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Unweit ihrer heimatlichen Koordinaten erwartete Shary die Rückkehr ihres Freundes Kamurus. Die Beiden hatten erst jetzt bemerkt, dass ihre kleine Tochter Kamura die Dimension verlassen hatte, ohne sie zu informieren, geschweige denn ihnen zu sagen, was sie vorhatte. Kamura hatte ihre Spuren recht geschickt verschleiert. Mit Hilfe einiger Vorwärts und Rückwärtsflüge hatte sie eine falsche Signatur hinterlassen. Auch hatte sie durch eine falsche Kommunikationssignatur den Eindruck erweckt, immer noch bei Ihnen zu sein. Aber als sie nicht auf einen SITCH ihres Vaters antwortete, war dieser misstrauisch geworden. An den Koordinaten, wo er sie vorzufinden hoffte, war lediglich eine Sonde zu finden gewesen, die das falsche Signal sendete. Daraufhin hatte er beschlossen, sich mit Shary abwechselnd auf die Suche zu begeben. Einer sollte immer zu Hause sein und warten, falls sie doch wieder auftauchen würde.

Der SITCH ihres Freundes klang für Shary wie eine Erlösung, obwohl die Nachricht nicht sehr gut war. Kamurus hatte lediglich die Vereinbarung eingehalten, sich jede Stunde bei ihr zu melden: „Shary, ich habe weiterhin noch keine Spur von Kamura. Ich werde noch weiter suchen müssen. Aber es wird hier etwas ungemütlich. Ich würde sagen, ich kehre zurück und wir suchen morgen weiter. Was immer auch das Problem ist, wird sich so schnell nicht lösen lassen. Es scheint etwas mit den Dimensionen an sich zu tun zu haben. Jedenfalls habe ich Schwierigkeiten, überhaupt noch von der Stelle zu kommen.“ „Dann komm besser schnell nach Hause, solange das noch geht.“, antwortete Shary besorgt. „Was du mir gerade erzählt hast, klingt ja nicht sehr erfreulich. Und unsere kleine Kamura ist allein dort draußen! Das kann doch nicht gut gehen! Sie ist doch noch zu klein und ihre Programmierung ist noch nicht abgeschlossen. Ihre Software ist doch noch gar nicht reif genug, dass sie mit einem solchen Problem klarkommen könnte, wie du es jetzt anscheinend hast. Ich sehe auch, dass etwas nicht stimmt. Die Interdimensionale Schicht sieht merkwürdig aus! Morgen fliege ich los und suche nach Kamura.“ „Nein!“, entgegnete Kamurus entschlossen. „Du machst dir im Moment viel zu viele Sorgen und anscheinend bedarf es für einen Flug in dieser Situation die gesamte Kapazität des Arbeitsspeichers. Versteh mich bitte nicht falsch. Auch ich sorge mich um unser Kind. Aber anscheinend kann ich mit der Situation besser …“

Eine starke Störung hatte ihre Verbindung unterbrochen. „So weit ist es also schon.“, flüsterte Kamurus sich selbst zu. Er hatte die Störung weder verhindern können, noch hatte er sie kommen sehen. „Na dann werde ich mich mal auf den Weg nach Hause machen.“

Er programmierte seinen interdimensionalen Antrieb auf die Koordinaten der heimatlichen Dimension und aktivierte ihn. Aber die Störungen schienen doch schon stärker um sich zu greifen, als er es sich vorstellen konnte. Jedenfalls gelang es ihm nicht wirklich, ein Feld aufzubauen. Jedes Mal, wenn er es versuchte, drohte seine Fluglage, sich zu destabilisieren und er bekam starke Schlagseite. Dies zu ignorieren wäre auch viel zu gefährlich gewesen, denn wenn es ihn auf das Dach gedreht hätte, wäre es im Weltraum oder auch in anderen Dimensionen unmöglich für ihn gewesen, den normalen Antrieb zu benutzen. Er wäre wie ein Maikäfer auf dem Rücken vielleicht unkontrolliert getrudelt und dann hätte die Gefahr bestanden, dass er in die nächste Gravitationsquelle geraten und abgestürzt wäre. Unter Umständen hätte er dann nicht nur sich selbst, sondern auch unschuldige Lebewesen gefährdet. Das wollte Kamurus auf gar keinen Fall! „Ich werde SITCHen!“, beschloss er. „Vielleicht erreiche ich ja jemanden von unseren gemeinsamen biologischen Freunden. Jenna McKnight oder Montgomery Scott traue ich durchaus zu, mein Problem zu lösen.“ Er programmierte sein Sprechgerät und setzte einen allgemeinen Notruf ab, der alle Rufzeichen in seiner Reichweite ansprechen würde. Dabei benutzte er allerdings auch das nächste interdimensionale Relais.

