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Auf Zirells Station hatten sich alle Anwesenden im großen Konferenzraum versammelt. Alle saßen im Kreis auf den schon bekannten Sitzkissen um Zirell und Joran herum, die in der Mitte nebeneinander standen.

Die Tindaranerin holte jetzt tief Luft und sagte: „Sicher möchtet ihr wissen, warum wir alle hier sind. Den Grund dafür wird uns Joran gleich verraten.“ Dann deutete sie auf den Vendar und ging selbst zu einem freien Kissen im Kreis ihrer Leute.

Jetzt stand Joran allein in der Mitte des Raums. „Ihr fragt euch bestimmt, was an den Gerüchten über das Ende aller Dimensionen dran ist.“, begann er. „Oh ja, Grizzly!“, rief Shannon dazwischen. „Ich frage mich schon länger, was wir tun sollen, um zu überleben, wenn sich die Mächtigen mal wieder ohne Rücksicht auf Verluste, also ohne Rücksicht auf uns, die Köpfe einschlagen wollen!“ Jenna, die neben ihrer Untergebenen saß, knuffte sie in die Seite: „Assistant!“ „Was haben Sie denn, Jenn’?“, gab Shannon missmutig zurück. „Es ist doch kein Geheimnis, dass ich die Mächtigen nich’ mag.“

Jorans scharfen Ohren war die Unterhaltung zwischen seiner Freundin und deren Assistentin nicht entgangen. „Du magst also die Mächtigen nicht, Shannon O’Riley.“, sagte er. „Gilt das etwa für alle Mächtigen, also auch für Logar El Imperia und Dill, sowie Tolea und Kairon und auch andere, die eigentlich auf unserer Seite sind?“ „Allerdings, wenn du es genau wissen willst, Grizzly.“, sagte die blonde Irin. „Du weißt doch, dass ich keinem traue, der mächtiger is’ als ’n normaler Mensch!“ „Dann dürften sich aber die, für die wir beide arbeiten, sehr auf den Schlips getreten fühlen, O’Riley!“, sagte Maron aus dem Hintergrund. „Das is’ doch was völlig anderes, Sir.“, gab Shannon zurück. „Die Tindaraner sind sterblich und deshalb vertraue ich ihnen.“

Der Androide Ishan hatte die gesamte Zeit über sinnierend dagesessen. Jetzt meldete er sich zu Wort: „Das bedeutet also, man muss Miss O’Riley erst einmal beweisen, dass man sterben kann, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Faszinierend. Das bedeutet aber gleichzeitig, Shannon, dass du dann sehr einsam wärst, wenn alle, denen du vertraust, schon gestorben sind, um zu beweisen, dass sie deines Vertrauens würdig sind.“ „Ach.“, machte Shannon. „Ihr wisst doch genau, was ich meine.“

Sie sah hilflos im Raum herum. Dann traf ihr Blick auf ihre Vorgesetzte, der sie auffordernd zuzwinkerte. „Ishan hat Recht, Shannon.“, sagte Jenna. „Merken Sie denn nicht, wie absurd das ist, was Sie da gerade von sich gegeben haben?“ „Ne.“, sagte Shannon. „Merke ich nich’.“ Jenna gab einen schweren Seufzer von sich. „Ich denke, ihr Verhalten ist ihrer Vergangenheit geschuldet, Telshanach.“, erklärte Joran, der gleichzeitig versuchte, ihre aufkommende Wut zu lindern. „Du darfst nicht vergessen, dass sie aus dieser Dimension und von der dortigen Erde kommt im Gegensatz zu dir. Hier waren alle Nicht-Telepathen die Feinde der Telepathen, und das lebt wohl noch bis heute in ihr fort. Auch du, Maron El Demeta, solltest das eigentlich verstehen und vorsichtiger mit ihr umgehen. Diese Feindschaft bestand seit Jahrhunderten, bis Jenna McKnight auftauchte und alles zurechtrückte. Der Hass dürfte vielleicht schon in ihren Genen verankert sein und so etwas ist schwer bis unmöglich zu besiegen. Jedenfalls klappt das nicht binnen einer Generation!“ Der Vendar warf Ishan einen fragenden Blick zu. „Nun.“, entgegnete Ishan. „Deine Theorien könnten richtig sein, Joran.“, entgegnete der Androide. „Du scheinst über die Situation ja eine Menge zu wissen. Wie wäre es, wenn du mir die Daten, die du hast, zukommen lässt und ich auf deren Basis das Ganze noch einmal überdenke?“ „Einverstanden, Ishan.“, sagte Joran.

