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„Guten Morgen, du Langschläferin!“ Eine kesse helle Stimme hatte Meroola geweckt. „Hey! Wer stört da meinen Schönheitsschlaf?!“, fragte sie mürrischen Ausdrucks und drehte sich herum. Dabei bemerkte sie erst jetzt, dass sie in ein Kraftfeld gefallen war, das verhindern sollte, dass sie von der schmalen Bank, auf der sie lag, herunterfiel und sich verletzte. „Huch?!“, fragte sie irritiert. „Wo bin ich?“

Noch etwas schwindelig stand sie auf und tastete in dem für sie im Moment sehr fremd erscheinenden Raum herum. Außer ein paar Sitzen und einer Konsole bemerkte sie aber nichts, das ihr ihrer Meinung nach hätte weiterhelfen können. Erst als ihre rechte Hand auf der Konsole den Neurokoppler ertastete, wurde ihr langsam bewusst, wo sie sich befand.

Meroola setzte sich wieder auf den Pilotensitz und setzte den Neurokoppler auf. Kamura registrierte dies und lud folgsam ihre Tabelle. „Na.“, grinste ihr Avatar Meroola an. „Sind wir noch nicht ganz wach heute Morgen?“ „Ob du wach bist, weiß ich nicht.“, sagte Meroola. „Aber ich war es offenbar tatsächlich noch nicht. Hast du irgendwas mit mir gemacht? Ich meine, ich habe geschlafen wie ein Stein. So gut war das schon lange nicht mehr.“ „Hm, ja.“, gab Kamura kleinlaut zu. „Ich habe dir gestern Abend über einen modifizierten Sensor in der Bank Alpha-Wellen injiziert, weil ich mir Sorgen gemacht habe, ob du in der fremden Umgebung meines Cockpits wohl schlafen kannst. Ich meinte es nicht böse. Bitte verzeih mir. Ich wollte dir nur etwas Gutes tun, damit du vor deinem Vorstellungsgespräch gut ausgeschlafen bist.“ „Hey.“, beruhigte Meroola sie. „Ich bin dir nicht böse, Kamura. Im Gegenteil! Ich finde es sehr gut, dass du mir auf diese Weise helfen willst. Dann sieht Mr. Kingsley zumindest gleich, dass ich eine ganz ausgeschlafene Person bin.“ Meroola grinste, als sie das sagte. „War das ein Witz?“, fragte Kamura, die sich der doppelten Bedeutung des Satzes ihrer Pilotin durchaus bewusst war. „Ja.“, bestätigte Meroola. „Ich dachte einfach, ich übe schon einmal ein bisschen. Wenn man sich im real existierenden Humorismus auf eine Stelle bewirbt, sollte man doch den einen oder anderen lockeren Spruch auf Lager haben, findest du nicht?“ „Na ja.“, sagte das Schiff. „Das könnte vielleicht hinkommen, wenn er auch Celsianer wäre. Aber Mr. Kingsley kommt zweifelsfrei von der Erde.“ „Aber er wird lange genug auf Celsius gelebt haben, um sich anzupassen.“, argumentierte Meroola. „Außerdem, wenn Celsius seine Wahlheimat geworden ist, wird er sich bestimmt nicht ohne Grund dafür entschieden haben. Er wird auch ein sehr humorvolles Kerlchen sein, denke ich. Sonst wäre er bestimmt nach Vulkan oder wo anders hingezogen, wo es viel ernster ist. Nein, nein, Kamura. Das muss schon so, wie ich es mache. Verlass dich auf mich. Ich habe eine einigermaßen gute Menschenkenntnis. Die hat mir ja auch in meinem Vorleben als Betrügerin so manchen Gewinn eingebracht. Auch da musste ich mein Gegenüber ja einschätzen können.“ „Ich hoffe aber.“, sagte Kamura und ihr Avatar hob mahnend den rechten Zeigefinger vor Meroolas geistigem Auge. „Dass ich diese Meroola nie zu sehen bekommen werde.“ „Keine Sorge.“, versicherte die soeben Erwähnte. „Die Meroola ist tot! Lang lebe Meroola, die Ehrliche!“ „Hoffentlich wirst du dich auch immer daran erinnern.“, sagte Kamura und ihr Avatar machte ein skeptisches Gesicht. „Das werde ich!“, versicherte Meroola und hob sogar die rechte Hand zum Schwur.

