- Schriftgröße +

 

Shimar und sein Schiff waren sicher im Raum-Zeit-Kontinuum angekommen, eine Tatsache, die, wenn man die Situation bedachte, in der die Dimensionen waren, nicht selbstverständlich war.

„Ich bin heilfroh, dass Jenna deiner Antriebssoftware ein Update verpasst hat.“, sagte Shimar erleichtert. Auch der Avatar seines Schiffes sah ihn erleichtert an. „Das bin ich auch, wenn Sie so wollen.“, sagte das Schiff. „Obwohl ich nicht in der Lage bin, Freude zu empfinden. Aber ich erkenne natürlich auch, ob unsere Manöver erfolgreich sind und würde melden, wenn etwas nicht stimmte.“ „Das kann ich mir denken.“, sagte Shimar. „Alles andere wäre ja auch im Zweifel zu gefährlich. Stell dir mal rein hypothetisch vor, du würdest einen Warpkernbruch erleiden und mir die vorhergehenden Symptome nicht melden. Wenn ich dir dann den Befehl erteilen würde, den Warpantrieb zu aktivieren, dürften wir das beide wohl nicht überleben, he?“ „Ihre Hypothese ist korrekt.“, sagte IDUSA. „Obwohl ich davon ausgegangen wäre, dass Sie ein harmloseres Beispiel finden würden.“ „Ob nun harmlos oder drastisch.“, sagte Shimar. „Es geht schließlich um die Aussage des Ganzen und ich glaube, da haben wir uns schon verstanden.“ „Bestätigt.“, sagte das Schiff.

Ihr Sprechgerät hatte den Ruf von Tchians Gerät empfangen. „Shimar, wir werden gerufen.“, sagte IDUSA. „Wer ist es?“, fragte der Tindaraner. „Es ist ein unbekannter Vendar.“, sagte IDUSA. „Jedenfalls geht das aus dem Rufzeichen hervor. Ich kenne es nicht und kann es auch so ohne weiteres keinem Namen zuordnen, den ich im Adressbuch des Sprechgerätes gespeichert habe.“ „Na ja.“, sagte Shimar. „Neue Kontakte können manchmal sehr nützlich sein. Stell ihn zu mir durch!“ „Wie Sie wünschen.“, sagte IDUSA und ihr Avatar trat vor Shimars geistigem Auge einen Schritt zurück.

Auf der virtuellen Konsole vor Shimars geistigem Auge wurde das Bild von Tchian sichtbar. „Ich grüße dich.“, sagte der Vendar. „Auch ich grüße dich.“, sagte Shimar. „Wer bist du? Weder mein Schiff noch ich kennen dich.“ „Ich bin Tchian.“, erwiderte der junge Vendar. „Ich bin im Augenblick der amtierende Anführer von Toleas Vendar. Ich vertrete meinen Anführer Diran. Du kannst mir nicht zufällig sagen, wo er ist, oder wie es ihm geht, Tindaraner?“ „Mein Name ist Shimar.“, sagte dieser. „Und wie es deinem Anführer geht, kann ich dir rein zufällig genau sagen. Diran ist auf unserer Basis. Er lebt, aber das gerade so. Genauer liegt er leider im Koma. Er hat sich selbst gerichtet, weil er glaubt, seine Herrin verraten zu haben. Dabei kann er gar nichts für die Sache, wie es aussieht. Das Ganze ist allein auf Toleas Mist gewachsen, wenn du mich fragst. Deshalb bin ich auch hier. Meine Befehle lauten, deine Herrin zur Rede zu stellen und dafür zu sorgen, dass sie den Bann rückgängig macht, den sie über Diran verhängt hat und der offenbar dafür gesorgt hat, dass er unwissend Informationen an Sytania weitergegeben hat.“

Eiskalte Stille herrschte, nachdem Shimar sich vorgestellt hatte, den Sendeknopf auf der virtuellen Konsole loszulassen. In jener frostigen Atmosphäre hätte man eine Stecknadel fallen hören können. Warum es so gekommen war, konnte sich Shimar schon denken. Jeder Vendar hatte eine sehr vertrauensvolle Beziehung zu seinem Anführer und würde auf ihn nichts kommen lassen. Er aber hatte Diran gerade indirekt verdächtigt, Tolea und ihre Pläne an den Feind verraten zu haben. Das allein war schon unter Vendar ein Grund, jemanden damit zu bestrafen, dass er Hand an sich zu legen hatte. In gewissem Sinne hatte Diran das ja auch getan, wenn auch die Ausführung eher an einen Hilferuf erinnerte und wohl tatsächlich auch mehr einer war, als ein wirkliches Vorhaben, aus dem Leben zu scheiden.