Jenna hatte über das nachgedacht, was ihr Freund ihr gesagt hatte. „Du hast Recht, Joran.“, sagte sie. „Manchmal scheine ich das tatsächlich zu vergessen.“ „Und auch ich habe meiner Rasse mal wieder Schande bereitet.“, gab Maron zu. „Eigentlich hätte man doch von einem Demetaner weitaus mehr Verständnis erwarten können. Bitte entschuldigen Sie, O’Riley.“ „Ach, schon gut, Agent.“, sagte Shannon und machte mit ihrer Hand eine Bewegung, als wollte sie etwas wegwischen. „Das kann doch mal passieren. Auch einem Demetaner kann das mal passieren. Aber dass der Grizzly so verständnisvoll is’, hätte ich nich’ gedacht. Da müssen Sie sich wohl demnächst warm anziehen, mit Verlaub.“ „Das Gefühl habe ich auch, Shannon.“, sagte Maron.

Zirell war wieder aufgestanden und hatte sich wieder in die Mitte des Raums neben Joran gestellt. „Ich glaube, wir schweifen ab, Ladies und Gentlemen.“, sagte sie. „Joran, bitte sage uns, was du uns zu sagen hast.“ „Wie du wünschst, Anführerin.“, sagte Joran ruhig. Dann stellte er sich aufrecht hin und erklärte: „Es könnte sein, dass sich mein Verhalten vielleicht demnächst etwas ändert. Das liegt daran, dass ich ein echtes Energiefeld in meiner Sifa trage, das von den Quellenwesen stammt. Ich weiß weder, was genau auf mich zukommen wird, noch weiß ich, wie lange ich es tragen werde und was die Quellenwesen im Einzelnen mit mir und dem Feld vorhaben! Sicher ist nur, dass es etwas mit der Verhinderung des Zusammenbruchs der Dimensionen zu tun hat. Genaues weiß ich aber nicht. Die Quellenwesen haben mir aber gesagt, ich soll ihnen vertrauen und sie würden mir schon sagen, was wann zu tun ist!“ „Kannst du mit dem Feld kommunizieren, Joran?“, fragte Maron. „Ich meine, dass du einmal gesagt hast, das sei während des Fütterungsrituals möglich.“ „Es hat kein Bewusstsein, Maron El Demeta.“, sagte der Vendar. „Es ist also kein Wesen. Aber es ist die Brücke zwischen den Quellenwesen und mir. Mit ihnen kann ich also tatsächlich während des Rituals kommunizieren.“ „Also, wenn ich das richtig verstanden habe, Joran.“, sagte der erste Offizier. „Dann bist du, wenn irgendwann alle Stricke reißen sollten, quasi unser letztes Ass im Ärmel.“ „Das dürfte korrekt sein, Agent Maron.“, sagte Joran und schaute etwas unsicher. „Aber genau kann ich es, wie du eben gehört hast, noch nicht sagen. Ich könnte die Quellenwesen allerdings heute Abend danach fragen.“ „Tu das.“, sagte Maron. „Es ist mir egal, was sie dir für eine Antwort geben. Ich hörte, sie seien immer sehr geheimnisvoll. Aber dann kann dir zumindest niemand vorwerfen, du hättest es nicht versucht!“ „Es könnte sie allerdings auch sehr beleidigen.“, sagte Zirell. „Weil es von unserem Misstrauen zeugen könnte. Wenn sie dir gesagt haben, Joran, dass wir vertrauen sollen, dann sollten wir ihnen zumindest eine Chance geben. Maron, ich weiß, dass dir der bevorstehende Weltuntergang, wenn Jenna mit ihren Theorien Recht hat, Kopfzerbrechen bereitet. Das geht sicher uns allen so. Aber ich denke, dass wir Illiane St. John und ihren Leuten vertrauen sollten.“ „Woher weißt du das, Anführerin?“, fragte Joran erstaunt. „Ich habe ihren Namen nicht erwähnt.“ „Weil ich telepathischen Kontakt zu ihr hatte.“, sagte die Tindaranerin. „Und ich denke, es wird auch sie sein, die vornehmlich mit dir redet.“ „In der Tat.“, bestätigte Joran. „Dann sollten wir erst recht aufpassen.“, sagte Zirell. „Ihrem Profil nach gilt sie als sehr sensibel.“ „Aber Zirell …“, mischte sich Maron ein. „Es liegt bei dir, Joran.“, sagte Zirell. „Ob du sie fragst oder nicht. Du bist näher an ihr dran als wir alle. Du dürftest am besten einschätzen können, was diplomatisch richtig ist.“, dann sagte sie an Maron gewandt: „Das ist mein letztes Wort.“, und löste die Konferenz auf: „Ich denke, wir haben alle noch genug zu tun. Also, das war’s! Wegtreten!“ Alle verließen befehlsgemäß den Raum.

