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Sie zog an einem kleinen Knebel an einer Schnur, die sich unter dem Tisch befand und die Joran gar nicht bemerkt hatte. Augenblicklich kam ein Vorhang aus einem der zwei Pfosten der Tür und schob sich bis zum zweiten Pfosten vor. Der Vorhang bestand aus weißem geflochtenen Bändern aus Wolle, die zwar irgendwie einen Schutz bildeten, das Licht von außen aber doch durchließen. „So.“, sagte Illiane. „Nun sind wir ungestört. Ich will dir jetzt erklären, warum wir dich hierher geholt haben. Meine Freunde haben dein Schiff in der Zeit eingefroren und wir werden dich, wenn wir beide fertig sind, zu einem Zeitpunkt zurückschicken, an dem du auch deine Mission noch vollenden kannst. Da musst du dir keine Sorgen machen. Wir zwei aber, Joran Ed Namach, du und ich, wir haben eine weitaus bedeutendere Aufgabe vor uns!“

Der Vendar war sichtlich nervös geworden. „Was meinst du damit, Illiane?“, fragte er verwirrt. „Wo bin ich?“ „Du bist innerhalb der Quelle.“, sagte sie. „Ich weiß. Du denkst jetzt, dass das ja nicht sein kann, weil der Legende nach ja kein Sterblicher die Quelle betreten kann, die ja außerhalb von Raum und Zeit liegt. Aber du hast einen sehr wichtigen Zusatz in deinen Gedanken nicht berücksichtigt. Kein Sterblicher kann die Quelle lebend betreten, wenn wir es nicht erlauben. Aber in deinem Fall haben wir es erlaubt, Joran Ed Namach. Weil wir dich brauchen. Dich und deine zur Aufnahme eines Energiefeldes sehr bereite Sifa. Bitte erlaube, dass ich dich mental untersuche.“ „Also gut.“, sagte Joran, dem es sehr mulmig geworden war. Er konnte sich jetzt denken, was sie von ihm wollte, wusste aber auch, dass er sehr aus der Übung war. Weder hatte er das Fütterungsritual in letzter Zeit durchgeführt, denn ohne ein echtes Energiefeld war das ja sinnlos, noch hatte seine Sifa jetzt über fünf Jahre schon kein Feld mehr beherbergt, geschweige denn, dass er einem Telepathen in letzter Zeit Energie abgenommen hatte. Aber wenn sie ihn tatsächlich untersuchen wollte, dann würde sie dies alles ja auch feststellen.

Illiane schloss die Augen. Dann spürte Joran ihre mentale Energie, wie sie ihn durchströmte. Wenige Momente danach sah sie wieder zu ihm auf und lächelte ihn gewinnend an. „Du bist mehr als bereit.“, sagte sie. „Deine Sifa ist sehr gesund und im genau richtigen Zustand. Außerdem musst du etwas an deiner Ernährung getan haben, das die Bildung der Schleimhaut, an der die Energie haften soll, sehr begünstigt hat und ich glaube, ich weiß auch schon, was das war. Das gleiche Mittel nämlich, mit dem ich beabsichtige, dich ein wenig aufzutauen. Du bist ja total nervös, als wärst du noch ein Novize.“ „So fühle ich mich im Moment auch.“, gab Joran zu. „Das musst du nicht.“, sagte Illiane. „Ich bin doch da. Ich werde dir mithelfen, wo es notwendig ist und dich im Zweifel anleiten, wenn du willst.“ „Vielleicht funktioniert das nicht.“, sagte Joran. „Ich bin total aus der Übung, seit ich das Medikament der Tindaraner nehme. Es könnte sein, dass ich dir geistig wehtue, wenn ich dir die Energie abnehme. Dann kannst du vielleicht …“

