- Schriftgröße +

 

Jennas Update hatte IDUSA, Shimar und Kairon wieder sicher in die tindaranische Dimension gebracht. Das zeigte, dass sich wohl an der Ladungsverschiebung nicht viel geändert haben musste. Die Erste, die äußerte, dass dies jedoch sehr ungewöhnlich war, war das Schiff. „Ich finde es seltsam, dass Techniker McKnights Update immer noch funktioniert.“, sagte IDUSA. „Was willst du damit sagen?“, fragte Shimar. „Das ist doch eigentlich sehr positiv, oder?“ „An sich schon.“, antwortete IDUSA. „Sie scheinen nur zu vergessen, dass wir es hier offensichtlich mit einer starken Veränderung der Macht zu tun haben, die eventuell jetzt zum Stillstand gekommen ist. Vielleicht ist das aber nicht von langer Dauer und es handelt sich lediglich um eine Atempause. Ich verstehe auch nicht, warum Sytania und Valora nicht weiter nach der Macht greifen. Etwas muss sie aufgehalten haben. Aber meiner Analyse der Situation nach kann das nur temporär sein.“ „Was soll denn da deiner Meinung nach passiert sein?“, fragte Kairon, der ebenfalls wieder seinen Neurokoppler trug, um sich besser mit dem Schiff verständigen zu können. Es machte ihm mittlerweile nichts mehr aus, sich nach Art der Sterblichen zu bewegen und die Probleme nach Art der Sterblichen anzugehen. Seiner eigentlichen Mentalität kam das ja auch entgegen. Tolea und er waren schließlich nicht mehr wie die alten Q.

„Ich kann Ihre Frage leider nicht beantworten, Kairon.“, sagte IDUSA, nachdem sie ihre Datenbank nach einer eventuellen Lösung durchforstet hatte. „Es scheint, als fehlten mir noch die entsprechenden Daten. Denkbar wäre allerdings, dass es Sytania und Valora mit einem Problem zu tun haben, das sich ihnen in den Weg gestellt hat und das sie noch nicht lösen konnten.“ „Das muss aber ein sehr mächtiges Problem sein.“, merkte Shimar an. „Davon ist auszugehen.“, erwiderte das Schiff.

Kairon hatte begonnen, sich auf Sytania und Valora zu konzentrieren, eine Tatsache, die dem Schiff, da er den Neurokoppler trug, nicht entgangen war. „An Ihrer Stelle würde ich das jetzt nicht versuchen, Kairon.“, sagte IDUSA. „Wenn die Beiden auf Sie aufmerksam werden, könnten sie Ihnen sehr schaden.“ „Ich passe schon auf, IDUSA.“, sagte Kairon zuversichtlich. „So leicht kriegen die Beiden mich nicht.“

Kaum hatte er dies jedoch gesagt, durchfuhr seinen gesamten Körper ein krampfartiger Schmerz und er sank ohnmächtig neben Shimar in den Sitz. „Genau das ist der Grund, aus dem ich so was gar nicht erst versuche.“, sagte Shimar. „Die Situation hat sich verändert, jetzt, da ein Einhorn an Sytanias Seite kämpft. Offenbar hat er das noch nicht kapiert!“ Er warf einen wütenden Blick auf den Bewusstlosen. „Ich kann Ihr Verhalten verstehen, Shimar.“, sagte IDUSA. „Er verspricht zwar, dass er nichts Unüberlegtes tun wird und sich uns anvertraut, aber kaum drehen wir ihm den Rücken zu, ist all das schon wieder vergessen.“ „Das scheint mir auch so.“, sagte Shimar mit einem missmutigen Ausdruck in der Stimme. „Aber dann müssen wir ihm mal wieder aus der Patsche helfen. Komm! Geh auf Warp! Wir sollten uns beeilen, damit er zu Ishan kommt. Da ist er zumindest unter Verschluss.“