Zur gleichen Zeit hatte auch im Raum-Zeit-Kontinuum eine Konferenz stattgefunden, von der Kairon nun etwas frustriert zurückgekehrt war. Der Rat hatte getagt, denn man hatte auch von den Veränderungen in den Dimensionen einen Eindruck bekommen können. Leider war man aber nicht beschlussfähig gewesen, denn Tolea, die gemeinsam mit ihrem Bruder das Heft in der Hand hielt, war zu der Sitzung nicht erschienen. Wenn Kairon den Gerüchten glauben konnte, die von den anderen gestreut wurden, dann lag sie jetzt wohl depressiv in ihrem Bett, hatte sich die Decke über den Kopf gezogen und wollte von nichts und niemandem mehr etwas wissen und hören. Dem Wahrheitsgehalt dieser Gerüchte wollte er jetzt auf den Grund gehen.

Er war, wie es sonst eigentlich nach einer so anstrengenden Sitzung nicht der Fall war, an der Weggabelung, die ihn entweder zu Toleas oder seinem Haus führte, dieses Mal nicht rechtsherum, sondern linksherum zu Toleas Wohnsitz abgebogen. Je näher er ihrem Haus kam, desto entschlossener wurde er, sie endlich aus ihrem Loch zu holen, in das sie offensichtlich gefallen war. Er konnte sich natürlich den Grund dafür nicht erklären, da seine Schwester ihren Geist vor ihm abgeschirmt hatte, aber er wusste, wenn er sie nicht bald dazu bekäme, sich wieder am Alltagsleben ihrer gemeinsamen Heimatdimension zu beteiligen, die Veränderungen irgendwann nicht mehr aufzuhalten wären und es eigentlich jeden brauchte, um dem entgegenzuwirken. Dazu musste Tolea aber mental bei Kräften sein und das war sie im Augenblick wohl gar nicht.

Er hatte die Hofeinfahrt von Toleas etwas palastartig wirkendem Haus betreten. Hier stellte sich ihm ein Vendar von ca. 2,30 m Größe in der Uniform eines Wächters entgegen. Der Vendar war Kairon zunächst sehr unbekannt. Er musste aus einer Kolonie stammen, von der er nichts wusste. Das war aber an sich kein Problem, denn er wusste, wenn sich ein Vendar in die Dienste der Bewohner des Raum-Zeit-Kontinuums begab, dann tat er dies freiwillig, wie es Diran vorgemacht hatte.

Kairon blieb in einiger Entfernung zu dem Wächter stehen. Dann sagte er: „Ich bin Kairon. Ich möchte gern zu deiner Herrin. Ist sie zu sprechen?“ „Es tut mir leid, Gebieter.“, sagte der Vendar. „Aber meine Herrin wird wohl mit niemandem mehr sprechen. Sie spricht schon seit Tagen kein Wort mehr und ist total traurig. Sie ist so, seit mein Anführer fortging. Zwischen Anführer Diran und ihr muss etwas vorgefallen sein. Oh bitte straft mich nicht! Ich hoffe, ich habe sie jetzt nicht verraten oder in Misskredit gebracht!“ „Das hast du nicht, Vendar.“, tröstete Kairon den Fremden, den er erst jetzt genauer mustern konnte. Er war 2,30 m groß und hatte rotbraun geflecktes Fell. Er schien noch sehr jung zu sein, wenn Kairon sich sein Gesicht so ansah und seiner Stimme so zuhörte. „Im Gegenteil.“, sagte der Mächtige. „Wie ist eigentlich dein Name?“ „Mein Name ist Tchian.“, sagte der Vendar. „Ah.“, machte Kairon freundlich und lächelte Tchian an. „Tchian also. Der Kluge. Du hast gerade deinem Namen alle Ehre gemacht. Es war nämlich sehr klug von dir, mich auf die Situation vorzubereiten, in der ich Tolea wohl vorfinden werde. So kann ich besser planen, was ich tun muss.“ „Ich hoffe wirklich, dass Euch gelingt, was uns bisher allen versagt blieb, Gebieter.“, sagte Tchian. „Wenn das nicht der Fall ist, dann wird das Ende der Dimensionen wohl nicht mehr zu verhindern sein, denke ich. Meine Leute und ich haben alles versucht, das in unserer bescheidenen Macht steht, um Gebieterin Tolea zu helfen, aber leider ohne Erfolg. Wir sind mit unserer Weisheit am Ende.“ „Ich bin jetzt hier, Tchian!“, sagte Kairon zuversichtlich. „Mir wird schon etwas einfallen! Und nun bring mich zu ihr!“ „Ja, Gebieter.“, sagte der Vendar, winkte einem weiteren Wächter, der in einiger Entfernung gestanden hatte und der jetzt seinen Posten einnahm und schritt Kairon voran ins Innere des Hauses.

