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Joran hatte den Nahbereich der Station verlassen. Er und sein Schiff waren jetzt auf dem Weg dorthin, wo IDUSA Shimar und seine IDUSA-Einheit lokalisiert hatte. „Ich hoffe, dass wir Diran überhaupt noch helfen können.“, sagte Jorans Schiff. „Immerhin ist eine Menge Zeit vergangen, seit Diran ins Koma gefallen ist. Ich hoffe, dass er keine …“

Etwas hatte sie plötzlich ihren Satz unterbrechen lassen. Der Grund dafür war, dass ihr Bug unaufhörlich von etwas angezogen worden war, das sie nur als Wirbel mit einer unaufhörlichen Abwärtsspirale deuten konnte. Ihre Sensoren waren nicht in der Lage, ein Ende oder einen Anfang des Phänomens zu finden. „Joran, bitte helfen Sie mir!“, sagte sie und ihr Avatar vor Jorans geistigem Auge machte ein panisches Gesicht. „Wir scheinen in etwas geraten zu sein, dass ich nicht berechnen kann! Ich benötige Ihre fliegerischen Instinkte!“

Der Vendar überlegte. Ihm war klar, dass es ihnen gar nichts nützte, wenn er selbst in Panik geriet. Er, der als sehr besonnen bekannt war, wusste durchaus schon, was hier geschehen war. Diese Phänomene waren ihm und seiner Art durchaus bekannt. Die Übersetzung des vendarischen Begriffes dafür lautete: „unsichtbarer Abwind“, und genauso verhielt sich dieses Ding jetzt auch. Da dies nur sehr selten einmal von vendarischen Piloten beobachtet wurde, hatte man es eigentlich in das Reich der Mythologie verbannt. Auch Joran hatte es nur einmal in einer Simulation zu Gesicht bekommen, während er bei Tabran in der Ausbildung war, aber nur, weil er es unbedingt einmal sehen wollte. Jetzt aber waren die Erinnerungen an die nötigen Manöver während seiner Zeit als Novize plötzlich so präsent, als hätte er sie jeden Tag benutzen müssen.

Er brachte sämtliche Stabilisatoren seines Schiffes auf volle Leistung. IDUSA fand das sehr merkwürdig, aber sie tat doch, was er von ihr verlangte. Dennoch war sie von seinem Tun sehr überrascht. „Was tun Sie da?“, fragte sie. „Ich stabilisiere dich, damit du dich nicht auf die Seite legst oder dich gar auf dein Dach drehst. Wir müssen erreichen, dass du vollständig in den Wirbel eindringst. Erst dann können wir Maßnahmen ergreifen, um dich wieder dort herauszubringen. Wenn ich jetzt rücksichtslos gegensteuern würde, würde das deine Hülle zu sehr unter Druck setzen. Das könnte dich zerstören und mein Leben beenden! Auch ich bin im Weltraum nicht lebensfähig! So dumm bin ich nicht! Aber wenn du den Ursprung des Phänomens nicht finden kannst, dann brauchen wir wohl Hilfe. Vielleicht kann meine Telshanach uns behilflich sein. Ruf die Station und verbinde mich mit ihr. Dann etablierst du auch noch eine direkte Datenverbindung mit ihrem Arbeitsplatz!“ „Ich werde es versuchen, Joran.“, sagte das Schiff.

Jenna und Shannon waren überrascht, so schnell wieder von Joran zu hören. „Was ist los, Joran?!“, fragte die hoch intelligente Halbschottin etwas alarmiert. „Das wirst du sehen.“, sagte Joran. „Wenn du die Datenverbindung bestätigst, nach der IDUSA gerade fragt.“, sagte der Vendar. „Du hast Recht.“, sagte Jenna, nachdem sie einen kurzen Blick auf den virtuellen Schirm vor ihrem geistigen Auge geworfen hatte, der ihr von der IDUSA-Einheit der Station gezeigt worden war.

