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Über dem Planeten am Rand des genesianischen Reiches graute bereits der Morgen. In weiter Ferne war bereits der Sonnenaufgang zu erahnen, als die Prätora und ihre Tochter noch immer mit ihrem Opfer beschäftigt waren. Der nur notdürftig mit einem Leichentuch und sonst nichts bedeckte Genesianer mittleren Alters lag noch immer reglos vor Angst auf dem Richtblock, den Sytania und die Vendar fälschlicherweise als reinen Felsbrocken identifiziert hatten. In Wahrheit aber war es eine Vorrichtung zum schnurlosen Fesseln einer Person. Derjenige, der auf der Vorrichtung lag, wurde nämlich durch Kraftfelder daran gehindert, sich zu bewegen. Nur autorisierte Personen konnten in das Kraftfeld fassen, ohne sich selbst zu verletzen.

„Dreh ihn um!“, befahl die Prätora ihrer Tochter. „Er soll uns ins Gesicht sehen, wenn wir unser Urteil über ihn sprechen!“ Die junge Kriegerin nickte und fasste den Ärmsten grob unter die Achseln, um ihn zu drehen. Dabei war es ihr völlig egal, dass sie ihm den gesamten Schultergürtel brach und ihm starke Schmerzen zufügte.

Er gab einen angstvollen Schrei von sich. „Da! Jetzt schreist du um dein erbärmliches Leben!“, spottete die ältere Kriegerin. „Das hättest du dir überlegen müssen, bevor du meiner Tochter untreu geworden bist. Jetzt wird es dir auch nichts mehr nützen!“

Sie schlug ihm mit der bloßen Hand ins Gesicht, holte tief Luft und spuckte sogar auf ihn. Dann sagte sie: „Ich, Leandra, Prätora des Clans der Rotash, verurteile dich, dessen Namen ich nie mehr nennen werde, zum Tode wegen Untreue gegenüber meiner Tochter Lostris als deren zehnter Ehemann!“

Sie sah zu ihrer Tochter hinüber. Dann befahl sie ungeduldig: „Töte ihn endlich!“ Lostris nickte erleichtert. In ihrem Weltbild war das aber auch kein Wunder. Schließlich hatte sie von Kindesbeinen an gelernt, das Männer nichts wert waren und sogar noch einen niedrigeren Stand als Tiere hatten. Sie waren ein notwendiges Übel zur Fortpflanzung. Für mehr taugten sie aber auch nicht. Rechte hatten sie schon gar nicht und schon gar nicht das Recht, sich auszusuchen, mit wem sie zusammen sein wollten. Einer, der diese von den Göttern gegebene Ordnung in Frage stellte, gehörte ihrer Meinung nach sofort getilgt. Mit der neuen Politik von Prätora Shashana waren weder sie noch Leandra einverstanden. Sie ging zwar damit konform, dass Männer ein Fehler der Schöpfung waren, aber ihr Vorschlag, sie deswegen in die Stellung von Kindern zu erheben, auf die man aufpassen und die man an die Hand nehmen müsse, stieß bei Leandra und Lostris auf keinerlei Gegenliebe.

Lostris stellte die Waffe ein und feuerte. Der Genesianer zuckte noch einige Male und blieb dann reglos liegen. „Das hast du gut gemacht.“, lobte Leandra. „Und nun lass uns ihn einfach hier verscharren.“ „Ja, Mutter.“, nickte Lostris.

