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An ganz anderer Stelle, in der Umlaufbahn von Celsius nämlich, war Kamura gerade damit beschäftigt, Meroola davon zu überzeugen, dass sie doch nun endlich mal ihre Wohnstätte auf dem Planeten aufsuchen und sich dort niederlassen sollte, statt sich jeden Tag nach der Arbeit wieder einige Straßen von Mr. Kingsleys Firma entfernt unauffällig von ihr an Bord beamen zu lassen. Es schien allerdings, als sei dieses Unterfangen unmöglich.

„Was hast du für ein Problem mit der Adresse, die ich dir besorgt habe?“, wollte Kamura am Ende einer solchen Diskussion, die ihre Pilotin und sie jetzt schon so oft geführt hatten, dass sogar das Schiff aufgehört hatte, die Anlässe zu zählen, von Meroola wissen. „Ich habe ein Problem mit der Besitzerin dieser Adresse, wenn du es genau wissen willst, Kamura!“, verteidigte sich Meroola. „Jeder andere dürfte diese Bar leiten, in der du mir ein Zimmer besorgt hast, aber nicht Ginalla!“ „Und warum darf sie es nicht?“, fragte das Schiff unwissend. „Weil ich nicht auf sie angewiesen sein will.“, antwortete Meroola. „Und dabei sollten wir es bewenden lassen, Kamura!“ „Das finde ich aber gar nicht.“, sagte das Schiff. „Wenn wir uns gegenseitig vertrauen sollen, dann muss ich auch verstehen, was in dir vorgeht, Meroola. Anderenfalls kann ich dir vielleicht in einer gefährlichen Situation nicht helfen, weil ich sie vielleicht nicht als gefährlich erkenne, sie es aber doch für dich ist, weil …“ „Die Situation ist nicht gefährlich!“, sagte Meroola, die von einem harten Arbeitstag wohl sehr genervt war. „Es ist nur …“

Erst gerade in diesem Moment fiel ihr auf, dass ihr Schiff diese Behauptung wohl mit Absicht in den Raum gestreut haben könnte, um eine Situation zu provozieren, in der Meroola sie korrigieren würde. „Das war ja ganz schön schlau eingefädelt von dir, Kamura.“, gab sie zu. „Aber du solltest wissen, dass Ginalla keine Gefahr für mich darstellt! Es war schon in Ordnung, dass du mir bei ihr ein Zimmer besorgt hast, damit ich einen festen Wohnsitz habe und die Behörden nichts zu meckern haben. Nur werden mich keine zehn Pferde dorthin bekommen!“ „Und warum nicht?“, fragte Kamura. „Jetzt komm schon, Meroola! Wer A sagt, muss auch B sagen! Also, was ist los? Was ist das zwischen Ginalla und dir?!“

Genervt ließ sich Meroola in den Pilotensitz sinken. Sie hatte vorher die gesamte Zeit gestanden. Zwar hatte sie den Neurokoppler aufgesetzt gehabt, aber die ewige Diskussion mit Kamura über immer das gleiche Thema hatte sie eine sehr große Anspannung fühlen lassen, die es ihr unmöglich gemacht hatte, sich zu entspannen.

Kamura hatte eine abwartende Haltung eingenommen. „Ich warte, Meroola!“, sagte sie jetzt sehr bestimmt. „Was willst du denn tun, wenn ich es dir nicht sage, he?!“, fragte Meroola genervt. „Dann setze ich dich auf dem Planeten aus und fliege davon!“, sagte Kamura. „Außerdem kündige ich dein Zimmer und erzähle Kingsley, was die hübschen Formulierungen in deiner Bewerbung wirklich zu bedeuten haben!“ „Das wagst du nicht!“, sagte Meroola. „Du hast mir viel zu viel über die Beziehung zwischen euch und euren Piloten verraten, als dass ich dir das glauben könnte. Du würdest mich hier in der Fremde nicht einfach …“

