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In der Zwischenzeit war Shiranachs Sorge immer größer geworden. Nein! Das durfte einfach nicht sein! Wie konnte es jemandem gelingen, per Kommunikation die schützende Barriere zu überwinden, die von der Wächterin zum Schutz der praktizierunfähigen Vendar aufgebaut worden war? War ihr etwas zugestoßen? War sie krank? Diese Fragen ließen die alte und sehr herzliche Vendar nicht in Ruhe. Wenn etwas passiert war, dann musste man ihr dringend helfen!

Shiranach beschloss, nach ihrem Mann zu suchen. Tabran würde sicher Rat wissen, wie so oft in solchen Situationen. Sie wusste ja ungefähr, wo sie ihn finden konnte.

Langsamen Schrittes, da ihre Beine ihr nicht so recht gehorchen wollten, ging sie aus dem Haus. Sie wusste, dass Tabran höchstwahrscheinlich beim Schiff war, das sich auf dem Hinterhof befand. Wohl war ihr nicht bei der Sache. Wenn sie sich ausmalte, was eventuell geschehen sein konnte, wurde es ihr heiß und kalt und ihre Gesichtshaare stellten sich auf, ein Zeichen dafür, dass es ihr bei dem Gedanken daran ziemlich übel wurde. Der Weg erschien ihr wie eine Tagesreise.

Endlich hatte sie das Schiff erreicht, aber von Tabran war weit und breit nichts zu sehen. „Du kannst mir nicht zufällig sagen, wo Tabran ist?“, wendete sie sich an das augenscheinlich leer vor ihr liegende Schiff. Da sie aber nicht in Richtung des Außenmikrofons des Rechners gesprochen hatte, erhielt sie keine Antwort. Resignierend lehnte sie sich an die Schiffshülle.

„Telshanach?“ Eine ihr wohl bekannte tiefe ruhige männliche Stimme hatte sie angesprochen. Zögernd drehte sich Shiranach um. Jetzt erst erkannte sie Tabran, der ihr aufgrund seiner schmutzigen Uniform und dem nicht gerade viel reinerem Gesicht zuerst sehr fremd erschienen war. „Oh, Tabran!“, schluchzte sie und warf sich in seine Arme. Es war ihr egal, dass ihre Kleidung jetzt auch schmutzig wurde. „Es ist etwas Schreckliches passiert! Etwas sehr Schreckliches! Die Wächterin! Oh ihr Götter! Ich glaube, sie ist …“ Sie brach in Tränen aus.

Tabran hatte jetzt seinerseits die Arme um seine völlig aufgelöste Frau gelegt. „Oh, Shiranach.“, flüsterte er. „Meine arme liebe Shiranach. Was ist denn geschehen, das dich so bestürzt gemacht hat?“

Er half ihr, sich ins Gras zu setzen und setzte sich dann so neben sie, dass er ihren Rücken gut stützen und somit auch als ihre Lehne fungieren konnte. Tabran dachte sich, dass jede Art von Anlehnung ihr sehr gut helfen konnte und er ahnte, dass diese Hilfe mehr als nötig sein würde. Außerdem reichte er ihr viele Tücher, die er aus seinen Taschen geholt hatte. Sie waren zwar ebenfalls sehr schmutzig, das machte ihr aber nichts. Er musste sie bei der Wartung des Schiffes für irgendwelche Säuberungsaktionen benutzt haben. Aber das war ihr egal, als sie den Inhalt ihrer Nase in sie entließ. Auch ihre Tränen wischte sie sich mit ihnen ab.

Endlich, nachdem die Vendar einige Male tief durchgeatmet hatte, gelang es ihr, sich so weit zu beruhigen, dass sie Tabran schildern konnte, was vor einigen Stunden geschehen war. „Ich habe mit Shannon El Taria gesprochen.“, sagte sie mit immer noch leicht verweinter Stimme. „Mit wem?“, fragte Tabran und sah sie irritiert an. „Das ist doch unmöglich! Du weißt, dass das nicht geht, wenn die Wächterin es nicht will.“ „Das weiß ich.“, sagte Shiranach. „Deshalb ist es mir ja auch so unheimlich! Die Verbindung, weißt du? Sie war sehr schlecht und wurde dann langsam immer besser. Aber wenn die Wächterin gewollt hätte, dass ich mit Shannon El Taria Kontakt aufnehme, dann hätte sie doch gleich dafür gesorgt, dass die Qualität gut ist, oder?“ „Davon würde ich ausgehen.“, überlegte Tabran halblaut. „Aber du hast Recht, meine kluge und aufmerksame Telshanach. Irgendetwas stimmt hier nicht. Wir müssen wohl davon ausgehen, dass entweder mit der Wächterin, oder den Dimensionen etwas ist. Lass uns ins Haus gehen und den Kontaktkelch holen. Dann werden wir mit der Wächterin Kontakt aufnehmen und sie fragen, ob sie uns sagen kann, was los ist.“ „In Ordnung.“, sagte Shiranach und folgte ihrem Ehemann zunächst zum nahen Brunnen, wo er sich die Hände grob abspülte. Auch Shiranach tat es ihm mit ihrem Gesicht gleich. Als sie sich aber über den Rand beugte, musste sie laut lachen, denn die beiden Spiegelbilder, die sie dort im Wasser des Brunnens sah, fand sie doch sehr lustig. „Schau uns an!“, rief sie laut kichernd aus. „Schau, wie schmutzig wir sind!“ „Oh ja.“, sagte Tabran. „Wir sind schon zwei echte Dreckspatzen, nicht wahr?“ Auch er musste lachen.