Sie bestätigte die Verbindung per Gedankenbefehl. Jetzt sah sie, in welcher Situation sich ihr Freund und sein Schiff befanden. „Das ist merkwürdig.“, sagte sie, nachdem sie sich auf IDUSAs Sensoren aufgeschaltet hatte. Das Phänomen scheint keinen Anfang und kein Ende zu haben. Zumindest nicht in dieser Dimension.“

Shannon hatte die Situation auch mitbekommen und war an ihre Vorgesetzte herangetreten: „Was ist los, Jenn’?“ „Joran ist in Schwierigkeiten.“, sagte Jenna knapp. „Er ist in etwas geraten, was es eigentlich gar nicht geben dürfte. Er ist in einen unsichtbaren Abwind geraten. Informieren Sie die Kommandozentrale, Assistant! Ich werde versuchen zu retten, was noch zu retten ist!“ „OK, Jenn’.“, sagte Shannon, drehte sich um und lief zackig auf die nächste Arbeitskonsole zu, um dort ihren Neurokoppler und die dortige Sprechanlage zu benutzen.

Zirell und ihr Erster Offizier ahnten von der Situation nichts, in der sich Joran und sein Schiff gerade befanden. Aus ihrer Sicht war alles ruhig. Der Demetaner hatte sogar damit begonnen, den Inhalt des Pads zu sortieren, auf dem sich Jennas Aussage aus Grandemoughts Erinnerungen befunden hatte. „Was hast du da, Maron.“, erkundigte sich Zirell. „Ich habe hier eine höchst interessante Aussage von McKnight.“, sagte Maron. „Ach ja.“, erinnerte sich Zirell. Euer kleines Experiment. Aber worum geht es denn da eigentlich?“ „Sagen wir mal so.“, sagte Maron. „Grandemought und McKnight kennen den Namen der Bäckerin des kleinen und gemeinen Kuchens, von dem auch Sytania gern ein Stück abhaben möchte.“ „Ach.“, sagte Zirell. „Sytania ist es also dieses Mal nicht.“ „Nein.“, sagte Maron. Zumindest nicht, was den Grundteig angeht, wenn du meinen Vergleich gestattest. Sie hat nur die Glasur angerührt. Aber für den Teig war Valora zuständig.“ „Valora?“, fragte Zirell verwundert. „Aber das ist doch die Leitstute der Einhörner! Warum sollte sie so etwas Verwerfliches tun können. Ich dachte immer, die Einhörner seien von Grund auf gut!“ „Die Einhörner sind verwandte der Quellenwesen!“, berichtigte der Erste Offizier seine Vorgesetzte ernst. „Und du weißt ja, dass die dafür zuständig sind, Gut und Böse in Waage zu halten, wenn einmal alle Stricke reißen sollten. Das bedeutet, sie haben, wie jedes andere Wesen auch, eine gute und eine böse Seite in sich. Grandemought, von dem McKnight diese Erinnerung hat, kannte Valora sehr gut. Er sagt, sie könne sehr eifersüchtig werden und was dann passieren kann, solltest du dir eigentlich sehr gut ausmalen können, Zirell. Entschuldige, aber du bist ja schließlich auch eine Frau und ich hörte, wenn ihr eifersüchtig werdet, könnt ihr zu Furien werden. So und jetzt stell dir das Ganze bitte mal in mächtig vor!“

Zirell war ob seiner Predigt sehr überrascht. Sie hatte wohl nicht damit gerechnet, dass er so weit denken würde. „Uff, Maron.“, sagte sie. „Ich glaube dir. Fraglich ist nur, ob wir den Regierungen das beigebracht bekommen. Die haben doch noch immer ein sehr heiliges Bild von den Einhörnern.“ „Dann werde ich eben nach noch mehr Beweisen suchen müssen, Zirell.“, sagte Maron zuversichtlich. „Dafür drücke ich dir alle Daumen.“, sagte Zirell. „Sehr großzügig.“, sagte der Kriminalist.

Die Sprechanlage unterbrach sie. „Zirell hier.“, meldete sich die tindaranische Kommandantin. „Zirell, hier ist Shannon!“, ließ sich die aufgeregte Stimme Shannons aus dem Gerät vernehmen. „Wir haben ein Problem! Joran is’ in Schwierigkeiten! Er is’ in einen unsichtbaren Abwind geraten. Jenn’ sagt, das dürfte es eigentlich gar nicht geben, aber es gibt es wohl doch. Sie ist dran. Sie versucht ihm zu helfen.“ „In Ordnung, Shannon.“, sagte Zirell. „Wenn sich Jenna kümmert, dann wird es schon gut gehen. Ich vertraue ihr da voll und ganz.“ Sie beendete die Verbindung.