Sytania und Valora hatten gemeinsam mit den drei Vendar jenes Schauspiel durch den Kontaktkelch beobachtet. Ich werde ihn jetzt auferstehen lassen., meinte Valora. Der Zeitpunkt dürfte günstig sein und die beiden Genesianerinnen dürften sich ziemlich erschrecken. Das dürfte sie ziemlich verwirren und sie schon recht empfänglich machen für das, was gleich auf sie zukommen wird. Umso leichter wird es mir nachher fallen, mich ihnen als ihre Göttin zu verkaufen. Wenn Ihr mir dann gleich noch helft, Sytania, dann …, Ach, warum so förmlich., erwiderte Sytania jetzt rein telepathisch. Wir sind doch Freundinnen, Valora, oder nicht? Im Allgemeinen duzen sich Freundinnen doch. Das stimmt., entgegnete das verblendete Einhorn. Aber Ihr seid die höher gestellte Person von uns zweien und so dachte ich, dass es besser wäre, wenn Ihr … ach nein. Wenn du es anbötest. Oh du schmeichelst mir, Valora., meinte Sytania. Ich und höher gestellt als ein Einhorn. Das wüsste ich aber. Aber sei’s drum. Wir sollten uns beeilen. Sonst haben sie ihn verscharrt und unsere Chance ist dahin. Das glaube ich noch nicht einmal, meine Freundin., sagte Valora. Ich denke sogar, dass wir den Effekt auf die Genesianerinnen noch verstärken können, wenn sie sehen, dass er sich aus seinem Grab buddelt. Das hat auch etwas mit der Geschichte zu tun, die ich ihnen später erzählen werde. Lass mich nur machen. Also gut., freute sich Sytania, die in den Gedanken des Einhorns bereits eine leichte Andeutung gesehen hatte. Dies hatte Valora absichtlich zugelassen, um ihren Appetit zu steigern, das ahnte die imperianische Prinzessin. Deshalb ließ sie ihre neue Freundin auch gewähren und fragte nicht länger nach.

Leandra und Lostris hatten ihr Opfer gerade verscharrt und wandten sich zum Gehen, als die Erbprätora urplötzlich erschrocken zusammenfuhr. „Warte bitte, Mutter!“, rief sie aus. „Ich glaube, unten im Grab hat sich etwas bewegt!“ „Rede keinen Unsinn!“, entgegnete Leandra scharf. „Ich denke, dass die Freude über seinen Tod dazu führt, dass du Geister siehst. Das kann in einem sehr hohen Erregungszustand schon einmal passieren …“

Weiter kam sie nicht, denn im nächsten Augenblick wurde sie von einer kalten Hand berührt und eine verzerrte Stimme sagte: „So leicht tötet ihr mich nicht. Ich war von Anfang an und bin es noch, ein Werkzeug des Herrschers der Zwischenwelt. Er selbst ist jetzt in meinen Leib gefahren und wird euch beide nun töten.“

Lostris griff nach dem Phaser und feuerte erneut auf ihren offensichtlich von den Toten auferstandenen Ehemann, aber nichts geschah. Obwohl sie ihn genau getroffen hatte, schien er noch nicht einmal einen Kratzer zu haben. „Das kann mich nicht schrecken.“, sagte die Stimme. „Eure Energiewaffen sind nutzlos!“

Leandra zog ihren Degen und rannte mit Anlauf auf den vermeintlichen Untoten zu. „Wenn Energiewaffen dir nichts anhaben können!“, schrie sie. „Dann kann es vielleicht das!“

Sie stieß zu und tatsächlich durchdrang der Degen seine Kehle. Der hohe Blutverlust ließ ihn augenblicklich erneut tot umfallen. Die Genesianerinnen atmeten auf und versuchten erneut, ihn zu begraben.

Sytania und Valora, sowie den Vendar war das nicht verborgen geblieben. „Klasse Idee, Valora!“, rief Mirdan in den Raum und sprang auf, um sich vor Begeisterung auf die Schenkel zu schlagen. „Ihn sagen zu lassen, er sei das Werkzeug des genesianischen Teufels, ist eine wirklich gute Strategie! Aber warum hast du zugelassen, dass er durch den Degen getötet werden kann?!“ Damit meine Freundin Sytania hier auch noch ihre Chance erhält, ihn ein bisschen zu quälen, Mirdan., erklärte Valora. „Oh du bist zu großzügig.“, sagte die Prinzessin gleichzeitig laut und in Gedanken, damit wirklich alle es hören konnten. „Dann bin ich jetzt wohl dran. Passt auf und pass vor allem du gut auf, Valora! Ich werde deine Idee nämlich aufgreifen. Ich denke aber, dass du auch ohne ein weiteres Zeichen von mir erkennst, wann du eingreifen musst. Pass auf! Ich koche dir deine neuen Jüngerinnen noch etwas weich, damit du es mit ihnen noch einfacher hast. Ich kann verstehen, dass dir das nicht so leicht fällt. Schließlich warst du viel zu lange tugendhaft und gut. Wie sollst du da so ein Profi im böses Tun sein wie ich? Aber ich denke, du bist auf einem guten Weg und wenn du weiter so gut lernst, wird deine Meisterin mit dir sehr zufrieden sein. Also, achte jetzt gut auf das, was gleich passieren wird. Ich möchte wirklich sehen, ob du den richtigen Zeitpunkt schon selbst erkennen kannst.“

