Mirdan und Telzan hatten das Schloss der imperianischen Königstochter erreicht und dem Stallburschen ihre Pferde übergeben. Dann waren sie selbst in Richtung von Sytanias Thronsaal aufgebrochen. Hier aber verstellte ihnen der Wächter den Weg. „Es tut mir leid, Anführer.“, entschuldigte er sich bei Telzan. „Aber deine Frau ist gerade bei unserer Gebieterin. Ich glaube kaum, dass wir bei dieser Audienz so einfach stören dürfen.“ „Oh, das denke ich schon.“, sagte Telzan und grinste ihn an. „Irgendetwas sagt mir nämlich, dass ihre und unsere Interessen sich treffen könnten. Außerdem darf ich immer zu Sytania, als ihr Vertrauter und mein Novize hier hat auch etwas sehr Gutes beizutragen.“ „Also gut.“, sagte der jüngere Vendar, der ca. 2,30 m maß und ein weißes Erwachsenenfell hatte, das sehr langhaarig und dicht war. Er hatte eine sehr sportliche Figur und trug die übliche juteartige Uniform. An seiner rechten Seite hing ein Futteral mit einem Phaser und an seiner linken eines mit einem traditionellen Degen.
„Ich werde dich und deinen Novizen ankündigen, Anführer.“, sagte der Wächter. „Aber damit ich das kann, muss ich wissen, wie dein Name lautet, Novize!“ Damit wendete er sich Mirdan zu und sah ihn auffordernd an. „Mein Name ist Mirdan, Ausbilder.“, sagte Mirdan und senkte den Kopf in einer Respekt anzeigenden Geste. Vendar-Novizen müssen jeden Erwachsenen mit Ausbilder ansprechen, außer die Mitglieder der eigenen Familie, denn theoretisch hat jeder der Erwachsenen das Recht, ihnen etwas beizubringen. „Meine Eltern sind Inach Ed Suran und Suran Ed Inach vom südlichen Salzsee.“, antwortete Mirdan. „Gut.“, sagte der Wächter. „Jetzt kann ich dich einordnen.“
Er öffnete die Tür einen Spalt weit und schaute vorsichtig in den Saal. Dort erspähte er Sytanias Herold, der immer in ihrer Nähe war, um über jede Verlautbarung, die von der Prinzessin erlassen worden war, informiert zu sein und auch alle anderen darüber informieren zu können, so zeitnah es eben ging. Der Herold war ein etwas dickerer kleiner Imperianer mit Schnauzbart und bäuerlicher Kleidung. Ihn winkte der Wächter nun zu sich. „Frag Sytania, ob sie ihren Vertrauten Telzan und dessen Novizen Mirdan empfangen kann.“, flüsterte er in das rechte Ohr des Mannes. „Es scheint, ihr Anliegen ist sehr dringend.“
Der Imperianer nickte und ging wieder in den Saal, um sich vorsichtig Sytania zu nähern und ihr in gebührender Entfernung, in der er stehengeblieben war, zuzuwinken. „Was ist?!“, fragte die Königstochter etwas erbost, die es gar nicht mochte, wenn man sie aus dem schönsten Gespräch holte, das sie gerade mit Cirnach geführt hatte. „Ich bitte Hoheit um Verzeihung.“, sagte der Herold und machte eine unterwürfige Bewegung mit dem Oberkörper. „Aber draußen stehen Euer Vertrauter Telzan und sein Novize Mirdan. Sie haben die Angelegenheit sehr dringlich gemacht, Hoheit. Ich weiß nur, dass sie wohl etwas beizutragen haben. Telzan machte eine Andeutung.“ „Also gut!“, sagte Sytania in leicht missmutigem Ton. „Lass sie eintreten.“
Sie drehte sich Cirnach zu: „Merke dir, wo wir beide stehengeblieben sind!“ „Ja, Herrin.“, sagte die Vendar mit willigem Ausdruck im Gesicht. Dann fragte sie: „Darf ich denn bleiben?“ „Ich denke.“, sagte Sytania. „Das hängt ganz von deinem Mann ab und von dem, was uns er und sein Schüler zu sagen haben.“ „Ich verstehe.“, sagte Cirnach und wandte sich um, als wolle sie gehen. Damit wollte sie aber nur signalisieren, dass sie prinzipiell dazu bereit war.