Shimars Schiff hatte den Traktorstrahl gelöst und die Steuerkontrolle übernommen. „IDUSA, nein!“, sagte Shimar streng, der dies erst ziemlich spät bemerkt hatte. „Joran ist in Schwierigkeiten.“, argumentierte IDUSA. „Wir müssen ihm helfen!“ „Wir!“, sagte Shimar. „Müssen auf Diran und sein Schiff aufpassen! Um Joran kümmern sich sicher schon die Anderen, aber wenn du Dirans Schiff jetzt loslässt, läuft es Gefahr, irgendwo hinzutreiben, wo wir es vielleicht nicht mehr erreichen können und dann ist unser einziger Zeuge auch tot! Willst du Maron das vielleicht erklären müssen, he?!“

„Sie haben Recht.“, sagte IDUSA, nachdem sie die Situation noch einmal mit ihren Sensoren gescannt hatte. Dann nahm sie auch Dirans Schiff wieder in den Traktorstrahl. „Na geht doch.“, sagte Shimar. „Ich habe das nur getan.“, sagte IDUSA. „Da alle Daten auf eine aktive Verbindung zwischen der Basis und Jorans Schiff hinweisen. Sicher werden Sie dort in guten Händen sein.“ „Das denke ich auch.“, sagte Shimar.

Etwas hatte ihn aufhorchen lassen. Er hatte etwas Telepathisches wahrgenommen, das gerade Joran von Bord seines Schiffes geholt hatte. Außerdem hatte der gleiche Einfluss dafür gesorgt, dass sein Schiff in der Zeit eingefroren wurde. Jedenfalls kam es Shimar so vor. Er ahnte auch, wer die Urheber dieses Einflusses waren. „IDUSA, ich habe gerade den Einfluss eines Quellenwesens gespürt.“, sagte er. „Darüber müssen wir den Commander informieren.“, sagte IDUSA. „Das dürfte die Karten völlig neu mischen.“ „Du hast Recht.“, sagte Shimar. „Gib mir Zirell!“ IDUSAs Avatar nickte und sie führte den Befehl ihres Piloten aus.

Zirell hatte Shimars Ruf zwar zur Kenntnis genommen, dennoch hatte sie wohl nicht damit gerechnet. „Joran ist auf dem Weg zu dir.“, versuchte sie ihren Untergebenen zu beruhigen. „Um Joran geht es mir auch.“, sagte der Tindaraner. „Er ist gerade von den Quellenwesen geholt worden und sie haben auch sein Schiff in der Zeit eingefroren.“ „Das wirft ein völlig neues Licht auf die Situation.“, sagte die Kommandantin. „Den Einfluss habe ich auch gespürt. Warten wir mal ab was jetzt passiert.“ „In Ordnung.“, nickte Shimar und beendete die Verbindung.

Shannon hatte im Maschinenraum die Verbindung zu Jorans Schiff in Jennas Auftrag übernommen, da sich die hoch intelligente Halbschottin bereits mit Simulationen beschäftigte, mit deren Hilfe sie eine Lösung finden konnte. Das Phänomen, in das ihr Freund geraten war, war ihr aber nicht so unbekannt, wie es vielleicht zuerst den Anschein hatte, denn sie kannte sich ja mit dimensionaler Physik aus und konnte sich deshalb schon denken, wie dieser so genannte unsichtbare Abwind zu Stande gekommen war. Sie wusste, dass es daran wirklich nichts Mystisches gab, sondern dass dies nur das Ergebnis einer so genannten energetischen Verwerfung sein konnte, wie sie ihrem Verständnis nach jetzt auftauchen mussten. Ihrer Theorie nach hatten diese Verwerfungen ihren Ursprung in der interdimensionalen Schicht und waren ein Ergebnis jener Ladungsverschiebungen, die sie bereits beobachtet hatte. Es fand ja schließlich eine Umwälzung der energetischen Strukturen statt und wo sich gewälzt wurde, da wurde auch ordentlich Staub aufgewirbelt. Jedenfalls würde sie jedem Laien das so erklären. Aber der Beweis fehlte ihr noch.

