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Der Anblick Toleas hatte Solthea einen mittleren Schrecken eingejagt, als Ketna und sie auf der Krankenstation erschienen. „Du meine Güte!“, rief die ohnehin etwas zartbesaitete medizinische Assistentin aus. „Wie kann das sein?! Sie hat überall Wunden und sie sieht sehr schlecht aus!“ „Das soll doch wohl ein Scherz sein, Solthea!“ wies Ketna ihre Untergebene harsch zurecht. „Bitte erzählen Sie mir nicht, dass Sie angesichts dieser Umstände tatsächlich erwartet haben, eine strahlenschöne und gesunde Mächtige hier vorzufinden. Sie hatte sich in einen Kometen verwandelt, der beschossen wurde und das Rosannium hat mit Sicherheit auch seinen Teil dazu beigetragen. Ich überlege allerdings sogar, sie in ein künstliches Koma zu versetzen, da Schmerz für sie eine völlig neue Erfahrung sein dürfte, mit der ihre Seele angesichts der Situation vielleicht nicht zurechtkommt. Aber wir sollten sie auch mit dem Hautregenerator behandeln. Zumindest die Wunden, die nur oberflächlich sind. Ich muss sie genauer untersuchen um sagen zu können, ob ich sie nicht vielleicht sogar operieren muss. Reichen Sie mir einen Erfasser, Assistant!“

Solthea nickte und ging zu einem der Regale, in denen die Geräte, die zur Untersuchung und Behandlung von Patienten benötigt wurden und keinen festen Stand hatten, aufbewahrt wurden. Bald kam sie von dort mit dem von ihrer Vorgesetzten Gewünschten zurück. „Bitte, Madam.“, sagte sie. „Danke, Assistant.“, sagte Ketna förmlich und ließ das Gerät über ihrer Patientin kreisen. Dabei beobachtete sie das Display genau.

Wenig später ließ sie das Gerät erleichtert sinken. „Operieren müssen wir nicht, Solthea.“, sagte sie. „Aber die Sache mit dem künstlichen Koma ist noch nicht vom Tisch.“ „Ihre Wunden sind teilweise sehr tief und ich möchte auch erst einmal das Rosannium aus ihrem Körper spülen. Dann werden wir sie einer Feldtherapie unterziehen, die den Zellen ihres telepathischen Zentrums dabei hilft, sich daran zu erinnern, welche Aufgabe sie haben. Leiten Sie alles in die Wege, Assistant. Ich informiere den Commander.“ Solthea nickte und machte sich daran, ein Biobett für Tolea vorzubereiten. Der Behandlungstisch, auf dem sie bis jetzt gelegen hatte, war ja schließlich keine dauerhafte Lösung.

Ketna hatte ihr Sprechgerät gezogen und das Rufzeichen von Commander Time eingegeben. Dieser hatte sich bereits in der Offiziersmesse befunden, wo auch alle anderen inzwischen eingetroffen waren.