Sie gab einen beruhigenden Laut von sich. Dann zog sie ihn an sich. „Aber nein.“, tröstete sie. „Nichts von dem wird geschehen. Du musst wirklich keine Angst haben. Du weißt doch, dass der Grad deiner Konzentration über die Geschwindigkeit bestimmt, in der du mir die Energie nimmst.“ „Siehst du.“, sagte Joran. „Das hatte ich schon wieder total vergessen.“ „Das hattest du nicht.“, sagte Illiane. „ich bin sicher, es wäre dir wieder eingefallen, sobald du meine Schläfen berührt hättest. Eure Fähigkeit ist euch doch von der Natur gegeben. Das verlernt man doch nicht.“ „Da bin ich mir nicht so sicher, Illiane.“, sagte Joran. „Aber ich bin es.“, sagte das Quellenwesen. „Und ich bin immerhin ein mächtiges Wesen. Das bedeutet, du kannst mir vertrauen, Vendar.“ „Ich werde es auf jeden Fall versuchen, Quellenwesen.“, sagte Joran. „Na, das ist ja immerhin schon mal ein Anfang.“, sagte Illiane.

Sie machte sich an einem Tablett zu schaffen, das die gesamte Zeit über in der Mitte des Tisches gestanden hatte. Auf dem Tablett befanden sich eine große Karaffe mit gelblich milchigem Inhalt und zwei weiße Gläser in der Gestalt von imperianischen Trinkhörnern, die in zwei silbrig glänzenden Metallständern standen. Diese zog Illiane jetzt näher an die Karaffe heran und füllte sie mit deren Inhalt. Dann schob sie Joran einen der Metallständer samt Glas hin und fragte: „Ananassaft?“ Dabei lächelte sie ihn an, als wollte sie ihn zum Einnehmen des Getränks regelrecht verführen. Ohne es selbst wahrzunehmen hatte Joran genickt. „Also dann.“, sagte Illiane und dann stieß sie mit ihm an. „Auf unser Vorhaben!“, sagte sie. „Möge es gelingen.“, fügte Joran, ebenfalls ohne es wahrzunehmen, mit zuversichtlichem Tonfall bei. Dann berührten sich die Gläser.

Joran nahm einen tiefen Schluck. Dabei genoss er sichtlich, wie der Saft seine Kehle herunterrann. Er hatte diesen flüssigen Leckerbissen erst gerade kennen gelernt und fragte sich, warum er nicht früher darauf gekommen war. Aber ihm brannte noch etwas anderes auf der Seele. Sie hatte viele Dinge erwähnt, die sie nur wissen konnte, wenn sie und ihre Leute ihn lange beobachtet hatten. Sicher. Sie war ein mächtiges Wesen und konnte somit auch ihre Informationen aus ganz anderen Quellen beziehen. Das wusste der Vendar, der ja selbst Jahre lang einem mächtigen Wesen gedient hatte. Genau wie seine ehemalige Herrin auch würde sich Illiane ja auch nur zu wünschen brauchen, dieses oder jenes Wissen zu haben und schon hätte sie es. Aufgrund ihrer Fähigkeiten wäre ihr das ja durchaus möglich gewesen.

Er beschloss, sie einfach mal darauf anzusprechen: „Du musst mich lange beobachtet haben, Illiane St. John.“ „Das ist korrekt, wie du sagen würdest.“, lächelte Illiane. Ihr Lächeln kam Joran sehr mild und freundlich vor. Viel freundlicher, als er es sich ausgemalt hatte. Er hatte im Stillen mit einer Art Standpauke gerechnet, aber er war umso erleichterter, als diese doch ausblieb. „Du scheinst überrascht.“, stellte Illiane fest. „Das bin ich auch.“, gab der Vendar zu. „Ich hatte befürchtet, du würdest es mir übel nehmen, wenn ich dir unterstelle, so in meine Privatsphäre eingedrungen zu sein.“ „Aber warum sollte ich?“, fragte Illiane mit sehr lieber Betonung. „Es ist doch die Wahrheit. Eigentlich bin ich diejenige, die sich bei dir entschuldigen sollte, weil ich dich beobachtet und auch Einfluss auf deinen Sifa-Zyklus genommen habe. Aber wir haben keine Zeit. Wenn wir das Ruder noch herumreißen wollen, dürfen wir nicht länger warten.“ „Ich verstehe.“, sagte Joran, der immer sehr pflichtbewusst war und der auch bereit war, für das Gelingen einer Mission bestimmte Opfer zu bringen. „Es geht hier schließlich um die Dimensionen. Da kann ich so ein bisschen Überwachung schon tolerieren.“ „Da bin ich aber froh.“, sagte Illiane erleichtert.