Der Herold hatte zu seiner Fanfare gegriffen und das übliche Signal geblasen. Dann hatte er laut in den Saal gerufen: „Der Vendar Telzan und sein Schüler Mirdan, Euer Hoheit!“ „Lass sie vortreten!“, befahl Sytania. Der Herold machte einen großen Schritt zur Seite, als wollte er Telzan und Mirdan Platz schaffen. „Komm!“, sagte Telzan und winkte seinem Schüler, der brav hinter ihm her trottete.
Bald standen beide zur Rechten von Sytanias Thron. „Was führt euch zu mir?“, wollte die Prinzessin wissen. Mirdan und Telzan wechselten Blicke. Dann sagte der Novize vorsichtig: „Ich darf doch wohl annehmen, dass Ihr gespürt habt, als sich Valoras und Eure Macht vereint haben, Gebieterin, oder?“ „Oh ja!“, sagte Sytania und warf einen fast lasziven Blick in den Raum. „Das habe ich und es war ein sehr gutes Gefühl. Eines, das am liebsten gar nicht mehr hätte aufhören sollen.“ Sie gab einen genießerischen Laut von sich. Dann aber fasste sie sich sofort wieder und sagte etwas ernster: „Ich nehme aber nicht an, dass dies der einzige Grund ist, aus dem du und Telzan mit mir reden wolltet, Novize. Sprich ruhig. Ich weiß ja, dass da noch etwas sein muss. Aber dazu musste ich noch nicht einmal in deinen Geist sehen. Die Mimik deines Ausbilders und deine eigene haben mir schon genug verraten. Du weißt aber auch, dass ich nicht gern warte. Oder hat dir das dein Ausbilder noch nicht beigebracht?“ „Doch, Hoheit.“, sagte Mirdan, dem das Herz bis zum Hals klopfte. Er hatte sich sonst noch nie allein an Sytania wenden dürfen. „Also.“, sagte die Prinzessin. „Warum redest du dann nicht?!“
Mirdan sah zu Telzan hinüber, der inzwischen auch seine Frau erspäht hatte. Ihr flüsterte er nun zu: „Telshanach, geh zu ihm und halte seine Hand. Ich glaube, er benötigt etwas Zuspruch von einer Mutterfigur. Er ist eben doch noch manchmal ein Kind.“ Cirnach nickte und stellte sich neben Mirdan. Dann nahm sie vorsichtig seine Hand und flüsterte: „Ich bin hier.“
Mirdan räusperte sich und drehte den Kopf vorsichtig in Sytanias Richtung. Dann sagte er: „Hoheit, Ihr wisst, dass es im Universum der Föderation Kräfte gibt, die ihre Feindschaft zu ihr schnell vergessen, wenn es darum geht, gemeinsam die Dimension gegen Euch zu verteidigen. Ich dachte da speziell an die Genesianer. Aber das Problem können wir lösen. Es gibt abtrünnige, die nicht auf der Seite von Shashana sind, weil sie ihre neueste Politik verabscheuen. Speziell im Umgang mit Männern treffen sich ihre und Valoras momentane Ziele. Wenn wir bei ihnen einen Kult um eine Einhorngöttin etablieren könnten, könnte das zu einem Bürgerkrieg in Shashanas Reich führen und dann wären ihre Kräfte gebündelt und sie könnte nicht der Föderation beistehen. Bitte bedenkt, dass sie auch eine Version von Meilenstein besitzt, die …“ „Sehr klug gedacht, mein Junge.“, sagte Sytania und lachte schrill. „Darüber müssen wir unbedingt noch detaillierter reden. Cirnach, bleib du auch. Ich bin sicher, auch du wirst etwas dazu beitragen können.“
Sie wechselten an den Audienztisch. Auf dem Weg dorthin flüsterte Mirdan Cirnach noch zu: „Hab Dank für deine moralische Unterstützung, Ausbilderin.“ Was Cirnach mit einen leisen: „Gern geschehen.“, beantwortete.
