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Maron war inzwischen auf der Krankenstation angekommen. Hier hatte er sofort nach Ishan Ausschau gehalten. Den Androiden hatte er schließlich neben dem Krankenbett Dirans erspähen können, wo er ziemlich ratlos stand.

„Hallo, Ishan.“, sprach der Erste Offizier seinen Untergebenen an. Ishan drehte sich langsam zu Maron um und antwortete: „Hallo, Maron. Wenn du kommst, um einen Bericht anzufordern, dann muss ich dir leider sagen, dass ich dir noch nicht viel sagen kann. Diran gibt uns nämlich viele Rätsel auf, die wir so nicht lösen können. Nidell und ich haben ihn einer Blutwäsche per Transporter unterzogen, weil seine Biozeichen zwischenzeitlich sehr kritisch geworden sind. Wir haben alle Moleküle des Giftes entfernen können, aber trotzdem wacht er nicht auf.“ „Ist sein Gehirn vielleicht zu sehr geschädigt?“, fragte Maron, dem ja der gesamte Verlauf der Mission, die zu Dirans Rettung gestartet worden war, bekannt war. „Nein.“, sagte Ishan gleichmütig. „An seinem Gehirn liegt es, meinen Untersuchungsergebnissen zur Folge, nicht. Nidell denkt allerdings, dass es auch eine psychische Ursache gibt, die den Grund für sein Verbleiben im Koma liefern könnte.“

Maron machte einige entschlossene Schritte auf den Arzt zu: „Erklär mir das! Normalerweise müsste er doch aufwachen, wenn sein körperliches Leiden geheilt ist, weil doch alles, was es verursacht hat, aus seinem Körper verschwunden ist! Oder verstehe ich das falsch?“ „Wenn du darüber Bescheid wüsstest.“, sagte Ishan. „Dann wärst du sicher erstaunt, zu was die Psyche in der Lage ist. Du darfst nicht vergessen, dass der Wunsch sich zu richten aus einer psychischen Not bei Diran geboren wurde. Zum Verräter an seiner Herrin zu werden, das ist für einen Vendar, wenn er es nicht gerade freiwillig tut wie Joran und seine Leute, so ziemlich das Schlimmste, was ihm passieren kann.“ „Und deshalb bestraft sich Diran jetzt quasi selbst?“, analysierte der Erste Offizier mit fragendem Blick in Richtung des Arztes.

Ishan gab einen schweren Seufzer von sich. Das war für einen Androiden eigentlich untypisch, aber wenn man bedachte, dass er einmal ein Wesen aus Fleisch und Blut gewesen war, dann war seine Reaktion durchaus verständlich. „Du hast die Situation komplett nicht verstanden, Maron.“, stellte er fest. „Das regierende Gefühl bei Diran, als er sich selbst richtete, war nicht etwa das Bedürfnis nach Selbstgeißelung, sondern die Furcht und die Verzweiflung. Was immer er tat, tat er ja nicht, weil er es so wollte, sondern weil der Bann, den Tolea über ihn ausgesprochen hatte, ihn dazu unbewusst gezwungen hat. Ich habe die Mission, die Shimar erfüllt hat, ja auch mitbekommen und weiß daher ungefähr, was passiert ist. Dirans Nachricht an uns, die Shimar uns verdeutlicht hat, dürftest du ja auch gehört haben.“ „Das habe ich.“, bestätigte Maron. „Aber warum ist es dir so wichtig, welches Gefühl vorgeherrscht hat, als Diran sich richtete?“ „Weil wir nur darauf seine Behandlung aufbauen können.“, sagte Ishan. „Soll das heißen.“, sagte Maron. „Du stimmst deiner Assistentin zu, was die Sache mit seiner Psyche angeht.“ „Exakt.“, bestätigte Ishan. „Nidell hat ein sehr feines Näschen für solche Angelegenheiten. Sie ist sehr sensibel und hat, zumindest meines Erachtens, mit dem Pflegeberuf die richtige Wahl getroffen.“ „Davon gehe ich auch aus.“, sagte Maron. „Aber wie kann uns das helfen, Diran aus dem Koma zu holen? Kann er uns hören? Können wir mit ihm sprechen? Erreicht ihn, was wir hier reden?“ „Auf akustischen Wegen sicher nicht.“, sagte Ishan. „Dazu ist er zu weit weg. Aber Zirell, Nidell und Shimar haben da ja noch ganz andere Möglichkeiten. Außerdem dürfen wir Tolea nicht vergessen, die wir ja dazu bringen wollen, den Bann über Diran persönlich aufzuheben.“ „Ich verstehe.“, sagte Maron. „Aber kann ich denn gar nichts tun?“