Shimar lehnte sich zurück und schluckte. „Uff, IDUSA.“, sagte er mit sehr bedienter Betonung. „Ich glaube, da habe ich gerade einen Fehler gemacht. Ist die Verbindung noch aktiv?“ „Das ist sie.“, sagte das Schiff. „Demnach können Sie keinen so großen Fehler gemacht haben. Jedenfalls haben Sie ihn wohl nicht so stark beleidigt, dass er die Verbindung beendet hat. Ein Verhalten übrigens, das ich auch in meinem Katalog zur Erkennung von Verhaltensweisen biologischer Wesen als solches gespeichert habe. Falls ich einmal allein bin und auf ein solches Verhalten treffe, muss ich ja wissen, wie ich es einzuordnen und darauf zu reagieren habe.“ „Und was sagen dir deine Systemprotokolle, was du in jenem Fall zu tun hättest?“, fragte Shimar neugierig. „Ich müsste meinerseits den Kanal wieder öffnen und mich mit einer passenden Formulierung bei meinem Gesprächspartner entschuldigen.“, erwiderte IDUSA. „Und genau das werden wir jetzt tun.“, sagte Shimar und drückte wieder auf den virtuellen Sendeknopf: „Tchian, es tut mir leid, falls ich dir oder deinem Anführer auf den Schlips getreten sein sollte. Natürlich weiß ich, dass Diran das nicht mit Absicht gemacht hat. Er weiß es sicher auch nur aus den Aufzeichnungen seines Schiffes. Die Götter mögen wissen, warum er alles aufzeichnen lassen hat. Sein Schiff ist jetzt bei meinen Leuten. Die werden schon rauskriegen, was da wirklich passiert ist. Niemand von uns glaubt, dass Diran ein Verräter ist!“ in seinen letzten Satz hatte er viel Überzeugung gelegt.

Wieder verging einige Zeit. Dann endlich antwortete Tchian: „Das habe ich auch nicht behaupten wollen, Tindaraner. Es war nur so, dass mich deine Worte zunächst ziemlich getroffen haben. Aber ich habe die Tindaraner schon immer für sehr weise gehalten. Jedenfalls seid ihr weise genug, um nicht sofort nach dem ersten Anschein eure Meinung festzulegen. Ihr schaut euch die Situation schon sehr genau an, bevor ihr urteilt. Aber ich bin nicht allein. Kairon, der Bruder meiner Gebieterin Tolea, würde gern zu dir an Bord deines Schiffes kommen, um mit dir zu reden. Er denkt, du könntest Hilfe brauchen.“ „Kein Problem.“, sagte Shimar. „Dann sag ihm bitte, dass IDUSA und ich ihn erwarten. Ach ja. Das haben wir, glaube ich, ja ganz vergessen. Ich heiße übrigens Shimar.“ „Ich werde es Gebieter Kairon ausrichten, Shimar El Tindara.“, sagte der Vendar und beendete das Gespräch.