Ein Geräusch und ein merkwürdiges Gefühl in ihrer Magengegend ließen sie plötzlich aufmerken. „Mann, habe ich einen Kohldampf!“, sagte sie laut und deutlich. „Ich glaube, da kann ich was machen.“, sagte Kamura. Dann ertönte ein Signal und Meroola sah zum Auswurffach des Replikators hinüber. Darin stand eine Tasse mit terranischem Kaffee und ein Teller mit einem größeren Brötchen mit demetanischem Kräuterkäse. „Woher wusstest du, dass mir genau danach ist?“, fragte Meroola, während sie den Teller und die Tasse zu sich heranzog und den Neurokoppler abzog, um damit wieder nach hinten zu gehen. „Du hattest den Neurokoppler auf.“, sagte Kamura. „Deine Gedanken waren für mich ein offenes Buch.“ „Ach so.“, sagte Meroola. Aber führst du jeden Befehl gleich aus, den du empfängst?“ „Nicht zwangsläufig.“, beruhigte das Schiff seine wohl etwas verwirrte Pilotin. „In den meisten Fällen vergleiche ich die Befehle mit der Situation und meinen moralischen Unterprogrammen. Aber da diesem Befehl ja weder moralisch noch situationsbedingt etwas im Wege stand, fand ich es schon in Ordnung, dir dein Frühstück zu servieren. Aber ich glaube, ich weiß schon, worauf du hinaus willst. Falls wir auf unserer Reise zum Beispiel jemandem begegnen, der dich am SITCH so lange nervt, bis du ihm am liebsten den Tod an den Hals wünschst, werde ich nicht sofort die Waffen aktivieren.“

Meroola gab einen Laut der Erleichterung von sich, schloss den Neurokoppler an einem Port in der Wand neben der Rückbank des Cockpits an und biss in ihr Brötchen. „Wofür hast du mich denn gehalten?“, fragte Kamura etwas betroffen. „Tut mir leid.“, sagte Meroola mit vollen Backen. „Ich wollte dich nicht beleidigen. Es war nur, weil du ja noch sehr jung und unerfahren bist. Ich dachte, du könntest vielleicht einiges nicht einordnen können und dann …“ „Wenn das so wäre.“, sagte Kamura. Dann hätte ich bestimmt nicht darauf bestanden, dass du wirklich ehrlich werden willst. Erinnerst du dich noch an gerade?“ „Und ob!“, bekräftigte Meroola. „Also, deine Moral ist intakt. Das ist sehr gut. Dann kannst du mich ja erziehen, falls ich wieder in alte Muster zurückfalle.“ „Wie hast du dir das denn vorgestellt?“, wollte das Schiff wissen. „Na ja.“, sagte Meroola. „Du hast bewiesen, dass du dich allein steuern kannst, wenn es nötig ist. Falls ich also wieder kriminell werde, drohe mir doch einfach damit, mich der nächsten Polizeibehörde auf dem nächsten Planeten auszuliefern und auf nimmer Wiedersehen zu verschwinden. Sollte ich dann immer noch kein Einsehen zeigen, machst du die Drohung einfach wahr. Haben wir einen Deal?“ „Den haben wir.“, bestätigte Kamura. „Dann ist ja alles gut.“, sagte Meroola zufrieden und nahm einen tiefen Schluck aus ihrer Tasse.

Es verging einige Zeit, in der Meroola nur schweigend ihr Frühstück genoss, bis sie aufgegessen und ausgetrunken hatte. Dann fragte sie: „Wie spät haben wir es eigentlich, Kamura?“

Das Schiff zeigte ihr das Display der Kommunikationskonsole. Hier konnte Meroola gut und gleichzeitig etwas erschrocken sehen, dass es schon 14:00 Uhr nach celsianischer Ortszeit in der nördlichen Hemisphäre war. „Ups.“, machte Meroola. „Ich sollte mich beeilen!“ „Warte!“, sagte Kamura. „So lasse ich dich nicht gehen. Wir wollen doch, dass du auch äußerlich einen guten Eindruck bei Mr. Kingsley hinterlässt.“

Eine Leuchte am Auswurffach des Replikators führte Meroolas Aufmerksamkeit erneut dort hin. Sie zog einen eleganten Hosenanzug in Schwarz und braune flache Schuhe daraus hervor und weiße Unterwäsche. Dann folgte noch eine Tasche, in der sich ein schwarzer Overall befand. „Das ist deine Arbeitskleidung für später, wenn er dich tatsächlich einstellen sollte.“, erklärte Kamura. „Alles klar.“, sagte Meroola und begann damit, sich zu entkleiden. „Das Sonntagszeug ist dann wohl für jetzt.“ Kamuras Avatar vor ihrem geistigen Auge nickte.