Er drehte sich Dirans Krankenbett zu. Dann beugte er sich über den dort an einer Überlebenseinheit hängenden Vendar und sagte laut und deutlich: „Diran, hier ist dein Freund Maron El Demeta. Du kannst zu uns zurückkehren. Niemand ist dir böse oder will dir Böses. Wir haben verstanden, dass es nicht deine Schuld ist!“

Eine kleine zierliche Hand hatte ihm auf die Schulter getippt. Erschrocken war Maron herumgefahren und hatte Nidell erkannt. „Es ist sinnlos, Maron.“, sagte sie. „Ishan hat dir doch gerade alles erklärt, oder?“ Der Demetaner nickte. „Dann weißt du doch, dass du erstens gerade deine Energie verschwendet hast und zweitens total auf dem Holzweg warst mit deiner Annahme. Er hat ja keine Angst vor uns. Er ist nur verzweifelt, weil er sich nicht gegen den Bann wehren kann und nicht will, dass es noch einmal passiert. Es geht um seine Angst, dass er, wenn er wach ist, noch einmal aus Versehen einem von Sytanias Vendar die Informationen geben könnte, die er gegebenenfalls hier von uns bekommt. Darauf müssen wir unsere Therapie aufbauen und nicht darauf, dass er eventuell Angst vor uns hat.“ „Ich sehe, es gibt eine Menge feiner Unterschiede.“, sagte Maron und drehte sich wieder von Dirans Bett fort. „Gut, dass ich kein Mediziner geworden bin. Ich wäre sicher ein ganz mieser Arzt.“ „Schuster, bleib bei deinem Leisten.“, lächelte Nidell. „Aber ist es nicht in der Kriminalistik ähnlich? Müsst ihr da nicht auch auf jede kleine Spur achten, die ihr findet und sie richtig zuordnen, damit nicht am Ende ein Unschuldiger verurteilt wird?“ „Doch.“, bestätigte Maron. „Aber das ist lange nicht so kompliziert.“ „Das kann lange nicht so kompliziert sein.“, korrigierte Nidell. „Sonst hätte es ja die seltene aber dennoch manchmal praktizierte Verurteilung von Unschuldigen nie gegeben.“ „Da hast du Recht.“, sagte Maron. „Manchmal sind Spurenlage und Beweislage leider so, dass wir, wenn wir nicht auf jedes Detail achten, vorschnell jemanden verurteilen können. Das passiert gerade dann, wenn ein Ermittler unter Druck gerät. Ich weiß, eigentlich soll es nicht passieren, aber es gibt Situationen, in denen …“ „Keine Details!“, ging Nidell dazwischen. Sie hatte nun wirklich keine Lust auf eine Lehrstunde in Kriminalistik. „Du bist ja hier von keiner Seite unter Druck und kannst in Ruhe alles auswerten und deine Ergebnisse dann erst Zirell präsentieren, die sie dann an die Zusammenkunft weitergibt.“ „Hoffen wir, dass du Recht hast.“, sagte Maron. „Immerhin sind wir mit der Regierung der Föderation verbündet und die wollen, gerade wenn etwas passiert, das sie nicht einordnen können, oft schnell Ergebnisse sehen. Oft viel schneller, als uns allen lieb sein kann und vor allem schneller, als wir sie liefern können.“ „Warum tut deine ehemalige Regierung das, Maron?“, fragte Nidell. „Sollten sie nicht eigentlich auch an der Wahrheit und an nichts als der Wahrheit interessiert sein?“ „Im Idealfall.“, sagte Maron. „Sollten sie das tatsächlich.“ „Aber ihr Denken ist leider von einem sehr schwarzweißen Bild geprägt, was manche Dinge angeht. Sie machen es sich manchmal sehr einfach, weil sie keine Ahnung von dem haben, was hier draußen im Weltraum wirklich vorgeht. Sie hoffen auch oft auf einfache Ergebnisse, weil man diese der Bevölkerung draußen an den Sprechgeräten leichter verkaufen kann.“ „Ich für meinen Teil.“, sagte Nidell. „Glaube, dass deine Regierung die einfache Bevölkerung maßlos unterschätzt. Sie sind sicher nicht so dumm, wie die Regierung sie darstellt. Aber ich glaube, dass ich schon weiß, worauf du eigentlich hinauswillst. Es ist eigentlich die Presse, nicht wahr? Die bauschen doch manchmal ohne Rücksicht auf Verluste etwas auf, weil sie meinen, dass die Leute das lieber lesen als sachliche Ermittlungen.“ „Das ist ja auch leider so.“, sagte Maron. „Außer vielleicht bei den Vulkaniern oder bei unseren Verbündeten, den Aldanern. Aber geschätzte 80 % der Bevölkerung sehen das wohl anders, zumindest der Meinung der Politiker nach und die sind es auch, die sich dann die schnellen und einfachen Ergebnisse gern auf ihre Fahnen schreiben würden, bevor das nächste Wahljahr kommt.“ „Absurd!“, urteilte Nidell. „Vor allem dann, wenn diese schnellen Ergebnisse dann auch noch fehlerhaft sind und Unschuldige …“ „Das hatten wir schon.“, sagte Maron. „Aber es gibt ja immer noch einige Aufrechte, die das nicht zulassen.“ „Ja.“, nickte die medizinische Assistentin. „Das sind dann meistens wir, die für die Politiker die Kastanien wieder aus dem Feuer holen.“ „Wie Recht du hast.“, lächelte Maron.