Joran trank aus und steckte dann sein Trinkhorn wieder in den Ständer zurück. Dann fragte er: „Kannst du mir erklären, ob die Quelle immer so aussieht?“ „Nein.“, sagte Illiane. „Die Quelle hat normalerweise ein Aussehen, das für Sterbliche nicht vorstellbar, oder gar wahrnehmbar ist. Wir haben sie aber so gestaltet, dass du in ihr leben kannst und dass du sie wahrnehmen kannst. Damit du auch mich wahrnehmen kannst, habe auch ich körperliche Gestalt angenommen.“ „Ich bin ein Vendar!“, sagte Joran und entrüstete sich fast etwas dabei. „Ich hätte dich auch so wahrnehmen können!“ „Das weiß ich doch.“, sagte das Quellenwesen. „Aber so ist es doch für uns alle viel leichter, nicht wahr? Der erste Sinn, auf den du dich konzentrierst, wenn dir jemand begegnet, sind doch deine Augen, oder?“ „In der Tat.“, gab Joran zu. „Und diese Umgebung suggeriert ja auch eine humanoide Lebensweise. Du hast Recht. Es ist schon alles so richtig, wie ihr es gemacht habt. Bitte vergib mir.“ „Schwamm drüber.“, lächelte Illiane.

Joran wartete ab, bis auch sie ihr Glas geleert hatte. Dann fragte er: „Wenn wir keine Zeit verlieren dürfen, sollten wir dann nicht gleich mit der Übertragung des Energiefeldes beginnen?“ „Oh.“, sagte Illiane und legte ein fast verführerisches Lächeln auf. „Auf einmal so forsch? Du hattest doch eben noch Angst, mir wehzutun oder etwas falsch zu machen.“ „Ich scheine durch dich neues Zutrauen gewonnen zu haben, Illiane St. John.“, sagte Joran. „Also gut.“, sagte das Quellenwesen und hielt ihm ihren Kopf hin. „Aber vorher möchte ich dir noch etwas erklären über das Feld, das du tragen wirst. Es hat kein Bewusstsein, aber trotzdem wird es die Brücke sein, über die wir mit dir beim Fütterungsritual kommunizieren werden, wenn wir dir etwas zu sagen haben.“ „Ist das Feld allein deine Schöpfung?“, fragte Joran. „Oh nein.“, sagte Illiane. „Es ist die Schöpfung aller Quellenwesen, wenn du so willst. Das Ganze ist etwas kompliziert. Nur so viel. Wir haben es in meinem Geist gezüchtet.“ „Ich denke, ich verstehe.“, sagte Joran. „Ich hoffe wirklich, dass ich jetzt gleich keinen Fehler mache.“

Vorsichtig, fast etwas zögerlich, streckte er seine Hände nach ihren Schläfen aus. „Großartiger Anfang!“, lobte Illiane und lächelte schon wieder. „Und du hast behauptet, aus der Übung zu sein.“ „Das ist eine reine Instinkthandlung gewesen.“, sagte Joran bescheiden. „Das beherrscht jeder Novize im ersten Jahr.“ „So, so.“, sagte Illiane. „Dann solltest du aber schleunigst deinen Instinkten weiter vertrauen.“