„Was hast du eigentlich da genau gemacht, dass du so schmutzig geworden bist?“, wollte Shiranach wenig später wissen. „Ich musste eine Landestütze erneuern.“, sagte Tabran. „Der Mishar hatte mich schon länger darauf aufmerksam gemacht, dass sie einen Riss hatte, der auf Materialermüdung zurückzuführen war. Jetzt habe ich endlich Zeit gehabt, das zu erledigen. Wenn ich das nicht getan hätte, wäre die Stütze bei der nächsten Landung gebrochen und das Schiff wäre instabil geworden. Das hätte uns und alle, die bei uns gewesen wären, mit ziemlicher Sicherheit töten können.“ „Wie umsichtig du doch bist.“, sagte die alte Vendar und küsste ihren Mann mit ihrem zahnlosen Mund auf seinen. „Das muss man auch sein, wenn man Verantwortung für ein eigenes Raumschiff hat.“, sagte Tabran. „Die Wächterin hätte es uns sicher nicht gegeben, wenn sie nicht sicher gewesen wäre, dass wir mit dieser Verantwortung umgehen können.“ Das sehe ich genauso.“, sagte Shiranach.

Sie hakte sich bei Tabran unter und beide gingen in Richtung ihres Hauses. Dort angekommen holte Tabran sofort den Kontaktkelch aus einem Schrank und die beiden Vendar setzten sich mit ihm an den kleinen runden Tisch, vor dem zwei Sitzkissen lagen, auf die sie sich setzten. Dann legte Tabran seine rechte Hand auf den Fuß des Kontaktkelchs und gab Shiranach seine linke Hand in ihre rechte, worauf diese ihre linke Hand ebenfalls auf den Fuß des Kelchs legte. Nun war der Kreis geschlossen und beide begannen damit, sich das Bild der Wächterin des Tembraâsh vorzustellen, wie sie es kannten.

Bald darauf erschien sie auch vor ihren geistigen Augen in der Gestalt der schönen starken und gesunden jungen Vendar, als die sie Tabran und Shiranach kannten. Die Götter seien gelobt und gepriesen!, dachte Tabran. Du bist also nicht krank. Nein, das bin ich nicht., erwiderte die Wächterin. Aber wartet ab. Ich werde zu euch stoßen. Dann können wir viel besser reden. Weicht bitte etwas vom Kelch zurück!

Tabran und Shiranach taten, wie ihnen die Wächterin gerade geheißen hatte. Alsbald zerriss ein weißer Blitz die Luft. Dann stand sie vor ihnen. Sofort eilte Tabran in eine andere Ecke des Wohnzimmers, wo sich weitere Sitzkissen auf einem Stapel befanden, holte eines und legte es zwischen die zwei anderen auf den Boden. Dann zeigte er darauf: „Bitte setz dich.“ Die Wächterin nickte mild und tat dies. Nun saß sie genau zwischen Tabran und Shiranach, die sie fast mitleidig ansahen. „Warum seht ihr mich so an?“, erkundigte sich die Wächterin. „Und was meintest du damit, ich könnte krank sein, Tabran?“ „Meine Frau war in Sorge.“, berichtete Tabran. „Sie konnte nämlich mit Shannon El Taria reden, obwohl das eigentlich unmöglich sein sollte. Oder hast du es etwa zugelassen?“ „Ach das meint ihr.“, sagte die Wächterin und machte ein verzweifeltes Gesicht. „Wisst ihr, es gibt da tatsächlich etwas, das ich nicht verstehe. Aber das dürft ihr den anderen Vendar nicht sagen. Es könnte eine Massenpanik auslösen. Wenn sie das Gefühl hätten, dass ich sie nicht mehr schützen kann, wäre das sehr schlecht. Sie würden Hals über Kopf flüchten. Aber dann würden sie vielleicht gerade denen in die Arme laufen, vor denen ich sie schützen will.“ „Ich weiß, wovon du redest.“, sagte Shiranach. „Du redest von unseren früheren Opfern.“ „Genau.“, sagte die Wächterin. „Und das dürfen wir nicht zulassen.“ „Sicher nicht.“, bestätigte Tabran. „Und ich schwöre bei meinem Leben, dass ich es keinem anderen Vendar hier verraten werde! Die Götter mögen meine Zeugen sein!“ „Auch ich schwöre dies!“, sagte Shiranach und hob die rechte Hand, wie es auch ihr Ehemann vor ihr getan hatte. „Das ist sehr lieb von euch.“, sagte die Wächterin. „Ich wusste, dass ich mich auf euch verlassen kann.“