IDUSA hatte die Situation durchaus mitbekommen. Das nahm ja auch nicht Wunder, da das Gespräch schließlich über ihre Systeme gelaufen war. Ihr Avatar vor Shimars geistigem Auge sah ihn durchdringend an und hob mahnend den rechten Zeigefinger. „Ich neige dazu, Tchian und seinem Herrn zuzustimmen.“, sagte sie. „Würden Sie Tolea mit den Vorwürfen konfrontieren, ohne eine Rückendeckung zu haben, dann könnte es sehr schnell sein, dass Sie den Kürzeren zögen. Meinen Berechnungen nach sind Ihre telepathischen Fähigkeiten allein viel Schwächer als die Toleas. Ich gehe davon aus, dass sie diese nämlich eventuell gegen Sie einsetzen könnte. Sie wissen, in was für einem Zustand sie sich befindet.“ „Danke für deine nochmalige so eindringliche Warnung.“, sagte Shimar diplomatisch. „Aber das hatten wir ja alles schon. Ich weiß, dass eine depressive Q sehr mit Vorsicht zu genießen ist.“ „Oh Sie kennen aber noch nicht alle Ergebnisse meiner Berechnungen.“, sagte IDUSA und ihr Avatar grinste ihn konspirativ an. „So?“, fragte Shimar und visualisierte sein Gesicht mit neugierigem Blick in den Augen. „Dann schieß mal los! Was weiß ich denn noch nicht?“ „Es ist etwas, das uns vielleicht sehr helfen wird, die Befehle des Commanders zu ihrer Zufriedenheit auszuführen.“, sagte das Schiff. „Nun mach es nicht so spannend.“, sagte Shimar. „Rede schon!“ „Also gut.“, sagte IDUSA und zeigte ihm eine Art Diagramm. „Ich habe berechnet, dass Kairon allein auch keine Chance hätte, würde er seine Schwester zur Verantwortung ziehen wollen und würde diese sich mental wehren. Das würde immer wieder zu einer Patsituation zwischen beiden führen, wie Sie hier sehen dürften. Wenn ich Ihre Werte allerdings zu denen Kairons addiere, dann sieht das schon anders aus.“

Sie führte das eben Gesagte aus und Shimar sah tatsächlich, dass der Balken, vor dem jetzt sein und Kairons Name standen, beträchtlich wuchs. „Na das sind ja sehr gute Nachrichten.“, sagte er. „Dann wollen wir mal hoffen, dass du dich nicht verrechnet hast.“ „Davon gehe ich nicht aus.“, sagte IDUSA. „Techniker McKnight versorgt meine Systeme regelmäßig mit den neuesten wissenschaftlichen Updates. Das schließt auch Erkenntnisse über Telepathie mit ein. Ich werde mich also auf keinen Fall verrechnet haben!“ „Also schön.“, sagte Shimar. „Dann betrachte ich das mal als sichere Bank.“

Ein weißer Blitz traf IDUSA. Dann stand neben Shimar plötzlich ein Mann von ca. 1,90 m Größe, der ebenfalls die Uniform eines tindaranischen Patrouillenfliegers trug. Er war schlank, hatte ein freundliches ebenmäßiges Gesicht und hatte kastanienbraunes Haar. IDUSA aber konnte weder seine Erscheinung noch seine DNS einordnen. Das war auch der Grund, aus dem sie ihn, kaum dass er aufgetaucht war, sofort mit dem Transporter erfasste und in die Achterkabine beamte, in der sie bereits die Atmosphäre leicht mit Rosannium versetzt hatte. Da der Fremde offenbar auf diese Aktion nicht gefasst war, holte er, da er sich sehr erschrocken hatte, tief Luft, was ein Fehler war. Augenblicklich fiel er in Ohnmacht und landete sanft auf einem Sitz.