Er drehte sich Ishan zu. „Ich kann doch wohl annehmen.“, sagte er. „Dass du den jetzt gar nicht mehr benötigst.“ Er deutete mit dem Zeigefinger seiner linken Hand auf den Behälter mit den Überresten des Röhrchens in seiner rechten Hand. „Da hast du Recht, Maron.“, sagte Ishan. „Die Menge des Giftes, die er zu sich genommen hat, ist jetzt völlig unerheblich. Du kannst den Behälter also beruhigt in die Asservatenkammer schließen.“ „In Ordnung.“, sagte Maron und verließ wieder die Krankenstation.

Im Reich der Genesianer hatten Leandra und Lostris eine Menge Kriegerinnen um sich scharen können. Zwar hatten viele den Eindruck erweckt, zunächst mit Shashanas Politik einverstanden zu sein, wenn ihnen Lostris oder Leandra aber von den Wundern berichteten, die an ihnen getan worden waren, dann hatten sogar ganze Clans ganz schnell ihre Meinung wieder geändert. Die Kriegerinnen hatten daraufhin mit Vergnügen ihre Shuttles bestiegen und waren dem Clan der Rotash gefolgt. Dann hatte man gemeinsam damit begonnen, all jene zu ermorden, die ihrer Ansicht nach nicht dem wahren Glauben angehören wollten. Da dies für die meisten Kriegerinnen sehr überraschend kam, hatten sie nicht viel Widerstand zu erwarten und ihre Gegnerinnen quasi im Handstreich überwältigen können. Damit, dass sie unverwundbar und unsterblich waren, hatte nämlich keiner der gegnerischen Clans, die es doch einmal wagten, die Worte Lostris‘ oder Leandras in Frage zu stellen, nicht gerechnet. So schien alles für sie ein wahrer Blitzkrieg zu sein.

Lostris war an Bord des Schiffes ihrer Mutter und ihrer Selbst damit beschäftigt, die Eroberungen der Rotash zu zählen, als ihre Mutter zu ihr trat und ihr über die Schulter blickte. „Das sieht doch alles sehr gut aus, nicht wahr, meine Tochter!“, sagte Leandra stolz. „Oh ja, das tut es, Mutter.“, sagte Lostris und grinste hämisch. „Aber wir haben immer noch nicht das erreicht, was wir unbedingt erreichen müssen.“ „Und was wäre das?“, prüfte Leandra Lostris‘ Wissen. „Es wäre die Eroberung der Heimatwelt und damit deine rechtmäßige Einnahme des Platzes der obersten Prätora der Genesianer, Mutter!“, sagte Lostris fest. „Sehr gut!“, lachte Leandra mit fast vor Wahnsinn kippender Stimme. Jene Verbindung, die sie zu Valora und Sytania hatte, hatte dafür gesorgt, dass sie ähnlich machtgierig geworden war wie die Prinzessin. Das war aber eine ganz normale Nebenwirkung einer solchen Verbindung. Aber da Lostris an den gleichen Symptomen litt, konnte sie ihre Mutter ja nicht darauf aufmerksam machen. Das waren eben die ganz normalen Nebenwirkungen, wenn man einen Deal mit dem Teufel, oder in diesem Fall besser mit der Teufelin, einging. Jede Genesianerin, die noch auf dem Pfad der Ehre, wie es bei ihnen hieß, wandelte, also die nicht Sytania und Valora verfallen war, würde dieses Denken sicher verabscheuen!