„Shannon.“, wendete sie sich an ihre Assistentin. „Mir fehlen noch Daten. Bitte schalten Sie sich noch einmal auf die Sensoren von Jorans Schiff auf und …“ „Das würde ich ja gern, Jenn’.“, gab die blonde Irin zurück. „Aber die Verbindung ist plötzlich abgebrochen und ich kann sie auch nicht wieder herstellen.“ „Dann werde ich wohl mit dem auskommen müssen, was ich habe.“, sagte Jenna. Aber wir sollten die Kommandozentrale in Kenntnis setzen. Geben Sie Bescheid, aber stellen Sie die Verbindung auf Lautsprecher, damit ich auch mithören kann.“ „OK, Jenn’.“, sagte Shannon, gab dem Rechner der Station den Gedankenbefehl, ihr die Konsole für die interne Sprechanlage auf dem virtuellen Bildschirm zu zeigen und stellte die Verbindung zur Kommandozentrale her.

Maron war es, der dort das Gespräch annahm: „Maron hier.“ „Agent, hier is’ O’Riley.“, meldete sich Shannon gewohnt flapsig. „Ich fürchte, wir haben ein Problem. Die Datenverbindung mit Jorans Schiff is’ zusammengebrochen und lässt sich nicht wieder herstellen. Ein Problem mit der Reichweite schließen wir aus.“ „Ich denke, ich kann Ihnen eine Erklärung liefern, O’Riley!“, sagte der Erste Offizier selbstbewusst. „Shimar hat gerade mit Zirell gesprochen und ihr gesagt, dass er den Einfluss eines Quellenwesens gespürt hat, das Joran von Bord seines Schiffes geholt und dieses in der Zeit eingefroren hat. Wenn ich mich nicht täusche, bedeutet das, dass an Bord alles stillsteht. Das Schiff kann also gar nicht auf Befehle von außen reagieren.“

Shannon sah fragend zu Jenna hinüber. Diese übernahm die Sprechverbindung und sagte: „Absolut richtig erkannt, Sir. Ganz ehrlich, ich hätte Ihnen nicht zugetraut, so eine komplexe physikalische Tatsache zu erkennen.“ „Ich mir selber auch nicht, McKnight.“, sagte Maron. „Aber wenn Sie, als Dimensionalphysikerin, mir das bestätigen, dann kann ich ja wohl nicht so falsch gelegen haben. Aber was ist mit dem Phänomen? Wissen Sie schon, was es sein könnte und wie wir Jorans Schiff da wieder herausbekommen?“ „Es handelt sich zweifelsfrei um eine energetische Verwerfung, Sir.“, sagte McKnight. „Nur so viel. Solche Verwerfungen entstehen bei großen Umbrüchen, wie wir sie jetzt im Moment sehen.“ „Sie wurde also nicht unmittelbar von Sytania oder Valora verursacht, um Joran einen Stein in den Weg zu legen?“, vergewisserte sich Maron. „Nein, Agent!“, sagte Jenna fest. „Wenn, dann sind Valora und Sytania nur in mittelbarer Täterschaft beteiligt. Sie haben ja nur die Ursache gesetzt, aus der diese Verwerfungen entstehen. Dass sie überhaupt entstehen, hat aber rein physikalische Ursachen. Ich will es mal so ausdrücken, Agent. Wo sich gewälzt wird, da wird auch Staub aufgewirbelt und in so eine Staubwolke sind Joran und sein Schiff geraten.“ „Können Sie etwas tun, um es da rauszuholen, Jenna?“, fragte Maron. „Noch nicht.“, sagte die Ingenieurin. „Aber ich werde mein Allerbestes tun. Fraglich ist nur, ob ich zu diesem Zeitpunkt schon eingreifen darf. Sie sagten, dass sich ein Quellenwesen eingemischt hätte, das Joran von Bord geholt und sein Schiff in der Zeit eingefroren hätte. Wenn wir zu früh eingreifen, könnte das unter Umständen den Plänen des Quellenwesens im Weg sein. Wer weiß, was es von ihm will. Natürlich werde ich nach einer Lösung forschen, aber ich werde, was immer ich auch herausfinde, erst dann anwenden, wenn ich sicher bin, dass das Schiff wieder frei ist. Ich denke sogar, dass wir, jetzt, wo es in der Zeit eingefroren ist, ohnehin keine wirkliche Chance haben.“ „Also gut, McKnight.“, sagte Maron. „Tun Sie, was Sie können, aber tun Sie etwas!“ „Darauf können Sie sich verlassen, Agent!“, sagte Jenna fest und beendete die Sprechverbindung.