In einer stillen Ecke, in die er sich zurückgezogen hatte, nahm Time das Gespräch an: „Ja, Scientist!“ „Wir haben Tolea zurückverwandeln können.“, sagte die Ärztin. „Das ist die gute Nachricht, Sir. Die Schlechte ist allerdings, dass es ihr sehr schlecht geht. Sie ist sehr schwer verletzt. Ich werde sie wohl in ein künstliches Koma versetzen müssen, damit sie die Schmerzen nicht spürt. Ich werde umfangreiche Behandlungen vornehmen müssen. Wir können nicht erwarten, dass sie sich selbst heilt, Commander. Ihr telepathisches Zentrum ist stark geschädigt. Ihre geistigen Fähigkeiten tendieren gen null.“ „Warten Sie mal bitte, Ketna.“, sagte Time ruhig. „Jetzt mal eins nach dem anderen. Warum ist es so weit gekommen?“ „Wir glauben.“, sagte Ketna. „Dass da mehrere Faktoren zusammengespielt haben. Ihre Psyche ist nicht ganz gesund im Moment. Oder wie würden sie das nennen, wenn jemand die Absicht zum Suizid hat?“ „Da stimme ich Ihnen durchaus zu, Scientist.“, sagte Time. „Aber was ist mit dem Rest?“ „Bitte vergessen Sie nicht, Sir.“, sagte Ketna. „Dass sie sich in einen Kometen verwandelt hatte, der beschossen wurde. Ihre Wunden sind jetzt nichts anderes als ein Spiegel dessen. Dazu kommt noch der mentale Kampf, den sie sich offensichtlich mit Shimar und ihrem Bruder geliefert hat. Die Bilder meines Erfassers sprechen Bände. Wir mussten außerdem Rosannium benutzen, um sie wieder in ihre menschliche Gestalt zu bringen. Ich weiß, dass das angesichts ihres ohnehin schon desolaten Zustands sehr gefährlich war. Aber uns blieb leider keine Wahl!“ „Schon gut, Scientist.“, sagte Time wieder sehr ruhig. „Ich denke, dass sich Tolea bei Ihnen in den besten Händen befinden dürfte und dass Sie schon wissen, was Sie tun. Ich werde Ihnen da nicht reinreden. Die Medizin ist schließlich Ihr Fachgebiet. Sie würden ja schließlich auch nicht auf die Brücke stolziert kommen und mir in meine Kommandoentscheidungen reinreden.“ „Sicher nicht.“, sagte die Zeonide. „Aber jetzt muss ich an die Arbeit. Meine Patientin braucht mich.“ „Schon gut, Ketna.“, sagte Time und beendete die Verbindung.

Leider hatte der Terraner nicht bemerkt, dass er die gesamte Zeit über sein Sprechgerät auf Lautsprecher geschaltet hatte. Der Ton war zwar sehr leise, aber Kairon hatte genau neben ihm gestanden. „Bitte sagen Sie mir, dass ich da eben etwas falsch verstanden habe, Commander Time!“, flehte er Peter an. „Dann müsste ich lügen, Kairon.“, sagte Time, dem erst jetzt sein Fehler aufgefallen war. „Und das täte ich in so einer Situation höchst ungern. Diplomatisch betrachtet wäre das auch sicher ein Fehler. Aber meine Ärztin wird alles tun, um Ihre Schwester zu retten! Darauf können Sie sich verlassen!“ „Ich hoffe, dass Sie Recht behalten werden, Commander.“, sagte der Mächtige und sah ihn sorgenvoll an.

Solthea und ihre Vorgesetzte hatten wenige Stunden später die schlimmsten Verletzungen Toleas behandelt. „Das wär’s.“, sagte die Zeonide erleichtert. „Für die Feldtherapie sollte sie wach sein. Leiten Sie das künstliche Koma wieder aus, Assistant! Dann gehen Sie ganz diskret in die Offiziersmesse und holen ihrem Bruder. Ich möchte, dass sein Gesicht das erste ist, das Tolea beim Aufwachen sieht!“ „Aye, Scientist.“, nickte die medizinische Assistentin und begann damit, die Befehle ihrer Vorgesetzten auszuführen.

Kairon hatte sich noch immer nicht aus Times Nähe begeben. „Was hat Ihr Scientist damit gemeint, dass sie Rosannium benutzt hat?“, fragte er. „Das kann sie Ihnen sicher selbst viel besser erklären als ich.“, vertröstete Time ihn. Er war sichtlich nervös, denn langsam wusste er nicht mehr, wie er den immer aufgeregter werdenden Kairon noch beruhigen sollte.

Er wurde plötzlich Soltheas Gesicht ansichtig, das sich hinter einer Säule hervorschob. „Medical Assistant, bitte sagen Sie mir, dass Sie gute Nachrichten haben.“, sagte Time. „Die hätte ich vielleicht tatsächlich.“, sagte die Orkanierin. „Aber wohl hauptsächlich für Kairon.“

Sie wandte sich dem Mächtigen in Times Begleitung zu: „Mr. Kairon, Ihre Schwester ist dabei zu erwachen. Meine Vorgesetzte findet es gut, wenn sie Sie sehen würde.“ „Ich komme!“, sagte Kairon und reihte sich hinter Solthea ein, die ihn aus der Offiziersmesse führte.