IDUSAs Avatar warf ihrem Piloten einen beruhigenden Blick zu. „Es ist alles in Ordnung, Shimar.“, sagte sie. „Sie sind außer Gefahr.“ „Ich war niemals darin!“, sagte Shimar streng. „Was sollte das, IDUSA?!“ „Unser plötzlicher Besucher.“, sagte das Schiff, um ihre Aktion zu erklären. „Ist mir völlig unbekannt. Ich kann weder seine DNS, noch seine Erscheinung einordnen. Auch hat eine kurze Anfrage bei der Datenbank des tindaranischen Militärs ergeben, dass es keinen Soldaten dort gibt, auf den seine Beschreibung passen könnte. Der Rechner dort hat schon verneint, als ich seine Größe eingab. Bitte vergessen Sie nicht, dass er auch ein Streich von Tolea sein könnte. In ihrem jetzigen Geisteszustand müssen wir mit allem rechnen. Sicher beschämt sie sehr, was sie getan hat und sie würde alles versuchen, um es unter den Teppich zu kehren, denke ich. Aber keine Angst. Ich habe ihn gesichert und die Tür zwischen Cockpit und Achterkabine hermetisch abgeriegelt. Sie sind außer Gefahr, aber das Rosannium wird unseren Freund eine Weile im Land der Träume halten.“ „Ich denke nicht, dass das notwendig ist!“, sagte Shimar fest. „Es handelt sich bei unserem Freund nämlich zweifelsfrei um Kairon! Warum er diese Verkleidung an den Tag legt, weiß ich nicht, aber es ist definitiv er!“ „Was macht Sie da so sicher?“, fragte IDUSA und ihr Avatar sah ihn sorgenvoll an. „Na, zum Beispiel der SITCH.“, sagte Shimar. „Kairon hat sich angekündigt. Aber auch seine geistige Prägung identifiziert ihn eindeutig. Bitte vertrau mir, IDUSA. Es ist wirklich Kairon! Und nun reinige die Atmosphäre!“ „Sie wissen, dass die Wahrscheinlichkeit besteht, dass ein Mächtiger in der Lage ist, die geistige Prägung eines anderen bis zu einem gewissen Grad zu kopieren, wenn er sich große Mühe gibt. Sie selbst sagten, bei Tolea müsse man im Moment mit allem rechnen. Außerdem verfolgt Techniker McKnight die Theorie, dass Sytania an unserer Situation nicht unschuldig ist. Es gibt also genug Faktoren, die auch die Existenz einer Lebensform, die uns täuschen soll, befürworten könnten.“ „Das würde ich spüren.“, sagte Shimar. „Vielleicht auch nicht.“, sagte IDUSA. „Wer weiß, wie gut sich Sytania oder Tolea auf so etwas vorbereitet haben.“

Shimar dachte nach. Er wusste, dass er dringend einen Weg finden musste, sein Schiff von der Wahrheit zu überzeugen. Ihre Argumente waren durchaus stichhaltig und sicher der Tatsache geschuldet, dass sie eine künstliche Intelligenz war, für die Emotionen und durch Emotionen hervorgerufene Situationen zu abstrakt waren, um sie erfassen zu können und angemessen reagieren zu können. Wenn man IDUSA also gesagt hatte, sie solle auf der Hut sein, dann war sie das auch und wenn ihre Sensoren ihr den winzigsten Anschein gaben, dass hier etwas nicht stimmte, dann würde sie zunächst alles tun, um ihren Piloten zu schützen, wie es ihr durch die Lex Technologica diktiert wurde. Ihr Verhalten war also keine Fehlfunktion, sondern das ganz normale Ergebnis ihrer Programmierung. Aber sie war ja lernfähig und das war etwas, das Shimar sich jetzt zunutze machen musste.

Der junge tindaranische Soldat setzte sich wieder aufrecht hin, rückte sich und den Neurokoppler auf seinem Kopf zurecht und sagte dann: „Hör mal zu, IDUSA! Ich weiß, wie abstrakt dir eine solche Situation vorkommen muss. Du kannst unseren Feind, also Toleas Krankheit, nicht sehen, weil sie aus einer Emotion herrührt und das ist etwas, das du nicht erfassen kannst. Wenn du jetzt allein wärst, dann wäre die Situation sicher nicht gut für dich. Aber du hast ja jetzt mich. Ich kann dir in so einer Situation sicher gut weiterhelfen. Für mich sind Emotionen nämlich keine abstrakte Sache. Aber auch du hast eine Möglichkeit zu erkennen, ob es sich wirklich um Kairon handelt. Du hast diese Möglichkeit selbst genannt.“ Er ließ eine Pause, um ihre Reaktion abzuwarten. „Ich weiß nicht, was Sie meinen könnten, Shimar.“, sagte IDUSA. „Ich meine.“, erklärte Shimar, der ihre Verwirrung durchaus nachvollziehen konnte. „Dass du sicher sein Neuralmuster erkennen würdest, wenn du es sehen würdest.“ „Durchaus.“, bestätigte das Schiff. „Diese Information befindet sich nämlich in meiner Datenbank.“ „Dann benutze sie!“, sagte Shimar.