Es verging einige Zeit, in der nichts geschah und sich die drei nur angeschwiegen hatten. Das war Tabran aber irgendwann zu bunt geworden und er hatte seinen Kopf langsam mit einem auffordernden Blick der Wächterin zugewandt. „Bitte sprich mit uns.“, bat er. „Du hast zwar angedeutet, dass da etwas ist, das du nicht verstehst, aber wir wissen immer noch nicht, was es ist.“ „Nun gut.“, sagte die Wächterin und legte nachdenklich die Stirn in Falten. „Da ihr mir ja geschworen habt, nichts und niemandem ein Sterbenswörtchen zu sagen, kann ich euch alles sicher anvertrauen. Aus Gründen, die ich nicht kenne, ist es mir nicht mehr möglich, den mentalen Schutzwall aufrechtzuerhalten, wie es scheint. Sonst wäre dein Gespräch mit Shannon El Taria nicht möglich gewesen, Shiranach.“ „Mit Verlaub, Wächterin.“, sagte Tabran. „Soweit waren Shiranach und ich auch schon. Das ist ja auch der Grund, aus dem sie sich Sorgen macht.“ „Ich denke.“, sagte die Wächterin. „Diese Sorgen macht sich deine Frau sogar zu Recht. Ich kann mir nicht erklären, warum das so ist. Bitte spüre nach, Tabran. Du warst ein sehr erfahrener und erfolgreicher Telepathenjäger, als du noch in Sytanias Diensten warst. Du warst ja zu deinen Glanzzeiten nicht umsonst ihr erster und oberster Vendar, bevor dein Schüler Joran dich ablöste. Was danach passiert ist, ist Geschichte. Das wissen wir ja alle. Aber ich werde mich auf dein Urteil verlassen. Komme ich dir schwächer vor, als ich es sonst bin?“

Tabran schloss die Augen und konzentrierte sich auf die mentale Prägung der Wächterin. Wie diese sich anfühlen musste, wenn sie gesund war, das wusste er genau. Ebenso genau achtete er auf jedes Detail dessen, was er spüren konnte. Er wollte ihr auf keinen Fall etwas Falsches sagen. Er hatte dies zwar lange nicht mehr getan, aber dass sie ihm trotzdem ein solches Vertrauen entgegenbrachte, ehrte ihn und er wollte sie auf keinen Fall enttäuschen. Deshalb schien er sich noch viel größere Mühe zu geben, als er es sonst getan hatte, um eventuelle Telepathen als Beute zum Aussaugen zu erspüren, als er noch praktizierfähig und damit in Sytanias Diensten war.