Ein weiteres Signal kündigte noch einmal das Benutzen des Replikators an. Jetzt bekam Meroola noch ein Gerät, das man als die mobile Version einer Schalldusche bezeichnen könnte. Jedenfalls war die Wirkung die gleiche, als sie damit über ihren Körper ging. Das Gerät hatte ein schlankes Gehäuse und lag gut in der Hand. Auch einen Aufsatz zum Zähneputzen gab es. „Du hast ja wirklich an alles gedacht.“, sagte Meroola, während sie ihren neuen weißen Helfer für die Körperpflege wieder in dem zu ihm gehörenden roten Beutel verstaute und sich dann in das sehr weiche angenehme Sonntagszeug warf, wie sie es empfand. In der Tasche ihrer Bluse fand sie sogar ein eigenes kleines Sprechgerät für den Handgebrauch.

Dann drehte sie sich um und um und fragte: „Wie sehe ich aus, Kamura?“ „Sehr schön.“, sagte das Schiff. „Mr. Kingsley wird Augen machen. Aber es geht ja hier nicht um einen Modelwettbewerb.“ „Ich weiß.“, sagte Meroola und lächelte gewinnend. „Ich werde ihn schon durch andere Qualitäten überzeugen müssen. Jetzt beam mich schon runter! Ich will nicht zu spät kommen! „Wie du willst.“, sagte Kamura und führte Meroolas Befehl aus.

Meroola fand sich wenige Sekunden darauf in einem großen hellen freundlich eingerichteten Raum wieder. Die Luft roch angenehm nach Blüten, was wohl die Schuld von einigen Raumluftbefeuchtern war, die weiß und Reinheit vermittelnd auf vier kleinen ovalen Tischchen standen, die sich jeweils in den Ecken des Raums befanden. Sie waren, gemessen an Meroolas Größe, etwa kniehoch. Um sie herum waren großzügige breite runde Sofas drapiert. Jedes dieser Sofas hatte ein Blütenmuster, das gut zu dem ebenfalls sehr blumigen Rankenmuster auf jeder der kleinen bunten Decken passte, die sich auf den Tischen befanden. Diese Sitzgelegenheiten waren sehr angenehm zu berühren, da ihr Stoff, der wohl Seide emittieren sollte, der Hand außerordentlich schmeichelte. Sie waren schön weich gepolstert und jedes von ihnen war zur Raummitte hin offen. So konnte man bequem in den jeweiligen Kreis eintreten. Auf jedem der Tische gab es einen kleinen aktiven Rechner, neben dem Datenkristalle lagen. Offensichtlich war dies ein Wartebereich. Das schloss Meroola jedenfalls aus der Einrichtung, zu der auch eine in warmen Farben gehaltene Wandbemahlung und ein ebenfalls sehr einladend gefärbter Teppich gehörten. Die Datenkristalle würden wohl Zeitschriften enthalten.

Sie sah sich weiter in dem rechteckig geschnittenen Zimmer um. Ihr nächster Blick fiel auf ein Display über einer Tür, die dem Eingang, den sie zwar zur Orientierung benutzt, aber sonst nie gesehen hatte, genau gegenüber lag. Auf diesem Display konnte sie lesen: „Sekretariat Lara Diaz. Bitte hier anmelden!“

Meroola nahm dies zwar zur Kenntnis, inspizierte den Raum aber weiter. Dabei fiel ihr auf, dass sie völlig allein in dem großen Zimmer war. Aber das gab ihr auch Gelegenheit, ihr Sprechgerät das erste Mal zu benutzen und die Situation gleich für sich zu klären, ohne dass ihr 1000 Leute zusahen.