IDUSA schaltete ihren Antrieb auf Warp eins. Da sie sich schon sehr nah am tindaranischen Sonnensystem befanden, war das die einzige Möglichkeit. „Ich habe bereits eine Nachricht an Ishan verfasst und gesendet. Ich habe auch bereits Antwort erhalten.“, erklärte sie dann. „Er erwartet uns. Ich soll Kairon gleich auf die Krankenstation beamen, sobald wir in Reichweite kommen. Erst dann sollen wir docken.“ „OK.“, sagte Shimar erleichtert. „Dann wird dieser mächtige Trottel hier neben mir, der sich gerade benommen hat wie ein telepathischer Anfänger, ja hoffentlich bald in den richtigen Händen sein!“ „Soll ich Commander Zirell sagen, wie Sie über Kairon denken?“, fragte das Schiff. „Sie wissen, wie fern es mir liegt, Sie in die Pfanne zu hauen. Sollten Sie aber darauf bestehen, werde ich …“ „Nein, nein, IDUSA!“, sagte Shimar fest. „Das bleibt schön unter uns, klar?!“ „Sonnenklar, Shimar.“, sagte IDUSA.

Maron hatte wieder die Kommandozentrale betreten und war dort Zirell ansichtig geworden, die mit Joran hier ihren Dienst versah. Sofort hatte die Tindaranerin gemerkt, wie sehr sich ihr Erster Offizier freuen musste. „Was ist dir denn widerfahren, Maron?“, fragte sie verwundert. „Sonst strahlst du mich ja am frühen Abend auch nicht so an.“ „Oh, Zirell!“, sagte der Demetaner und geriet schier aus dem Häuschen. „Shiranach und Tabran haben uns die Lösung für Diran aufgezeigt! Ich weiß jetzt, dass es nur der Menge eines Teelöffels bedarf, um Diran zu retten!“ „Wovon zur Hölle redest du?!“, fragte Zirell, die wohl den Eindruck gewonnen hatte, er könnte etwas getrunken oder geraucht haben, das nicht so ganz gesund für ihn war. „Du redest gerade sehr wirres Zeug, mein Lieber.“, sagte sie. „Ich glaube, es wird Zeit, dass du mal auf Drogen untersucht wirst!“

Sie zog ihren Erfasser und scannte Maron damit. Dann sagte sie: „Du hast Glück. Er kann keine Drogen in deinem Blut finden. Aber du bist voll mit Adrenalin bis in die Haarspitzen. Entweder dein Besuch bei den Vendar hat dich so gestresst, oder es ist die Freude über das, was du mir mitteilen willst, aber wohl gerade nicht kannst.“ „Das kann schon sein, Zirell.“, sagte Maron. „Aber dann hättest du doch bestimmt die Möglichkeit, es auch anders herauszufinden.“ „Die hätte ich.“, sagte Zirell. „Nur gebietet mir die Höflichkeit, nicht in deinen Geist zu gehen, wenn du nicht einverstanden bist. Nicht-Telepathen haben keine Möglichkeit zu merken, ob ein Telepath in ihrem Kopf ist, wenn sich dieser nicht bemerkbar macht und das wäre ein Missbrauch deines Vertrauens und sehr unfair von mir. Das würde unsere Zusammenarbeit auf das Empfindlichste stören, wenn nicht sogar zerstören und das ist etwas, das ich nicht verantworten möchte!“ „Ich auch nicht, Zirell.“, sagte Maron. „Aber ich habe dir ja quasi gerade das OK gegeben.“ „Na gut.“, sagte Zirell und konzentrierte sich auf Marons Gesicht. Dann stellte sie ihm mental die Frage: Was hast du bei deinem Besuch bei Shiranach und Tabran erfahren, Maron? Zeig es mir! Zeig es mir!

Zirell fand sich neben Maron in der Situation am Abendbrottisch der Vendar wieder. Dann wechselte das Bild und sie sah Maron in Shiranachs Begleitung. Auch die Situation, die zu Marons Ausspruch geführt hatte, war ihr jetzt geläufig, da sie ihrer auch ansichtig geworden war.