Maron wandte sich Zirell zu: „Mir ist da gerade eine Idee gekommen. Kannst du nicht versuchen, das Quellenwesen telepathisch zu erreichen und es fragen, wie es gedenkt vorzugehen? Ich meine, seit dieser Sache, die dir und Joran da damals passiert ist, ist es dir doch möglich, über die Grenzen unserer Dimension hinaus deine Fähigkeiten zu benutzen. Du könntest das Quellenwesen doch erreichen, egal wo es sich befindet, oder?“ „Ich könnte es auf jeden Fall versuchen.“, sagte Zirell.

Sie begann damit, sich auf die Wahrnehmung, die sie gehabt hatte, als sie den Einfluss des Quellenwesens gespürt hatte, zu konzentrieren. Dann dachte sie: Quellenwesen, ich bin Zirell, Kommandantin der Basis 281 Alpha des tindaranischen Militärs. Du hast einen meiner Untergebenen von Bord seines Schiffes geholt und es selbst in der Zeit eingefroren. Mein Untergebener war auf einer humanitären Mission. Es ist ein Leben gefährdet, wenn du ihn nicht freigibst. Sollte es allerdings notwendig sein, dass du ihn bei dir behältst, dann bitte ich dich, mich über den Grund zu informieren. Es sollte doch in unser aller Interesse liegen, die Dimensionen zu erhalten. Vielleicht können wir ja sogar zusammenarbeiten.

Einige Sekunden verstrichen, in denen nichts geschah. Zirell hatte schon Sorge, das Wesen doch nicht erreicht zu haben. Dann aber spürte sie doch jenes Gefühl noch einmal, auf das sie sich gerade eben noch konzentriert hatte, allerdings ohne ihr eigenes Zutun. Außerdem sah sie das Bild einer Fremden vor sich. Für die geübte Telepathin war das ein eindeutiges Signal. Sie streckte ihren rechten Arm nach Maron aus: „Maron, nimm meine Hand!“ Der erste Offizier nickte und tat, was Zirell ihm gesagt hatte. Nun hörten beide die Antwort des Quellenwesens: Zirell von Tindara, mach dir bitte keine Sorgen um Joran Ed Namach. Es liegt auch in unserem Interesse, dass er gesund zu dir zurückkehrt. Aber wir erbitten auch dein Vertrauen. Wir wissen, dass Jenna McKnight alles tut, um sein Schiff und ihn aus der Verwerfung zu befreien. Das soll und wird ihr auch gelingen, aber erst dann, wenn wir es für nötig halten. Mehr kann und darf ich dir nicht sagen.

Die telepathische Verbindung war abgebrochen. Maron und Zirell sahen sich an. „Jetzt sind wir genauso schlau wie vorher.“, sagte die ältere Tindaranerin. „Nicht ganz.“, sagte Maron. „Wir haben ja auch das Bild des Quellenwesens gesehen und ich glaube sogar, ich habe ihre Stimme erkannt. Gib mir bitte einige Minuten mit IDUSA und dem Eindruck ihrer Stimme irgendwo allein. Ich denke, dass ich sie kenne und dass IDUSA ihre Originalstimme auch in der Datenbank finden kann. Wenn wir den Namen kennen, dann wissen wir sicher auch, ob wir ihr vertrauen können.“ „Also gut.“, sagte Zirell vertrauensvoll. „Benutz’ meinen Raum!“ „Danke, Zirell.“, sagte Maron. Dann stand er auf und wandte sich zum Gehen, während er ihr noch zurief: „Ich bin überzeugt, ich werde ein gehöriges Stück zur Lösung des Problems beitragen können!“ Dann ging er schnellen Schrittes durch die Türen, die sich wieder hinter ihm schlossen. Zirell blieb mit einigen Fragezeichen in den Augen zurück.