Vor ihrem geistigen Auge änderte sich plötzlich das Bild. Meroola sah jetzt eine Transporterkonsole, auf der sich offenbar etwas tat. Sie sah das eigene Bild im Sucher. Außerdem wurde sie des Programms zum Senden von SITCH-Mails ansichtig, das Kamura geladen und mit dem sie eine Mail verschickt haben musste. „Du tust es wirklich, oder?“, fragte sie. „Du tust es tatsächlich! Und ich habe immer gedacht, ich wäre eine gute Erpresserin!“ „Sagen wir mal so.“, sagte Kamura. „Ich lernte von der Besten! Aber wenn unsere Beziehung dauerhaft funktionieren soll, dann muss ich auch wissen, wer dir in deiner Vergangenheit vielleicht etwas Böses wollte und vor wem ich dich schützen muss!“ „Schützen! Schützen! Schützen!“, lachte Meroola. „Du willst mich vor Ginalla schützen? Oh nein, Kamura! Das brauchst du nicht. Sie war nie eine Gefahr für mich! Ob nun in tatsächlicher oder wirtschaftlicher Hinsicht. Sie war eine billige Betrügerin und hatte keinen Stil. An mich kam sie nicht ran! Sollte das aber wieder so eine absichtliche Falschbehauptung von dir sein, um mich aus der Reserve zu locken, dann muss ich dir sagen, dass das nicht funktionieren wird!“ „Da irrst du dich aber gewaltig, Meroola.“, sagte Kamura und ihr Avatar vor dem geistigen Auge des Mischlings grinste breit und triumphierend. „Es hat nämlich gerade sehr gut funktioniert. Du hast, wenn auch sicher unfreiwillig, schon einiges zum Besten gegeben von dem, was zwischen Ginalla und dir war. Es hat zumindest dafür ausgereicht, dass ich mir ein Bild machen konnte. Ich glaube, dass Ginalla und du einmal die ärgsten Konkurrentinnen wart, bevor ihr beide beschlossen habt, den ehrlichen Weg einzuschlagen und nun denkst du, das könnte wieder passieren, was?“

Meroola musste schlucken. „Kann es sein.“, setzte Kamura nach. „Dass ich verdammt richtig liege mit meiner Vermutung?“ „Das kann nicht nur sein.“, sagte Meroola bedient. „Das ist auch so. Ginalla und ich waren tatsächlich Konkurrentinnen. Wir haben beide sowohl die Leute nach Strich und Faden ausgenommen, als auch Geschäfte mit Sytanias Vendar gemacht.“ „Und genau aus dem Grund wäre es gut gewesen, wenn ich das vorher gewusst hätte.“, sagte Kamura. „Dann hätte ich dir irgendwo anders ein Zimmer besorgt.“ „Und wie hättest du erklärt, wer du bist?“, fragte Meroola. „Ich meine, Ginalla ist die Pilotin deines Vaters. Sie kennt sich mit solchen Gegebenheiten aus. Aber wenn du irgendeinem zivilen Gastwirt erzählt hättest, dass du ein selbstständig denkendes und handelndes intelligentes Raumschiff aus einer fremden Dimension, in der es eine ganze Rasse von euch gibt, bist, dann wäre der sicher in Ohnmacht gefallen. Nein, nein, Kamura. Es ist schon alles gut, so wie es ist. Und du hast gewonnen! Ich werde mich der Situation mit Ginalla jetzt stellen!“

Meroola stand vom Sitz auf und legte den Neurokoppler ab. Das war auch für Kamura das Zeichen, ihre Reaktionstabelle aus dem Speicher zu nehmen. Jetzt würden sie nur noch per Lautsprecher und Mikrofon kommunizieren. „Soll das heißen.“, fragte Kamura. „Dass ich dich jetzt doch herunterbeamen soll?“ „Genau das!“, bestätigte Meroola. „Und mach schnell, bevor mich wieder der Mut verlässt!“ „Also gut.“, sagte das Schiff, erfasste sie mit dem Transporter und beamte sie genau in den Gastraum vor die Theke in Ginallas Bar.

Die celsianische Junggastronomin war gerade damit beschäftigt, etwas in ihrem Etablissement aufzuräumen. Deshalb hatte sie Meroola auch zuerst nicht wahrgenommen, die sich ihr langsam genähert und ihr dann auf die Schulter getippt hatte. Langsam drehte sie sich um und sah in das ihr sehr wohl bekannte, aber auch verhasste Gesicht ihrer ehemaligen Konkurrentin. Aber auch Meroola war etwas überrascht. Sie hatte zwar gesehen, um welche Adresse es sich gehandelt hatte, Ginallas Erscheinung aber war ihr über die Jahre doch etwas fremd geworden.