Tabran und Shiranach waren mit ihrem Schiff ebenfalls aus dem Tembraâsh gestartet. „Glaubst du, die Tindaraner haben auch schon etwas gemerkt?“, wollte Shiranach von ihrem Mann wissen. „Ich halte das durchaus für möglich, Telshanach.“, sagte Tabran. „Sie sind ja immer sehr schnell, was das angeht. Die Föderation der vereinten Planeten ziert sich da doch umso mehr.“ „Dabei sollten sie Sytania doch auch gut genug kennen.“, urteilte Shiranach. „Denkst du, es hat etwas mit Sytania zu tun?“, fragte Tabran. „In der Tat!“, sagte seine Frau fest. „Ich weiß zwar nicht genau, was sie sich jetzt schon wieder ausgedacht hat, aber da kommen wir schon noch hinter! Dessen bin ich mir sicher!“ „Ich auch, Telshanach!“, sagte ihr Ehemann, der Sytania noch sehr gut kannte und im Stillen auch absolut sicher war, dass sie an der neuesten Katastrophe die Schuld trug, auch wenn dies für einige vielleicht nicht so offensichtlich sein würde. „Und warum sich die Föderation so ziert, kann ich dir auch genau sagen. Nugura El Fedaria lässt sich immer wieder in ihre Fallen locken. Sytania kennt die Gesetze der Föderation und sie weiß, wenn sie es so anstellt, dass alle keinen Grund sehen, sich einzumischen, weil sie es wie einen internen Konflikt einer Gesellschaft aussehen lässt, dann reagieren sie erst, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist.“ „Aber wir nicht.“, sagte Shiranach. „Wir reagieren früher und die Tindaraner auch. Was Zeitland oder gar die Aldaner davon halten, weiß ich nicht, aber …“ „Dill wird sicher auch an unserer Seite kämpfen, wenn es dazu kommen sollte.“, beruhigte Tabran sie, die sich in seinen Augen doch sehr aufgeregt hatte. „Ich halte sogar Shashana El Chenesa für vernünftig genug, dass sie alle Feindschaft gegen die Föderation fahren lässt und, wenn sie es schon nicht selbst tut, ihr Universum gegen Sytania verteidigen wird.“ „In der Tat.“, bestätigte Shiranach.

Tabran hatte die interdimensionalen Koordinaten der tindaranischen Heimatdimension in die Software des interdimensionalen Antriebs eingegeben. Bevor er sie jedoch bestätigte, sagte er zu seiner Frau: „Halt dich gut fest, Telshanach. Angesichts der Umstände weiß ich nicht, wie sie gleich reagieren wird.“ „OK.“, sagte Shiranach und stützte sich mit den Händen an einer Konsole vor sich ab. „Also gut.“, sagte Tabran. „Versuchen wir es!“

Er bestätigte seine Eingaben und gleich darauf begann das Schiff mit dem Versuch, ein Antriebsfeld zu erstellen. Aber es ging ihnen nicht viel besser als Kamurus. Mit Trägheitsdämpfern und allem, was sein Schiff hergab, versuchte Tabran zwar gegenzusteuern, aber trotz aller Pilotentricks, die er aus dem Ärmel zog, wollte es ihm einfach nicht gelingen, das Schiff zu stabilisieren. „Was ist das nur?!“, fragte Shiranach, der es mittlerweile schon recht schwindelig geworden war. Bedingt durch die künstliche Gravitation an Bord ihres Schiffes war das ja auch kein Wunder. Dadurch wusste Sie nämlich ziemlich genau, wo oben und unten war. Aber sie auszuschalten hätte das Problem nur noch verschlimmert. Dann wären beide nämlich ohne Halt durchs Cockpit geschwebt und dann hätte Tabran gar nichts mehr machen können. Jetzt blieb ihm aber auch nichts anderes übrig. Er hatte keine Ahnung, was er tun sollte. Für ihn sah es aus, als könnte die interdimensionale Schicht sein Schiff nicht richtig aufnehmen. „Ich weiß nicht, was ich tun soll, Telshanach!“, sagte Tabran ehrlich. „Geh ans Sprechgerät und versuch Jenna McKnight auf 281 Alpha zu erreichen! Sie wird sicher Rat wissen.“