Joran hatte sich im Inneren einer großen für ihn weiß erscheinenden Energiewolke wieder gefunden. Aber diese Wolke fühlte sich für ihn in keiner Weise gefährlich an. Er hatte keine Ahnung, ob er sich noch im Weltraum, oder gar in der interdimensionalen Schicht befand. Normalerweise wäre das für ihn ein Grund gewesen, alarmiert zu sein, denn an sich konnte ja kein biologisches Wesen im Weltraum oder gar in der Schicht überleben. In der interdimensionalen Schicht wäre das zwar schon möglich gewesen, wenn man außer Phase war und im Weltraum sicher auch mit einem Schutzanzug, aber beides war hier nicht der Fall, oder gar vorhanden. Joran konnte sich weder erinnern, dass sein Schiff in den interdimensionalen Modus gegangen war, noch an die Tatsache, einen Schutzanzug angelegt zu haben. Trotzdem war die Situation für ihn nicht beängstigend. Als Vendar konnte er sehr gut spüren, dass es ein telepathischer Einfluss war, der ihn jetzt unter seine Kontrolle gebracht hatte und ihn wohl auch telekinetisch von Bord seines Schiffes geholt hatte. Mehr konnte er aber nicht sehen, denn die Wolke war in keiner Weise durchsichtig. Ihre Struktur ähnelte für ihn eher einem weißen Nebel oder einem großen Wattebausch. Das stimmte auch mit seiner taktilen Wahrnehmung überein. Warm war es hier und, obwohl er nicht nach außen sehen konnte, war hier im Inneren der Wolke doch alles irgendwie hell erleuchtet. Es gab für ihn also überhaupt keinen Grund, Angst zu verspüren.

Die Wolke schwebte sanft hernieder und gab ihn frei. Jetzt fand sich Joran in einer Art Park wieder. Die Luft war mit sommerlichen 25 ° angenehm warm. Um ihn herum roch es nach Blumen, die er in einigen Kübeln, die rund und weiß waren und auf kleinen künstlichen Felsen standen, sehen konnte. Die Blumen waren von mittlerer Höhe und hatten goldgelbe Blütenkelche, denen ein süßlicher Duft entströmte.

Joran versuchte sich zu orientieren. Die Wolke hatte ihn auf einer freien Fläche mitten in diesem parkähnlichen Gelände abgesetzt. In der Ferne konnte er eine Mauer erkennen, die aus grauen Ziegelsteinen bestand. Er beschloss, diese zunächst als Orientierung zu benutzen und an ihr entlang den Park zunächst einmal von seinem Rand aus zu erkunden. Das erschien ihm weitaus besser, als aufs Geradewohl einfach so in eine Richtung zu gehen. Der Park war ihm schließlich fremd. Er hatte ja immer noch keine Ahnung, wo er sich eigentlich befand. Wenn er sich jetzt noch aussichtslos in einem Labyrinth verirren würde, wäre das mit Sicherheit nicht wirklich gut. Er hatte aber trotzdem nicht das Gefühl, dass die Macht, die ihn entführt hatte, etwas Böses wollte. Wenn das der Fall wäre, dann hätte er es bestimmt gespürt, denn wie sich der Einfluss eines bösen Wesens anfühlte, hatte er ja Jahre lang selbst spüren können. Darin konnte ihm also niemand etwas vormachen.

Joran folgte dem grauen Kiesweg, auf dem er abgesetzt worden war. Dieser führte ihn zu einer Kreuzung, an der er sich mit einem Weg traf, der tatsächlich an der Mauer entlang führte. Auf diesen bog er ab und folgte ihm weiter. Dabei kam er an vielen kleinen Wiesen mit Wildblumen und kleinen Lauben vorbei. Irgendwie schien es ihm hier sehr heimelig, zumal er jetzt auch den Gesang von Vögeln wahrnahm, wie er sie von seiner Heimatwelt kannte. Wo bin ich nur?, dachte er. Wer hat mich entführt und was kann dieses Wesen von mir wollen?

Er blieb stehen und versuchte, sich auf die Wahrnehmung zu konzentrieren, die er hatte, als er sich noch in der Wolke befand. Er wollte versuchen, sich an Dinge zu erinnern, die ihm diese Wahrnehmung vielleicht erklären könnten. Bekannt schien sie ihm im ersten Moment nämlich nicht zu sein. Leider waren seine Bemühungen aber nicht von Erfolg gekrönt. Wie denn auch? Er konnte jenes Wesen, das für seine Entführung verantwortlich war, ja gar nicht kennen.