IDUSA begann damit, die Achterkabine mit ihren internen Sensoren zu scannen. Dabei hatte sie auch das Bild von Kairons Neuralmuster aus ihrer Datenbank in den Arbeitsspeicher geladen, um eine Vergleichsmöglichkeit zu haben. Tatsächlich erkannte sie wenig später das Neuralmuster als positiv. „Es tut mir leid.“, entschuldigte sie sich. „Ist schon gut.“, sagte Shimar. „Das ist eine Situation, mit der du, als künstliche Intelligenz, eben total überfordert sein musst. Im Vertrauen, IDUSA, Jenn’ sagt, Emotionschips sind auch nur Makulatur. Wenn ich sie richtig verstanden habe, dann ist da auch nur ein Haufen erlernter Verhaltensweisen drauf, die in bestimmten Situationen einfach von euch abgespult werden sollen. Das ist sehr leicht zu manipulieren und kann dann auch zu total merkwürdigen Ergebnissen führen. Stell dir vor, jemand programmiert dich, auf einen traurigen Bericht mit einem riesigen Lachkrampf zu reagieren. Wenn deine Programmierung dir das nicht anders vorschreibt, tust du es. Echt sind deine Gefühle deshalb noch lange nicht.“ „Gut, dass sich Techniker McKnight niemals mit Dr. Soong unterhalten wird.“, stellte IDUSA fest. „Wenn sie ihm diesen Zahn ziehen würde, also ihm sagte, dass er nur eine Illusion kreiert hat, dass würde ihn sicher sehr stark demoralisieren. Aber das wird ja nie vorkommen, wenn sie nicht demnächst vorhat, die Zeitlinie zu manipulieren.“ „Ich denke nicht, dass Jenn’ das demnächst vor haben wird.“, sagte Shimar. „Dafür weiß sie viel zu genau über solche Sachen Bescheid. Aber ich habe ja auch nur weitergegeben, was sie mir gesagt hat. Ich kann mir selbst über so etwas kein Urteil erlauben. Ich bin schließlich nur ein einfacher Pilot und kein Ingenieur.“ „Oh Sie führen Ihren Beruf aber sicher nicht mit weniger Präzision aus.“, sagte IDUSA. „Jedenfalls kann ich nicht klagen und ich muss das ja wissen. Ich bin schließlich das Ihnen vom Oberkommando zugeteilte Schiff, das Sie beinahe tagtäglich fliegen.“ „Danke für das Kompliment, IDUSA.“, sagte Shimar. „Aber mal was anderes. Hast du inzwischen die Atmosphäre gereinigt? Ich würde Kairon gern begrüßen und habe keine Lust, gleich neben ihm zu liegen, du verstehst?“ „Durchaus.“, antwortete das Schiff. „Aber die Atmosphäre ist wieder porentief rein. Kairon wird gleich aufwachen. Ich habe nur eine geringe Menge Rosannium benutzt, die sein System schon wieder ausgeschwemmt haben dürfte. Ohne Nachschub wird er nicht länger bewusstlos bleiben.“ „Dann werde ich mal gehen.“, sagte Shimar, nahm den Neurokoppler ab, steckte ihn in die Tasche und drehte sich ein letztes Mal dem Mikrofon zu: „Übernimm das Steuer!“ Dann drehte er sich zur Tür, die ihn in die Achterkabine führen würde.

Ein Signal ließ ihn aber noch einmal nach hinten lauschen. „Was ist denn noch, IDUSA?“, fragte er. „Bitte richten Sie Kairon auch meine Entschuldigung aus.“, sagte IDUSA. „Klar!“, sagte Shimar locker. „Aber ich finde, er hat sich die Situation auch zu einem gewissen Teil selbst zuzuschreiben. Ich habe über das nachgedacht, was du über deine Anfrage bei der Militärdatenbank gesagt hast und ich finde, er hätte dich nicht so irritieren dürfen. So große Tindaraner gibt es nicht und er kann froh sein, wenn deine Anfrage keinen Alarm ausgelöst hat. Das Oberkommando dürfte jetzt ordentlich was zum Nachdenken haben.“ „Bestätigt.“, sagte IDUSA. „Aber das können wir ja aufklären.“ „Oh ja.“, sagte Shimar. „Aber ich werde Kairon auch noch einmal darauf ansprechen. Ich werde ihm wohl erklären müssen, das sein Fehler eine Menge ausgelöst hat.“ „Ich hoffe, Sie ziehen ihm auch in meinem Auftrag gehörig die Löffel lang!“, sagte IDUSA. „Schönen Gruß von Shannon, wie?“, lachte Shimar. „Welchen Löffel soll ich ihm denn in deinem Auftrag langziehen, hm?“ „Den rechten Löffel bitte, Shimar.“, sagte IDUSA. „Und bitte richten Sie ihm auch aus, dass meine Systeme nicht gut auf Irritationen reagieren.“ „Geht klar.“, sagte Shimar. Dann ging er durch die Tür, die IDUSA ihm bereitwillig geöffnet hatte.