Fast ängstlich hatte Joran in der Stellung verharrt, in der seine Hände zuletzt gewesen waren. Nur wenige Zentimeter hatten sie noch von Illianes Schläfen getrennt. „Na trau dich!“, versuchte sie ihn zu motivieren. „So schlimm wird es schon nicht werden.“ „Für mich sicher nicht.“, sagte Joran und seine Stimme begann leicht zu zittern, ein Umstand, der ihm sichtlich unangenehm war. „Aber ich sorge mich um dich.“ „Das hatten wir doch schon.“, sagte Illiane. „Ich habe dir doch versichert, dass ich schon dafür sorgen werde, dass nichts geschieht.“ „Aber vielleicht kannst du das nicht.“, sagte Joran. „Auch ihr seid sterblich, wenn man euch die gesamte mentale Energie nimmt. Ich habe Angst, dass ich es nicht schaffe, die Sache rechtzeitig abzubrechen.“ „Das musst du ja gar nicht.“, sagte sie. „Ich habe nämlich so viel mentale Energie in mir, dass deine Sifa sie gar nicht auf einmal fassen kann. Ich weiß. Du denkst an die Sache mit Zirell. Aber damals hattest du drei Sifa-Zyklen hintereinander ignoriert und dann ist es kein Wunder, dass sich dein Körper, als du dem nächsten Telepathen begegnet bist, beim vierten Mal mit Gewalt geholt hat, was er wollte. Aber unsere Situation jetzt ist doch ganz anders. Erstens hat deine Sifa durch das Medikament der Tindaraner immer das Gefühl gehabt, ein Feld zu tragen, wenn auch nur die biochemischen Bedingungen hergestellt wurden, wie sie dann herrschen und zweitens kennen wir uns doch beide gut genug hiermit aus, dass eigentlich nichts passieren könnte. Du wirst schon sehen. Es wird alles gut gehen.“

Sie ließ einige Minuten verstreichen. Minuten, in denen nichts geschah. „Also gut.“, sagte sie schließlich. „Dann werde ich das wohl in die Hand nehmen müssen.“ Sie griff seine Hände und platzierte sie auf ihren Schläfen. Joran wehrte sich nicht dagegen. Er war viel zu hin und her gerissen, um zu verstehen, was sie da gerade tat. Erst als seine Hände auf ihren Schläfen lagen, wurde es ihm wieder bewusst. Aber auch jetzt schien er nicht so genau zu wissen, ob er sich wehren oder es einfach nur geschehen lassen sollte. „Ihr Götter, bitte helft mir.“, betete er. „Oh wir benötigen deine Götter nicht.“, sagte Illiane. „Sie wären doch nur Zaungäste, weil du das, was du tun musst, auch allein hinbekommst, wenn du deinen Instinkten vertraust. Vergiss mal, dass du es lange nicht mehr gemacht hast. Denk einfach nur daran, was du als nächstes tun möchtest. Was möchtest du jetzt am liebsten tun?“ „Ich möchte mich am liebsten auf meine leere Sifa konzentrieren, damit die Übertragung ausgelöst wird.“, sagte Joran. „Dann tu das.“, lächelte Illiane. „Tu dir keinen Zwang an.“

Vorsichtig begann Joran damit, sich auf seine leere Sifa zu konzentrieren. Alsbald spürte er, wie der Energiefluss von ihr zu ihm in Gang kam. „Ja richtig.“, flüsterte Illiane ihm zu. „Du schaffst es! Ich wusste es! Trau dich ruhig! Sonst sitzen wir in 100 Jahren noch hier. In deiner Zeit bei Sytania warst du doch auch nicht so zimperlich. Du tust mir schon nichts.“

Joran fasste sich ein Herz und konzentrierte sich auf seine leere Sifa, so sehr er es nur konnte. „Geht doch.“, sagte Illiane. „Der Unterschied zwischen deinen früheren Opfern und mir ist, dass ich dir die Energie freiwillig gebe! Deshalb kannst du mir nicht wehtun! Gleich haben wir es, Joran! Gleich, jetzt!“

Das Kribbeln, das Joran verriet, dass die Energie übertragen wurde, hatte geendet. Er ließ Illiane los und sah sie fragend an: „Geht es dir gut?“ „In der Tat.“, lächelte sie. „Du hast alles richtig gemacht. Aber da ist doch noch etwas.“ Joran nickte. Dann sagte er: „Es geht um das Fütterungsritual. „Ich habe Angst, dass es nicht funktioniert, weil ich es lange nicht mehr durchgeführt habe. Wenn ich den Zustand der Fütterung nicht erreiche, werde ich dein Feld verlieren.“ „Na schön.“, sagte Illiane. „Tun wir was für dein Selbstvertrauen und beweisen wir dir, dass auch das funktionieren wird. Aber dazu sollten wir die Umgebung wechseln. Vielleicht wird es ja dann für dich auch einfacher. Komm!“