„Joran Ed Namach?“ Ein kleines liebes leises glockenhelles Stimmchen hatte ihn angesprochen. Aber nicht nur das. Das Stimmchen hatte seinen vollen Namen benutzt. Er drehte sich um und sah eine kleine zierlich gebaute Gestalt, die sich jetzt auf ihn zu bewegte. Die kleine Gestalt war augenscheinlich weiblich, sehr schlank und so zart gebaut, dass Joran Angst bekam, zu tief Luft zu holen. Er sorgte sich wohl darum, dass er sie versehentlich einatmen könnte. Sie hatte lange schwarze Haare und trug ein weißes Kleid, das ihr knapp bis über die Knöchel reichte, was bei ihrer Größe von knapp 1,50 m keine sehr weite Strecke war. Ihre zierlichen Füßchen steckten in kleinen bunten Sandalen. Ihr Gesicht war ungeschminkt. Ihre langen schwarzen Haare trug sie offen, so dass der leichte warme Wind mit ihnen spielen konnte. Das war etwas, dass sie wohl als sehr angenehm empfinden musste, wie Joran beobachtete, denn jedes Mal, wenn sie spürte, wie der Wind ihre Haare anhob, lächelte sie. Sie lächelte aber eigentlich durchgehend.

Langsam kam sie auf Joran zu. Dann lachte sie ihn an und sagte: „Ich grüße dich, Joran Ed Namach.“ Ihre Betonung ließ für Joran keinen Zweifel daran aufkommen, dass seine Anwesenheit ihr sehr angenehm war. Jetzt aber spürte er noch etwas anderes. Er spürte das Gleiche, das er auch in der Wolke gespürt hatte. Es musste sie gewesen sein, die ihn entführt hatte.

Der Vendar fiel reflexartig auf die Knie. Das war etwas, dass er von Kindesbeinen an gewohnt war, wenn er einem mächtigen Wesen gegenüberstand. „Oh das ist aber doch nicht notwendig.“, sagte die kleine Gestalt und schaute ihn lieb an. Dann berührte sie vorsichtig mit ihrer kleinen rechten Hand sein Gesicht. „Bitte steh auf.“, sagte sie tröstend. „Du legst doch vor Zirell von Tindara auch nicht regelmäßig einen Kniefall hin, oder? Außerdem bezeichnet ihr euch doch als freie Vendar, die vor keinem Mächtigen mehr kuschen, nur weil er ein Mächtiger ist. Wenn ihr euch freiwillig einem anschließt, ist das was anderes, wie bei deinem Freund Diran. Aber …“

Joran war aufgestanden. „Na siehst du.“, sagte sie und strich ihm noch einmal über das Fell seines Bauches, der das Einzige war, das sie jetzt von ihm erreichen konnte. Allerdings fühlte sich dies, da es durch die Uniformhose hindurch geschah, für Joran sehr merkwürdig an.

„Ich grüße auch dich, Quellenwesen.“, sagte Joran. „Wie darf ich dich nennen?“ „In meinem sterblichen Leben haben mir meine dortigen Eltern den Namen Illiane gegeben.“, sagte das Quellenwesen.

Joran hatte plötzlich etwas vor Augen, das er eigentlich nur aus Gerüchten erfahren haben konnte. Es hatte schon damals, als er noch Sytania diente, Gerüchte über ein Quellenwesen gegeben, das unter Sterblichen gelebt und Sytania entlarvt hatte. Der Name dieses Wesens sollte Illiane St. John gelautet haben. „Dann bist du Illiane St. John!“, sagte er fest. „Das stimmt.“, sagte das Quellenwesen. „So kennen mich alle.“ „Warum hast du mich hierher gebracht?“, fragte Joran. „Das will ich dir gern erklären.“, sagte das Quellenwesen. „Bitte begleite mich, Joran.“ „Wie du wünschst.“, sagte Joran und wartete ab, bis sie sich auf ihren kleinen zierlichen Füßchen in Bewegung gesetzt hatte. Er hatte in Erwägung gezogen, sie zu tragen und sich von ihr einfach nur dirigieren zu lassen, aber dann hatte er es doch als sehr anmaßend empfunden, sie darauf anzusprechen. Er fand sich also lieber damit ab, langsam hinter ihr her zu trotten.