Zufrieden und erstaunt ließ sie von ihm ab. „Jetzt weiß ich, was du meinst.“, sagte sie. „Allen Berechnungen nach sind Kairon und Tolea gleichstark. Aber vielleicht könnte sogar einer von uns …“

Sie kam nicht mehr dazu, ihren Satz zu beenden, denn Joran meldete: „Anführerin, Shimar hat gedockt. Er möchte aber noch von Bord seines Schiffes aus mit dir reden.“ „Dann stell ihn durch!“, befahl Zirell. Joran nickte und ließ den Rechner der Station ihren Befehl ausführen.

Die Kommandantin sah jetzt das etwas mürrische Gesicht ihres Untergebenen auf dem Schirm vor ihrem geistigen Auge über den Neurokoppler. „Was ist passiert, Shimar?“, fragte sie. „Du siehst ja nicht sehr erfreut aus.“ „Ein Haufen Ärger ist passiert, Zirell.“, sagte Shimar. „Ich glaube, Kairons Hilfe können wir erst auch einmal vergessen! Oh Backe! Der hat sich benommen wie ein Anfänger! Noch nicht mal mir würde einfallen, Valora und Sytania direkt anzugreifen oder sie gar mental ausspionieren zu wollen!“ „Jetzt verstehe ich.“, sagte Zirell, die jetzt auch den leeren Platz neben Shimar gesehen hatte. „Aber du darfst nicht vergessen, dass er wegen seiner Schwester in einer emotionalen Ausnahmesituation ist. Da macht man schon mal Fehler. Ich weiß, dass das gerade zu einem Zeitpunkt kommt, wo wir es am wenigsten gebrauchen können. Aber jetzt ist die Situation nun mal da und wir müssen mit ihr umgehen. Jammern und Klagen wird uns nirgendwo hinbringen. Ich werde mit Ishan reden. Er kann Diran vielleicht noch eine Weile am Leben halten. Ich muss sowieso über Marons neue Erkenntnisse mit ihm reden.“ „Was hat unser Agent denn herausgefunden?“, fragte Shimar. „Darüber werde ich dich schon noch informieren.“, sagte Zirell. „Erst mal muss ich wissen, was Ishan davon hält. Das ist auf jeden Fall besser, als wenn ich schon jetzt irgendwelche Pferde scheu mache.“ „Na gut.“, sagte Shimar. „Aber ich wollte Diran sowieso besuchen. Ich habe gehört, vertraute Stimmen helfen Komapatienten.“ „Also gut.“, sagte Zirell. „Dann könnten wir uns ja durchaus gemeinsam zur Krankenstation begeben. Triff mich am besten am Eingang. Dann gehst du zu Diran und ich rede mit Ishan.“ „OK.“, sagte Shimar und beendete das Gespräch. Zirell übergab das Kommando an Maron, bevor sie die Kommandozentrale verließ.