Sytania begann damit, sich auf ihren Wunsch, den Genesianer von den Toten auferstehen zu lassen, zu konzentrieren. Alsbald fuhr ein schwarzer Blitz durch die Luft des Planeten, auf dessen Südhalbkugel, wo sich alles abspielte, es inzwischen Tag geworden war. Wieder hatten Lostris und Leandra mit angesehen, wie sich der Tote aus seinem Grab gewühlt hatte. „Hier kann etwas nicht mit rechten Dingen zugehen, Mutter.“, sagte Lostris. „Was ist, wenn die Götter …“ „Oh ja, die Götter!“, sagte die Prätora scharf. „Die Götter scheinen uns hier einer Prüfung zu unterziehen. Sie wollen wohl prüfen, ob du eine mutige Kriegerin und somit meiner Nachfolge würdig bist, oder ob du dich ängstlich hinter meinem Rockzipfel versteckst, als wärst du ein Junge!“

Mit ihrem letzten Satz hatte Leandra ihre Tochter genau dorthin bekommen, wo die Prätora sie haben wollte. Wer wusste, dass im Genesianischen das Wort für Mann beziehungsweise für Junge identisch ist mit dem Wort für Fehler oder leichter Fehler, konnte sicher erahnen, was ihr Ausspruch in der Seele ihrer Tochter ausgelöst hatte.

Lostris zog wieder ihre Waffe: „Ich bin nicht ängstlich und das werde ich dir jetzt beweisen, Mutter! Lass uns versuchen, ihn gemeinsam zu erledigen. Lass uns dabei stark an die Wächterin von Gore denken und ihren Segen erflehen. Wenn er wirklich ein Werkzeug des Herrschers der Zwischenwelt ist, dann benötigen wir wohl die Hilfe der obersten Göttin, um ihn erledigen zu können. Wenn dies wirklich eine Prüfung für meinen Glauben und für mich ist, dann denke ich, dass die Götter auch wissen wollen, ob ich erkenne, wann ich Hilfe benötige. Eine kluge Anführerin weiß nämlich, wann sie einen verlorenen Kampf kämpft und ihre Kriegerinnen in so einem zu verheizen wäre sicher kein ehrenhafter Tod für sie.“ „Sehr gut überlegt.“, sagte Leandra, die das als gute und erfahrene Strategin ja beurteilen können musste. „Also gut. Lass uns noch einmal beten, bevor wir in den Kampf gegen dieses Scheusal ziehen.“

Sie begannen damit, sich das Bild ihrer obersten Göttin vorzustellen, wie sie es schon von Statuen aus ihrer frühesten Kindheit kannten. Dabei standen sie aufrecht, was für einige von euch, wenn man das allgemein gültige Bild von Betenden betrachtet, sicher merkwürdig anmuten muss, ist man doch eigentlich gewohnt, betende Personen im Knien oder gar auf dem Bauch vorzufinden, oder in sonst einer von Demut zeugenden Haltung. Da die genesianischen Götter aber Mut schätzten, wäre ihnen so etwas wohl nicht recht gewesen.

Leandra hatte tief Luft geholt und dann angesetzt: „Wächterin von Gore, deine Schutzbefohlene Leandra, Prätora des Clans der Rotash, und ihre Tochter Lostris stehen vor dir und erbitten deinen Beistand! Bitte hilf uns, das Geschöpf deines Widersachers zu töten! Nur du …“

Lostris, die schräg hinter ihrer Mutter gestanden hatte, hatte diese plötzlich angestoßen. Darauf hatte Leandra tatsächlich ihr Gebet unterbrochen. Still zeigte Lostris auf das leere Futteral, das an der rechten Seite ihrer Mutter hing und dann auf ihr eigenes. „Wo sind unsere Waffen?!“, fragte Leandra empört. Verwirrt sahen sich die beiden Kriegerinnen um.