Sytania ging um ihren Audienztisch herum und setzte sich an dessen Kopfende, an dem sich am Rand der marmornen Oberfläche eine Krone mit einem Drudenfuß in der Mitte eingelassen fand. Der Tisch war oval, maß ca. 1,00 m in der Höhe und war von einem geschwungenen Quartett aus Beinen getragen, die aus den edelsten Hölzern bestanden. Um den Tisch herum standen vier mit rotem Pelz gepolsterte hölzerne Stühle.
„Ihr habt Eure Einrichtung verändert.“, bemerkte Telzan. „Da beweist du wieder einmal ein waches Auge, mein guter Telzan!“, entgegnete die Prinzessin und sah schon fast etwas verliebt über ihre Einrichtung hinweg, als wollte sie diese mit den Augen streicheln. „Ach, man hat es ja als Mächtige so einfach. Nur ein Wunsch und der Tapetenwechsel wäre perfekt. Ihr armen Sterblichen, ihr habt es da durchaus schwerer.“ Sie grinste. „Das will ich wohl bestätigen, Hoheit.“, sagte Cirnach.
Sytania deutete auf die Stühle, die noch frei waren. Dann sagte sie: „Telzan, setz dich zu meiner Rechten! Du, Cirnach, wirst an meiner linken Seite Platz nehmen und du, Mirdan, setzt dich mir genau gegenüber. So können dich deine beiden Ausbilder in die Mitte nehmen und du musst dich nicht fürchten.“ „Mit Verlaub, Herrin.“, sagte Mirdan im Versuch, seine Angst, die jetzt doch drohte, für ihn übermächtig zu werden, zu überspielen. „Ich fürchte mich nicht! Ich weiß, dass ein Vendar-Krieger zu keinem Zeitpunkt Furcht oder Schwäche zeigen soll und das werde ich auch beherzigen!“ Bei seinem letzten Satz war seine Stimme leicht ins Schrille gekippt, was Cirnach und Telzan durchaus bemerkt hatten. „Nun ja.“, tröstete Cirnach. „Ich werde dir einmal zugutehalten, dass du noch kein fertig ausgebildeter Krieger bist, sondern noch immer ein Novize und das auch noch einer im ersten Jahr. So einer hat selbst bei uns noch Welpenschutz.“ Sie grinste ihn an. „Danke, Ausbilderin.“, sagte Mirdan erleichtert.
Alle drei Vendar setzten sich auf die ihnen von Sytania zugewiesenen Plätze. Dann winkte die Königstochter einem Diener, der immer in ihrer Nähe war und sich sofort auf den Weg zu ihr machte. Es war ein schlanker Imperianer mit abgewetzter Kleidung. Er hatte rötliches Haar und maß ca. 1,70 m.
„Hole mir den Kontaktkelch.“, wies Sytania ihn an. „Rasch! Sonst mache ich dir Beine!“ Der Imperianer nickte und eilte davon.
„Wozu benötigt Ihr den Kontaktkelch?“, fragte Mirdan interessiert. „Ihr könntet doch theoretisch auch ohne ihn Kontakt mit Valora aufnehmen und sie über unsere Pläne informieren und sehen, was in Shashanas Reich passiert, könntet Ihr so erst recht.“ „Sicher.“, sagte Sytania. „Aber euch an den Ganzen teilhaben zu lassen, wäre mir dann doch zu anstrengend, da ich mit euch dreien und Valora telepathischen Kontakt halten müsste und dann müsste ich ja auch noch nach den Genesianerinnen sehen. Das wäre nun wirklich zu viel.“ „Ich verstehe.“, sagte Mirdan beschwichtigend. „Ich hoffe, Ihr vergebt einem dummen Novizen seine Einfalt.“ Sytania nickte gönnerhaft.