Mit einer gerade eigenhändig replizierten Erfrischung in der Hand hatte sich Shimar an einen Tisch gesetzt. Er hatte die Augen nicht von Time gelassen, hatte aber bei der Wahl seiner Position sorgfältig darauf geachtet, dass Time nicht sehen konnte, dass er von dem jungen Tindaraner beobachtet wurde. Shimar tat zwar, als würde Time ihn nicht sonderlich interessieren, aber im Inneren sehnte er doch den Moment Herbei, in dem der Kommandant endlich seine Festrede halten und dann hoffentlich die Zivilisten wegschicken würde. Shimar konnte sich, als ausgebildeter Soldat der tindaranischen Streitkräfte, sehr wohl denken, dass es Dinge gab, die Ms. Hansson und ihre Begleitung nichts angingen, die aber zwischen ihm, Kairon und den Sternenflottenoffizieren dringend besprochen werden mussten. Die kleine Komplikation mit Kairons offensichtlicher Schwärmerei für Caroline, denn mehr war es in Shimars Augen auch nicht, würde er mit Times Hilfe schon allein in den Griff bekommen. Das stellte kein wirkliches Problem dar. Er wollte mur sichergehen, dass er die Situation richtig interpretiert hatte. Er war Solthea sehr dankbar, dass sie Kairon mitgenommen hatte, denn so hatte sich für ihn eine günstige Gelegenheit ergeben. Wenn nur Time endlich den Teil des Plans erfüllen würde, den er ihm zugedacht hatte! Dass es zweifelsfrei dazu kommen würde, hatte sich Shimar bereits gedacht, als er Shorna ansichtig geworden war, die in Galauniform neben Time saß. Es machte für ihn durchaus Sinn, sie zur Unterhaltung der Zivilisten abzustellen, denn sie hatte ja im Augenblick sonst nichts zu tun. Auch ließ sich ihre Anwesenheit nur so erklären. Das war ein Umstand, der Shimar sehr erfreute.

Time hatte mit seinem Löffel an sein Glas geklopft. Schlagartig waren alle, die bisher in die eine oder andere Unterhaltung vertieft waren, verstummt. Dann war der ältere Amerikaner aufgestanden, hatte sich geräuspert und dann zu einer Rede angesetzt: „Ladies und Gentlemen, Ich freue mich sehr, dass wir diese Situation doch noch zu einem glücklichen Abschluss bringen konnten! Ohne Ihrer aller tatkräftige Mithilfe wäre uns das sicher nicht gelungen! Ich will den Tag nicht vor dem Abend loben! Mir ist auch bekannt, dass Tolea noch lange nicht außer Gefahr ist, aber in den Händen meiner Ärztin ist sie sehr gut aufgehoben! Dessen können Sie alle gewiss sein! Aber das, was es ihr am Ende vielleicht sehr erleichtern könnte, Tolea das Leben doch noch zu retten, ist auch das besonnene Handeln unseres jungen Freundes Shimar von den Tindaranischen Streitkräften, Toleas Bruder Kairons und auch das von Ms. Caroline Hansson und Mr. Hein Schmitt, zwei Zivilisten, die ebenfalls einen kühlen Kopf bewahrt haben, was uns alle sehr positiv überrascht hat. Um sich speziell bei den zuletzt Genannten zu bedanken, da so etwas ja nicht selbstverständlich ist, hat sich meine Waffenoffizierin bereiterklärt, Sie zu einer Schiffsführung zu begleiten. Gleich nach dieser Rede könnte es losgehen, wenn Sie beide möchten!“ Jetzt aber möchte ich doch mit Ihnen allen zunächst mein Glas auf das glückliche Ende dieser Mission erheben!“