Sie stand auf und winkte ihm. Dann gingen beide wieder aus der Laube und schlugen den Weg ein, den sie auch gekommen waren. Dieser führte sie dann auch bald zurück zu der Stelle, an der sie das erste Mal Rast gemacht hatten. Joran erkannte sehr genau den Teich mit der steinernen Ente in der Mitte. „Und du glaubst, dass es mir bei Sytania besser gefällt?“, scherzte er in Illianes Richtung. „Das denke ich schon.“, sagte das Quellenwesen. „Das Rauschen von Wasser kann sehr beruhigend wirken. Außerdem sind wir hier allein. Niemand anderes wird herkommen und dich und mich eventuell stören.“ „Ich verstehe.“, sagte Joran. „Deine Freunde dürften ja auch genug mit der Überwachung meines eingefrorenen Schiffes und mit der Beobachtung der für meine Freunde doch fortlaufenden Zeit zu tun haben.“ „Das ist korrekt.“, grinste Illiane. Dabei hatte sie schon wieder einen von Jorans Lieblingssätzen aufgegriffen, was der Vendar grinsend quittierte. Das war übrigens auch eines der wenigen Dinge, die Joran mit jenem Mann mit der Schlange im Bauch aus Shannons Lieblingsschmöker gemeinsam hatte. Die blonde Irin hatte ihn immer wieder damit aufgezogen, aber Joran hatte sich stets wenig daraus gemacht. Er dachte, dass er ihr am besten den Wind aus den Segeln nahm, wenn er ihr Verhalten komplett mit Unaufmerksamkeit beantwortete. Dann würde ihr schon irgendwann die Lust vergehen. Er musste nur genug Geduld haben und Joran hatte eine Menge Geduld. Ihrem sonstigen Verhalten nach sicher mehr als sie. Er konnte sich also ausrechnen, wer früher aufgeben würde.

Illiane hatte ihn zu einem künstlichen Felsen geführt. Gegenüber des kleinen für Joran gerade einmal kniehohen Steins gab es einen zweiten. „Du hast freie Auswahl.“, lächelte Illiane ihm zu. Joran überlegte kurz und setzte sich dann auf den rechten der beiden Felsen. Das Quellenwesen nahm links neben ihm Platz. Dann sah es ihn erwartungsvoll an. „Na los!“, ermunterte Illiane ihn. „Fang an. Ich werde schon auf dich aufpassen.“ „Ich weiß nicht, welches Gesicht ich dem Energiefeld geben soll.“, sagte Joran. „Wenn es eine Schöpfung von euch allen ist, dann …“ „Gib ihm von mir aus mein Gesicht.“, sagte Illiane. „Ich kann schon nachvollziehen, dass es für dich schwierig ist, wenn du nicht genau zuordnen kannst, wer der Schöpfer des Feldes ist. Noch dazu kommt, dass es ja selbst auch kein Bewusstsein hat und somit auch keine Persönlichkeit. Aber das macht nichts. Wir haben jetzt ja eine Lösung gefunden.“ „Wenn diese Lösung funktioniert.“, sagte Joran. „Das wird sie.“, sagte Illiane. „Vertrau mir bitte einfach.“ „Also gut.“, sagte der Vendar, atmete entspannt aus und begann damit, sich auf die für das Fütterungsritual notwendigen Dinge zu konzentrieren.

Sein Geist formte das Bild von einem hellen Raum. In diesem Raum gab es einen großen runden Tisch aus Buchenholz, auf dem ein weißes baumwollenes Tischtuch lag. An dem Tisch standen zwei der üblichen tindaranischen Sitzkissen sich jeweils gegenüber. Auf einem dieser Kissen saß Joran und auf dem anderen das Quellenwesen, dessen Bild Joran, wie es ihm Illiane geheißen hatte, dem Energiefeld gegeben hatte. In der Mitte des Tisches stand eine große silberne Metallschüssel, in der ein Esslöffel aus normalem Metall, wie es im Allgemeinen für schlichtes Besteck benutzt wurde, lag. Indem er die Schüssel ansah, füllte er sie mit seiner eigenen geistigen Energie.

