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Meroola und Kamura hatten die Umlaufbahn von Celsius erreicht. „So, Meroola, da wären wir.“, sagte der Avatar des Schiffes. „Was hast du eigentlich jetzt vor?“ „Ich würde sagen, wir fangen damit an, uns eine gescheite Basis aufzubauen, wie ich es gesagt habe.“, antwortete Meroola. „Ich würde sagen, wir suchen mir erst einmal einen Job. Kannst du dich in das öffentliche Netz einloggen und mir zeigen, was so gesucht wird?“ „Sicher kann ich das.“, sagte Kamura lächelnd und zeigte Meroola vor ihrem geistigen Auge auf dem virtuellen Schirm eine der einschlägigen Seiten, auf denen freie Stellen zu finden waren. „Uff!“, stöhnte Meroola und lehnte sich zurück. „Das ist ja eine ganze Menge!“ „Finde ich auch.“, stimmte das Schiff zu. „Deshalb sollten wir es dringend etwas einschränken. Was hattest du dir denn so vorgestellt? Was kannst du denn sehr gut? Ich meine, du hattest zwar eine kriminelle Vergangenheit, aber dabei ist doch sicher einiges rumgekommen, was du jetzt sicher auch in deinem neuen ehrlichen Leben brauchen kannst, oder?“ „Kommt darauf an, was du damit meinst.“, sagte Meroola und schaute etwas hilflos. „Ich meine, in meinem Vorleben habe ich so viel betrogen und falsch gespielt, dass es schon nicht mehr feierlich war. Einmal habe ich sogar eine Ferengi-Spielhalle total ausgenommen. Mann! Das war vielleicht ein Spaß! Ich habe es regelrecht genossen! Das hängt vielleicht damit zusammen, dass ich Rache an meinem Vater nehmen wollte, oder so. Aber …“ „OK, Meroola.“, sagte Kamura sehr fest. „Um das hinzukriegen brauchtest du doch sicher technische Kenntnisse, oder? Ohne die geht es ja wohl nicht. Hättest du an so etwas Interesse?“ „Was Technisches also.“, sagte Meroola und dachte eine Weile nach. „Hm. Das könnte mich wirklich interessieren. Aber du hast mir auf dem Flug gesagt, dass es hier einen ganzen Haufen von technisch begabten einheimischen Leuten gibt. Warum sollten die ausgerechnet eine wie mich einstellen?“ „Weil ich hier ein Unternehmen gefunden habe, das ebenfalls von einem geleitet wird, der kein gebürtiger Celsianer ist.“, sagte Kamura. „Er ist vielleicht nicht ganz so lokalpatriotisch und würde sich deine Bewerbung sicher gern ansehen.“

Sie zeigte Meroola einen leeren Bildschirm in einem Schreibprogramm. Dann sagte sie: „Dann diktiere mir doch einfach, was ich schreiben soll. Ich helfe dir auch an Stellen, an denen es heikel werden könnte. Ich habe dich ja schon sehr gut kennen gelernt.“ „Wie willst du mir denn helfen können?“, sagte Meroola und lachte. „Du hast doch bestimmt viel weniger Lebenserfahrung als ich.“ „Das mag zwar stimmen.“, sagte Kamura. „Aber ich habe viele Talente, genau wie du viele hast.“

Plötzlich erschien vor Meroolas geistigem Auge ein fertiger Text. Meroola, davon sichtlich überrascht, begann damit, ihn sich durchzulesen.