Tchian hatte sich in Toleas Gemach begeben. Kairons Satz über die gelöste Zunge hatte ihm Mut gemacht. Jetzt hoffte er, selbst mit seiner Herrin über die Probleme sprechen zu können, die Tolea schon seit Tagen plagten. Seinen Posten am Tor hatte er dem anderen Wachsoldaten gegeben, da er sich dachte, dass dieses Gespräch wohl etwas länger dauern könnte.

Umso überraschter war er, als er Toleas Bett lehr vorfand. Er legte beide Hände auf die Decke und begann damit, sich auf Toleas geistige Prägung zu konzentrieren. Ihm war klar, dass sie das Haus nur mit Hilfe ihrer Kräfte verlassen haben konnte. Sonst hätten er oder seine Leute sie ja sehen müssen. Als Telepathenjäger konnte er dies ja erspüren und benötigte dafür in den seltensten Fällen einen Erfasser.

Tatsächlich verriet ihm seine Wahrnehmung bald, dass seine Vermutung richtig war. „Wo wollt Ihr nur hin, Herrin?!“, rief er laut und verzweifelt aus. „Und vor allem, was wollt Ihr tun?! Bitte tut euch nichts an! Bitte!“

Er war sehr verzweifelt. Was konnte er jetzt noch tun? Irgendjemand musste ihm helfen, Tolea wiederzufinden und derjenige musste auch verhindern, dass sie sich etwas antat. Der Einzige, der ihm dazu einfiel, war der Pilot des tindaranischen Schiffes. Gegen die geistige Suche anderer Mächtiger konnte sich Tolea abschirmen, das wusste er. Aber vielleicht nicht gegen die Sensoren von Technologie. Er beschloss also, das fremde Rufzeichen noch einmal zu benutzen.

Shimar war zu Kairon in die Achterkabine gegangen und hatte sich über ihn gebeugt, Über ihn, der gerade wieder im Begriff war, das Bewusstsein zu erlangen. Erschrocken sah der Mächtige in das ruhige Gesicht des jungen Tindaraners. „DU?“, fragte er erstaunt. „Ja, ich.“, sagte Shimar und setzte sich neben ihn. „Bitte verzeih meinem Schiff.“, bat er dann. „Sie meinte es nicht böse. Sie hat dich einfach nicht erkannt, Kairon. Aber du hast es ihr ja auch nicht gerade leicht gemacht!“ In seinen letzten Satz hatte er eine starke vorwurfsvolle Note gelegt. „Was genau meinst du damit?“, fragte der Mächtige. „Ich meine, dass du dich als etwas präsentiert hast, das sie nicht einordnen kann.“, erklärte der Patrouillenflieger. „Unter den gegebenen Umständen musste sie dich für den Feind oder einen Streich von Tolea halten, mit dem sie versucht, uns davon abzuhalten, sie zur Rede zu stellen.“ „Wie kommt dein Schiff darauf?!“, fragte Kairon und setzte sich auf. Selbst sitzend kam er Shimar sehr groß vor. „Sind ihre Sensoren defekt? Eure Techniker McKnight sollte sie mal ganz genau überprüfen! Aber warum unterstützt du offensichtlich ihre falsche Annahme auch noch?“ „Moment mal, du Lulatsch!“, sagte Shimar. Dabei betonte er den Lulatsch noch besonders. „IDUSAs Sensoren funktionieren einwandfrei und lass gefälligst Jenn’ da raus. Sie hat uns schon so oft den Podex gerettet, dass ich schon aufgehört habe zu zählen! Sie trifft bestimmt auch keine Schuld. Der Einzige, der hier einen Fehler gemacht hat, das bist ja wohl du! Du langes Elend!“