Der Diener war mit dem kristallenen Kontaktkelch in der Hand zurückgekehrt. „Stelle ihn in die Mitte des Tisches!“, befahl Sytania. „Und dann lass uns allein.“ Wieder nickte der Imperianer stumm, tat genau, was seine Herrin ihm aufgetragen hatte und verließ den Raum auf Zehenspitzen.
Sytania legte ihre Hände auf den Fuß des Kontaktkelchs. Dann wies sie die drei Vendar an, das Gleiche zu tun. „Wir werden zunächst mit Valora Kontakt aufnehmen.“, sagte sie. „Aber du, Mirdan, wirst auch ihr unseren Plan erklären. Schließlich war es ja auch deine hervorragende Idee.“ „Ich fühle mich geehrt, Herrin.“, sagte der Novize leise und machte ein ehrfürchtiges Gesicht.
Sytania begann damit, sich auf die Gestalt Valoras zu konzentrieren. Alsbald erschien ihre Silhouette im Kontaktkelch. Für Mirdan sah es aus, als würde sie leibhaftig vor ihnen stehen. Nur war sie um ein Vielfaches verkleinert. Der Novize erkannte sehr wohl, dass sich ihr Fell tatsächlich schwarz verfärbt hatte. „Sie hat Eure Macht also tatsächlich angenommen.“, sagte er an Sytania gewandt. „Oh ja.“, antwortete die Prinzessin. „Warum sollte sie das denn auch nicht? Schließlich bin ich die Einzige, die ihr jetzt helfen kann.“ „Warum hast du gezweifelt, Mirdan?“, fragte Cirnach. „Weil ich ihrer nicht wirklich sicher war, Ausbilderin.“, gab Mirdan zu. „Schließlich gelten die Einhörner im Allgemeinen als integer und ich hatte zuerst eine Falle von Logar vermutet. Aber jetzt, da ich sehe, dass ihr Fell tatsächlich schwarz ist, bin ich sicher, dass sie endgültig den Weg des Bösen, also unseren Weg, gewählt hat.“ „Ich bewundere deine Wachsamkeit, Mirdan.“, sagte Cirnach. Dann wandte sie sich ihrem Mann zu: „Du solltest ihn als spezialisierten Wächter ausbilden. Vielleicht hat er ja später sogar eine Chance, in Sytanias persönliche Leibgarde aufgenommen zu werden.“ „Darüber habe ich auch schon nachgedacht, Telshanach.“, grinste Telzan. „Und genau das werde ich auch tun.“
Sytania räusperte sich und deutete auf den Kontaktkelch. „Wir sollten Valora nicht mehr länger warten lassen.“, sagte sie. „Mirdan, du bist dran. Du brauchst einfach nur zu denken, was du ihr sagen willst, kannst es aber auch laut aussprechen. Das ist einerlei. Schließlich formen sich ja alle Worte zuerst als Gedanken in deinem Kopf. Valora hat also jede Chance, alles mitzubekommen.“ „Wenn es Euch nicht zu sehr kränkt, Gebieterin.“, sagte Mirdan. „Dann würde ich gern meine Worte laut aussprechen. Ich fühle mich dann einfach sicherer.“ „Also gut.“, sagte Sytania. „Aber ich hoffe, du hast kein Problem damit, wenn dir Valora telepathisch antwortet.“ „Das habe ich nicht, Herrin!“, versicherte Mirdan. „Nun denn.“, sagte Sytania und sah ihn auffordernd an.