Verwirrt standen sich die Frauen eine Weile gegenüber, bevor sie im Chor und jeweils auf die andere deutend sagten: „Ach du Scheiße! Du?!“ Mit dem nächsten Satz verhielt es sich ähnlich: „Oh nein!“

Erschrocken drehten sich beide wieder voneinander fort. Dann sagte Ginalla: „Hi, Miss zimperlich! Die Finger schmutzig gemacht hast du dir ja höchst ungern. Du hast ja nur immer die feine Dame gespielt und dich nicht gern in Gefahr begeben. Du warst zwar gut darin, Kontakte zu knüpfen und im Hintergrund Fäden zu ziehen, aber wenn es hart auf hart kam, dann hat Joran, Sytanias Vertrauter, doch eher mir vertraut.“ „Und du?“, fragte Meroola. „Wie war denn das mit deinem Motto: Ich nehme jeden schmutzigen Auftrag an. Du warst doch nichts Besseres als eine billige Söldnerin! Aber ich! Ich hatte wenigstens noch Würde!“ „Das is’ aber jetzt lange vorbei!“, sagte Ginalla. „Ich bin nämlich jetzt auf dem Weg, endlich ehrlich zu werden.“ „Ach ne!“, lachte Meroola. „Genau das ist auch mein Bestreben. Ich habe hier sogar einen Job!“ „Den hab’ ich auch.“, flapste Ginalla. „Wie du unschwer sehen kannst. Ich bin sogar selbstständig. Kannst du das auch vorweisen, he?“ „Nein!“, musste Meroola zugeben. „Ich arbeite für jemanden!“ „Na also!“, sagte Ginalla. „Die Runde geht dann wohl an mich!“ „Das werden wir ja noch sehen.“, sagte Meroola. „Erst einmal möchte ich mein Zimmer sehen. Dann werde ich urteilen, wie gut deine Selbstständigkeit wirklich ist. Wenn du es nämlich nur zu einer miesen dreckigen Absteige gebracht hast, meine Kunden aber mit meiner Arbeit zufriedener sind, dann werden wir ja sehen, an wen die Runde wirklich geht!“ „Na schön!“, sagte Ginalla mürrisch. „Ich nehme die Herausforderung an! Komm mit!“ „Mit Vergnügen!“, sagte Meroola zynisch und folgte Ginalla zu einem Turbolift, der sie in die obere Etage brachte. Sie war fest entschlossen, ein Haar in der Suppe zu finden, aber auch Ginalla schmiedete bereits einen Plan, die lästige Konkurrenz wieder loszuwerden. Eine Konkurrentin beim Ehrlich werden hatte ihr gerade noch gefehlt! Aber sie wusste auch schon, was sie tun musste, um dies wieder zu ändern. Meroola musste weg! Soviel stand für die junge Celsianerin auf jeden Fall fest. Aber auch Meroola sann auf eine Gelegenheit, ihrer lästigen Konkurrentin eins reinzuwürgen. Dass es sich für beide irgendwann lohnen würde, sehr eng und im Team zusammenzuarbeiten, ja, dass sie es sogar müssen würden, daran dachten beide noch nicht.

Forschen Schrittes war Ginalla Meroola vorangestapft, als sie den Turbolift wieder verlassen hatten. „Vorwärts!“, kommandierte sie. „Hier entlang, meine Beste, wenn ich denn bitten dürfte!“

Das war sicher nicht der richtige Umgangston gewesen, wenn man im Allgemeinen mit Gästen sprach, aber zwischen ihr und Meroola gab es ja ganz eigene Gesetze. Vor allem jetzt, da sie ihr zeigen wollte, wer hier ihrer Ansicht nach die Hosen an hatte. Von dieser Frau, das stand für Ginalla fest, würde sie sich nicht die Butter vom Brot nehmen lassen und in ihrem eigenen Haus schon gar nicht!

Sie gingen einen langen Gang entlang, der sie zu einem Zimmer führte. Hier holte Ginalla eine Schlüsselkarte aus der Tasche und öffnete die Tür. Dann schob sie Meroola in das Zimmer: „Rein mit dir!“

Der Blick des Mischlings wanderte die Einrichtung des Raums entlang. Die Wände waren mit einem großen umlaufenden Wandteppich verziert, der Motive aus allen möglichen Kulturen zeigte. Der Teppich auf dem Boden hatte ein warmes rotes Karomuster. Das Bett bestand aus repliziertem farbigem Eichenholz und stand auf großen ausladenden Füßen, die durch ihre konische Form den Eindruck erweckten, es würde schweben. Sein grüner Anstrich mit den Rankenmustern ließ vermuten, dass es an sommerliches Ambiente erinnern sollte. Auch die Bettwäsche und die Kissen unterstützten diesen Eindruck. In der gleichen Farbe war auch der kleine Nachttisch gehalten, der neben dem Kopfende des Bettes stand. Ging man weiter am Bett entlang, so gelangte man rechts von dessen Fußende zur Tür, die ins Badezimmer führte. Hier gab es die übliche sanitäre Einrichtung des 30. Jahrhunderts mit einer standardisierten Schalldusche und einer Konsole für die mitgebrachten eigenen privaten Utensilien.