Joran stellte sich vor, wie er dann den Löffel nahm und etwas von der Energie darauf schöpfte. Dann hielt er ihn mit einem liebevollen Blick in Richtung des Mundes des Quellenwesens, das ihn sofort genüsslich ableckte.

Es hatte nur einer dieser Durchgänge genügt und Joran spürte wie das, was er sich gerade vorgestellt hatte, langsam den Platz der Realität einnahm. Alle realen Sinneseindrücke begannen immer mehr zu verschwimmen, bis sie für ihn gar nicht mehr wahrnehmbar waren. Jetzt war er vollständig in die Welt seiner Vorstellung versunken. Dies war auch Illiane nicht verborgen geblieben, die ihn die gesamte Zeit über mental gescannt hatte. „Na siehst du.“, lächelte sie ihm zu. „Du musst dich nur trauen, dann wird es auch was.“

Es vergingen einige Minuten, in denen sich Jorans Geist quasi verselbstständigt hatte und sich völlig automatisiert dem Vorgang der Fütterung hingab. Das war bei einem geübten Vendar normal, aber Joran hatte sich selbst für so ungeübt gehalten, dass er sich das selbst gar nicht mehr zugetraut hatte. Illiane beobachtete ihn die gesamte Zeit über dabei.

Irgendwann verblassten die Bilder von ganz allein und Joran erwachte wieder aus seinem tranceähnlichen Zustand. Lächelnd begrüßte ihn Illiane. „Na, du Tiefstapler!“, sagte sie. „Habe ich dir nicht gesagt, dass es funktionieren wird?“ „Das hast du.“, gab Joran erschöpft, aber zufrieden zu. „Aber bist du sicher, dass mir das auch gelingen wird, wenn ich wieder bei meinen Leuten bin? Es könnte ja immer noch sein, dass du mir heimlich geholfen hast.“ „Hast du mein Bild ein zweites Mal gesehen, oder hast du es nicht.“, fragte Illiane. „Ich sah dich nur einmal.“, sagte Joran. „Siehst du?“, fragte Illiane. „Das bedeutet, ich war nicht mit in deinem Kopf, um dich zu unterstützen. Du hast unsere Schöpfung ganz allein gefüttert. Also wird es dir auch ein Leichtes sein, das weiterhin zu tun.“ „Wenn du dir da so sicher bist.“, sagte Joran, der immer noch von Zweifeln besetzt war. Er war nicht sicher, ob er das alles vielleicht nur träumte. „Hey!“, sagte Illiane. „Tiefstapeln ist eigentlich mein Job. Aber wie es aussieht, wächst da wohl eine ernstzunehmende Konkurrenz heran.“ Joran grinste. „Eigentlich ist es ja gar nicht meine Art, so tief zu stapeln.“, sagte er. „Aber …“ Etwas hatte ihn stutzen lassen. „Das wolltest du doch die ganze Zeit über provozieren, nicht wahr? So ein kleines Wesen und dann doch so klug! Wer hat dir die Anwendung umgekehrter Psychologie so vollkommen beigebracht?“ „Das war Agent Sedrin Taleris, die heute Sedrin Taleris-Huxley heißt.“, sagte Illiane. „Bei ihr bin ich sozusagen zur Schule gegangen. Sie war eine großartige Lehrerin!“ „In der Tat.“, gab Joran zu. „Und du musst eine ihrer fleißigsten Schülerinnen gewesen sein.“ „Das war ich wohl.“, sagte Illiane. „Aber damit sind wir schon bei dem Grund, aus dem wir dich hergeholt haben. Es wird die Zeit kommen, da wird man nach einem Weg suchen müssen, den Untergang der Dimensionen aufzuhalten.“ „Da kommt dann bestimmt das Energiefeld ins Spiel.“, sagte Joran. „Gut kombiniert.“, erwiderte Illiane. „Und damit auch alle dir glauben, wenn du dereinst dem Geheimdienst der Sternenflotte gegenüberstehen wirst, trägt das Feld, das du trägst, auch teilweise meine Signatur. Sedrin hat ein fast fotografisches Gedächtnis. Sie wird sie erkennen, denke ich, wenn sie die Signatur auf dem Display ihres Erfassers sehen wird.“ „Jetzt ergibt alles für mich langsam einen Sinn.“, sagte Joran.