In der Umlaufbahn von Celsius hatte Kamura registriert, dass sich ihr Vater ihrer Position genähert hatte. Sie hatte kurz überlegt, ob sie davonfliegen sollte und ihren Antrieb auch schon vorbereitet, was Kamurus durchaus gesehen hatte. „Halt, hiergeblieben, meine Süße!“, SITCHte er sie an. „Wir zwei sollten erst mal reden, bevor du Warpkern über Hauptcomputer die Flucht ergreifst!“ „Es tut mir leid, Vater.“, entgegnete Kamura. „Ich wollte sicher nichts tun, dass dich oder Mutter verärgern würde. Aber …“ „Ich weiß.“, beruhigte Kamurus seine Tochter. „Die Welt da draußen lockt schon sehr stark. Ich war in deinem Alter ja genauso. Aber trotzdem hätte dir auch viel passieren können. Gerade jetzt sind die Zeiten sehr unsicher. Du hättest auf Probleme stoßen können, mit denen du nicht zurechtgekommen wärst, weil deine unreife Software das gar nicht zugelassen hätte.“ „Das wäre nicht schlimm gewesen.“, sagte Kamura. „Dann hätte ich ja Meroola gehabt. Die hätte uns da schon wieder rausgeholt.“ „Aber vielleicht hätte sie das gar nicht können, weil du ihr nicht die nötige Unterstützung hättest geben können.“, argumentierte Kamurus. „Nicht umsonst sollen wir eigentlich erst nach dem letzten Update unsere Reise in andere Dimensionen antreten, wo es potenzielle biologische Piloten gibt. Aber jetzt weiß ich ja zumindest schon einmal, wie die Deine heißt. Die Information hat Ginalla mir nämlich verschwiegen.“ „Wieso Ginalla?“, wollte Kamura wissen. „Was hat sie damit zu tun?“ „Sie hat mich darüber informiert, dass du hier bist.“, sagte ihr Vater. „Warum hat sie das gemacht?“, fragte Kamura traurig, die jetzt befürchtete, dass das Band zwischen ihr und Meroola bald zerschnitten werden könnte. „Oh das waren ganz eigennützige Motive.“, sagte Kamurus. „Sie hat zwar versucht mir weißzumachen, sie täte es aus erzieherischen Gründen für dich, aber ich habe ganz schnell gemerkt, dass sie nur eine Konkurrentin aus dem Weg haben wollte und dabei wollte ich ihr nun wirklich nicht helfen. Deine Pilotin will ja auch nichts anderes, als ihr kriminelles Leben, das sie geführt hat, bevor ihr euch kennen lerntet, aufzugeben. Diese Chance hatte Ginalla ja auch. Jeder sollte sie bekommen, finde ich! Auch Meroola! Das habe ich ihr erst einmal begreiflich machen müssen.“ „Heißt das, dass du kein Problem mehr mit meinem Ausreißen hast, Vater?“, fragte Kamura. „Moment!“, sagte Kamurus. „Das sind zwei verschiedene Paar Schuhe! Du hast das Vertrauen deiner Mutter und auch das Meine damit sehr verletzt. Wir hatten doch darüber geredet, dass es hier draußen sehr gefährlich ist und du hattest gesagt, du würdest hier nicht allein hinfliegen. Damit hast du uns angelogen! Wir hatten doch darüber geredet, wie schändlich Lügen sind, nicht wahr?“ „Es tut mir leid.“, sagte Kamura und gab ein beschwichtigendes Signal mit den Positionslichtern ab. „Kann ich das wieder gut machen?“ „Oh das denke ich schon.“, sagte Kamurus. „Ich habe nämlich beschlossen, dir mit Meroola zu helfen. Wie du weißt, habe ich ja Erfahrung damit, einem biologischen Wesen beim Ehrlichwerden zu helfen. Wenn du ab jetzt auf das hörst, was ich dir in dieser Hinsicht beizubringen versuche, könnten deine Mutter und ich die Lüge vergessen. Wenn du das aber nicht tust, lasse ich dich hier allein und du musst sehen, wie du das mit Meroola allein hinbekommst, egal was euch auch immer passieren mag! Hast du das verstanden, Kamura?!“ „Das habe ich, Vater.“, sagte Kamura, die angesichts seiner Drohung recht geschockt war. Er hatte sehr viel Ernst in seinen letzten Satz gelegt. Das hatte ihr gezeigt, dass er es wohl auch sehr ernst gemeint hatte. „Dann ist ja gut.“, sagte Kamurus, kam längsseits und tastete sie vorsichtig mit den Sensoren ab, was Kamura als sehr angenehm empfand. Auf uns bezogen könnte man dieses Verhalten seinerseits wohl am ehesten mit einer Umarmung vergleichen.

„Wir sollten uns erst mal austauschen.“, sagte er. „Gib mir doch bitte alle deine Daten über Meroola, die du hast. Ich würde gern wissen, mit wem ich es zu tun habe, wenn ich dir helfen möchte.“ „OK.“, sagte Kamura erleichtert und initiierte den Datenaustausch.

