Spange. Augenblicklich ertönte von dem Gerät ein Signal und eine Computerstimme sagte: „Verstärker aktiv.“ Dann hörte ich ein wohl bekanntes Signal aus Illianes Tasche. Es war ihr Sprechgerät, über das sich Tak bei ihr meldete: „Ich habe eine stabile Erfassung, Illiane. Ich beame das Fohlen jetzt in den vorbereiteten Frachtraum.“ „OK, Tak.“, gab Illiane zurück und beendete die Verbindung. Dann erfolgte der Transport.

„Woher wusste er, dass er sich an dich und nicht an den Agent zu wenden hat, Illiane?“, fragte ich. „Sie beobachten uns.“, sagte Illiane mit ihrer glockenhellen leisen Stimme, die mich leicht an die deutsche Stimme von Ensign Sato erinnerte. „Der Agent und ich tragen Wanzen mit Kamera und Tonübertragung. Sie wollen sofort eingreifen können, wenn es Komplikationen gibt.“ Sie zeigte mir ihre Wanze, einen Knopf ihrer Uniform.

Nervös fasste sie plötzlich erneut in ihre Tasche. „Ich werde schon wieder gerufen.“ Damit zog sie ihr Sprechgerät hervor und las sich das Display durch. „Es ist das Rufzeichen des Shuttles.“ Dann beantwortete sie den Ruf: „St. John hier.“ „Illiane, hier ist Huxley.“, kam es amerikanisch flapsig zurück. „Wir haben ein gigantisches Problem! Wir können es nicht sehen, aber anhand der Geräusche aus dem Frachtraum glauben wir, dass das total verängstigte Einhorn verrücktspielt. Geben Sie mir sofort diese kleine Verhaltensforscherin da neben Ihnen, bevor es Kleinholz aus unserem schönen Schiff macht!“ „Sag ihm, Mausi und ich kommen her!“, sagte ich zu ihr. „Jetzt kann nur noch ihre Ersatzmutter sie beruhigen und das ist Mausi! Ich bin aber deren Ruhepol und hoffe, dass sie mir so weit vertraut, dass sie den Transport und den plötzlichen Ortswechsel nicht als beängstigendes Erlebnis empfindet.“ „Soll ich nicht mitkommen?“, fragte Illiane. „Ich meine, du kennst deine Umgebung dort auch nicht und wenn Mausi doch Angst haben sollte aufgrund des plötzlichen Ortswechsels, dann könnte sie dich schwer verletzen, wenn sie …“ „Es wird schon gehen.“, sagte ich. „Es muss gehen! Bleib du hier und warte auf Sedrin!“ „Na gut.“, überlegte Illiane und sagte dann zu Commander Huxley: „Allrounder Scott und ihr Pferd kommen her, Sir. Bitte sagen Sie Tak das.“ „OK, Illiane.“, sagte Huxley. Dann wurde Mausis und mein Transport in die Wege geleitet.

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