Er prostete allen zu und alle erwiderten den Trinkspruch mehr oder minder im Chor: „Auf den glücklichen Ausgang der Mission.“ Hein fügte sogar noch bei: „Prost! Wer nix hett, der host!“ Ein Satz, der Shimar Kopfzerbrechen bereitete. Da er sich aber denken konnte, dass Hein aus meinem Heimatgebiet auf der Erde kommen müsste, würde er mir das bei Gelegenheit vorsprechen, wenn es ihm denn möglich wäre, ohne dass er sich die Zunge bräche und mich dann nach der genauen Bedeutung fragen. Sicher würde ihm auch IDUSA dies übersetzen können, aber meine Übersetzung würde ihm zweifelsfrei wohl besser gefallen. Sie wäre sicher um ein Vielfaches Wärmer und herzlicher ausgefallen. Bei dem Gedanken daran schaute er verträumt in die Runde und grinste.

Shorna hatte ihr Glas geleert und war dann zu Caroline und Hein gegangen, um sie auffordernd anzusehen. Beide hatten genickt, waren von den etwas wuchtig und antik wirkenden Stühlen aufgestanden und ihr aus dem Raum gefolgt.

Shimar hatte noch abgewartet, bis sie um die Ecke verschwunden waren. Dann hatte er ein letztes Mal an seinem Strohhalm gezogen, als wollte er sich Mut antrinken. Da sein Glas ohnehin schon halb leer war, gab dies ein ziemlich lautes Geräusch. „Verdammt!“, flüsterte er an sich selbst gerichtet. „Wie peinlich war das denn?!“

Dann stand er auf und ging langsam auf Time zu, um dann salutierend vor ihm stehen zu bleiben. „Commander!“, sagte er schmissig. „Bitte um Erlaubnis, Sie unter vier Augen zu sprechen!“ „Erlaubnis gewährt, mein Junge.“, sagte Time ruhig und stand ebenfalls von seinem Platz auf. Dann winkte er Shimar, der ihn hinter eine Säule begleitete. „So.“, sagte Time. „Und nun mal raus damit! Heute sind alle irgendwie so förmlich. Aber du und ich, wir haben doch eigentlich kein Problem mit der Befehlskette. Du bist kein Offizier der Sternenflotte und ich kein tindaranischer Kommandant. Ich hätte dir also gar nichts zu sagen, zumindest rein theoretisch. Also, Shimar, was schlägt dir so auf den Magen?“ „Ich bin nicht sicher, Commander.“, sagte Shimar und machte ein sorgenvolles Gesicht. „Aber ich befürchte, dass es zu einem Krieg zwischen dem Raum-Zeit-Kontinuum und dem Universum der Föderation kommen könnte, wenn wir nicht aufpassen!“ „So, so, befürchtest du das.“, sagte Time immer noch sehr ruhig. „Und wie kommst du darauf?“ „Kairon scheint sich in Caroline Hansson verliebt zu haben.“, sagte Shimar. „Aber da ist offensichtlich noch Hein und … na ja. Wegen der Liebe sind auf Ihrem Heimatplaneten schon sehr verlustreiche Kriege geführt worden. Ich denke da zum Beispiel an Troja und …“