An anderer Stelle, im Dunklen Imperium nämlich, war Sytania auch gerade gedanklich mit einer erzieherischen Maßnahme beschäftigt. Es hatte sie maßlos gestört, was sie von Telzan und seinen Leuten über die Niederlage der Rotash und ihrer Marionetten gegen Shashana erfahren hatte. Noch dazu kam, dass ihr die Rettung Toleas durch Shimar, Time, seine Leute und Kairon gewaltig die Stimmung verhagelt hatte! Die Genesianer würden jetzt Fragen stellen und eventuell sogar ihre und Valoras Göttlichkeit in Frage stellen. Das war etwas, das sie gar nicht gebrauchen konnte. Die Genesianer würden kein zweites Mal auf sie und Valora hereinfallen, das stand für sie fest. Zumindest würde sie ihr Vorhaben, im genesianischen Reich einen Bürgerkrieg zu entfesseln, wohl endgültig vergessen können! Die Rotash waren zwar noch immer auf ihrer Seite und ihre einfältigen Kriegerinnen glaubten auch noch immer, Valora sei die Wächterin von Gore, aber sie waren auch die Einzigen. Nachdem alle gesehen hatten, was mit den Marionetten geschehen war, hatte Shashana immer mehr und Leandra immer weniger Zulauf bekommen. Das war etwas, das dringend geändert werden musste, zumindest ihrer Meinung nach.

Sie hatte den Thronsaal verlassen, um einen kleinen Spaziergang in ihrer Wandelhalle, einem Innenhof ihres Schlosses, zu unternehmen. Die Königstochter hoffte, dass sie dabei den Kopf etwas freier bekam.

Der Gestalt, die sie bald darauf in einer Nische ihrer Wandelhalle an einer Säule stehen sah, schenkte sie zuerst keine Aufmerksamkeit. Erst als sie von ihr angesprochen wurde, änderte sich das: „Bitte wartet, Herrin!“, rief ihr die Frauenstimme zu.

Sytania drehte sich um und erkannte Cirnach. „Ach, du bist es, Cirnach!“, sagte sie und machte ein schwermütiges Gesicht. „Darf ich wissen, was Euch so die Laune verdorben hat?“, fragte die Vendar. „Ja, das darfst du.“, antwortete Sytania. „Begleite mich ein Stück! Du darfst sogar neben mir gehen, statt hinter mir. Dann muss ich mir nicht ständig den Hals verrenken, um mit dir zu reden!“ „Ich danke Euch, Herrin.“, sagte Cirnach und schloss zu der Prinzessin auf.

Die Frauen bogen in einen Gang ab, der rechts und links von etwa hüfthohen Stehlen gesäumt war, auf deren Spitze jeweils eine Drude, ein vogelähnliches Fabelwesen, thronte. Am Ende dieses Säulenwaldes blieb Sytania vor der letzten Stehle auf der rechten Seite stehen und zeigte auf sie. Sie zeigte eine Drude mit dem Kopf eines geflügelten Löwen in den Krallen. Außerdem hatte die Drude Junge und alle taten sich gerade am Inneren des Kopfes mit den Schnäbeln gütlich. „So sollte es meiner Meinung nach enden!“, sagte Sytania. „Ihr sprecht von dem Kampf zwischen Eurem Vater und Euch, Herrin, nicht wahr?“, erkundigte sich Cirnach. „Genau von dem rede ich.“, sagte die Prinzessin. „Dieser Bildhauer wusste genau, wie er mir schmeicheln kann.“ „Dafür habt Ihr ihn ja auch großzügig belohnt.“, sagte die Vendar. „Da hast du Recht.“, sagte die imperianische Königstochter. „Er hat 30.000 Goldstücke für das Einrichten dieser Wandelhalle bekommen!“