Shiranach nickte und wandte sich dem Gerät zu. Hier sah sie jetzt aber auch, dass dieses bereits einen Notruf empfing. „Tabran.“, sagte sie. „Da ist offenbar ein Schiff, das in einer ähnlichen Situation ist wie wir. Soll ich antworten?“

Tabran überlegte. Dann sagte er: „Auf Taria sagt man: Geteiltes Leid ist halbes Leid, Telshanach. Es wäre wohl ganz gut, wenn du diese arme Besatzung informieren würdest, dass wir nach einer Möglichkeit suchen, dieses gemeinsame Problem zu lösen und dass wir jemanden kennen, die dazu sicher in der Lage sein wird! Sag ihnen, sie sollen durchhalten und den Mut nicht verlieren.“

Shiranach nickte und nahm das Gespräch auf. Dabei fiel ihr sofort das leere Cockpit ins Auge. Aber sie hatte keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen. „Ich bin Shiranach Ed Tabran.“, stellte sie sich vor. „Mein Mann und ich teilen deine Situation, intelligentes Schiff! Wir kennen Jenna McKnight. Wir werden versuchen, sie zu erreichen! Sie kann uns bestimmt sagen, was zu tun ist. Bitte gib nicht auf.“ „Vielen Dank, Shiranach Ed Tabran.“, sagte Kamurus, der sie nur vom Hörensagen kannte. Aber ich glaube, lange halte ich das nicht mehr durch. Die Scherkräfte haben schon damit begonnen, starken Druck auf meine Hülle auszuüben. Die strukturelle Integrität ist bei 60 % und sinkt weiter. Ich kann bald nicht mehr!“

Jetzt fiel auch Shiranach auf, wie sehr die Hülle ihres Schiffes bereits unter den Einwirkungen der Scherkräfte ächzte. Die unheimlichen Geräusche hatte sie bisher erfolgreich verdrängen können, da sie Tabrans Befehl sehr gut abgelenkt hatte. Jetzt aber war ihr das nicht mehr möglich, da sie Kamurus quasi mit der Nase darauf gestoßen hatte.

Sorgenvoll sah Shiranach zunächst auf die Instrumente und dann ihren Mann an. Auch das Schiff der Vendar drohte seine strukturelle Integrität zu verlieren. Immer wieder zeigte sie gestikulierend auf das Instrument, das ihr eine Auskunft darüber gab und dann zu Tabran, der unter größten Mühen immer noch alles versuchte, um sie in die tindaranische Dimension zu bringen.

„Ich kann sie einfach nicht halten, Telshanach!“, musste er schließlich abgekämpft zugeben. „Jetzt hilft nur noch eine Notabschaltung des interdimensionalen Antriebs. Ich werde ihm die Energie nehmen müssen.“ „Aber dann stürzen wir in die Dimension zurück, aus der wir gekommen sind.“, sagte Shiranach. „Das ist korrekt.“, sagte Tabran. „Aber dort sind wir zumindest sicher und können überlegen. Übernimm das Steuer! Sobald du von mir das Kommando bekommst, zündest du den Impulsantrieb durch! Weißt du, was das bedeutet?“ „Ich aktiviere ihn und bringe ihn gleich auf volle Leistung.“, erklärte Shiranach. „Richtig.“, sagte Tabran und stand auf, um ihr Platz zu machen. Er selbst ging nach hinten zu den Wartungsschächten.