Er lehnte sich wartend zurück. Dabei hoffte er, genug Hinweise gestreut zu haben, die Kairon wohl endlich auf seinen Fehler bringen würden. Stattdessen aber sagte der Mächtige nur: „Wie redest du denn mit mir?! Du kannst froh sein, wenn ich das nicht als diplomatischen Fauxpas betrachte und dich deiner Regierung melde!“ „Ach, so einfach ist das!“, spottete Shimar. „Ein einfacher tindaranischer Soldat, also ein Sterblicher, wirft einem Mächtigen ein paar Sprüche an den Kopf und der ist tödlich beleidigt! Oh Backe! Ihr Mächtigen seid vielleicht Weich… ich meine Sensibelchen!“ Seine Geduld war am Ende! Er hatte Kairon durchaus mehr Intelligenz zugetraut. Wenn er nicht bald kapieren würde, was hier Sache war, würde er platzen! Zumindest fühlte es sich für Shimar so an.

IDUSA war es, die der Situation schließlich ein Ende bereitete. Sie ließ ein Licht über einem Der Ports an der Wand aufleuchten. Das zeigte Shimar, dass sie etwas von ihm zu wollen schien.

Er zog seinen Neurokoppler wieder aus der Tasche und steckte ihn in den Port, den ihm sein Schiff ausgeleuchtet hatte. Sofort lud IDUSA wieder seine Reaktionstabelle. „Was gibt es, IDUSA?“, fragte Shimar. „Wir werden von Tchian gerufen, Shimar.“, sagte das Schiff. „Seinen Stimmfrequenzen nach scheint er sehr aufgeregt zu sein.“ „Stell ihn durch!“, sagte Shimar, der froh war, nicht mehr an die Dummheit Kairons denken zu müssen. Er fragte sich, ob der Mächtige wirklich so dumm war, oder sich nur so dumm anstellte. Aber das war etwas, das er so nicht klären konnte. Es würde auch warten müssen, denn dafür war jetzt keine Zeit. Jetzt musste er erst einmal den armen Vendar verarzten, der gerade nach seiner Aufmerksamkeit verlangte. Shimar ahnte, dass hier gewaltig etwas nicht stimmte. Kairon würde jetzt genug Zeit finden, über das, was Shimar ihm gerade gesagt hatte, nachzudenken. Vielleicht kam er ja doch noch drauf.

IDUSA hatte Tchian zu ihrem Piloten durchgestellt und das Gesicht des Vendar war vor Shimars geistigem Auge erschienen. Jetzt sah auch er, wie verzweifelt er dreinschaute. „Was ist geschehen, Tchian?“, fragte er. „Ich weiß es nicht genau, Shimar El Tindara!“, sagte Tchian verzweifelt. „Meine Herrin ist verschwunden und sie hat dazu offensichtlich ihre mentalen Fähigkeiten benutzt! Das bedeutet, sie kann jetzt überall sein! Oh ich befürchte, sie wird sich etwas antun! Kannst du sie finden?!“ „Das halte ich schon für möglich.“, sagte Shimar ruhig. „Mach dir keine Sorgen, Tchian. Ich mache das schon.“ Damit gab er IDUSA den Gedankenbefehl, die Verbindung zu beenden, was sie auch sofort tat. „Kann ich sonst noch etwas tun, Shimar?“, fragte der Avatar. „Ja, das kannst du.“, antwortete der junge Tindaraner. „Schließ dich mit der interdimensionalen Sensorenplattform kurz und such nach Tolea!“ „In Ordnung, Shimar.“, sagte das Schiff. „Ich muss Sie allerdings darauf hinweisen, dass Tolea, falls sie uns täuschen will, sich in alles und jedes verwandeln kann. Ich werde also als Parameter für die Suche lediglich ihr Neuralmuster verwenden.“ „Sehr gut, IDUSA.“, sagte Shimar. „Mach es so!“

Er setzte den Neurokoppler wieder ab, was für IDUSA ein eindeutiges Signal war, seine Reaktionstabelle wieder zu löschen. Dann wandte er sich wieder Kairon zu: „Weißt du jetzt vielleicht, worauf ich hinauswollte?“ fragte er. „Tut mir leid.“, sagte Kairon. „Ich weiß es beim besten Willen nicht. Aber meine Gedanken werden auch im Moment mehr vom Wohlergehen meiner Schwester beherrscht. Vielleicht kann ich deshalb nicht darüber nachdenken. Bitte hilf mir, Shimar.“ „Na gut.“, sagte Shimar. „Du hast vergessen, deine Größe an die durchschnittliche Größe eines Tindaraners anzupassen. Das hat IDUSA schon irritiert. Als du dann auch noch eine unbekannte DNS hattest, war alles zu spät. Sie musste ja denken, dass du der Feind, oder mindestens ein Streich von Tolea bist.“ „Ach so.“, sagte Kairon. „Das tut mir leid. Eigentlich wollte ich dir mit meiner Erscheinung nur zeigen, dass ich auf deiner Seite bin. Aber offenbar habe ich damit genau das Gegenteil erreicht. Aber warte mal kurz.“