Geduldig hatten Shiranach und die Wächterin abgewartet. Schließlich sagte Tabran: „Ich kann beim besten Willen nichts Krankhaftes oder Schwaches an deiner Energie finden. Deine geistigen Kräfte sind intakt. Woran es sonst noch liegen könnte, vermag ich nicht zu beurteilen. Aber das müsstest du, als Mächtige, doch viel besser beurteilen können. Schließlich hast du universelles Wissen.“ „Das habe ich auch.“, sagte die Wächterin. „Aber anscheinend gibt es hier etwas, das selbst mein Wissen übersteigt. Vielleicht sehe ich aber auch den Wald vor lauter Bäumen nicht.“ „Könnte vielleicht eine Sterbliche …“, setzte Shiranach an, aber Tabran verbot ihr mit einer strengen Geste den Mund. „Nein! Lass sie sprechen!“, tadelte ihn jetzt die Wächterin dafür. „Du weißt, dass ich keine von den Mächtigen bin, die sich einen Zacken aus der Krone brechen, wenn sie Hilfe von einem oder einer Sterblichen annehmen! Ich bin nicht Sytania, wie ihr wisst und ich bin auch keine Frau ihres Schlages!“ „Bitte vergib mir, Wächterin.“, sagte Tabran und senkte beschwichtigend den Kopf. „Das war wohl die Macht der Gewohnheit. Du hast mich gerade an Sytania erinnert, als du um meine Hilfe ersucht hast. Da bin ich wohl wieder in alte Muster zurückgefallen.“ „Ich nehme deine Entschuldigung an.“, sagte die Wächterin ruhig. „Aber ich weiß nicht, wie es bei deiner Frau aussieht.“ „Auch ich nehme seine Entschuldigung an.“, sagte Shiranach. „Gut.“, sagte die Mächtige. „Dann hätten wir das ja geklärt. Aber von welcher Sterblichen genau hast du gesprochen, Shiranach. Ich meine, es gibt viele, denen ich die Lösung dieses Problems durchaus zutrauen würde. Die Sterblichen fangen ja gerade erst an, die Geheimnisse der Dimensionen zu verstehen. Sie sind noch lange nicht so betriebsblind wie wir Mächtigen es meiner Ansicht nach im Laufe der Äonen von Jahren geworden sind. Ich halte tatsächlich für möglich, dass gerade ihnen deswegen Dinge auffallen könnten, die uns verborgen bleiben. Mir fallen da eine Menge Sterbliche ein, denen ich das zutrauen würde. Sowohl Männliche, als auch Weibliche. Aber da du von einer Sterblichen gesprochen hast, Shiranach, schließe ich erst einmal alle Männer aus.“ „Und du kannst auch gleich mich ausschließen.“, sagte die alte Vendar bescheiden. „Ich denke nämlich, dass ich nicht dazugehöre. Ich kenne aber den Namen von einer, der dies bestimmt möglich ist. Sie versteht mehr von Astro-Physik und Dimensionskunde als wir alle zusammen. Sie lebt in Astra Tindaria auf Basis 281 Alpha.“ „Dann sprichst du mit Sicherheit von Jenna McKnight.“, sagte die Wächterin. „Genau von der rede ich!“, bestätigte Shiranach. Niemand außer ihr dürfte uns jetzt helfen können.“ „Das ist eine sehr gute Idee.“, sagte Tabran und stand auf, um sein Werkzeug, das er in einer schwarzen Tasche mit sich geführt hatte, wieder zu schultern. „Ich werde ein letztes Mal das Schiff überprüfen und dann werden wir Astra Tindaria aufsuchen. Anführerin Zirell und Jenna McKnight werden uns sicher sehr gern helfen.“ „Dann werde ich euch die Barriere öffnen.“, sagte die Wächterin. „Nein!“, sagte Tabran entschieden. „Jedes Mal, wenn du das tust, spüren wir das alle. Das könnte Fragen aufwerfen und das wolltest du doch gerade verhindern. Aber ich denke, dass es uns auch so möglich sein könnte, die Dimension zu verlassen. Es war SITCH-Wellen möglich, die Barriere zu durchdringen, also könnte das bestimmt bei den momentan herrschenden Bedingungen auch ein Schiff im interdimensionalen Modus!“ „Willst du das wirklich riskieren?!“, fragte die Wächterin erschrocken. „Ja, das will ich!“, bekräftigte Tabran und auch Shiranach sagte: „Wo mein Mann hingeht, da will auch ich hingehen, Wächterin! Verlasse dich auf uns!“ „Nun gut.“, sagte die Wächterin teils erleichtert, teils besorgt. Sie konnte sich denken, was auf dem Spiel stand. „Dann werde ich wieder gehen.“ „Das ist auch besser so.“, sagte Tabran. „Ich möchte auch nicht, dass du uns mit Hilfe deiner mentalen Fähigkeiten zusiehst. Ich weiß ja auch nicht, ob es wirklich so klappt, wie wir uns das denken.“ „Na gut.“, sagte die Wächterin mild. „Ich verspreche es.“ Dann war sie in einem weißen Blitz verschwunden.

Tabran wandte sich Shiranach zu und küsste sie. „Ich finde es sehr mutig von dir, Telshanach.“, sagte er. „Dass du mit mir kommen willst. Ich werde, wenn alles so eintritt, wie ich es vermute, nämlich deine Hilfe benötigen.“ „Die bekommst du auch.“, versicherte Shiranach. „Aber nun geh bitte und kümmere dich um unser Schiff. Sie sollte doch sicher auch gut in Form sein, wenn wir das versuchen, oder?!“ Sie grinste verschmitzt. „In der Tat.“, lächelte Tabran zurück und ging. Shiranach begann damit, einige Sachen für die Reise zusammenzupacken.

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