Ängstlich legte Shiranach ihre Hände auf die Steuerkontrollen. Sie war noch nie eine sehr gute Pilotin gewesen und befürchtete auch jetzt, alles falsch zu machen. „Bist du noch da?!“, fragte sie mit leicht zitternder Stimme nach hinten zu ihrem Mann. „Ja.“, kam es zurück. „Halte sie einfach nur. Wenn du deine Hände auf den Kontrollen hast, weiß sie, dass du da bist und wird keinen Alarm auslösen.“ „OK.“, sagte Shiranach, die sich mit der Situation sichtlich unwohl fühlte.

Mit Hilfe eines Werkzeugs aus seiner Tasche hatte Tabran jetzt den Wartungsschacht geöffnet. Vor ihm befanden sich jetzt schier endlose Reihen von silbrig glänzenden Modulen. Für einen Laien wäre dies sicher sehr unübersichtlich gewesen, aber Tabran schien genau zu wissen, was er da tat. Jedenfalls griff er zielgenau nach einem der aus nicht leitfähigem Material bestehenden kleinen Würfel am Deckel eines der Module und drehte ihn nach links. Der Mechanismus, der das Modul in seiner Position hielt, wurde sofort entriegelt. „Telshanach!“, rief Tabran nach vorn. „Ich zähle jetzt bis drei! Eins, zwei, drei!“ Er zog das Modul heraus. Der interdimensionale Antrieb gab ein letztes Summen von sich. „Durchzünden, Telshanach!“, rief Tabran. „Jetzt!“ Shiranach nickte und führte den Befehl ihres Mannes aus.

Das Schiff fiel zunächst senkrecht nach unten, um dann aber wie an einem Gummiseil geführt sanft wieder im Tembraâsh einzutreffen. Diese Landung hatte Shiranach nicht erwartet, aber sie hatte ihr sogar großen Spaß bereitet. Das war etwas, das sie aber bei weitem nicht gedacht hatte.

Tabran hatte das Modul zurückgesteckt und war zu ihr zurückgekehrt. Ohne einen Befehl vom Rechner, das wusste er, würde sich der interdimensionale Antrieb nicht wieder aktivieren. „Gut geflogen, meine geschickte Shiranach!“, lobte er seine am ganzen Leib zitternde Frau und nahm sie fest in den Arm. „Ich übernehme wieder.“ „OK.“, sagte Shiranach und die Beiden tauschten erneut die Plätze.

Die Situation hatte Shiranach nicht in Ruhe gelassen. Lange und intensiv hatte sie darüber nachgedacht. „Wenn mit dem Antrieb alles OK ist.“, sagte sie. „Dann ist vielleicht die interdimensionale Schicht nicht in Ordnung. Ich stelle mir das wie bei einem kranken Wesen vor, weißt du? Ein Kranker benötigt ja auch mehr Zeit für so manches. Vielleicht müssen wir der Schicht mehr Zeit geben, uns aufzunehmen. Der Antrieb müsste vorsichtiger agieren. Sagen wir mal, die Leistung steigert sich immer nur um 5 %, während sich die des normalen Antriebs um eben diesen Faktor reduziert. Kannst du mir folgen?“

Tabran überlegte kurz und lächelte dann: „Und wie ich das kann, meine technisch so begabte Shiranach.“ „Warum bin ich nicht darauf gekommen? Ich halte sogar für möglich, dass es funktionieren könnte. Dir zu Ehren werde ich dem Profil sogar deinen Namen geben! Mishar, Profil Shiranach eins erstellen!“ „Profil wird erstellt.“, kam es sachlich von der männlichen Stimme des Rechners zurück. „Bitte Befehlskette eingeben.“ „Die Leistung des interdimensionalen Antriebs nach Aktivierung in 5-%-Schritten erhöhen, bis 100 % erreicht sind.“, sagte Tabran. „Gleichzeitig die Leistung des normalen Antriebs um den gleichen Faktor senken, bis sie null erreicht hat. Befehlskette Ende!“ „Profil wurde gespeichert.“, sagte der Rechner. „Laden und ausführen!“, befahl Tabran.