Es gab einen weißen Blitz und vor Shimar stand der allen viel besser bekannte Anzugträger, als der Kairon auch in allen Datenbanken verzeichnet war, da man ihn bei diplomatischen Anlässen, bei denen alle Verbündeten der Föderation aufgetreten waren, meistens nur so sah. „So.“, sagte er. „Und nun frag dein Schiff bitte, ob ihr diese Erscheinung besser gefällt!“ „Sicher.“, erwiderte Shimar und setzte den Neurokoppler wieder auf. Dann befahl er: „IDUSA, scanne Kairon noch einmal und dann sag mir, ob du ihn jetzt erkennen kannst!“

Der Avatar nickte ihm zu und dann führte IDUSA seinen Befehl aus. Ihr Ergebnis stimmte ihn sehr positiv. „Ich habe ihn tatsächlich erkannt, Shimar.“, sagte sie. „Bitte sagen Sie ihm, dass es mir leid tut.“ „Das kannst du ihm auch selbst sagen, IDUSA.“, sagte Shimar. „Repliziere bitte einen zweiten Neurokoppler. Dann können sich du und Kairon auch unterhalten.“ „Denken Sie wirklich, dass sich Kairon darauf einlassen wird, Shimar?“, fragte IDUSA. „Als Mächtiger wird er sich doch sicher nicht dazu herablassen wollen, mit primitiver Technologie wie mir zu kommunizieren.“ „Du weißt, dass er kein Q vom alten Schlag ist, IDUSA.“, sagte Shimar. „Tu einfach, was ich dir gesagt habe. Dann wirst du ja sehen, ob er es tut oder nicht.“ „Also gut.“, sagte das Schiff.

Ein Summen hinter ihm zeigte Shimar an, dass der Replikator in der Achterkabine in Betrieb gegangen war. Nachdem er sich umgedreht hatte, sah er auch das Lämpchen, das ihm einen erfolgreichen Replikationsvorgang meldete. Den Neurokoppler, den er darauf im Auswurffach vorfand, nahm er heraus und zeigte ihn Kairon. „Du kannst dich selbst mit ihr unterhalten.“, sagte er. „Dazu musst du diesen hier nur aufsetzen. Den Rest mache ich.“ „Also gut.“, sagte Kairon, nahm ihm den Koppler aus der Hand und setzte ihn sich wie einen Haarreif auf den Kopf, wie er es bei Shimar gesehen hatte. „Richtig so?“, fragte er. Shimar nickte. „Und was jetzt?“, fragte Kairon weiter. „Tja, jetzt.“, sagte Shimar und nahm Maß, was die Entfernung zwischen Kairon und dem nächsten Port anging. „Jetzt muss ich dich leider an die Leine nehmen. Der Weg zum nächsten Port ist zu lang. Im Cockpit wäre das viel leichter.“ Er nahm das Anschlussmodul des Neurokopplers in die rechte Hand. Jetzt sah auch Kairon das Kabel. Er musste lachen. „Der Vergleich mit der Leine ist gar nicht so weit hergeholt.“, sagte er. „Dann bin ich mal ein folgsames kleines Hündchen.“ „Also dann, Fiffi.“, scherzte Shimar zurück, der heilfroh war, dass sich die frostige Atmosphäre zwischen ihm und Kairon offensichtlich wieder entspannt hatte. „Dann komm! Bei Fuß!“ Kairon gab einen völlig übertriebenen Winsellaut von sich und beide Männer lachten.

Du musst login (registrieren) um ein Review abzugeben.
Creative Commons License
Science/Fantasy-Ecke Website von Kamil Günay steht unter einer Creative Commons Namensnennung-Keine kommerzielle Nutzung-Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland Lizenz.