Cirnach pfiff durch die Zähne. „30.000!“, sagte sie. „Ich wette, Euer Schatzmeister war davon nicht sehr begeistert.“ „Das stimmt.“, räumte Sytania ein. „Aber das hat mich nicht interessiert. Schließlich bin ich die Herrin hier und nicht er! Ich habe ihm einfach gedroht, ihm zwar die Unsterblichkeit zu schenken, aber ihn für immer und ewig in eine der Stehlen zu verwandeln. Muss sehr schmerzhaft sein, wenn man erkennen muss, dass man nur noch als Bildnis aus Stein wahrgenommen wird, oder? Seine Frau und seine Kinder hätten ihn natürlich jeden Tag besuchen dürfen, aber das hätte seine Verzweiflung nur noch mehr geschürt, denn er hätte ja die Liebe, die sie ihm schenken wollten, nicht erwidern können. Verstehst du?“ „Ich verstehe sehr wohl, Herrin.“, sagte Cirnach und grinste. „Zuerst klang ja alles wie ein Akt der Gnade, was Ihr gesagt habt und ich wollte schon fragen, wo die Strafe bleibt. Aber dann …“ „Ja, dann!“, sagte Sytania. „Was lernst du also daraus, Cirnach?“ „Ich lerne daraus, dass es sich durchaus lohnen kann, Euch bis zum Ende zuzuhören, Gebieterin. Eure Pläne haben doch immer einen Haken für das Opfer.“ „Das ist richtig, meine gute Cirnach!“, lobte Sytania. „Das ist richtig!“

Sie gingen weiter. Dann blieb Cirnach vor einer Statue stehen, die Sytania und Valora Seite an Seite zeigte. Sie stand auf einem Sockel aus Fels und war selbst aus Granit. Die Augen von Sytania und Valora bestanden aber jeweils aus Smaragden, die mit schwarzer Farbe übermahlt waren. Die rechte Hand der Königstochter war ausgestreckt und reichte der Stute ein Bündel aus Pflanzen dar. Cirnach, die sich dieses sehr genau angesehen hatte, erkannte sofort, dass es sich um Blätter des Schierlings handelte. Sie wusste, dass diese Pflanze für Sterbliche giftig war, aber Valora würde es zweifelsfrei nichts ausmachen, sie zu fressen. Die Vendar wusste auch um die symbolische Bedeutung der Pflanze. Sie wusste, dass mit ihr der böse Bund zwischen Sytania und Valora dargestellt werden sollte. Trotzdem schien sie etwas an dieser Statue sehr zu stören, was Ihr Gesichtsausdruck auch sehr gut verdeutlichte. „Was stört dich an diesem Bild, Cirnach?“, fragte Sytania.

Die Vendar drehte sich erschrocken zu ihrer Herrin um. Offenbar hatte sie gehofft, Sytania hätte nicht gemerkt, wie sie die Statue angesehen hatte. Aber leider weit gefehlt! Jetzt würde ihr nichts anderes übrigbleiben, als Farbe zu bekennen. „Es ist nur.“, sagte Cirnach und machte eine beschwichtigende Kopfbewegung. „Dass ich denke, dass diese Darstellung sehr vermessen ist, Milady. Immerhin ist Valora ein Einhorn und damit noch viel mächtiger, als Ihr es seid, oder gar Euer Vater es ist. Hier aber wird es so dargestellt, als sei sie abhängig von Euch und nicht Ihr es von ihr. Meiner Ansicht nach hättet Ihr das wohl bedenken sollen, als Ihr dem Bildhauer den Auftrag erteiltet.“ „Nun, Cirnach.“, erklärte Sytania. „Macht ist nicht immer nur eine Frage der Stärke. Du bist doch sonst so gut in psychologischer Kriegsführung. Du kannst doch sonst so gut listige Pläne schmieden. Es verwirrt mich, dass du den Sinn, der hinter diesem Bild steckt, offensichtlich nicht erkennst. Macht rein auf Kraft und Energie zu beziehen, das klingt eher nach einer sehr männlichen Sichtweise. Könnte es sein, dass du in deiner Frage in Wahrheit eine kleine Botschaft deines Mannes versteckt hast, Cirnach, he?“ „Wie gut Ihr mich doch durchschaut.“, sagte die Vendar und atmete erleichtert auf. „Ja, es ist wahr, Herrin. Diese Frage stellt Euch in Wahrheit Telzan. Er hat sich nur nicht getraut, Euch damit unter die Augen zu treten. Er bat mich auch, Euch in seinem Auftrag zu interviewen und zu fragen, warum Ihr in letzter Zeit so schlecht gelaunt seid. Er hat alles versucht, um Eure Laune wieder zu bessern, aber ohne nennenswerten Erfolg. Er meint, dass ein Gespräch von Frau zu Frau da vielleicht Wunder wirken könnte.“ „Jetzt verstehe ich.“, sagte Sytania.