Leandra hatte ihren Blick noch einmal über den Bildschirm schweifen lassen. „Wir sind gar nicht so weit weg von der Heimatwelt.“, sagte sie. „Und in der Überzahl dürften wir auch sein. Die verhasste Shashana wird keine Chance gegen uns haben. Wir sollten jetzt auf der Stelle hinfliegen und ihr eine kräftige Lektion erteilen!“ „Das sehe ich genauso.“, sagte Lostris. „Dann geh wieder an die Steuerkonsole.“, sagte Leandra. Ich selbst werde die Waffen bedienen. Ich kann es kaum erwarten, Shashana selbst den Garaus zu machen!“ „Wie du wünschst, Mutter.“, sagte die junge Erbprätora und setzte sich wieder an die Flugkonsole des Shuttles. Dann programmierte sie dessen Sprechgerät auf einen Sammelruf an alle ihnen zugehörigen Schiffe und stellte das Gespräch auf die Nebenkonsole durch, an der ihre Mutter saß.

„Meine Kriegerinnen!“, wendete sich Leandra an ihre Mitstreiterinnen. „Verfechterinnen des einzig wahren Glaubens, des Glaubens an die Einhorngöttin! Der Zeitpunkt ist nun gekommen, da wir vor unserer größten Herausforderung stehen, der Herausforderung der Eroberung unserer Heimatwelt! Wir werden das Schlangennest um Shashana ausräuchern! Wenn es sein muss, mit der Schlange darin! Falls sie sich uns doch noch anschließen sollte, werden wir sie natürlich willkommen heißen! Aber ich denke nicht, dass davon auszugehen ist. Und weil ich das denke, wird uns nichts bleiben, als sie und ihre Leute zu töten! Wer nicht für uns ist, der ist gegen uns! Das gilt auch für die oberste Prätora der Genesianer, die es sehr bald wohl nicht mehr sein wird! Vor allem dann nicht, wenn wir mit ihr fertig sind!“

Sie ließ den Sendeknopf los, um die Wirkung ihrer Worte auf die anderen Kriegerinnen abzuwarten. Tatsächlich brandete ein schier unglaublicher Jubel auf, der die Lautsprecher des Sprechgerätes ihres Schiffes fast überforderte.

„Also.“, sagte Leandra, nachdem sie das Gespräch wieder aufgenommen hatte. „Dann sind wir uns ja einig! Also dann vorwärts! Direkter Kurs zur Heimatwelt! Warp acht! Vorwärts!“

Alle Pilotinnen, inklusive Lostris, gaben die gerade von Leandra gegebenen Befehle in die Steuerkonsolen ihrer Schiffe ein und bestätigten sie. Dann flogen alle Shuttles in Richtung der genesianischen Heimatwelt davon. Erfüllt von den Worten der Prätora und dem Glauben an ihre Göttin sangen alle Kriegerinnen an Bord eines jeden Schiffes: „Tod Shashana! Tod der Ketzerin! Tod auch denen, die mit ihr sind! Wie Todesengel wollen wir über ihr kreisen und ihr den Weg in die Zwischenwelt weisen. Denn dort, ja dort gehört sie hin! Tod Shashana, der Ketzerin!“

Auf der Heimatwelt hatten Shashana und ihre Verbündeten die Entwicklung mit Sorge beobachtet. Shashana hatte extra Elaria zu sich kommen lassen, die oberste Prätora des Clans der Dämonenbezwinger war. Sie war es, die sich ihrer Meinung nach mit der Situation am besten auskennen musste. Zu viel Merkwürdiges hatten ihr ihre Spioninnen zugetragen, die sie in allen abtrünnigen Clans hatte. Am meisten Sorgen machte ihr aber die Entwicklung bei den Rotash.