Es gab ein kurzes Signal und dann führte der Rechner den Befehl aus. Der Flug dauerte so zwar etwas länger, aber sie landeten schlussendlich genau dort, wo sie wollten. „Ruf das fremde Schiff und überspiele ihm die Daten.“, sagte ein erleichterter Tabran. „Vielleicht kann ihm ja so auch geholfen werden.“ „In Ordnung.“, sagte Shiranach und leitete den Transfer in die Wege. Dann flogen sie weiter in Richtung Basis 281 Alpha. Kamurus, dem das Profil der Vendar tatsächlich auch geholfen hatte, sendete ihnen noch ein herzliches Dankeschön, bevor auch er sich wieder auf den Weg zu Shary machte, die nach Abbruch ihrer Sprechverbindung voller Angst auf ihn gewartet hatte. Jetzt aber konnte er sie trösten. Dank der Vendar hatte er jetzt eine Möglichkeit, auch mit den vorherrschenden Widrigkeiten zurechtzukommen. Die befürchteten Diskrepanzen zwischen ihrem und seinem Betriebssystem waren nämlich ausgeblieben.

Jenna hatte inzwischen die Kommandozentrale von 281 Alpha erreicht. Mit ernstem Gesicht stand sie nun Maron und Zirell gegenüber. Sofort hatte die doch zwar oft sehr streng wirkende, aber dennoch recht sensible tindaranische Kommandantin bemerkt, dass mit ihrer Untergebenen etwas nicht stimmte und das sogar, ohne sich telepathisch in ihren Kopf zu begeben. „Was ist los, Jenna?“, fragte sie. McKnight wurde noch ernster und seufzte schwer.

„Ist etwas mit Shimars Schiff?“, wollte jetzt Maron wissen. Der erste Offizier wusste, dass er sie damit eventuell aus der Reserve locken konnte, dass er gezielt eine völlig falsche Frage stellte, die ja bereits logisch beantwortet worden war. Wenn etwas mit Shimars Schiff gewesen wäre, dann hätte Jenna das ja sofort gemeldet und er wäre gar nicht erst losgeschickt worden.

„Bei allem Respekt, Sir!“, sagte die hoch intelligente Halbschottin, die jetzt sehr große Mühe hatte, ihre aufkommende Wut zu verbergen. Was bildete der Kerl sich ein?! Warum stellte er so eine belanglose und dann auch noch völlig unlogische Frage, wo doch …

Sie konnte nicht mehr an sich halten. „Wir haben weiß Gott keine Zeit für Smalltalk! Oder was hatte Ihre völlig unqualifizierte Frage für einen Hintergrund?! Sie sollten wissen, dass ich in so einem Fall sofort Meldung gemacht und Shimar gar nicht erst weggelassen hätte! Zirell, warum hast du …? Entschuldigung! Aber meine Reaktion ist völlig normal, wenn man bedenkt, dass ich gerade einen entscheidenden Hinweis darauf gefunden habe, dass es bald mit allen Dimensionen und mit allem Leben darin vorbei sein könnte!“

Endlich war es heraus! Maron sah Jenna an. „Herzlichen Glückwunsch, Techniker! Ich dachte mir schon, dass Sie diese Information sicher nicht leichtfertig herausrücken würden, aber ich wusste auch, dass sie extrem an Ihnen nagt. Ich musste Sie also dazu bringen, Ihre Kontrollmechanismen ein wenig zu lockern, damit sie herauskommen konnte.“ „Na, da können Sie ja froh sein, dass ich keine Vulkanierin bin, Sir.“, sagte Jenna. „Dann hätte Ihr kleiner Trick nämlich mit Sicherheit versagt. Wo lernt man eigentlich so etwas, Agent. Auf der Agentenschule etwa?“ „Genau.“, sagte Maron und lächelte sie an. „Ich wusste, dass Sie drauf kommen würden. Bei Ihrer Intelligenz war das keine Frage.“ „Bitte hören Sie auf Witze zu reißen.“, sagte Jenna. „Das Thema ist ernst genug. Aber den Glückwunsch gebe ich gern an Sie zurück. Ich hätte Ihnen so etwas nicht zugetraut.“ „Oh ich weiß, dass ich nicht gerade der Vorzeigeagent bin, der öfter Böcke schießt, als dass er einen Fall löst. Aber da habe ich mir wohl bei Ihrer Assistentin so einiges abgeguckt. O’Riley versteht es prima, mit ihrem Verhalten und ihren kleinen Schwächen zu kokettieren. Das macht ihr das Leben sehr viel leichter und ich habe gedacht, ich probiere es auch einmal. Ich wollte einfach mal sehen, wie mein Gegenüber, in diesem Fall Sie, darauf reagiert und wie es sich auf meine Ermittlungen auswirkt. Ich muss sagen, die Auswirkungen waren doch sehr positiv, oder was meinen Sie?“ Er nahm eine abwartende Haltung ein und sah sie von oben bis unten an, während er zufrieden lächelte.