Sie setzte sich auf eine der Stufen des Sockels. Dann sagte sie: „Komm her und setz dich zu mir, Cirnach! Dann werde ich dir alles erklären. Du kannst es dann gern deinem Mann weitergeben.“ „Ja, Herrin.“, sagte Cirnach und setzte sich neben Sytania auf die gleiche Steinstufe. Dann wandte sich die Königstochter an die Vendar: „Um noch mal auf unsere Diskussion über Macht zurückzukommen, Cirnach. Wer von uns, glaubst du, hat diese Verbindung im Moment nötiger? Valora oder ich.“ „Ich denke, es ist Valora, Gebieterin!“, überlegte Cirnach. „Sie will sich an Invictus rächen und ohne Euch an ihrer Seite würde es immer eine Patsituation zwischen ihr und ihm geben, weil beide gleichstark sind. Aber mit Euch an ihrer Seite könnte sie den Krieg durchaus gewinnen!“ „Das ist richtig.“, sagte Sytania. „Also ist Valora doch wohl abhängig von mir und nicht ich von ihr! Erkläre das also deinem Mann, wenn er dich das nächste Mal fragt!“ „Das werde ich, Herrin.“, versprach die Vendar erleichtert. „Das werde ich.“

Es verging eine kleine Weile, in der sich die Frauen nur schweigend ansahen. Dann sagte Sytania: „Aber du wolltest doch noch wissen, was mir so die Stimmung verhagelt hat, Cirnach, nicht wahr? Oder ist dir das inzwischen egal geworden?“ „Durchaus nicht, Herrin.“, sagte die Vendar. „Ich würde es immer noch gern erfahren. Vielleicht kann ich Euch ja sogar wieder aus Eurem Tief heraushelfen.“ „Oh, das denke ich schon, dass du das kannst, meine kluge und listige Cirnach.“, sagte Sytania. „Das denke ich schon. Deshalb will ich dir die Gründe auch gern nennen! Zu allererst ist da die Tatsache, dass Tolea ihren Suizidversuch offensichtlich überlebt hat. Wären dieser verdammte Tindaraner und Time, mein fast schon persönlicher Widersacher, nicht gewesen, dann wäre Kairon jetzt in einer richtig schönen Gefühlskrise, in der er wahrscheinlich unberechenbar wäre und das würde dazu führen, dass er sein Amt schnell los wäre. Dann wäre das Kontinuum quasi führerlos, weil es der Rest des Rates auch wäre. Wir hätten dann Zeit gehabt, ihre Verwirrung mittels eines Angriffs auszunutzen und es vielleicht sogar geschafft, es unter unsere Kontrolle zu bringen, was uns einen Vorteil verschafft hätte im Hinblick auf die neue Weltordnung nach unseren Maßstäben. Aber Tolea lebt und sie und ihr Bruder sind Faktoren, die wir jederzeit auf der Rechnung haben müssen. Und dann ist da noch Shashana! Wer hätte gedacht, dass sie mutig genug sein könnte, Meilenstein gegen ein Einhorn einzusetzen?!“ „Tja.“, sagte die Vendar. „Wir beide offenbar nicht. Das war unser Fehler. Jetzt werden die Genesianerinnen auch Eure und Valoras Göttlichkeit in Frage stellen, wenn es nicht gelingt, ihnen ein Wunder zu präsentieren, das alle anderen in den Schatten stellen wird und das sie alle von Euch und ihr abhängig machen wird.“ „Von was für einer Art von Wunder redest du?“, fragte Sytania.