Sie zog es also aus der Tasche und gab Kamuras Rufzeichen ein. Das Schiff war sichtlich irritiert, als es ihren Ruf entgegennahm: „Bist du schon fertig? Ich habe nicht gesehen, dass du den Raum verlassen hast, in den ich dich gebeamt habe.“ „Das habe ich auch nicht, Kamura.“, sagte Meroola. „Aber bist du sicher, dass du mich an die richtige Stelle gebeamt hast? Ich meine, hier ist keine Menschenseele außer mir.“ „Umso besser.“, sagte Kamura. „Freu dich doch! Wenn du die einzige Bewerberin bist, sind deine Chancen doch noch umso größer, oder?“ „Das würde ich so nicht sagen.“, sagte Meroola. Vielleicht sind die anderen auch nur alle krank und ihre Termine sind auf später verschoben.“

Sie hörte ein Geräusch aus dem Zimmer, dessen Tür sie vorhin gesehen hatte. „Ich muss schlussmachen, Kamura.“, sagte sie, beendete die Verbindung und steckte das Gerät schnell wieder ein. Im gleichen Moment öffnete sich die Tür und eine kleine schlanke Frau mittleren Alters trat heraus. Sie hatte ein typisch südeuropäisches Aussehen. Ihre braunen Augen unter dem schwarzen mittellangen Haarschopf lächelten Meroola zu. Diese musterte ihr Gegenüber ebenfalls sehr wohlwollend. Die Fremde maß ungefähr einen Meter sechzig, trug ein langes rotes Kleid und ebenfalls rote schmale Schuhe mit leichtem Absatz. An ihrer rechten Hand, die sie Meroola hinstreckte, trug sie einen kleinen silbernen Ring mit einem für Meroola nicht näher zu definierenden kleinen Edelstein.

„Einen wunderschönen guten Tag, Ms. Sylenne!“, lächelte sie Meroola mit einem leichten spanischen Akzent in ihrem Englisch zu. „Oh. Hi.“, erwiderte die Angesprochene wenig förmlich. „Aber ich glaube, hier liegt ein Missverständnis vor. Sylenne ist der Vorname meiner Mutter und das könnte zu argen Problemen und Verwirrung führen. Schließlich hat nicht sie sich hier beworben, sondern ich. Mein Name ist Meroola.“ „Oh dann verzeihen Sie bitte, Ms. Meroola.“, entschuldigte sich die Sekretärin. „Aber …“ „Ach, Schwamm drüber.“, wischte Meroola ihren Fehler weg und grinste. „Wenn man mit so vielen Leuten aus so vielen verschiedenen Spezies zu tun kriegt, die so viele verschiedene Sprachen sprechen, in denen es so viele verschiedene Regeln für Namen gibt, kann die Orientierung schon einmal flöten gehen. Ich nehme Ihnen das nicht krumm, Ms. Lara.“

Nachdem sie dies gesagt hatte, nahm Meroola eine abwartende Haltung ein. Offensichtlich wollte sie die Reaktion von Ms. Diaz abwarten. „Oh.“, sagte diese höflich. „Lara ist mein Vorname. Ich bin Terranerin. Im Allgemeinen spricht man sich in meiner Spezies mit Nachnamen an, wenn man sich noch nicht kennt.“ „Mich hat ja nur interessiert.“, sagte Meroola, „Ob Sie aufgepasst haben, Ms. Diaz. Dabei betonte sie: „Ms. Diaz!“, noch besonders. „Dann sind wir jetzt ja wohl quitt.“, lächelte Lara. „Das sind wir.“, bestätigte Meroola ebenfalls lächelnd. „Wissen Sie was? Sie gefallen mir, Meroola.“, sagte Ms. Diaz. „Wenn ich es zu entscheiden hätte, würde ich Sie sofort einstellen. Aber da hat ja Mr. Kingsley das letzte Wort.“ „Ach.“, sagte Meroola und warf ihr einen tröstenden Blick zu. „Den werde ich auch noch überzeugen. Es wäre nur sehr freundlich von Ihnen, wenn Sie ihm das mit meinem Namen schon einmal erklären könnten. Er hat nämlich in der Mail an mich den gleichen Fehler gemacht. Er wird wohl nicht schlecht staunen, wenn er erfährt, dass er eigentlich meine Mutter angeschrieben hat. Der Haken ist nur, dass die gar nichts davon weiß, dass sie sich als Technikerin bei einem Pannendienst hier auf Celsius beworben hat.“ Wieder grinste Meroola. „Das werde ich.“, versprach Lara. „Das Problem ist nur, dass ich das selbst war. Mein Chef hat mir nur den Inhalt genannt, den ich dem Computer diktieren sollte. Aber ich kann ihn ja noch einmal aufmerksam machen, wenn Sie möchten. Setzen Sie sich doch solange. Der Rechner auf jedem Tisch ist auch an einen Replikator angeschlossen, der dort an der hinteren Wand steht. Wenn Sie eine Erfrischung haben möchten, oder etwas zum Lesen wünschen …“ Sie deutete auf einen der Tische. Dann sagte Sie noch: „Ich werde sie ankündigen.“, und ging wieder in das Zimmer, dessen Tür sich gleich darauf hinter ihr schloss.