Die Männer hatten bald jene Treppe betreten, die sie zu Toleas Gemach führte. Oben am Absatz winkte Tchian Kairon an sich vorbei. „Soll ich bleiben?“, fragte er. „Nein.“, sagte der Mächtige mild. „Geh du nur zurück auf deinen Posten und erfülle deine Pflicht. Ich werde die Meine hier tun.“ „Danke, Gebieter.“, sagte der Vendar und ging.

Forschen Schrittes und mit gut hörbarem Auftreten ging Kairon den Gang zu Toleas Gemach entlang. Sein Blick war starr auf die Tür gerichtet, als wolle er sie mit den Augen durchbohren. Er wusste, dass er seiner Schwester deutlich machen musste, dass er keine Kompromisse eingehen würde. Entweder, sie würde ihm sagen, was mit ihr los ist, oder er würde dafür sorgen müssen, dass sie ihres Amtes im Rat enthoben würde. Wenn sie nicht erscheinen würde, wäre man schließlich nicht beschlussfähig, da sie ja eine der Vorsitzenden war. Das war etwas, das Kairon ihr gegebenenfalls noch androhen konnte, würde sie sich nicht helfen lassen wollen. Es wäre zwar sicher ein in höchstem Maße unfeiner Zug unter Geschwistern, aber unter Umständen konnte es notwendig werden. Schließlich durfte es nicht sein, dass die Dimensionen den Bach hinuntergingen und Sytania und Valora, die er längst als Urheberinnen der Situation identifiziert hatte, mit ihrem Plan durchkamen. Er würde seiner Schwester genau die Konsequenzen vor Augen führen und das, wenn es sein musste, auch auf sehr drastische Weise.

Nun stand er vor der Tür ihres Zimmers. Er beschloss, sie ein wenig zu erschrecken, um erst einmal ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Telepathisch hatte er durchaus wahrgenommen, wie traurig und niedergeschlagen sie war. Um sie aus diesem Jammertal reißen zu können, würde es bestimmt einiger drastischer Maßnahmen bedürfen.

Tatsächlich hatte sich Tolea schon seit Tagen nicht mehr aus ihrem Bett bewegt. Auch jetzt lag sie mit der Decke über dem Kopf da. Erst ein weißer Blitz zwang sie, Ihre Augen aus der Decke zu wühlen und sich umzudrehen. Aus dem gleißenden Lichtkegel trat ihr Bruder hervor. „Hallo, Schwester!“, sagte Kairon zwar freundlich, aber bestimmt. „Ich bin hier, um dich aus deiner Trauer zu holen. Wir brauchen dich und können nicht zulassen, dass du weiterhin hier so traurig herumliegst. Ich gebe zu, dass uns das Ende der Dimensionen allen sehr nahe geht. Aber wer, wenn nicht wir, könnte es aufhalten? Aber dazu brauchen wir auch dich!“

Er ließ eine Weile vergehen, um seine Worte auf sie wirken zu lassen und eine Reaktion von ihr abzuwarten. Die aber kam nicht. Wie ein Denkmal lag Tolea da und in ihrem teilnahmslosen Gesicht gab es keine Regung. Kairon, der damit aber schon gerechnet hatte, ließ sich davon aber nicht beeindrucken und ging näher zu ihr. Dann fasste er mit der rechten Hand ihre Schultern und zog sie hoch. Mit der linken Hand zog er ihre Decke zurück. „Tolea!“, rief er aus. „Bitte sieh mich an! Ich will dir nicht wehtun. Schließlich bist du meine Schwester, also vom selben Fleisch und Blut wie ich! Aber was ist zwischen deinem Vendar Diran und dir geschehen, das so schrecklich ist, dass er fortging und du depressiv geworden bist?! Bitte sag es mir, Schwester! Nur wer redet, dem kann auch geholfen werden!“