Illiane stand auf. „Ich denke, es wird nun Zeit, dich wieder in die Zeit einzusetzen.“, sagte sie. „Wie gesagt, ich werde einen Zeitpunkt wählen, an dem du deine Mission noch zu Ende bringen kannst. Du musst aber deinen Leuten, insbesondere deiner Telshanach, vertrauen, egal was sie zu dir sagen wird. Es wird dir zunächst sehr seltsam vorkommen, was sie von dir verlangt. Aber du musst es trotzdem tun!“ „Ich verstehe.“, sagte Joran. „Darf ich eigentlich meinen Leuten von dem Energiefeld berichten?“ „Natürlich darfst du das.“, sagte Illiane. „Zirell von Tindara wird das sogar sehr begrüßen, denke ich. So weiß sie, dass die Quellenwesen nicht zulassen werden, dass Sytania und Valora mit ihrem Vorhaben durchkommen.“ „Ich denke, dass Valora aber nur durch ihre Eifersucht verblendet ist.“, sagte Joran. „Wirklich boshaft ist sie nicht. Aber meine ehemalige Gebieterin versteht es vortrefflich, die Lage solch verzweifelter Wesen für sich auszunutzen.“ „Ich wusste, du würdest es so sehen.“, sagte das Quellenwesen. „Ich wusste, dass du deinem Namen alle Ehre machen würdest, Joran, was in deiner Muttersprache so viel wie der moralisch Aufrechte bedeutet. Du verstehst es unbeirrbar, Gut und Böse voneinander zu trennen.“ „Auch ich könnte einmal fehlen, Illiane.“, sagte Joran. „Natürlich.“, beruhigte ihn Illiane. „Aber die Tatsache, dass dir das bewusst ist, wird die Wahrscheinlichkeit, dass es passiert, sehr stark reduzieren, denke ich. Du wirst sehr aufpassen und gut überlegen, bevor du ein Urteil fällst.“ „Anführerin Zirell behauptet, dafür wäre ich bekannt.“, sagte Joran. „Na siehst du.“, sagte Illiane. „Aber jetzt wird es wirklich Zeit, dass du nach Hause kommst.“

Joran spürte, wie sich dieselbe Art von Wolke, die ihn auch hergebracht hatte, erneut um ihn legte. Er wusste, jetzt würde der Moment seiner Abreise gekommen sein. Deshalb vertraute er der Wolke aber auch. Sie würde ihn schon wieder heil auf seinem Schiff absetzen.

Maron und Zirell hatten sich in der Kommandozentrale der Basis lange schweigend angesehen. Die letzten Informationen aus dem Maschinenraum hatten sie doch gleichermaßen irritiert und beruhigt. Eine Einmischung der Quellenwesen war durchaus als positiv zu erachten, aber dass sie eventuell die Zeitlinie kompromittieren würden, gefiel dem Ersten Offizier gar nicht. Auch ging ihm gewaltig gegen den Strich, dass die energetischen Verwerfungen, die Jenna als unsichtbare Abwinde bezeichnet hatte, eben unsichtbar waren und somit jedes andere Schiff ebenfalls in eine solche Situation geraten konnte und vielleicht war dann gerade kein Quellenwesen zur Stelle, um es zu retten.