Abwartend setzte sich Meroola an einen der Tische, legte einen der Datenkristalle in den Rechner und vertiefte sich in eine der Zeitschriften. Es war eine technische Fachzeitschrift über elektrisch betriebene Fahrzeuge. Als würde sie schon ahnen, was auf sie zukommen würde, schien sie dieses Thema nicht loszulassen. So intensiv, wie sie diese Zeitschrift studierte, hatte sie noch nie zuvor etwas gelesen.

In ihrem Büro hatte Ms. Diaz eine Sprechanlage betätigt, um Mr. Kingsley zu informieren: „Sir, Ms. Meroola wäre dann da.“ „Wer bitte, Lara?!“, fragte eine tiefe etwas kauzig klingende Stimme zurück. „Der Name sagt mir gar nichts.“ „Sie hat sich auf die freie Stelle in unserem Mechanikerteam beworben, Mr. Kingsley.“, erwiderte die Sekretärin, die sich sehr gut denken konnte, was die Schwierigkeiten ihres Chefs verursacht hatte, ihn aber nicht altklug berichtigen wollte. Das stand ihr nämlich ihrer Meinung nach nicht zu. Sie würde ihm aber so viele Hinweise geben, bis er selbst darauf käme.

Es vergingen quälend lange Sekunden. Endlich nahm Mr. Kingsley das Gespräch wieder auf. „Also, ich habe mir noch einmal alle Mappen angesehen, Ms. Diaz. Aber eine Ms. Meroola ist nicht dabei. Das, was dem am nächsten käme, wäre eine Ms. Sylenne, deren Vorname Meroola ist.“ „Vielleicht ist sie es ja.“, sagte Lara. „Möchten Sie Ms. Sylenne sehen? Sie wäre hier. Sie ist übrigens die einzige anwesende Bewerberin im Moment. „Also gut.“, sagte Mr. Kingsley. „Ich habe meine Zeit ja auch nicht gestohlen. Bringen Sie diese Ms. Sylenne zu mir!“ „Wird erledigt, Sir.“, sagte Lara, lächelte und beendete die Verbindung. Dann öffnete sie die Tür zum Warteraum erneut und lächelte Meroola zu: Mr. Kingsley erwartet Sie.“ „OK.“, sagte Meroola, löste sich langsam und etwas schwerfällig von der doch für sie sehr spannenden Zeitschrift und folgte Laras freundlich winkender Hand durch ihr Büro in das ihres eventuellen späteren Chefs.

Hier fiel ihr sofort die Tapete ins Auge, die ein Strandmotiv zeigte. Meroola schaute sie sich eine Weile lang an und dachte dann bei sich: So was Lockeres hätte ich ihm nicht zugetraut. Sie war heilfroh, dass ihr Gegenüber kein Telepath war. Sonst hätte sie wohl, zumindest ihrer eigenen Interpretation nach, bestimmt längst verspielt gehabt.

Der Teppich, der angenehm gelb war und somit ebenfalls eine freundliche Atmosphäre versprühte, passte auch sehr zum Motiv an der Wand mit seiner sonnigen Farbe.

Meroola ging weiter und ihr Blick fing den Schreibtisch ein. Er war in repliziertem Eichenholz gehalten. Auf ihm befand sich ein silbrig glänzender Rechner, was für diese Geräte völlig normal war. Rechts und links daneben war noch Platz, der jetzt nur durch einen einzigen Datenkristall auf der rechten Seite besetzt war. Vor dem braunen Tisch befand sich ein weißer Bürostuhl, auf dem Mr. Kingsley saß. Er maß ca. 1,80 m und war von mittlerer Statur, was seinen Körperumfang anging. Er hatte kurze rotbraune Haare. Der elegante Anzug, den er trug, war schwarz mit einer in Rot abgesetzten Knopfreihe auf der Brust. Dazu trug er ebenfalls schwarze flache Schuhe.