McKnight hatte die Situation noch einmal in ihrem Kopf Revue passieren lassen. Mit dem, was er gerade gesagt hatte, hatte er zweifelsfrei Recht gehabt. Alle und am aller wenigsten sie, hatten nicht mit so einer hinterlistigen Falle gerechnet, die er ihr stellen würde, obwohl er Demetaner war und alle wissen sollten, wie hinterlistig diese ab und zu sein konnten. Wenn er sich an Agent Sedrin oder Agent Yetron maß, dann war er sicher nicht viel besser als ein Schulkind, aber wenn man Maron an Maron maß, war das, was ihm da gerade gelungen war, schon eine Leistung! Selbst ihre oft überragende Intelligenz hatte sie nicht davor bewahren können, in seine gut ausgelegte Falle zu tappen.

Sie räusperte sich und sagte dann schließlich: „Sie haben Recht mit dem, was Sie gerade gesagt haben, Sir. Und Sie haben mich ganz schön kalt erwischt. Wenn Sie so mit einem wirklichen Verbrecher umgehen, dann kriegen Sie auf jeden Fall ein Geständnis. Ich finde Ihre neueste Strategie sehr interessant. Sich dumm stellen, um jemanden aus der Reserve zu locken. Na ja. Das macht meine Assistentin ja auch dauernd.“ Sie wurde wieder ernst und seufzte. „Shannon.“, sagte Maron. „Da kommen wir der Sache doch schon sehr nah. Was ist mit Shannon? Was hat Sie mit dem eventuellen Weltuntergang zu tun? Bleiben Sie beim Thema, McKnight! Wir haben es doch fast!“ „Shannon hat Kontakt zu Tabran und Shiranach bekommen.“, sagte Jenna. „Sprechkontakt?“, fragte Zirell. „Aber das ist doch unmöglich! Die Wächterin hat doch eine mentale Barriere …“

Maron hatte den Finger an die Lippen gelegt. „Geh mir bitte jetzt nicht dazwischen, Zirell.“, flüsterte er seiner tindaranischen Vorgesetzten zu. „Schon gut.“, sagte Zirell. Es ist deine Vernehmung.“

Er wendete sich wieder Jenna zu: „OK, McKnight. Wie hat sie das gemacht?“ „Zuerst.“, sagte Jenna. „Hat sie IDUSA befohlen, eine interdimensionale Verbindung mit dem Rufzeichen unserer Freunde im Tembraâsh herzustellen. IDUSA hatte zwar einen Einwand, aber den hat Shannon nicht gelten lassen und ihr befohlen, es trotzdem zu versuchen. Aber was rede ich. Es gibt eine Aufzeichnung des Gesprächs.“ Sie ließ IDUSA die Aufzeichnung abspielen.

Nachdem sich alle diese angehört und angesehen hatten, blieb Zirell und Maron vor Staunen der Mund offen stehen. „Was für Gründe kann es geben, aus denen so etwas doch möglich ist, McKnight?“, fragte der erste Offizier jetzt auch sehr ernst. Die Tragweite dessen, was eventuell passiert sein konnte, war selbst ihm bewusst. „Dazu habe ich tatsächlich eine Theorie, Sir.“, sagte Jenna. „Aber dazu müssten wir ein kleines Experiment wagen.“ „Also schön.“, sagte der demetanische Geheimdienstler, der von ihren Experimenten immer sehr begeistert gewesen war. Sie waren es oft nämlich gewesen, die ihm selbst die schwierigsten physikalischen Zusammenhänge verständlich gemacht hatten. „Ich bin auch dabei.“, sagte Zirell und schlug in Jennas weit offen vor ihr und Maron in der Luft liegende am langen rechten Arm ausgestreckte Hand.