Elaria war am Tor der großen Halle angekommen, an dem sie von Meduse, Shashanas Leibwächterin, begrüßt worden war. „Ich bin Elaria, die Prätora des Clans der Dämonenbezwinger.“, stellte sich die Kriegerin vor. „Ich weiß, wer du bist.“, sagte Meduse. „Komm! Folge mir. Meine Prätora erwartet dich!“ Elaria nickte und folgte Meduse.

Shashana saß an ihrem großen Tisch, als Meduse mit der Besucherin die Halle betrat. Mit lauter Stimme kündigte die Wächterin an: „Elaria, die Prätora des Clans der Dämonenbezwinger!“ „Lass sie vortreten und lass uns allein!“, befahl Shashana. „Geh in den Kontrollraum und überwache den Orbit!“ Meduse nickte, winkte Elaria und ging dann selbst.

Ehrfürchtig hatte sich Elaria dem Platz der obersten Prätora genähert. „Setz dich zu mir.“, sagte Shashana. Elaria nickte stumm und setzte sich neben ihr auf den Platz, auf den sie gedeutet hatte. Dann ging Shashana selbst zum nahen Replikator und replizierte eine Schüssel Veddach mit dem dazugehörigen Geschirr für zwei Personen. Damit kehrte sie nun an den Tisch zu Elaria zurück.

Beide Kriegerinnen bedienten sich großzügig. Dann fragte Elaria: „Warum wolltet Ihr, dass ich Euch aufsuche, oberste Prätora? Eure Nachricht klang sehr dringlich.“ „Das ist sie auch, Elaria.“, sagte Shashana. „Es geht um den Clan der Rotash. Laut unserer Spionin in ihren Reihen frönen sie seit neuester Zeit einem merkwürdigen Kult um eine Einhorngöttin, die angeblich die Wächterin von Gore sein soll. Aber das glaube ich nicht. Die Spionin hat außerdem berichtet, dass diese Göttin quasi Wunder auf Bestellung liefert. Das ist auch ungewöhnlich. Die Wächterin von Gore würde das nie tun. Außerdem hat sie mir Erfasserbilder zukommen lassen, die mich einen Teil der angeblichen Wächterin, zumindest ihrer geistigen Energie, eindeutig Sytania zuordnen lassen. Der andere Teil besteht aus der mentalen Energie von Valora, der Leitstute der Herde der Einhörner des Dunklen Imperiums.“

Angewidert spuckte Elaria den Schluck Veddach, den sie im Mund hatte, wieder in ihr Trinkgefäß zurück. Als Logars Schöpfung hatte sie eine natürliche Abneigung gegen Sytania. Aber was Valora mit der Sache zu tun hatte, erschloss sich ihr nicht. „Sytania!“, rief sie angeekelt aus. „Was mag die Ehrlose getan haben, das Valora, die ja eigentlich als sehr tugendhaft und ehrenvoll gilt, auf ihre Seite gebracht hat und wie können genesianische Kriegerinnen dann auch noch auf sie hereinfallen?!“ „Das weiß ich nicht.“, sagte Shashana. „Ich hatte gehofft, du könntest mir das beantworten.“ „Das kann ich nicht!“, sagte Elaria. „Aber eines steht fest, Oberste Prätora! Ihr könnt Euch der Unterstützung der Meinen und auch der meiner eigenen Person sicher sein. Meine Kriegerinnen warten mit ihren Schiffen in der Umlaufbahn, um Euch und uns alle, die wir noch einen Funken Ehre im Leib haben und nicht auf Sytania hereinfallen, zu verteidigen!“ „Darauf hatte ich gehofft, Elaria.“, sagte Shashana erleichtert. „Aber auch ich habe meiner Technikerin gesagt, die Rapach zu warten. Auch ich werde mich ihnen persönlich entgegenstellen, wenn es so weit ist! Du selbst wirst mit mir an Bord der Rapach sein, wenn wir uns …“

Ein Geräusch von der Konsole auf dem Tisch hatte Shashana aufhorchen lassen. Es war der Rufton der Sprechanlage.

Shashana nahm das Mikrofon in die Hand. Im Display hatte sie zweifelsfrei das Rufzeichen des Kontrollraums erkannt, in den Meduse gegangen war, um den Weltraum auf Befehl ihrer Prätora zu überwachen. Jener Kontrollstand befand sich unter der Halle. Die Rechner dort waren aber mit einem Sattelitennetzwerk in der Umlaufbahn des Planeten verbunden.