Neben dem Schreibtisch fand Meroola einen zweiten kleinen weißen Tisch, auf dem sich für zwei Personen Kaffeetassen befanden. Auch ein Tablett mit Zucker, Gebäck und Milch war vorhanden. Sie überlegte, ob sie sich gleich setzen sollte, oder ob es vielleicht geschickter war, erst einmal höflich abzuwarten, bis sie aufgefordert wurde. Schließlich entschied sich Meroola für das Letztere.

Mit leicht strengem Gesichtsausdruck war Mr. Kingsley in seinen Monitor vertieft gewesen. So hatte er sie zuerst nicht wirklich bemerkt. Nur aus dem Augenwinkel hatte er jene kleine Gestalt wahrgenommen, die sich ihm genähert hatte. „Ah, Ms. Sylenne.“, sagte er schließlich und streckte ihr die rechte Hand, die in ihren Augen sehr groß war, entgegen. Auch sie streckte etwas schüchtern ihre Rechte hin. „Setzen Sie sich doch.“ Meroola kam seiner Aufforderung nach.

„Hi, Mr. Kingsley.“, sagte Meroola vorsichtig. „Mein Name ist Meroola Sylenne. Wir hatten Kontakt.“ „Den hatten wir. Das ist wohl wahr.“, sagte Kingsley und vertiefte sich wieder in seinen Monitor. Dann aber sah er wieder sie an und fragte: „Vielleicht können Sie mir erklären, Ms. Sylenne, wie das kommt. Wissen Sie, ich bin etwas durch Ihr Aussehen und die Umstände irritiert. Sie sehen aus, als seien Sie eine Mischung aus Ferengi und Platonierin. Aber das ist doch medizinisch eigentlich nicht möglich, sagt die hohe Wissenschaft. Außerdem gibt es Unklarheiten wegen Ihres Namens.“ „Das stimmt alles so.“, sagte Meroola und warf lächelnd hinterher: „Tja, ich bin eben eine echte Attraktion auf jedem Jahrmarkt.“ Mit diesem Spruch hatte sie charmant darüber hinweggetäuscht, dass sie über dieses Thema gar nicht so gern redete, ohne schnippisch zu wirken. „Und mein Name ist Meroola Sylenne. Das stimmt auch. Nur ist Sylenne der Vorname meiner Mutter. Aber die steht ja jetzt hier nicht vor Ihnen. Außerdem hat sie zwei linke Hände und würde sich bedanken, wenn man sie in einer technisch orientierten Firma versuchen würde einzustellen. Da meine Mutter Platonierin ist, habe ich ihre kulturellen Sitten übernommen. Ich möchte also mit Meroola angesprochen werden. Aber Ms. Meroola geht auch.“ „Schön, Ms. Meroola.“, sagte der ältere Terraner etwas streng und distanziert, wie es offensichtlich seine Art war. Dann vertiefte er sich wieder in das Bild auf seinem Rechner.

„Sie schreiben hier.“, sagte er dann, nachdem er sich ihr erneut zugedreht hatte. „Dass Sie sich das technische Wissen autodidaktisch erarbeitet haben. Das ist sehr gut und macht mich zugegebenermaßen sehr neugierig, auf welchem Stand Sie sind. Ein paar Wochen Probearbeit hätten Sie schon einmal in der Tasche, Ms. Meroola. So etwas wie Sie ist mir eben noch nie untergekommen. Aber wenn es stimmt, was Sie hier schreiben, dann müssten Sie gut zu uns passen, auch was Ihre Qualifikationen angeht. Manchmal trifft man auf viele Verschiedene Situationen in unserer Branche und hat es auch mit vielen verschiedenen Charakteren bei der Kundschaft zu tun. Manchmal sind Sie nicht nur Mechanikerin, sondern auch Seelentrösterin. Denken Sie, Sie schaffen das?“ „Davon können Sie beruhigt ausgehen, Mr. Kingsley!“, sagte Meroola fest und mit viel Selbstvertrauen in der Stimme. „Ich werde Sie und Ihre Firma schon nicht alt aussehen lassen. Zumindest nicht älter als so mancher alter elektrisch betriebener Jeep es mit seinem Fahrer oder seiner Fahrerin tut, wenn er mitten auf der Straße stehenbleibt. Aber dafür sind wir ja da!“