Der Demetaner hatte begonnen, hilflos an seinen Fingernägeln zu kauen. „Was ist dein Problem, Maron?“, fragte ihn Zirell mit einem tröstenden Seitenblick in seine Richtung. „Ich halte dieses Nichtstun einfach nicht mehr aus, Zirell!“, sagte Maron. „Ich werde in den Maschinenraum gehen und mir die Sache mit diesen unsichtbaren Abwinden mal von McKnight erklären lassen. Ich denke dabei nicht nur an Joran und Shimar, sondern auch an alle anderen Patrouillen da draußen. Es könnte theoretisch jedem Piloten passieren. Vielleicht kann McKnight ja diese Dinger irgendwie sichtbar machen. Wenn ihr das gelänge, dann wären wir sicher einen großen Schritt weiter. So, wie ich sie verstanden habe, kann so etwas jederzeit und in jeder Dimension auftreten. Wenn wir die Dinger aber sehen könnten, dann könnten wir ihnen auch aus dem Weg fliegen.“ „Langsam, Maron.“, versuchte Zirell, seinen Tatendrang ein wenig zu bremsen. „Lass Jenna doch erst einmal eine Lösung für Joran finden, damit er da wieder herauskommt. Auch sie kann bestimmt nur ein schwieriges Problem auf einmal lösen und hat jetzt bestimmt keine Zeit, dir auch noch eine Lehrstunde in interdimensionaler Physik zu erteilen. Ich finde es zwar löblich, dass du etwas tun willst, aber im Moment geht das leider nicht. Aber wenn du eine Beschäftigung brauchst, dann wüsste ich da schon etwas für dich. Du wolltest dich doch um die Identität des Quellenwesens kümmern und feststellen, ob man ihr vertrauen kann oder nicht. Was ist eigentlich daraus geworden?“ „Ich habe meine Pläne diesbezüglich erst einmal wieder verworfen, Zirell.“, sagte Maron. „Ich bin nämlich nicht sicher, ob das so funktioniert, wie ich es mir vorgestellt habe und das kannst du ruhig wörtlich nehmen.“ „Wie meinst du das?“, fragte die tindaranische Kommandantin. „Es ist so.“, erklärte Maron. „Du und ich, wir haben beide die Stimme des Quellenwesens in unserem Geist gehört und ihr Bild vor unserem geistigen Auge gesehen. Ich bin aber nicht sicher, wie ich IDUSA diese Eindrücke vermitteln soll.“ „Na, das ist doch wohl das Einfachste der Welt.“, lächelte Zirell ihm zu. „Du nimmst deinen Neurokoppler und setzt ihn auf. Dann lädt IDUSA deine Reaktionstabelle und dann kann sie all’ deine Gedanken sehen. Sie kann dann auch sehen, was du dir vorstellst, weil das Bild ja auch in deinem Kopf geformt wird.“ „Gilt das auch für akustische Parameter?“, fragte Maron ungläubig. „Auch dafür.“, bestätigte die Tindaranerin.

Maron atmete erleichtert auf. „Da bin ich aber froh.“, sagte er. „Sternenflottenrechner können das nicht. Wir sind ja auch erst am Anfang, was die Neurokoppler-Technologie angeht. Da sind wir lange noch nicht so weit wie ihr.“ „Ach, das ist dein Problem.“, erkannte Zirell. „Na ja. Ist ja nicht so schlimm, wenn du von Zeit zu Zeit mal nachfragen musst. Schließlich würde ich von einem Erstklässler ja auch kein Algebra verlangen.“ „Danke für dein Verständnis.“, sagte Maron. „Nur O’Riley hätte das nicht mitbekommen dürfen. Sie hätte bestimmt wieder einen Grund zum Lästern gefunden, weil ich den Mund mal wieder etwas voll genommen hätte.“ „Ich dachte, du stehst mittlerweile über ihren Sprüchen.“, erwiderte Zirell erstaunt. „Wie man’s nimmt.“, sagte Maron. „Aber danke für deine Information. Ich werde sie gleich mal umsetzen. Es ist mir übrigens lange nicht mehr unangenehm, wenn unsere IDUSA-Einheit meine Gedanken liest. In diesem Fall muss sie es ja sogar. Ich denke sogar, dass es sehr hilfreich sein dürfte.“ „Oh ich denke auch, es dürfte dir einiges erleichtern.“, sagte Zirell. „Auch was Vernehmungen angeht.“ „Davon gehe ich auch aus.“, sagte der Agent. „Schon praktisch, wenn man tindaranische Technologie im Haus hat.“

Er stand auf und ging pfeifend aus dem Raum. Das Lied, das er vor sich hin pfiff, trug den Titel: „It’s so nice, to have a man around.“ Denen unter euch, die Tanzstunden besucht hatten, dürfte es bekannt sein. Maron aber hatte daraus im Stillen gemacht: „It’s so nice, to have an IDUSA Around.“, auch wenn das irgendwie nicht ganz zur Melodie passen wollte.

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