Times Mundwinkel zogen sich langsam auseinander, bis ein beruhigendes Lächeln zustande gekommen war. Dann sagte der ältere Amerikaner ruhig, während er Shimar von oben bis unten ansah: „Na, nun lass mal die Kirche im Dorf, mein Junge. Erstens war Troja eine Sage und zweitens sind weder Hein noch Kairon zwei Könige mit uneingeschränkter Macht, die einfach so einen Krieg anzetteln können. Frag doch einfach mal Allrounder Scott. Sie kann dir sicher ’ne Menge zu Troja erklären bei ihrem Bildungsstand und ich erkläre dir jetzt, dass das von Kairon wohl nur eine Schwärmerei ist, weil sich Caroline so mutig gezeigt hat und er damit nicht gerechnet hat. Er weiß um seine Verantwortung als Mächtiger und was das mit sich bringen würde, wenn er was mit einer Sterblichen hätte und ihm das auch noch ernst wäre. Sicher, die Liebe kennt keine Argumente, aber ich denke, dass ihn ein Besuch bei seiner kranken Schwester auf der Krankenstation schon wieder abkühlen wird. Dazu ist Kairon viel zu vernünftig. Lass dir das von einem alten lebenserfahrenen Mann ruhig sagen. Aber ich finde interessant, dass du dir in deinem Alter schon solche weitreichenden Gedanken machst. Aber ihr Tindaraner seid wohl so. Erstaunlich! Kaum dem Kadettendasein entwachsen und schon ein kleiner Philosoph! Ich kann nachvollziehen, warum sich Allrounder Scott für dich entschieden hat und du dich für sie. Ihr beide, also du und sie, ihr habt ähnliche Antennen für ähnliche Dinge. Ihr seid doch noch ein Paar, nicht wahr?“ „Ja, Sir.“, sagte Shimar förmlich. „Aber um noch mal auf Troja zurückzukommen, Commander, ein Körnchen Wahrheit steckt doch in jeder Sage, nicht wahr?“ „Mag sein.“, tröstete Time. „Aber ein Krieg ist beileibe nicht der romantisch verklärte Heldenkampf, als der er in der Ilias dargestellt wird und das wissen alle Beteiligten. Es wird nichts passieren! Glaub mir das! Und das Letzte war ein Befehl! Wenn du mich schon mit Sir ansprichst! So, und jetzt geh dich etwas verlustieren und häng nicht mehr diesen trüben Gedanken nach!“ „Ich werde mich bemühen, Sir!“, sagte Shimar fast automatisiert, machte auf dem Absatz kehrt und ging zu seinem Platz zurück.

Wie Recht Time mit seiner Vermutung hatte, zeichnete sich zur gleichen Zeit auf der Krankenstation ab. Hier war Kairon gerade seiner Schwester ansichtig geworden. Ihr Anblick hatte ihn mit einem Schlag ernüchtert. Keinen Gedanken verschwendete er mehr an Caroline.

Solthea schob ihm einen Schemel an das Biobett, auf den er sich setzte. Dann sah er lange in Toleas Gesicht, auf dem sich jetzt langsam etwas tat. Ihre Augen begannen zu blinzeln und ihr Mund bewegte sich, als wollte sie ihm etwas sagen. Er aber beugte sich nur über sie und gab einen beruhigenden Laut von sich. „Kairon.“, erkannte sie ihn. „Wo bin ich?“ „Du bist auf der Electronica.“, antwortete der Mächtige. „Du hast uns einen ziemlichen Schrecken eingejagt. Was hat dich in Teufelsnamen dazu gebracht, dich umbringen zu wollen?!“ Bei seinem letzten Satz sah er sie streng an. „Ich habe einen schrecklichen Fehler gemacht, Bruder!“, rief Tolea verzweifelt aus. „Der arme Diran! Er ist zum Verräter geworden, nur weil ich mich falsch ausgedrückt habe!“ „Was meinst du genau damit?“, fragte Kairon nach. Da sie sich immer geistig vor ihm abgeschirmt hatte, hatte er erst gar nicht versucht, es auf telepathische Weise herauszubekommen. „Ich hatte eine Vision vom Ende der Welten!“, sagte Tolea betroffen. „Dann habe ich Diran unter den Bann gestellt. Er sollte allen, die von seiner Art sind, sagen, was geschehen wird und was wir planen.“

Kairon schlug die Hände vor das Gesicht. „Hast du gerade gesagt allen, die von seiner Art wären?!“, fragte er mit viel Empörung in der Stimme. „Das habe ich.“, sagte Tolea schwach. „Ich gebe es ja offen zu. Oh, Kairon! Ich bin so verzweifelt!“