Tolea wandte ihr Gesicht langsam in seine Richtung. An ihren verquollenen Augen sah Kairon deutlich, dass sie lange und ohne Unterlass geweint haben musste. Dann sagte sie: „Du weißt, mein Bruder, dass Diran für mich weitaus mehr war als nur irgendeiner meiner Vendar. Er war ihr Anführer, weil er mein Vertrauter war und ich habe sein Vertrauen so schändlich missbraucht! Oh so schändlich! So schändlich!“ Wieder begann sie zu schluchzen. „Warum sprichst du von ihm in der Vergangenheit?“, fragte Kairon. „Ist ihm etwa durch deinen Befehl ein tödliches Unglück wiederfahren?“

Natürlich konnte Kairon sich diese Frage auch selbst beantworten. Er musste schließlich nur seine seherischen Fähigkeiten einsetzen. Aber er wollte es, wenn es möglich war, von seiner Schwester selbst hören. Er fand, dass dies auch ein Weg für sie sein könnte, mit der Situation fertig zu werden, wenn sie diese von vorn bis hinten aufrollen und selbst vor ihm ausbreiten würde.

„Auch wenn du mein Bruder bist.“, sagte Tolea. „Was da geschehen ist, geht dich nichts an! Das ist eine Sache, mit der ich allein fertig werden muss! Verstehst du, Kairon? Allein!“ „Na gut!“, sagte Kairon. „Du hast es nicht anders gewollt! Jemanden, der sich lieber in seinem Elend sonnt, als sich helfen zu lassen, den können wir unter uns im Rat nicht gebrauchen!“ „Was meinst du damit?“, fragte Tolea, die offensichtlich nicht glauben konnte, was ihr Bruder da gerade gesagt hatte. „Willst du mich etwa meines Amtes entheben?“ „Genau das!“, sagte Kairon fest. „In deinem Zustand bist du für uns …!“

Es hatte einen weißen Blitz gegeben und Kairon fand sich vor dem Tor des Anwesens wieder. Hier war Tchian der erste, der ihm ansichtig wurde. Der Vendar hatte gesehen, dass Kairon ziemlich unsanft auf dem Hintern gelandet war. Er rief dem zweiten Wachsoldaten, der am anderen Pfosten des Tores stand, eilig ein Kommando in ihrer gemeinsamen Muttersprache zu. Dann eilten beide zu Kairon hinüber, der sich mühsam aufgerappelt hatte. „Ist Euch etwas geschehen, Gebieter?“, fragte Tchian. „Nein.“, sagte Kairon. „Außerdem weißt du doch, dass ich unverwundbar bin.“ „Stöcke und Steine brechen Euch zwar nicht die Beine.“, sagte Tchian. „Aber ich habe gespürt, dass Eure Schwester ihre Fähigkeiten gegen Euch benutzt hat. Wenn sie gewollt hätte, dass Ihr zu Schaden kommt, dann …“ „Durchaus, Tchian.“, sagte Kairon und warf dem Vendar einen anerkennenden Blick zu. „Durchaus. Aber anscheinend hat sie das nicht gewollt. Tatsache ist aber, dass sie offenbar nicht mit mir reden wollte. Unter diesen Umständen wird es auch mir unmöglich sein, etwas aus ihr herauszubekommen. Auch ich werde mir Hilfe suchen müssen.“ „Das vermute ich auch.“, sagte Tchian. Eure Schwester und Ihr seid gleichstark. Sie konnte Euch nur auf diese Art rauswerfen, weil sie das Element der Überraschung auf ihrer Seite hatte. Konntet Ihr denn gar nichts bei ihr erreichen?“ „Na ja.“, sagte Kairon. „Jedenfalls ist es mir gelungen, ein wenig ihre Zunge zu lösen. Ich weiß jetzt, dass ihre Depression tatsächlich etwas mit dem Weggang Dirans zu tun hat. Aber viel mehr weiß ich nicht. Aber ich werde schon noch herausbekommen, was hier passiert ist.“

Ein Signal ließ Tchian und Kairon plötzlich aufhorchen. Es war aus der Brusttasche von Tchians Uniform gekommen. Hier hatte er sein Sprechgerät verstaut, das er jetzt hervorholte. Im Display konnte er das Rufzeichen der Garnison erkennen, in der Toleas Vendar stationiert waren. Außerdem war dort auch abzuleiten, dass es sich um das Unterrufzeichen des Kontrollstandes handelte, von dem aus die interdimensionale Sensorenplattform bedient werden konnte. Auch Toleas Vendar besaßen so etwas.