Die Chefingenieurin sah sich im Raum um. Zuerst fiel ihr kompetenter Blick auf Zirells Platz, auf dem immer noch das Stövchen und die leere Schale standen. Natürlich war das Stövchen mit einem durch eine Energiezelle betriebenen Licht bestückt gewesen. Offenes Feuer hätte ja schließlich zur Auslösung des automatischen Sauerstoffentzugs für den Bereich gesorgt, um das Feuer zu ersticken. Außerdem hätte ein Kraftfeld verhindert, dass sich überhaupt noch eine Lebensform dem Bereich nähert. IDUSA hätte Zirell auch aus dem Bereich gebeamt, um ihr Leben zu retten. Da niemand wirklich Interesse am Auslösen dieser Sicherheitskette hatte, hatte sich Zirell bei der Replikation des Stövchens für ein elektrisches Licht entschieden, das aber die nötige Wärme entwickeln konnte. Es war vielleicht lange nicht so romantisch wie eine echte Kerze, erfüllte aber seinen Zweck, was für die sehr praktisch veranlagte Kommandantin völlig ausreichend war. So mancher Ostfriese würde sich jetzt zwar die Haare raufen, aber dann hätte Zirell immer noch die Ausrede gehabt, dass sie Außerirdische sei und es als eine Solche ja nicht besser wissen konnte. Von den Sicherheitsbestimmungen auf Raumstationen des tindaranischen Militärs mal ganz abgesehen.

McKnight sah ihre Vorgesetzte fragend an und deutete auf das Stövchen und die Schale. „Darf ich mir das einmal ausleihen, Zirell?“, fragte sie. „Tu dir keinen Zwang an, Jenn’.“, lächelte die ältere Tindaranerin. Sie war auf das Experiment auch sehr neugierig geworden, das Jenna mit ihnen allen vorhatte. Zwar hätte sie ja sehr leicht herausfinden können, worum es ging. Schließlich war sie Telepathin. Aber es lag ihr fern, einfach in den Geist einer anderen Person einzudringen, ohne dass diese etwas davon wusste. Zirell war außerdem sehr wohl bewusst, dass eine solche Aktion als großer Vertrauensbruch von Jenna gewertet werden würde, was ja auch korrekt gewesen wäre. Eine einfache Entschuldigung hätte da sicher nicht ausgereicht, um die Wogen zwischen sich und Jenna wieder zu glätten, wenn Jenna, als Nicht-Telepathin, ihr überhaupt je wieder vertraut hätte. Das wollte sie, zumal beide sicher noch viel länger zusammenarbeiten würden, auf keinen Fall riskieren!

Jenna nahm Stövchen und Schale in die Hände und ging damit zu einer freien Konsole, die sie kurzerhand zum Labortisch umfunktionierte. Dann ging sie zum gleichen Replikator, der auch Zirells Frühstück ausgespuckt hatte und replizierte einen verpackten Schokoriegel. Diesen legte sie in die Schale. „So.“, sagte sie und drehte sich Maron und Zirell zu, die sie erwartungsvoll ansahen. „Stellt euch bitte folgendes vor: Der Riegel ist das Tembraâsh, die Verpackung ist die interdimensionale Schicht und die Schale ist unsere Dimension.“

Sie legte den Schokoriegel wie er war in die Schale und präsentierte sie allen. „Wenn ich das richtig verstehe, McKnight.“, sagte Maron, der sich wahrscheinlich etwas hervortun wollte. „Dann schirmt die Schicht bis jetzt noch das Tembraâsh gegen unsere Dimension ab. Ich will damit sagen, der Schokoriegel ist im Papier und beschmutzt die Schale nicht.“ „Das ist korrekt, Sir.“, lächelte Jenna aufmunternd. Dann drehte sie sich erneut ihrem Experiment zu.