Kingsley kratzte sich eine Weile lang am Kopf. Diese Weile schien Meroola schier endlos. Dann endlich drehte er sich wieder zu ihr. „Also, Ms. Meroola.“, sagte er. „Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass Sie gut in unser Team passen könnten. Sie haben auf jeden Fall Humor. Das wird bei Ihrem überwiegend celsianischen Kollegen sehr gut ankommen und Ihre Qualifikationen werde ich auch noch beurteilen können, wenn Sie eine Weile bei uns gearbeitet haben. Ich stelle Sie zuerst einmal ihrer neuen Partnerin vor.“

Er betätigte eine Sprechanlage, die ihn offensichtlich mit einer der Werkstätten verband. Jedenfalls konnte Meroola das aus den Geräuschen ableiten, die sie im Hintergrund des Gesprächs wahrnahm, was ihr sehr gut möglich war, da Kingsley die Anlage auf Lautsprecher gestellt hatte. „Rona, kommen Sie bitte einmal zu mir.“, sagte Kingsley zu seiner Gesprächspartnerin. „Ich habe hier einen Neuling für Sie zum Einweisen.“ „Sofort, Chef!“, kam es hell und kess von einer weiblichen jungen Stimme zurück. Meroola dachte sich, dass sie und diese Rona wohl gut zusammenpassen könnten. Ihre Stimme war ihr auf jeden Fall schon einmal sympathisch.

Wenig später betrat eine kleine Gestalt den Raum. Sie war nur 1,50 m groß, hatte aber sehr kräftig wirkende Arme und einen etwas gedrungenen Körperbau. Ihre Hände aber schienen recht schmal und damit recht geschickt zu sein. Dennoch machte ihr Händedruck Meroola gegenüber keinen sehr schwachen Eindruck, als sie ihr die Hand gab. „Hi.“, sagte die Technikerin, die Meroola wegen ihres schwarzen Overalls zunächst kaum wahrgenommen hatte. „Ich bin Rona Maryssa. Du musst die Neue sein. Gib mir deine Fünf!“ Wieder klatschte die Celsianerin in Meroolas Hand. „Hi.“, sagte Meroola sichtlich überrascht. „Meroola Sylenne. Nenn mich ruhig Mary.“ „OK, Mary.“, sagte Rona. „Dann wollen wir uns Mal beschnuppern und ich werde gucken, ob du wirklich so ’ne Frohnatur bist, wie es das Wortspiel mit deinem Namen aus dem Englischen vermuten lässt. Na komm!“ Sie warf ihrem Chef noch einen fragenden Blick zu, der ihr Vorhaben nur abnickte. Dann zog sie Meroola aus der Tür.

Die Frauen betraten einen Turbolift, der sie in eines der unteren Stockwerke brachte. Dann führte Rona ihre Schülerin in einen Umkleideraum und wendete sich dort einem Replikator zu. „Gib mir doch Mal deine Größe.“, sagte sie, ohne vom Display aufzusehen. „Nicht nötig.“, sagte Meroola und zeigte auf die Tasche mit den Sachen, die ihr Kamura repliziert hatte. „Wow.“, machte Rona. „Ich bin beeindruckt. Hattest wohl schon im Stillen mit deiner Einstellung gerechnet, wie? Na ja. Wir brauchen im Moment echt jede gute Hand. Pannen haben Hochkonjunktur. Weiß der Himmel, was da los is’. Manche tippen auf die Sonne. Was ich davon halten soll, weiß ich nich’ so wirklich. Auch auf Celsius gilt die Unschuldsvermutung, bis das Gegenteil bewiesen is’.“ „Na OK.“, sagte Meroola. „Das klingt ja, als würden wir demnächst viel zu tun kriegen.“ „Darauf kannst du!“, lachte Rona. „Aber jetzt zieh dich am besten erst Mal um. Ich gucke auch weg.“ „Du bist witzig.“, sagte Meroola, der spätestens in diesem Augenblick klar wurde, dass sie sich mit Rona wohl glänzend verstehen würde. „Oh ja.“, sagte die junge Celsianerin. „Aber das is’ kein Wunder. Ich bin schließlich Celsianerin. Wäre ’ne echte Blamage, wenn ich das nich’ wäre, witzig meine ich.“ „Kann ich mir vorstellen.“, sagte Meroola. „Aber wenn man es genau nimmt, kannst du mir ruhig zusehen. Ich habe bestimmt nichts, was du nicht schon gesehen hast. Schließlich bist du ja auch ’ne Frau.“ „Jedenfalls war ich’s heute Morgen im Spiegel noch.“, lachte Rona und auch Meroola musste grinsen.