Sie führte ihn ein weiteres Stück auf dem Weg entlang, bis sie auf einen anderen Kiesweg abbogen, der sie zu einer der Wiesen führte. Hier gab es nicht nur langes weiches grünes Gras, sondern auch einen kleinen Teich in der Mitte, in dem sich einige Fische befanden. Es handelte sich um rötlich schimmernde Goldfische. Außerdem gab es um den Teich herum eine Menge Wasserpflanzen und in seiner Mitte eine Fontäne, die aus einer Ente aus Stein bestand, die in spöttisch anmutender Pose das Wasser aus ihrem Schnabel spritzen ließ. Sie trug Kopf und Schnabel sehr hoch, als sei sie hochmütig. Außerdem verriet die Stellung ihrer Entenfüße einen sehr stark an das Stolzieren eines Hahns erinnernden Gang. Sie stand auf einem künstlichen Felsen mitten im Teich.

Joran musste grinsen, als sie an dem Teich vorbeigingen. „Erinnert dich das an jemanden?“, fragte Illiane freundlich und aufmunternd und deutete auf die Ente. „In der Tat.“, sagte der Vendar. „Wenn du es keinem sagst, Illiane St. John, dann sage ich dir, an wen mich das erinnert. Aber ich denke, wir sollten das anders aufziehen. Hat die Ente einen Namen?“ „Wenn du mich so fragst.“, sagte Illiane. „Dann verrate ich dir jetzt mal was. Im Stillen nenne ich sie manchmal Sytania.“ „Was?!!!“, entfuhr es Joran und sein Mund wurde so groß wie ein Scheunentor. Dann schlug er sich auf die Schenkel und fing ohrenbetäubend an zu lachen. Sein Lachen wirkte auf Illiane so ansteckend, dass sie ebenfalls mit ihrer glockenhellen kleinen leisen Stimme in eben dieses einfiel. Gegen das donnernde Gelächter Jorans bildete ihr leises Gepiepse einen niedlichen akustischen Kontrast.

Die Beiden hatten so gelacht, dass sie erst einmal zu Atem kommen mussten. Dazu setzten sie sich in das weiche hohe Gras. „Du nimmst es mir also nicht übel, dass ich dieser Ente dort den Namen deiner ehemaligen Gebieterin verpasst habe?“, vergewisserte sich Illiane. „Natürlich nicht.“, sagte Joran, der beim Anblick der Ente schon wieder lachen musste. „Im Gegenteil! Dieser Name passt vortrefflich zu ihr. Genauso benimmt sich meine ehemalige Gebieterin ja auch. Genauso!“ Er lachte erneut und steckte auch sie wieder an. „Nur mit der Ausnahme.“, sagte St. John, „Dass diese Sytania statt Gift und Galle harmloses Wasser spuckt.“ „In der Tat.“, bestätigte Joran. „Was mag sich der Künstler wohl dabei gedacht haben?“ Er kratzte sich nachdenklich am Kopf.

Illiane war aufgestanden. „Wir sollten gehen.“, sagte sie. „Wir haben nicht mehr viel Zeit, obwohl die für dich im Moment ja keine Rolle spielt, weil du dich ja außerhalb von Zeit und Raum befindest. Aber deinen Freunden geht es da ganz anders. Das weiß ich.“ „Also gut.“, sagte Joran, der ihre geheimnisvolle Andeutung nicht wirklich zu deuten wusste und ging hinter ihr her.

Der Weg führte beide weiter zu der kleinen Laube, die sich recht zentral auf der Wiese gelegen befand, eine runde Form hatte und aus Holz bestand. In ihrem Inneren gab es einen runden Tisch, der auf einem einzelnen Fuß stand, der aus einem Baumstamm bestand. Der Tisch war mit roter Holzschutzfarbe angestrichen. Rundherum führte eine Bank, die ebenfalls aus dem gleichen Holz, vermutlich terranische Eiche, wie Joran an Hand der Maserung tippte, bestand und die in gleicher Weise angestrichen war. Die Bank war zur Tür der Laube hin offen.

Illiane hatte Joran in die Laube geführt. „Setz dich!“, sagte sie und deutete neben sich auf die Bank. Joran tat, worum sie ihn gerade gebeten hatte.

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