„Eure Waffen habe ich!“, die verzerrte geisterhafte Stimme des Mannes, den sie gerade glaubten getötet zu haben, hatte sie von hinten angesprochen. Lostris drehte sich als erste um. Sie erschauderte bei dem Anblick. Dort stand der Tote und hatte in der rechten Hand die Waffe ihrer Mutter und in der linken Hand ihre eigene. „Jetzt werdet ihr sehen, was es heißt, einen unehrenhaften Tod zu sterben!“, sagte er noch. Dann aber wurde er plötzlich durch einen schwarzen Blitz niedergestreckt. Die Waffen fielen ihm aus der Hand und fielen neben ihm hernieder. Ein weiterer schwarzer Blitz beförderte ihn wieder in sein Grab und schloss es.

Starr vor Schreck, aber auch vor Erleichterung sehr froh standen die Genesianerinnen da. Es hatte sie schon etwas verwundert, was sie da gesehen hatten. Aber sie waren auch froh, dass der ganze Spuk offensichtlich vorbei war. „Was ist da gerade geschehen?“, fragte Lostris ihre Mutter. „Ich weiß es nicht, Kind.“, gab diese zurück. „Aber wir sollten nachsehen. Vielleicht erhalten wir ja einen Hinweis.“

Bevor sie sich jedoch aufmachen konnten, war plötzlich ein merkwürdiges Schellengeläute zu hören. Allerdings war es leicht disharmonisch und nicht so schön, wie man es von Einhörnern im Allgemeinen kennt. Habt keine Furcht., wendete sich Valora nun telepathisch an die Kriegerinnen. Ich bin die personifizierte Wächterin von Gore. Ich habe dieses teuflische Werkzeug vernichtet, um die zu retten, die wahrhaft glauben. Ich weiß genau wie ihr, auf welchem Irrweg Shashana ist. Sie ist besessen vom Herrscher der Zwischenwelt. Er hat sie in seinen Bann gezogen. Antworte du mir, Lostris! Wer trägt die Schuld an allem Übel und auch an ihrer Verblendung! Wer ist ein Werkzeug des Herrschers der Zwischenwelt? Wer kann sie umgedreht haben? „Die Männer!“, antwortete Lostris fest und schon fast begeistert. Die Männer, ja!, wiederholte Valora mit freudigem Gesicht und lobender Stimmlage. Und dürfen wir zulassen, dass ein Fehler der Schöpfung mit seinen fehlerhaften Gedanken unsere Welt beeinflusst? „Nein, oh Göttin!“, sagten Lostris und Leandra wie aus einem Mund. Genauso ist es!, sagte Valora. Aber das habt ihr ja erkannt und deshalb werde ich euch mit der Unsterblichkeit und Unverwundbarkeit belohnen, damit ihr meine Botschaft weitertragen könnt mit Feuer und Schwert, wenn ihr versteht. Lasst alle wissen, dass jene, die an mich glauben, auch unter meinem Schutz stehen werden. Aber nur jene. Alle anderen werdet ihr mit aller Härte verfolgen und ausmerzen in meinem Namen! Kehrt nun zu eurem Clan zurück und überbringt ihnen meine Botschaft! „Ja, oh Göttin!“, sagten Lostris und Leandra wieder gemeinsam, gingen zu ihrem Schiff, das in der Nähe gelandet war und flogen davon.

Sytania hatte alles mitbekommen. Gemein grinsend hatte sie sich bei Valora bedankt. „Oh, Valora, ich bin begeistert!“, hatte sie gesagt. „Tja, die fressen uns aus der Hand. Da haben wir wirklich gute Marionetten ausgesucht, nicht wahr? Tja, das ist eben so eine Sache mit der Religion. Man kann Stärke aus ihr beziehen, sie kann aber auch zur größten Schwäche werden.“ Sie lachte und alle Anwesenden fielen in ihr böses Gelächter ein. Dann wandte sie sich noch einmal telepathisch an Valora: Oh ich liebe es, Sterbliche wie Schachfiguren zu benutzen! Hoffen wir nur, dass mein Vater auch irgendwann darauf anspringt und mir einen würdigen Kampf liefert. Sonst macht es ja gar keinen Spaß. Achte auf die Geister, die du rufst, meine Freundin., warnte Valora prophetisch.

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