Ganz schön luxuriös!“, staunte Meroola. „Und hier willst du mich unterbringen, obwohl du mich eigentlich gar nicht ausstehen kannst?!“ „Bilde dir bloß nichts ein!“, entgegnete Ginalla. „Die Einrichtung dieses Zimmers ist nur ein Mittel zum Zweck! Ich will dir zeigen, dass ich es zu was gebracht hab’!“ „Ah!“, machte Meroola ironisch und zog die Stirn kraus. „Als ob ich das nicht geahnt hätte! Aber das war ja schon immer deine Art! Du musstest ja schon immer so angeben!“

Sie nahm Anlauf und ließ sich mit Schwung auf die Matratze fallen. Diese federte sie leicht zurück, so dass sie leicht das Gleichgewicht verlor, da Meroola damit wohl nicht gerechnet hatte. „Na ja.“, sagte sie missmutig und biss die Zähne aufeinander, dass es knirschte. „Zumindest sind deine Matratzen gut!“ „Für dich soll mir das Beste gerade gut genug sein!“, schrie Ginalla. „Schließlich sollst du sehen, dass …“ „Ja, ja, ja.“, sagte Meroola und markierte die Gelangweilte, indem sie sich übertrieben gähnend auf das Bett warf. „Du willst mir zeigen, dass du es zu was gebracht hast! Den Spruch kenne ich langsam, Ginalla! Der ist schon so alt, dass er schon Schimmel ansetzt!“ „So?!“, erwiderte Ginalla schnippisch.

Meroola musste sie mit ihrer letzten Äußerung sehr getroffen haben. Aber das lag ja auch durchaus in ihrer Absicht. Einem Celsianer oder einer Celsianerin auf diese Art zu sagen, dass seine oder ihre Sprüche nicht gut wären, das war die schlimmste Art der Beleidigung, die man jemandem aus Ginallas Volk an den Kopf werfen konnte, denn die Celsianer hielten sehr viel auf ihren Humor. Schließlich lebten sie im real existierenden Humorismus. Wer mir das bis heute nicht glaubt, dem sei gesagt, dass sich die Lebensweise der Celsianer wirklich so nannte.

Meroola war wieder aufgestanden und hatte sich in Richtung der Tür ihres Badezimmers gedreht. „Und nun lass mich in Ruhe!“, schnarrte sie Ginalla noch zu. „Wieso denn das?!“, fragte die Celsianerin, die sich sehr beleidigt fühlte und das, was ihre Konkurrentin da gerade von sich gegeben hatte, auf keinen Fall so auf sich sitzen lassen wollte. „Soll ich etwa gehen, damit du allein bist und keiner sehen kann, wie verschimmelt du selber bist? Könnte ja jemand sehen, wenn du dich ausziehst. Na, das wollen wir ja wohl nicht riskieren, was?! Dann gehe ich lieber! Den Anblick möchte ich mir nämlich ersparen! Aber damit du’s weißt! Ich habe dir eine Erfahrung voraus, die du mit Sicherheit nicht nachweisen kannst, was das Ehrlichwerden angeht! Nämlich eine Läuterung durch einen Tindaraner und zwar auf telepathische Weise! Das war so klasse, das kannst du dir gar nicht vorstellen! Du wirst das niemals erleben, hoffe ich!“ „Ach!“, machte Meroola gelangweilt. „Das habe ich doch schon so oft von dir gehört und am Ende bist du doch wieder in deine kriminellen Muster zurückgefallen, weil du sehr bequem bist und doch nur auf deinen eigenen Vorteil bedacht! Spiel dich bloß nicht so auf! Außerdem, ich werde es allein schaffen und werde deinen Tindaraner gar nicht brauchen! Das ist erst mal eine Leistung! Dass musst du mir nachmachen! Aber dein Tindaraner tut mir total leid! Der hat sich sicher total damit gequält, das letzte bisschen Ehrlichkeit aus deinen kriminellen und verkommenen Hirnwindungen zu quetschen!“ „Oh, da täuschst du dich aber gewaltig!“, entgegnete Ginalla und funkelte Meroola böse an. „Es war für uns beide sehr angenehm! Wir fanden es sogar so gut, dass wir es inzwischen mehrfach wiederholt haben! Also, du Lehrling, schau einer Meisterin zu und lerne!“ Damit ging Ginalla und schloss die Tür hinter sich mit einem lauten Knall. Sie wusste genau, was sie jetzt zu tun hatte. Ihr Sprechgerät, das sie jetzt brauchte, befand sich unten in der Bar. Hier würde sie jetzt eine bestimmte Art von Beziehung spielen lassen müssen, um Meroola schnell wieder loswerden zu können. Welche das sein würde, das wusste sie genau!