Jetzt war es an dem Novizen, sich zu räuspern. Dann sagte er: „Ich grüße dich, Valora. Ich hoffe, du hast das Aufbrennen von Sytanias Zeichen gut überstanden.“ Das habe ich fürwahr, Mein Junge., sagte Valora telepathisch zu Mirdan. Ach, du machst dir viel zu viele Sorgen. Aber was ist jetzt der Grund, aus dem ihr unbedingt mit mir sprechen wollt. Sytanias Kontaktgesuch klang sehr dringend und sie schien sich sehr über den Grund zu freuen, aus dem sie mit mir reden will. Aber was habt ihr Vendar damit zu tun? „Die Erwachsenen sind nur zu meiner Unterstützung hier, Valora“, sagte Mirdan. „Unsere Gebieterin Sytania wünscht, dass ich dir einen Plan mitteile, den ich ersonnen habe, um uns allen den Rücken freizuhalten, wenn sich das Gleichgewicht der Dimensionen demnächst zu unseren Gunsten verschieben wird. Das dürfte nicht mehr lange dauern, vorausgesetzt es unternimmt niemand etwas dagegen. Zuerst dürfte die Föderation der vereinten Planeten und ihre Dimension gefährdet sein. Aber sie hat Verbündete, die auf der Hut sind und Sytania auch sehr gut kennen. Einige von denen sind zwar eigentlich auch ihre Feinde, aber das ändert sich schlagartig, sobald sie wittern, dass es gegen Sytania und jetzt sicher auch gegen dich geht, Valora. Das haben wir ja schon oft gesehen. Leider ist eine von Ihnen Shashana El Chenesa, die oberste Prätora der Genesianer. Sie hat eine Version von Meilenstein, Kontakt zu Sedrin El Demeta, zumindest inoffiziell und sie ist eine Frau wie Sytania oder du, kann sich also umso besser in eure Art zu denken versetzen. Ich denke, von ihr könnte uns mehr Gefahr drohen, als von jedem Telepathen, den wir kennen. Es ist die Art ihrer Vernetzung, die mir Sorgen bereitet. Shashana hat Verbindungen in Kreise, die …“ Ich habe verstanden, mein junge., sagte Valora. „Mein Name ist Mirdan.“, sagte der Novize. Also gut, Mirdan., erwiderte das Einhorn. Aber was genau ist jetzt dein Plan? „Wir müssen Shashana El Chenesa ablenken.“, sagte Mirdan. „Sie darf nicht von unseren Plänen nicht behelligt werden und ich weiß auch schon, wie wir das anstellen werden. Du, Valora, wirst für einige abtrünnige Prätoras, die mit ihren Clans am Rand des genesianischen Reiches leben, eine Göttin werden, die sie auf unsere Seite bringt. Das wird Shashana nicht gefallen, zumal du dafür sorgen wirst, dass sie eine Art Glaubenskrieg führen werden. Du wirst sie dazu bringen, Shashanas Reich zu überfallen in deinem Namen, um ihren Kriegerinnen den einzig wahren Glauben aufzuzwingen. Wenn Shashana sich also gegen ihre eigenen Leute wehren muss, kann sie nicht der Föderation helfen. Mit allen anderen, den Romulanern, oder den Klingonen oder auch anderen, werden wir schon allein fertig, auch wenn die Romulaner Meilenstein haben. Sie werden sich, wenn die Dimensionen erst einmal destabilisiert sind, sowieso nicht trauen, es einzusetzen. Weil sie viel zu viel Angst haben um ihre eigene kleine Welt. Es wird viel zu lange dauern, bis jemand endlich versteht, was hier los ist. Auf Euch wird man erst sehr spät kommen, Sytania und Valora, denke ich. Zu spät. Viel zu spät. Weil ja nicht sein kann, was nicht sein darf. Ein böses Einhorn? Das kann es doch nicht geben. Zumindest werden alle Politiker der Föderation und auch viele andere so denken und in deinen Bürgerkrieg, Valora, werden sie sich erst recht nicht einmischen wollen, wegen ihrer Obersten Direktive. Wie gesagt, auf die interdimensionalen zusammenhänge kommen sie einfach zu spät. Ihr Weltbild ist eben zu schwarzweiß und selbst wenn es einige wenige gibt, die uns draufkommen sollten, so wird man ihnen nicht glauben, ohne dass sie gescheite Beweise vorlegen. Das glaube ich nicht nur, das weiß ich. Diese Beweise werden sie nur schwerlich bekommen können. Vielleicht auch gar nicht.“ Das ist ja alles sehr schön, was du da sagst, Mirdan., sagte Valora. Aber wie hast du dir vorgestellt, dass ich zur Göttin für diese abtrünnigen Genesianerinnen werden soll? „Um ehrlich zu sein.“, sagte Mirdan. „So genau weiß ich das noch nicht. Aber vielleicht könnten wir uns diese Kriegerinnen einfach einmal ansehen. Vielleicht fällt uns ja dann etwas auf, wo wir einhaken können.“ Nun gut., erwiderte Valora.