„Wenn du fertig bist.“, sagte Rona. „Bringe ich dich in unseren Aufenthaltsraum. Da wirst du die anderen kennen lernen. Ach übrigens: Wo wohnst du überhaupt? Ich könnte dich aufnehmen. In unserer WG ist noch ein Zimmerchen frei.“ „Danke für das großzügige Angebot.“, sagte Meroola und lächelte. „Aber ich wohne bei einer Freundin. Die hat mir auch die Sachen geschenkt.“ Bezogen auf Kamura stimmte das ja auch. „OK.“, sagte Rona.

Meroola war mit dem Umziehen fertig geworden und zeigte sich jetzt ihrer neuen Kollegin. „Hey!“, staunte Rona. „Fesch! Die fesche Mary! Mann, du siehst in dem Zeug echt scharf aus! Lass uns doch nach der Arbeit Mal zusammen ausgehen!“ „Von mir aus.“, sagte Meroola. „Irgendwann muss ich ja anfangen, hier heimisch zu werden. Machen wir einen Deal. Du hilfst mir, hier Anschluss zu finden und ich helfe dir bei … was auch immer.“ „OK.“, sagte Rona. „Aber du schuldest mir gar nichts. Sagen wir Mal, ich habe heute meinen sozialen Tag.“

Meroola atmete auf. „Uff! Da wo ich hergekommen bin …“ „Vergiss Mal deine alte staubige Heimat!“, sagte die junge Celsianerin. „Hier is’ Celsius! Wir leben im real existierenden Humorismus. Da sieht Mann vieles nich’ so eng und Frau auch nich’. Sieht aus, als müsstest du das noch lernen. Aber du hast dafür ja mit mir echt das große Los gezogen. Ich bin, was das angeht, nämlich die beste Lehrmeisterin aller Zeiten! So und nun komm. Wir wollen doch, dass du auch die anderen und die dich kennen lernen.“

Wie bei einem oft schon gebrauchten Griff fasste Rona beiläufig in ihre Tasche, holte ein kleines Gerät hervor, das in etwa die Größe einer Zigarettenschachtel aufwies, sah kurz auf dessen Display und steckte es dann mit einem entspannten Blick wieder ein. „Kein Einsatz.“, sagte sie zufrieden. Meroola sah sie fragend an. „Neulinge kriegen bei uns noch keinen Pager.“, sagte Rona. „Wenn dir Kingsley so was gibt, kannst du dich als fest angestellt betrachten. Das is’ so was wie eine persönliche Erhebung in den Adelsstand. Aber du bist ja ohnehin erst Mal bei mir. Wenn du mir nich’ verloren gehst, sehe ich da keine Probleme.“ „Ich auch nicht.“, sagte Meroola. „OK.“, sagte Rona und drehte sich zum gehen, während sie ihr einen auffordernden Blick zuwarf. „Dann sind wir uns ja einig.“ Sie verließen den Umkleideraum.

Auf dem Korridor drehte sich Meroola kurz um. „Ich müsste mal SITCHen.“, sagte sie. „Kein Problem.“, schnippte ihr Rona zu und zeigte auf ein öffentlich zugängliches Sprechgerät zu ihrer Linken. „Ich habe ein Eigenes.“, sagte Meroola. „Aber ich wäre dir echt dankbar, wenn …“ „Oh Privatkram.“, sagte Rona. „Da muss ich passen. Ich bin Single. Aber wenn du willst.“ Sie zeigte wieder auf die Tür zum Umkleideraum. Meroola verstand und ging hinein. „Ich warte auf dich.“, sagte Rona noch in die sich langsam zwischen den Beiden schließende Tür.

Erleichtert nahm Meroola ihr Sprechgerät aus der Tasche, das sie natürlich auch umgepackt hatte, als sie sich umzog. Dann gab sie Kamuras Rufzeichen ein. „Ich habe den Job, Kamura!“, sagte sie. „Hey klasse!“, erwiderte das Schiff. „Herzlichen Glückwunsch! Ich habe übrigens eine Wohnung für dich. Zumindest fürs Erste. Ich sende dir die Adresse.“ „OK.“, sagte Meroola. „Ich mache dann erst mal Schluss. Habe noch viel zu lernen.“ „OK.“, sagte Kamura und legte ein Lächeln in die Stimme ihres Computers und in das Gesicht ihres auf dem Display sichtbaren Avatars, als sie die Verbindung beendete.

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