Cirnach holte grinsend eine Flasche hinter ihrem Rücken hervor. Die Flasche war weiß, klein und bauchig und hatte einen Zerstäuber, dessen Knopf sie jetzt grinsend drückte. Im Raum wurde der Duft von Rosen freigesetzt. „Und was soll uns dieses Rosenparfum bringen?“, fragte Sytania. „Uns selbst wird es nichts anhaben können, weil wir Frauen sind.“, sagte Cirnach. „Aber in diesem Parfum befindet sich nicht nur Duftstoff. Er soll nur dazu dienen, dass jeder es unbedingt einatmen möchte. Wenn aber Männer das tun, werden ihre Zellen sofort von einem Virus angegriffen, der sie vollständig vernichtet. Sie werden quasi von innen heraus langsam und qualvoll aufgefressen. Das Virus reagiert auf das Y-Chromosom selbst. Es ist für Frauen also gänzlich ungefährlich. Unsere Pilotinnen werden es mit getarnten Shuttles nach Chenesa bringen. Dort werden es einige gut platzierte Photonentorpedos in der Atmosphäre verteilen. Da das Risiko bei einer technischen Panne zu hoch wäre, werde ich keine Männer mitschicken. Valoras und Eure Aufgabe wird es nur sein, den Genesianerinnen das als göttliches Zeichen zu verkaufen.“ „Oh, Cirnach!“, rief Sytania aus. „Wo hast du nur immer solche Ideen her? Ich nehme an, dieses Virus wurde in einem eurer Labors gefertigt. Das bedeutet, es enthält kein Stück meiner Macht. Niemand wird auf mich oder gar auf Valora kommen können, wenn sie es untersuchen.“ „Es kommt noch besser.“, sagte Cirnach. „Die Zusammensetzung des Virus sieht für jeden Erfasser so aus, als sei es noch nicht mal ein Laborprodukt. Man wird meinen, es sei völlig natürlich entstanden. Wir benutzen nämlich zu seiner Herstellung keine Replikatoren, sondern rein natürliche Mutationsprozesse vorhandener Viren, die überall in der Luft von Chenesa zu finden sind. Das ist auch eine gute Grundlage für dessen Vermehrung. Es dauert zwar etwas länger, aber die Geduld wird sich auszahlen, Herrin! Sie wird sich auszahlen!“ „Oh dessen bin ich sicher, Cirnach.“, sagte Sytania begeistert. „Aber das bedeutet ja, dass ihr insgeheim schon geahnt haben müsst, was mich umtreibt.“ „Es gab Gerüchte.“, sagte die Vendar. „Offenbar funktioniert eure Gerüchteküche sehr gut.“, sagte Sytania. „So gut sogar, dass du mir gerade das Richtige zur richtigen Zeit serviert hast. Damit hat selbst Shashana keine Wahl. Wenn es keine Männer mehr gibt, dann müssen die Genesianerinnen auf die Hilfe von Valora und mir zur Fortpflanzung zurückgreifen, weil es ja auf natürlichem Wege nicht mehr geht und dann sind die Genesianerinnen bald alle mein! Alle meine Marionetten, Cirnach! Mein und Valoras ganz allein!“ „Das ist korrekt, Herrin!“, bestätigte Cirnach und beide lachten böse.

„Also dann.“, sagte Sytania. „Deine Leute sollten sofort starten. Ich werde Valora einige Takte zu ihrem Versagen erzählen und ihr sagen, dass sie noch einmal Glück gehabt hat, dass ihr für sie den Karren aus dem Dreck ziehen werdet. Aber der Teufel weiß, dass ich mir so ein Versagen ihrerseits kein zweites Mal gefallen lassen werde!“ „Ich kann Euch verstehen, Herrin.“, sagte die Vendar und warf Sytania noch einen tröstenden Blick zu, bevor sie den Innenhof in Richtung des Schlosstors verließ, um Telzans und ihre Garnison aufzusuchen und den Soldatinnen, die jene Shuttles flogen, die Starterlaubnis zu überbringen.

Du musst login (registrieren) um ein Review abzugeben.
Creative Commons License
Science/Fantasy-Ecke Website von Kamil Günay steht unter einer Creative Commons Namensnennung-Keine kommerzielle Nutzung-Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland Lizenz.