Sytania, die dies als Aufforderung gesehen hatte, begann damit, sich auf ihren Wunsch, alle abtrünnigen Genesianerinnen sehen zu wollen, zu konzentrieren. Alsbald erschienen vor den geistigen Augen aller Ausschnitte von Bildern all ihrer Welten. Auf fast allen dieser Bilder schien nichts Nennenswertes zu passieren. Aber dann fiel Mirdans mentaler Blick auf zwei Kriegerinnen, die wohl gerade mit etwas beschäftigt waren, das er selbst nicht verstand. Eine der Beiden war ca. 1,80 m groß, muskulös und trug die typische Bekleidung einer genesianischen Kriegerin bestehend aus dem metallenen Brustschutz, einem ähnlichen Exemplar für den Unterleib, den Kampfschuhen und einem traditionellen Degen. Sie hatte flammend rotes Haar. Die andere Kriegerin war mit ihren 1,70 m etwas kleiner, trug ähnliche Kleidung und hatte ebenfalls eine Waffe, einen Phaser, in der Hand. Die größere Kriegerin schien auch die Prätora des Clans zu sein. Jedenfalls wies ihr Perlenkragen sie als Solche aus, den sie um ihren Nacken trug. Die kleinere und jüngere Kriegerin schien ihre Erbprätora und somit ihre Tochter zu sein. Vor den Beiden auf einem Steinblock lag ein Kleinerer Genesianer von ca. 1,50 Größe. Er war schmächtig und er war notdürftig in ein Leichentuch gehüllt, obwohl er noch lebte. Ansonsten war er nackt. Aber so, wie sich die Dinge für Mirdan darstellten, würde das Leben des Genesianers wohl nicht mehr lange andauern. Mirdan verstand zwar nicht ganz, was hier vorging, dennoch witterte er aber eine große Chance
„Wie kann ich Sytanias Aufmerksamkeit auf dieses Bild allein lenken, Ausbilder?“, wendete sich Mirdan an Telzan. „Ich weiß zwar nicht genau, was hier passiert, aber irgendwie glaube ich, dass es uns helfen könnte.“ „Konzentriere dich auf das Bild, mein Schüler.“, wies Telzan Mirdan an. Der Novize nickte, führte die Anweisung seines Ausbilders aus und sagte dann zu Sytania: „Bitte schaut hin, Gebieterin. Ich glaube, dass wir hier genau das vor uns haben, was wir brauchen!“
Sytania sah sich genau das Bild an, das jetzt durch Mirdans Aktion, die auch ein Befehl an den Kontaktkelch war, in den Vordergrund gerückt war. „Du hast Recht.“, sagte sie. „Es sieht für mich nämlich so aus, als wollten die Beiden dem Mann gleich den Garaus machen. Wenn Valora und ich ihn immer wieder von den Toten auferstehen lassen, werden sie irgendwann total verzweifelt sein. Dann könnte sie sich dorthin begeben und ihn mit einem einzigen Gedanken niederstrecken.“ Oh ja., sagte Valora. Das könnte und das werde ich. Ich werde ihnen eine schöne Geschichte dazu erzählen. Sie werden mir dann schon abnehmen, dass ich von göttlicher Natur bin, wenn ich erst einmal mit ihrem unseligen Opfer da fertig bin. Wenn sie erst einmal überzeugt sind, werden sie wiederum andere überzeugen und der schönste Bürgerkrieg ist nicht nur zwischen uns Einhörnern, was ich sehr bedaure, sondern auch zwischen den Genesianerinnen im Gange, was uns sehr helfen wird. Aber vorher … „Vorher.“, sagte Sytania jetzt auch gleichzeitig in Gedanken und laut: „Vorher spielen wir noch etwas mit dem Genesianer, nicht wahr, Valora, meine teure Freundin?“ ja., meinte Valora. Das tun wir. Ich wäre dafür, wir wechseln uns ab und wir lassen die Vendar entscheiden, wer von uns anfangen darf. Sie dürften meiner Meinung nach auch ruhig zusehen. „Nun gut.“, sagte Sytania.