Das ernste Gesicht ihrer Untergebenen ließ Shashana nichts Gutes ahnen. „Was gibt es, Meduse?!“, fragte sie streng ins Mikrofon. „Sie kommen, Prätora!“, sagte die Leibwächterin. „Wie viele sind es?“, fragte Shashana. „Das ist schwer zu sagen, Prätora.“, sagte Meduse. „Sie fliegen so dicht zusammen, dass die Computer sie nicht zählen können, da ihre Antriebsfelder sich alle überlagern. Jedenfalls hat mir das unsere Ingenieurin so erklärt, mit der ich bereits gesprochen habe. Die Rapach ist übrigens flugbereit.“ „Wenn sie auch kampfbereit ist.“, sagte Shashana. „Dann treffe ich dich und alle anderen dort!“ Dann beendete sie die Verbindung, um sich danach gleich Elaria zuzuwenden: „Gib auch deinen Kriegerinnen Bescheid!“ „Sicher, Oberste Prätora.“, sagte Elaria. „Aber ich staune über das Manöver unserer Gegnerinnen. Um sich so etwas zu trauen, muss man schon sicher sein, nicht etwa bei einer Kollision oder einem daraus resultierenden Absturz verletzt werden zu können oder gar zu sterben. Wenn nur ein Schiff jetzt eine falsche Bewegung macht, dann …“ „Das ist richtig.“, sagte Shashana. „Aber anscheinend sind sie das auch. Allerdings werde ich ihnen zeigen, dass es auch für sie eine Grenze gibt und dass sie sich dringend von dieser falschen Göttin abkehren müssen. An Bord der Rapach gibt es Meilenstein.“ „Aber Oberste Prätora.“, sagte Elaria. „Wir wissen nicht, was geschieht, wenn man Meilenstein gegen ein Einhorn einsetzt. Sie sind schließlich Verwandte der Quellenwesen.“ „Darüber habe ich auch schon nachgedacht, Elaria.“, sagte Shashana. „Deshalb soll Meilenstein ja auch nur das letzte Mittel sein, mit dem wir ihnen beweisen werden, dass ihre Göttin eine falsche Göttin ist. Und nun lass uns gehen!“ Elaria nickte und folgte Shashana zu ihrem Schiff, wo sie bereits von den anderen Kriegerinnen erwartet wurden, die zur Stammbesatzung der Rapach gehörten.

Lostris und Leandra hatten gemeinsam mit dem Rest ihrer Truppe die Umlaufbahn der genesianischen Heimatwelt erreicht. Die Erbprätora deutete pathetisch auf den Bildschirm. „Hier also wird sich unser Schicksal jetzt entscheiden, Mutter.“, sagte sie in theatralischem Ton. „Ja, genau hier.“, bestätigte Leandra. „Aber ich hoffe, dass dich nicht der Mut verlassen hat.“ „Nein, Mutter!“, versicherte die junge Kriegerin fest. „Das hat er nicht. Außerdem habe ich größtes Vertrauen in die Einhorngöttin!“ „Recht so, mein Kind! Recht so!“, lobte Leandra und strich ihrer Tochter über das Gesicht. Dann sagte sie: Verbinde mich noch einmal mit all unseren Kriegerinnen. Ich will ihnen die neuesten Befehle übermitteln.“ „Wie du wünschst, Mutter.“, sagte Lostris und programmierte erneut einen Sammelruf. Dann stellte sie die Verbindung erneut auf die Nebenkonsole zu ihrer Mutter. „Du kannst sprechen.“, sagte sie noch.