Sie hatte bald die Tür erreicht, die den Gastraum vom Flur und dem, was wir heute als Treppenhaus bezeichnen würden, trennte. Mittels ihres Fingers auf einem sensorischen Feld öffnete sie diese und trat wieder in den Gastraum ein. Hier drehte sie sich sofort Richtung Tresen, um wieder hinter ihm zu verschwinden und dort wiederum eine Tür zu öffnen, die sie in eine Art Hinterzimmer führte. Dabei war Ginallas Blick kurz auf ein Fenster im Flur gefallen und unwillkürlich dort hängengeblieben. Das, was sie dort am Himmel gesehen hatte, hatte sie etwas irritiert, aber sie schenkte der Situation dennoch nicht die Beachtung, die sie vielleicht, wenn Ginalla schon gewusst hätte, was das für Vorboten waren, eigentlich verdient hätte.

Vor den Augen der jungen Celsianerin spielte sich ein Schauspiel ab, das sie eigentlich nur aus dem tiefsten Winter kannte. Es musste draußen plötzlich sehr kalt geworden sein. Das konnte Ginalla nur vermuten, denn die Umweltkontrollen des Gebäudes, in dem sie sich befand, schirmten sie ja von der Außentemperatur ab. In ihrer Bar herrschte eine Temperatur von molligen 25 °. Auch draußen war es eigentlich Sommer, wenn sie sich nicht irrte, aber jetzt sah es eher nach Winter aus. Schlagartig hatten alle Bäume eine eisige Schicht auf den Ästen, die Ginalla zuerst fast mit Zuckerguss verwechselte. Es war aber Reif. Oben am Himmel türmten sich dicke graue Wolken auf, die aber durch ihre Struktur eher Schnee als Regen erahnen ließen. Das war für den Sommer ungewöhnlich. Das wusste Ginalla. Aber gerade dieser Umstand war es, der sie verwirrt hatte und sie stehenbleiben ließ. Er hatte sogar dafür gesorgt, dass Ginalla eine ganze Weile lang stehenblieb und sich das Schauspiel ansah. Wenigstens zehn Minuten lang sah sie dem Wind zu, der immer feinere Gebilde aus den einzelnen Wolken oder auch aus mehreren Wolkentürmen formte. „Was haben wir denn im Moment für ein verrücktes Wetter hier?!“, murmelte sie sich in den nicht vorhandenen Bart. Dann summte sie eine Zeile aus einem alten terranischen Lied vor sich hin: „Manchmal kommt der Schnee im Juni. Manchmal dreht sich die Sonne um den Mond …“ Weiter wusste sie nicht, aber das reichte ja im Prinzip schon. Zumindest fand sie das. „Ich bin mal gespannt.“, sagte sie. „Wie lange dieser Wintereinbruch dauert und was sie dazu morgen in der Presse sagen werden. Mich wundert auch, warum die Wetterkontrollstationen nicht reagiert haben. Aber wie ich unsere Situation einschätze, wird es dazu früher oder später eine Erklärung geben. Ich kann mich ohnehin im Moment nich’ drum kümmern. Habe schließlich ganz andere Sorgen.“

Sie ging weiter und öffnete mit Hilfe einer Schlüsselkarte die Tür zum Hinterzimmer, das auch als ihr Büro fungierte. Deshalb war es auch verschlossen. Ginalla war der Meinung, dass ihre Geschäftsgeheimnisse niemanden etwas angingen.

Hier stand neben ihrem Schreibtisch, der in roter Holzoptik gehalten war, um Buchenholz zu simulieren, auch ein im gleichen Farbton gehaltener Bürostuhl, auf den sich Ginalla jetzt setzte. Nun hatte sie einen genauen Blick auf ihren Schreibtisch und auf die Gegenstände, die sich darauf befanden. In der Mitte in ihrer Griffweite war die übliche silberne Konsole angebracht, mit der Sprechgerät, Hausrechner und, wenn angeschlossen, auch der Replikator bedient werden konnten. Rechts und links von dieser Konsole standen kleine Figuren aus Metall, die Personen aus der celsianischen Geschichte darstellten. Eine der kleinen Figuren hatte es Ginalla besonders angetan. Es handelte sich dabei um eine Darstellung ihrer Selbst und Shimars in jener Haltung, die sie eingenommen hatten, als Shimar telepathischen Kontakt zu ihr hatte, um sie bei der Überwindung ihres Traumas zu unterstützen, das zu ihrer kriminellen Karriere geführt hatte. Diese Figur hatte sie von ihrer Freundin N’Cara bekommen, die sie in ihrer Heimat repliziert und ihr dann per Frachtshuttle geschickt hatte. N’Cara hatte ja damals alles genau gesehen und hautnah mitbekommen.