Telzan griff in die Tasche seiner Uniformhose und zog eine goldene Münze hervor, die auf der einen Seite das Drudenfußzeichen und auf der anderen Seite eine Ziffer in Form von vendarischen Hieroglyphen trug. Diese hob er nun hoch in die Luft und hielt sie in Richtung des Kontaktkelchs. Er hoffte so, dass er Valora ermöglichen konnte, sie auch zu sehen. Das brauchst du nicht, Vendar., sagte Valora mild. Das Bild war ja schon in deinem Kopf, als du daran gedacht hast, sie herauszunehmen. „Bitte vergib mir, Valora.“, sagte Telzan. „Wie konnte ich das vergessen.“ Es ist nicht schlimm., erwiderte das Einhorn. Auch du, der du schon so lange in Sytanias Diensten stehst und dich eigentlich bestens mit allem auskennen solltest, was Telepathie angeht, darfst einmal einen Fehler machen. Schließlich bist du ja auch nur ein Sterblicher. „Ich danke dir für deine Großmut, Valora.“, sagte Telzan erleichtert. Dann streckte er Sytania die Münze auf der ausgestreckten Handfläche mit dem Drudenfuß nach oben hin und sah sie fragend an. Sie aber nickte ihm nur zu und sagte: „Wie gut du mich doch kennst, mein treuer Vertrauter.“ „Mit Verlaub.“, sagte Telzan. „Diese Entscheidung zu treffen war keine Kunst für mich, Milady. Ich kenne ja schließlich Euer Zeichen und dachte mir schon, dass Ihr es, Freundschaft hin oder her, niemandem sonst zugestehen würdet.“ „Das ist richtig, Telzan.“, sagte Sytania. „Aber mir fällt da gerade noch etwas ein. Wie gut ist eigentlich der Wurfarm deines Schülers? Im Kampf kann das sehr entscheidend sein, wie du weißt.“ „Nun.“, sagte der Vendar und gab seinem Schüler die Münze mit den Worten: „Gib dein Bestes!“, die er ihm ins linke Ohr flüsterte. „Das werdet Ihr gleich sehen.“
Er warf Mirdan einen auffordernden Blick zu, worauf dieser die Münze mit einem kräftigen Wurf steil unter die Decke des Thronsaals beförderte, von der sie mit lautem Klirren abprallte, um sich dann einige Male zu drehen und schließlich mit ebenfalls lautem Klirren wieder auf dem Tisch zu landen. Zu sehen war die Ziffer. Cirnach und Telzan klatschten laut Beifall und klopften Mirdan anerkennend auf die Schultern. „Du hast gut trainiert.“, lobte Telzan und seine Frau nickte bestätigend.
„Na schön.“, sagte Sytania. „Man kann ja nicht immer Glück haben und ich werde schon noch auf meine Kosten kommen. Die Stärke deines Wurfarms ist sehr beachtlich, Mirdan. Du wirst sicher einmal ein guter Kämpfer. Wenn man die Höhe meines Thronsaals beachtet, gehört schon einiges dazu, die Decke zu treffen und das auch noch im Sitzen.“ „Vielen Dank, Gebieterin.“, sagte Mirdan. „Aber wenn ich das sagen darf, wir sollten uns jetzt wieder den Genesianerinnen zuwenden, Hoheit. Sonst verpassen wir den richtigen Moment noch.“ „Sehr gut beobachtet.“, lobte Sytania. „Also dann.“ Alle begannen damit, sich erneut auf das Geschehen, das ihnen der Kelch zeigte, zu konzentrieren.