Leandra setzte ein zuversichtliches Gesicht auf. Dann sagte sie: „Jetzt, meine Kriegerinnen, jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, an dem sich das Schicksal von ganz Genesia entscheiden wird! Ich will noch einmal versuchen, die oberste Prätora auf den rechten Weg zu bringen! Wenn mir das nicht gelingt, dann werden die Waffen entscheiden müssen! Ich bin aber sicher, dass der Krieg zu unseren Gunsten ausgehen wird. Uns kann schließlich nichts geschehen, weil die Einhorngöttin uns die Gnade der Unverwundbarkeit gewährt hat! Das Glück würde Shashana auch haben, wenn sie den rechten Glauben annehmen würde! Aber wenn sie das nicht tut, wird sie zum Tode und zur ewigen Verdammnis in der Zwischenwelt verurteilt sein. Nehmt eure Positionen ein und wartet auf meinen Befehl!“ Sie beendete die Verbindung. Auf eine Antwort zu warten brauchte sie nicht, denn die anderen Kriegerinnen hatten sich zu regelrechten Jasagerinnen entwickelt, sobald sie nur etwas mit dem Willen der Einhorngöttin begründet hatte. Das hatte nicht zuletzt damit zu tun, dass bereits ein erheblicher Teil der Clans, die sie begleiteten, aus den Schöpfungen der sogenannten Einhorngöttin bestand. Die taten sowieso, was Sytania und Valora wollten und der Rest, inklusive Leandra und Lostris, war so verblendet, dass sie alles getan hätten, was diese von ihnen gewollt hätten.

An Bord der Rapach hatten Shashana und ihre Kriegerinnen auch ihre Positionen eingenommen. Der Platz ihrer Stellvertreterin gebührte aber in diesem Fall Elaria, weil sie als Expertin für Sytania und ihre Machenschaften galt. Auf ihrem Schiff hatte ihre Erbprätora Salmonea dafür das Kommando übernommen.

Langsam näherten sich jetzt die Schiffe einander wie zwei sich belauernde Rudel von Raubtieren, die gleich einen Kampf ausfechten wollten. In gewisser Weise stimmte das ja auch. Dies war eine Tatsache, die sowohl Shashana, als auch Leandra nicht entgangen war. „Also schön.“, sagte diese. „Lostris, ruf Shashanas Schiff und verbinde mich mit ihr. Ich will ihr von der Einhorngöttin berichten und von den Wundern, die sie an uns getan hat.“ „Da habe ich noch eine wichtige Information für dich, Mutter.“, sagte Lostris und grinste, während sie das Rufzeichen des Schiffes der obersten Prätora aus denen heraussuchte, die ihnen per Transponder durch das System bereits angeboten wurden.

Leandra schaute ihre Tochter interessiert an. „Was ist denn das für eine Information, die du da für mich hast, meine schlaue kleine Lostris, hm?“ „Eine, die uns unser Vorhaben, sie vom einzig wahren Glauben zu überzeugen, sehr erleichtern dürfte.“, sagte Lostris. „Das klingt ja sehr spannend.“, sagte Leandra. „Aber ich halte es für besser, wenn du daraus kein Geheimnis mehr machst.“ „Also gut.“, antwortete die junge Kriegerin und grinste böse. Dann sagte sie: „Eine der Unsrigen spioniert die Reihen von Shashana und ihren Leuten aus. Sie hat mir zugetragen, dass Shashanas Leibwächterin Meduse ziemliches Pech mit ihren Ehemännern gehabt hat. Sie hat 20 Stück, aber alle 20 sind zeugungsunfähig. Irgendwie scheint sie das anzuziehen, denn alle Männer, die sie bisher hatte, waren es. Die ersten 20 hat sie töten lassen, habe ich von unserer Agentin gehört und die nächsten sind auch bald dran. Man munkelt sogar, es läge in Wahrheit an ihr. Wenn sie keine Nachkommen hat, gibt es niemanden, der ihr in den Stand der Leibwächterin der obersten Prätora folgen kann. Sie ist schon älter und wird dieses Amt wohl nicht mehr lange ausfüllen können. Wenn wir sie dazu bekämen, die Einhorngöttin um eine Tochter zu bitten, dann hätten wir sie bestimmt ganz schnell auf unserer Seite.“

Leandra grinste ihre Tochter zuerst gemein an. Dann lachte sie aus voller Kehle und sagte: „Das ist eine sehr gute Information, die du da an Land gezogen hast, Lostris! Damit kriegen wir sie bestimmt! Was macht meine Verbindung?“

Lostris, die sich die gesamte Zeit über ihrer Mutter zugedreht hatte, wandte sich wieder dem Bildschirm zu, auf dem sie jetzt in deutlicher genesianischer Schrift lesen konnte, dass der Rechner die gewünschte Verbindung längst aufgebaut hatte. „Deine Verbindung kannst du haben, Mutter.“, sagte sie und stellte das Gespräch zu Leandra durch.

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