Lange ließ Ginalla ihre Augen über die Figur schweifen. „Und das wirst du nie vorweisen können, Meroola Sylenne!“, zischte sie missmutig. „Niemals wirst du das!“ Dabei setzte sie einen schadenfrohen Blick auf. Sie nahm die Figur sogar in die Hand und hielt sie eine Weile lang träumend vor sich.

Dann aber besann sich Ginalla schnell wieder auf das, was sie vorgehabt hatte. Auf keinen Fall wollte sie zulassen, dass diese Person, deren Gegenwart ihre Laune so vermiest hatte, länger als nötig bei ihr blieb! Auf gar keinen Fall! Um das zu erreichen würde sie aber jemanden für sich einspannen müssen. Jemanden, dessen Hilfe ihr, so dachte sie zumindest, in jedem Fall gewiss sein müsste.

Sie drehte sich dem Mikrofon zu, das ihr die Bedienung des Hausrechners an den auch das Sprechgerät angeschlossen war, ermöglichte. Dann sagte sie: „Computer, Verbindung zum interdimensionalen Relais aufbauen!“ „Ihr Befehl wird ausgeführt.“, kam es von einer nüchternen weiblichen Stimme zurück, wie sie bei den Rechnern der Föderation sowohl bei der Sternenflotte, als auch im zivilen Bereich dem gültigen Standard entsprach. „Bitte warten.“

Ginalla lehnte sich zurück. Lange musste sie aber nicht mehr warten. Bereits wenige Sekunden nach ihrem Befehl meldete sich die elektronische Stimme des interdimensionalen Relais: „Herzlich willkommen beim interdimensionalen Verbindungsdienst der Föderation der vereinten Planeten. Bitte geben sie das gewünschte Rufzeichen ein, zu dem wir ihnen eine Verbindung ermöglichen sollen. Aufgrund technisch bedingter Störungen kann dies allerdings eine kurze Zeit dauern. Wir bitten um Ihr Verständnis und bedanken uns bereits im Voraus für Ihre Geduld.“

Dass du Probleme hast, kann ich mir denken!, dachte Ginalla. Das mit dem Wetter is‘ sicher kein Einzelfall und verkohlen lasse ich mich nich. Da muss irgendwo gewaltig was im Argen liegen!

Sie drehte sich der Konsole zu, in die sie das Rufzeichen von Kamurus eingab und es per Enter-Taste bestätigte. „Vielen Dank.“, gab die elektronische Stimme zurück. „Wir beginnen jetzt mit dem Verbindungsaufbau.“

In seiner Heimat hatte Kamurus bemerkt, dass seine Pilotin etwas von ihm zu wollen schien. Allerdings konnte er den Ruf nicht sofort beantworten, denn eine sehr nervöse Shary hatte seine volle Aufmerksamkeit in Beschlag. Beiden Schiffen war auch die inzwischen sehr weit fortgeschrittene interdimensionale Katastrophe aufgefallen. Inzwischen war ihnen auch klar, dass es eine war. Mit seinen Sensoren hatte Kamurus nämlich die gleichen Ladungsverschiebungen festgestellt, von denen auch Jenna McKnight ihren Vorgesetzten berichtet hatte. Das hatte er Shary zwar mitgeteilt, sie aber sofort zu trösten versucht, als sie ängstlich bemerkt hatte: „Und unsere Kleine ist allein da draußen!“ Jetzt aber hatte er endlich eine Möglichkeit gefunden, seiner Freundin irgendwie zu beweisen, dass sein Trost: „Wir werden sie schon finden!“, nicht nur ein leerer Satz bleiben musste.

Ihm war der wiederholte Ruf des interdimensionalen Relais schon fast auf die Nerven gegangen. „Ich muss Ginalla antworten, Shary.“, sagte Kamurus. „Ginalla!“, sagte Shary abfällig. „Immer nur Ginalla! Ist dir deine Pilotin etwa wichtiger als unser Kind?“ „Nein, das ist sie sicher nicht, Liebes.“, sagte Kamurus betont vernünftig. „Aber ich konnte ihre Spur bis hinter die Partikelfontäne in Ginallas Heimatuniversum verfolgen. Wenn wir Glück haben, dann weiß Ginalla genau, wo unsere kleine Kamura ist! Wir sollten ihr zumindest eine entsprechende Chance geben! Findest du nicht?!“ „OK.“, gab sich Shary geschlagen. „Aber integriere mich wenigstens in die Verbindung, damit ich mithören kann.“ „Sicher.“, sagte Kamurus und nahm die nötigen Schaltungen vor.