Er hatte sich von ihr fortgedreht. Sie sollte jene Wut nicht sehen, die langsam in ihm hochkroch und von ihm Besitz ergriff. Jene Wut auf sie und ihr Vorhaben. Er wusste genau, dass ihr Freitod nichts an der Situation ändern würde. Im Gegenteil. Er würde sie sogar noch verschlimmern. Sie war die Einzige, die den Bann über Diran verhängt hatte und war somit auch die Einzige, die ihn vermutlich aufheben könnte. Wenn es sie nicht mehr gab, dann mussten sicher andere Wege gefunden werden und die wären weitaus komplizierter. Das hätte sie doch auch wissen müssen! Warum war sie jetzt so egoistisch?! Warum hatte sie über diese Tatsachen nicht nachgedacht?! Sie behauptete doch immer, eine Freundin der Sterblichen zu sein und nicht zu wollen, dass ihnen ein Leid geschah. Aber wenn sie den Bann über Diran nicht aufheben würde, würde sie genau dieses Leid für ihn noch verlängern.

Kairon winkte Ketna heran, die er vorbeigehen sehen hatte. „Was ist mit ihrem telepathischen Zentrum, Scientist?“, fragte er. Dabei musste er sehr an sich halten und sich immer wieder sagen, dass Ketna ja an dem Ganzen keine Schuld trug, sondern eher die war, die sich jetzt bemühte, den Schaden wieder zu regulieren. „Wird es sich erholen?“ „Das kann ich zu diesem Zeitpunkt tatsächlich noch nicht wirklich sagen, Kairon.“, sagte Ketna. „Das Ganze ist eine Situation, in der sich die Katze in den Schwanz beißt. Schauen Sie: Um sich allein zu heilen, bräuchte sie intakte Kräfte. Die hat sie jetzt aber nicht, da ihr telepathisches Zentrum geschädigt ist. Ich werde natürlich alles tun, das in meiner bescheidenen Macht steht, um ihr zu helfen, aber ich weiß nicht, ob das bei dem Grad der Schädigung ausreichen wird.“

Sie wandte sich kurz ab und Solthea zu, die etwas aus einem Schrank holte. Dann bat sie Kairon zu sich in ihr Sprechzimmer, das sich an das Krankenzimmer anschloss. Nur eine Tür trennte die Räume. Es war mit den üblichen Gegenständen eines Sprechzimmers auf einem Raumschiff der Sternenflotte eingerichtet. An der Wand, die der Tür direkt gegenüberlag, stand Ketnas Schreibtisch, der aus weißem repliziertem Buchenholz bestand. Davor befanden sich zwei im gleichen Farbton gehaltene Stühle. Einige kleine Figuren aus Glas auf dem Schreibtisch und ein bunter Wandteppich hellten die Atmosphäre im Raum optisch etwas auf, da er ansonsten mit seinen weißen Wänden doch sehr klinisch und steril wirkte.

Hier setzten sie und Kairon sich nun einander gegenüber an den Schreibtisch der Ärztin. „Was wollen Sie mir zeigen, Ketna?“, fragte der Mächtige. „Passen Sie auf.“, sagte der Scientist der Sternenflotte und stellte demonstrativ den Gegenstand auf den Tisch. Dabei handelte es sich um ein metallenes in seiner Farbe neutrales Gestell, auf dem das Modell eines telepathischen Zentrums aufgebaut war. Das Modell war schwenkbar, so dass es von allen Seiten betrachtet werden konnte.

Aus einer Schublade am Gestell zog Ketna jetzt zwei Hüllen hervor. Eine war rosa und die andere war schwarz. Die schwarze Hülle zog sie über das ansonsten in seiner Farbe neutral gehaltene Modell. Sie passte so genau und lag so eng an, das Kairon jetzt jede kleine Ader und jede Kammer sehen konnte. Es war ihm aber immer noch nicht ganz klar, was sie von ihm wollte. „Was hat Ihr kleines Experiment zu bedeuten, Ketna?“, fragte er. „Ich versuche Ihnen zu verdeutlichen.“, antwortete die Zeonide. „Wie es im Augenblick um das Zentrum Ihrer Schwester bestellt ist. Sie wissen, dass nicht mehr durchblutetes Gewebe schwarz wird. Dies soll durch die schwarze Hülle dargestellt werden. Bei einem intakten Zentrum sehe das so aus.“