Jetzt schaltete sie das Licht am Stövchen ein und stellte die Schale darauf. „Und jetzt kommt ein äußerer Einfluss daher und macht etwas mit den Dimensionen an sich an ihren Wurzeln, also auch mit dem Tembraâsh. Schaut euch einmal genau an, was dann passiert.“

Maron und Zirell standen von ihren Plätzen auf, um besser sehen zu können, was in Jennas Experiment geschah. Hier wurde die Schale jetzt immer wärmer und als Folge schmolz der Riegel in seinem Papier langsam aber sicher vor sich hin. Die jetzt flüssige Schokolade weichte die Verpackung auf und floss schließlich an den geklebten Nahtstellen aus ihr heraus. „Was für eine Schmiererei!“, rief Zirell aus. „Aber du willst uns doch bestimmt etwas damit sagen, Jenn’.“ „Oh ja.“, sagte Jenna. „Und was würd’ das sein?“ „Das kann ich dir nicht sagen.“, sagte Zirell resignierend. „Du bist die Physikerin von uns dreien.“

Maron hob die Hand. Dabei musste sich der erste Offizier fast wieder in seine Schulzeit zurückversetzt fühlen. Jedenfalls benahm er sich in den Augen der hoch intelligenten Halbschottin jetzt so. Da Jenna aber keine disziplinarischen Maßnahmen gegen sich provozieren wollte, ging sie darüber hinweg und sagte nur: „Ja, Agent?“ Maron antwortete: „Ich denke, Sie wollen uns damit sagen, dass es auf keinen Fall an der mentalen Barriere der Wächterin liegt, dass die Dimension für uns erreichbar geworden ist. Die Dimension selbst hat sich durch einen äußeren Einfluss so verändert, dass die von der Wächterin angewandte Technik vielleicht gar nicht mehr funktionieren kann. Ich würde die Schweinerei hier ja auch statt in einer Tüte oder einem Papier jetzt lieber in einem Eimer oder einer Kanne verpacken, McKnight.“ Jenna klatschte in die Hände: „Bravo, Agent! Das haben Sie richtig erkannt. Die Wächterin müsste ihre Schutztechnik anpassen. Aber das ist etwas, auf das sie noch nicht gekommen zu sein scheint. Zumindest lassen alle Daten nur diesen Schluss zu, die wir bis jetzt gewinnen konnten. Sagen wir mal so: Die mentalen Befehle werden von der Dimension nicht mehr verstanden. Wenn ihr Telepathen per Gedankenbefehl etwas sendet, Zirell, dann ist dieser Energieausstoß ja in gewisser Weise elektrisch geladen. Diese Ladung trifft auf eine entsprechend geladene Menge anderer Teilchen, die aber aufgrund ihrer Gesetzmäßigkeit entsprechend reagiert. Sie versteht euch also. Aber was ist, wenn diese Gesetzmäßigkeit selbst geändert wird? Agent, wir beide machen das mal vor. Bitte aktivieren Sie das SITCH-Mail-Programm.“

Maron nickte und tat, worum sie ihn gerade gebeten hatte. Dabei bekam er einen Blick wie ein Kind unter dem Weihnachtsbaum. So sehr freute er sich über das Experiment und über die Tatsache, dass er an ebendiesem wieder einmal teilnehmen durfte.

Jenna hatte IDUSA befohlen, das Übersetzungsprogramm für Vendarisch zu laden. Dann hatte sie eine kurze Mail diktiert und sie Maron gesendet. Der erste Offizier hatte sie zwar geöffnet, stellte aber dann fest: „Ich kann kein Wort lesen, Techniker, geschweige denn auch nur eines ansatzweise verstehen.“ „So?“, fragte Jenna und stellte sich übertrieben dramatisch dumm. „Dann schicke ich es Ihnen noch einmal.“ „Das wird an der Tatsache auch nichts ändern, McKnight.“, sagte der Demetaner und wandte sich von seiner Konsole ab, nachdem er demonstrativ seinen Neurokoppler abgesetzt hatte. „Ohne eine Übersetzung wird das nicht klappen.“ „Genau.“, sagte Jenna. „Und genauso wird es der Wächterin jetzt mit ihren Gedankenbefehlen auch gehen.“, schlussfolgerte der demetanische Agent. „Richtig!“, sagte Jenna. „Sie verstehen besser, als Sie uns immer glauben machen wollen, Sir.“ „Oh nein.“, entgegnete Maron. „Das ist wohl eher O’Rileys Job. Wenn ich etwas nicht verstehe, dann verstehe ich es wirklich nicht. Aber offensichtlich nicht in diesem Fall.“ „Da muss ich Jenn’ Recht geben, Maron.“, stimmte Zirell Jenna zu. „Du hast heute echt einen Lauf!“

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