Tchian nahm das Gespräch an. Im Display wich der Schriftzug des Rufzeichens der Statur und dem Gesicht einer älteren Novizin. Sie trug eine weiße juteartige Uniform, die sie noch als Novizin auswies. Wo ihr Fell aber zu sehen war, glänzte es elegant schwarz. Ihr Gesicht schaute freundlich drein und sie maß ca. 2,20 m, was für eine erwachsene Vendar normal wäre, für ein Mädchen in ihrem Alter aber schon sehr groß schien. In ihrer Familie gab es sogar die Vermutung, dass sie einmal so groß wie ein Mann werden könnte.

Die helle Stimme des Mädchens meldete sich: „Anführer, hier ist Timach. Ich habe etwas zu melden, das sich, laut der interdimensionalen Sensorenplattform, gerade in unsere Dimension bewegt hat. Es ist vor 20 Sekunden aus der interdimensionalen Schicht getreten. Offenbar ist es ein tindaranisches Militärschiff. Laut Klassifizierung ein Aufklärer. Der Pilot ist das einzige Besatzungsmitglied. Was soll ich tun?“ „Hast du schon mit ihm gesprochen?“, fragte Tchian. „Nein, Anführer.“, antwortete die Novizin. „Bitte vergib mir, wenn ich einen Fehler gemacht haben sollte. Das hier ist meine erste Wache über die Plattform.“ „Schon gut, Timach.“, sagte Tchian. „Ich werde selbst mit ihm reden. Übermittle mir bitte sein Rufzeichen. Das dürfte ja mit seinem Transpondersignal übertragen worden sein.“ „Wie du wünschst, Anführer.“, sagte die Novizin und alsbald hatte Tchian eine SITCH-Mail mit dem Rufzeichen auf seinem Sprechgerät.

Auch Kairon war die neue Situation zu Ohren gekommen. „Sprich ruhig mit ihm und erkläre ihm unsere Situation.“, sagte er. „Vielleicht kann er mir ja auf die eine oder andere Weise helfen, meine Schwester zu überzeugen.“ „Ihr habt Recht, Gebieter.“, überlegte Tchian. „Er könnte wirklich so etwas wie das Zünglein an der Waage sein, wenn es hart auf hart kommt. Aber ich hoffe, Ihr wollt Eurer Schwester gegenüber nicht nur mit Gewalt agieren. Ich meine, immerhin ist sie Eure Schwester.“ „Ich weiß, was du sagen willst.“, sagte Kairon. „Blut ist dicker als Wasser und man tut der Verwandtschaft schließlich nichts an. Aber bedenke bitte, dass Tolea damit ja auch nicht zimperlich war und du hast ja gesehen, wie meine Chancen ausgesehen haben. Wenn das also nicht so weitergehen soll, dann muss etwas geschehen. In ihrem jetzigen Zustand ist Tolea auf jeden Fall gefährlich für sich und andere. Das darf nicht so bleiben. Auf gar keinen Fall darf das so bleiben. Und wenn wir schon einmal bei Metaphern sind, dann denk mal über das hier nach, Tchian. Blut mag dicker sein als Wasser, aber mit Wasser kann man wieder reinwaschen, was schmutzig geworden ist. Das sollte mit Blut unmöglich sein.“ „Ich verstehe.“, sagte Tchian. „Dann ist ja gut.“, sagte Kairon. „Und nun möchte ich, dass du den Tindaraner rufst. Ich glaube nämlich zu wissen, was er hier möchte. Melde mich an! Sag, dass ich zu ihm an Bord seines Schiffes kommen möchte! Lege das Gespräch auf den Lautsprecher, damit ich seine Antworten hören kann!“ „Wie Ihr wünscht, Gebieter.“, sagte Tchian und gab das Rufzeichen in sein Sprechgerät ein, um Kairons Befehl auszuführen.

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