An dem Symbol eines grünen Mikrofons im Display ihres Sprechgerätes konnte Ginalla sehen, dass Kamurus das Gespräch angenommen hatte. „Na endlich.“, sagte sie und gähnte übertrieben gekünstelt. „Was hat da so lange gedauert?“ „Ich musste Shary trösten.“, sagte Kamurus. „Sie macht sich große Sorgen um unsere kleine Kamura. Sie ist ausgekniffen und hat uns so gut zum Narren gehalten, dass wir es erst gemerkt haben, als sie schon über alle Berge war. Du kannst uns nicht zufällig sagen, wo sie ist?“

Ginalla witterte ihre Chance. Es war ohnehin ihr Ziel gewesen, Kamura an ihre Eltern zu verraten. Allerdings hatte dieses Ziel nichts mit Erziehung zu tun, sondern lediglich mit der Tatsache, dass sie Meroola loswerden wollte. Sie hoffte, Kamura würde, müsste sie das Gefühl haben, ihre Eltern wären hinter ihr her und würden ihr bei nächster Gelegenheit die Leviten lesen, hoffentlich so schnell wie möglich von Celsius weg wollen. Natürlich würde sie ihre Pilotin mitnehmen wollen, da sie diese ja auch nicht alleinlassen würde und alles tun würde, das sie könnte, um ihren Schutz zu gewährleisten.

Ginalla holte tief Luft und versuchte ein entspanntes Gesicht zu machen. Ihr war klar, dass Kamurus ihr irgendwann auf die Schliche kommen würde, wenn sie nicht aufpasste. Dafür kannten sich beide schon zu lange. Sie musste jetzt alles tun, was in ihrer Macht stand, um ihm weißzumachen, dass sie nur aus uneigennützigen Motiven handelte.

Sie räusperte sich, drückte den Sendeknopf und sagte betont langsam und deutlich: „Oh, was hast du für ein Glück, dass du die gute Ginalla hast, mein treues Schiff. Ich kann dir, wie der Zufall es gerade so will, nämlich tatsächlich helfen. Ich weiß tatsächlich, wo sich deine kleine Tochter befindet.“ „Sag das bitte noch mal!“, sagte Kamurus. „Du weißt wirklich, wo Kamura ist? Wie habe ich denn das zu verstehen? Es wäre aber sehr nett von dir, wenn du keine Spielchen spielst, sondern es mir und Shary gleich sagst. Sie macht sich große Sorgen, weil die Dimensionen bereits drohen instabil zu werden. Kamuras Antrieb und ihre Software sind dieser Herausforderung noch nicht gewachsen und ich habe ebenfalls Sorge, dass ihr etwas zustoßen könnte. Shary ist in diese Verbindung integriert und hört jetzt alles, was wir hier sagen. Sie kann sich auch am Gespräch beteiligen.“ „Vielen Dank, dass ich darüber auch mal in Kenntnis gesetzt werde.“, sagte Ginalla. „Aber dann passt mal auf, ihr zwei. Eure Kleine is’ munter wie ein Fisch im Wasser. Es geht ihr gut und sie is’ in der Umlaufbahn von Celsius. Sie hat sich sogar schon eine Pilotin gesucht, die bei mir eingekehrt is’. Die is’ aber eine von der ganz üblen Sorte, wisst ihr? So ’ne ehemalige Kriminelle! Und jetzt kommt das Schärfste, Kamurus! Halt dich fest! Ich meine: Setz den Ankerstrahl! Shary, du besser auch!“

Sie ließ den Sendeknopf los. Die jetzt entstandene dramatische Pause war sehr geschickt von ihr eingefädelt worden, damit sie bei Shary und Kamurus ein Nachdenken über die Situation auslösen konnte. Die Informationen über Meroola hatte sie absichtlich etwas übertrieben und sie mit Absicht so negativ dargestellt, um ihrem Schiff eine Legitimation zum Eingreifen zu geben. Sie hoffte wohl, dass Kamurus, wenn er das hörte, sofort alles stehen und liegen lassen würde, um seiner Tochter zur Hilfe zu eilen. Den Umgang mit einer Kriminellen, so hoffte sie wenigstens, würde er, wenn er ein verantwortungsvoller Vater war, sicher nicht zulassen und sie so schnell wie möglich abholen wollen. Das würde sie natürlich auch Meroola bei nächster Gelegenheit unter die Nase reiben, damit die panisch ihr Schiff verständigen würde und die Beiden Celsius wieder verließen. Dass sie aber Kamurus’ Reaktion nicht in ihren Plan eingerechnet hatte, wurde ihr bald bewusst.