Sie zog an einer Schlaufe und die schwarze Hülle hob sich vom Modell ab. Dann wurde sie durch das rosane Exemplar ersetzt. „Das sieht schon viel gesünder aus.“, sagte Kairon. „Bedauerlicherweise.“, erwiderte Ketna. „Ist dies aber nicht der Zustand, in dem sich Tolea jetzt befindet, sondern eher das.“ Sie tauschte die Hüllen wieder aus.

Kairon fuhr ein Schreck durch die Glieder. „Sie sagten gerade.“, setzte er an. „Dass nicht mehr durchblutetes Gewebe schwarz wird. „Bedeutet das etwa, dass sie ihr Zentrum verlieren wird, weil es abstirbt?“ „Wenn wir nichts täten.“, sagte Ketna ruhig. „Dann würde es das tatsächlich bedeuten, Kairon. Aber so weit sind wir noch nicht. Es gibt eine sehr vielversprechende Feldtherapie, die auf die nicht mehr durchbluteten Zellen wie eine Stimulation von außen wirkt. Vielleicht wissen Sie, dass die Natur die Blutversorgung zu Geweben einstellt, die der Körper nicht mehr benötigt, weil sie zu stark verletzt sind.“ „Das weiß ich.“, sagte Kairon. „Alles andere wäre ja nicht gerade effizient und die Natur verschwendet keine Ressourcen.“ „Das ist korrekt.“, sagte Ketna. „Wenn wir aber die Zellen von außen stimulieren, suggerieren wir dem Körper, dass noch Leben in Ihnen ist. Wenn wir damit früh genug anfangen, dann besteht eine echte Chance, dass sich ihr Zentrum wieder erholt.“ „Es gibt aber vielleicht noch einen anderen Weg.“, sagte Kairon. „Ich glaube, ich kann mir denken, woran Sie denken.“, sagte Ketna. „Aber auf einem toten Pferd kann man nicht reiten. Ihre Energie würde jetzt durch Toleas Zentrum gleiten wie ein Messer durch geschmolzene Butter. Außerdem haben meine Assistentin und ich berechnet, dass Sie so viel Energie aufbringen müssten, dass es am Ende Ihr Zentrum wäre, das sterben würde. Dann würden Sie hier liegen und wenn Ihre Schwester dann wieder das Gleiche bei Ihnen versuchen würde, dann …“ „Ich verstehe.“, antwortete Kairon. „Es ist ein Teufelskreis. Bitte nehmen Sie mir das nicht übel, Ketna. Aber ich fühle mich zum ersten Mal in meinem Leben so richtig hilflos!“

Die Zeonide holte tief Luft, sah ihn dann mild an und sagte: „Oh je, Kairon. Ihnen, als einem Mächtigen, muss das jetzt verdammt schwergefallen sein, dies über Ihre Lippen zu bringen.“ „So schlimm war das jetzt nicht mehr.“, sagte Kairon. „So langsam habe ich nämlich Übung darin. Es gibt einen gewissen tindaranischen Soldaten unter uns, der mich gewissermaßen schon gezwungen hat, das zu üben.“ „Sie meinen Shimar.“, sagte Ketna. Kairon nickte. „Na, ich bin neugierig, wie er das angestellt hat.“ „Ich werde es Ihnen bei Gelegenheit erzählen.“, sagte Kairon.

Er stand von seinem Stuhl auf. „Sie sagten.“, sagte er. „Dass Sie am liebsten keine Zeit mehr verlieren würden. Das bedeutet wohl, ich bin Ihnen im Moment im Weg. Bitte lassen Sie mich gehen, damit Sie mit der Behandlung meiner Schwester beginnen können.“ „Kein Problem.“, sagte Ketna, lächelte ihm noch einmal zu und zeigte dann stumm auf den Ausgang. Kairon nickte verständig und ging.

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