Auch das Schiff hatte einige Minuten ohne zu antworten verstreichen lassen. Dann aber sagte er: „Ja, Ginalla. Ich höre. Was ist denn nun so schlimm. Shary und ich können schließlich nicht für immer mit gesetzten Ankerstrahlen an unseren jetzigen Positionen bleiben, bis wir verrosten. Also, was ist mit ihr? Was ist mit Kamuras Pilotin, das so schrecklich sein soll?!“

Ginalla gab einen schweren Seufzer von sich, bevor sie antwortete: „Ach, also gut, Kamurus! Sie will ehrlich werden!“ „Ehrlich.“, antwortete Kamurus und sein Avatar auf dem Schirm von Ginallas Sprechgerät kratzte sich am Kopf. „Oh wenn mir das nicht bekannt vorkommt!“, sagte er. „Weißt du, Ginalla, ich kann mich da an eine gewisse junge Celsianerin erinnern, die wir beide wohl sehr gut kennen dürften. Du sicher besser als ich, denn du verbringst schließlich schon dein gesamtes Leben mit ihr. Die hatte ja mal das Gleiche vor und es gab auch ein sehr geduldiges Raumschiff, das sie, trotz diverser Meinungsverschiedenheiten, die sicher nicht ohne waren, nie aufgegeben hat. Es gab genug Situationen, in denen er sie auf dem nächsten Klasse-M-Planeten hätte aussetzen können und seiner Wege fliegen können, um sich nicht die Sensoren zu verbrennen, wenn er länger mit ihr zusammenbliebe. Aber das hat er nie getan und sie nie verraten. Er hätte sogar durchschaut, wenn jemand gegen diese junge Frau intrigiert hätte, um die Beiden zu trennen oder dafür zu sorgen, dass ihr etwas nicht zuteil wird, dass die intrigante Person wohl als ihr alleiniges Recht veranschlagt hat. Er hätte diese intrigante Person sicher darauf hingewiesen, dass genug Recht auf Ehrlichkeit für alle da ist und sie dieses Recht ja auch hatte. Es jemandem anders zu missgönnen, hielte er sicher für sehr fragwürdig und würde das auch der intriganten Person gegenüber verlauten lassen!“

Seine letzten Sätze klangen in Ginallas Ohren sehr ironisch. Aber das war auch durchaus von Kamurus beabsichtigt gewesen. Er hatte an ihren Worten und ihrem Verhalten sehr wohl gemerkt, worauf das hinauslaufen sollte. Dieses Mal war auch er es, der eine dramatische Pause eingelegt hatte.

Ginalla fühlte sich ertappt. „Wie kommst du denn darauf?“, fragte sie schnell, um zu verbergen, wie sie sich fühlte. „Es ist deine Sprechweise und dein gesamtes Verhalten.“, erklärte Kamurus. „Damit hast du versucht, mich und Shary zu manipulieren. Sicher tust du das nur, weil du in Kamuras Pilotin deine eigene Vergangenheit und eine Konkurrenz siehst. Aber du hast das Recht auf Ehrlichkeit nicht gepachtet, Ginalla! Und auf deine Intrige gegen diese Frau falle ich auch nicht herein! Ich werde kommen und Kamura einige Takte wegen ihres Ausreißens sagen, aber ich werde sie dann sogar darin unterstützen, ihrer Pilotin beim Ehrlichwerden behilflich zu sein! Schließlich habe ich Erfahrung darin! Außerdem: Wie sagtest du immer so schön? Konkurrenz belebt das Geschäft! Vielleicht überlegst du ja auch etwas genauer, was du tust, wenn du das Gefühl haben musst, jemand könnte es besser machen!“ Er beendete die Verbindung.

„Verdammt!“, zischte Ginalla. „Er ist doch zu schlau für diesen Plan gewesen. Na ja. Dann werde ich wohl das Beste daraus machen müssen. Vielleicht stimmt es ja auch, was er über Konkurrenz gesagt hat. Was ich gerade getan habe, war ja auch nicht gerade ehrlich zu nennen und die Strafe folgt wohl auf dem Fuß.“

Shary hatte mitbekommen, dass Kamurus die Verbindung mit Ginalla beendet hatte. „Bitte pass aber auf dich auf!“, bat sie ihn eindringlich. „Das werde ich!“, schwor Kamurus und aktivierte seinen Antrieb, um sich auf den Weg in Ginallas Heimat zu machen. Shary scannte ihm noch lange mit ihren Sensoren nach, bis er vollständig aus deren Reichweite verschwunden war.

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