Auf einmal stutzte sie und musste lächeln. Viele Formulierungen waren ihr aufgefallen, mit denen es Kamura offensichtlich sehr gut verstanden hatte, ihre kriminelle Vergangenheit positiv darzustellen. Ja, es war ihr sogar gelungen, sie fast zu kaschieren. Wer nichts über Meroola wusste, konnte annehmen, sie sei Zeit ihres Lebens eine unschuldige Bürgerin gewesen. Aber besonders diese eine Formulierung hatte es Meroola angetan. „Hier steht.“, grinste sie. „Ich interessiere mich sehr für technische Zusammenhänge, bin erfindungsreich, sehr flexibel und habe mir das alles autodidaktisch beigebracht, was mich auch zu einer guten Problemlöserin macht. Reichlich charmant formuliert, wenn du mich fragst.“ „Ja, allerdings.“, sagte Kamura. „Aber das stimmt ja auch. Ich habe ja schließlich nicht gelogen, sondern deine Vergangenheit nur elegant etwas verschlüsselt. Weh dem, der Böses dabei denkt.“ „Du schlaues kleines Schiff.“, lächelte Meroola.

Sie sah noch einmal über Kamuras Text, um, falls sie wirklich eingeladen werden sollte, nicht von dem abzuweichen, was dort stand. Dann sagte sie: „OK. Kannst es abschicken.“ Der Avatar nickte und Kamura führte ihren Befehl aus. „Jetzt werden wir wohl etwas warten müssen.“, sagte das Schiff. „Davon gehe ich auch aus.“, sagte Meroola. „Aber du siehst mich so komisch an, Kamura. Gibt es da etwas, über das du mit mir sprechen willst?“ „Eigentlich ja.“, druckste Kamura herum. „Wenn du einen festen Job und eine Wohnung hast, wirst du mich dann überhaupt noch brauchen? Ich meine, herumziehen werden wir dann wohl nicht mehr können und ich werde mir dann wohl einen neuen Piloten suchen müssen. Schade! War sehr schön mit dir!“ „Hey.“, tröstete Meroola und stellte sich vor, den Avatar fest in den Arm zu nehmen. „Wer hat denn was davon gesagt, meine Kleine? Ich bestimmt nicht. Ich habe dir doch gesagt, wir bauen uns hier lediglich eine Basis. Denk doch einmal an deinen Vater und deine Mutter. Ihre Piloten Tchey und Ginalla machen es doch genauso.“ „Da hast du auch wieder Recht.“, sagte Kamura. „Na also.“, sagte Meroola. „Dann ist ja alles in Ordnung. Falls ich also angenommen werde, wirst du immer brav hinter dem Mond in Bereitschaft bleiben, bis ich dich brauche, oder bis ich dich nach Hause schicke.“ „Alles klar.“, sagte Kamuras Avatar erleichtert.

Es waren einige Minuten vergangen, in denen nichts passiert war. Es war schon Abend geworden und der Mond, hinter dem Kamura warten sollte, hatte sich ihrer Position über der Nordhalbkugel von Celsius bereits genähert. „Ich glaube kaum, dass heute noch was passiert.“, sagte Meroola. „Ich werde nach hinten gehen und mich hinlegen. Du kannst mir ja sagen, wenn noch was ist.“ Kamuras Avatar nickte und Meroola legte den Neurokoppler ab und stand vom Sitz auf. Dann streckte sie sich noch einmal ausgiebig und gähnte: „Gute Nacht, mein kleines schnelles Schiffchen.“

Sie wollte gerade gehen, als ein jähes Signal aus dem Computerlautsprecher sie erschreckte. „Was war das, Kamura?“, fragte sie. „Ich sollte dir doch sagen, wenn noch was ist.“, sagte Kamura jetzt den Lautsprecher benutzend. Da Meroola den Neurokoppler ja abgelegt hatte, war das notwendig geworden.

Der Mischling drehte sich wieder um und setzte sich erneut auf ihren Platz, um den Neurokoppler wieder aufzusetzen und in Ruhe abzuwarten, bis das Schiff ihre Reaktionstabelle erneut geladen hatte.

Jetzt sah Meroola nicht nur den Avatar vor sich, sondern hinter ihr auch den virtuellen Monitor, auf den sie mit einem Zeigestock zeigte. „Schau, Meroola!“, sagte sie grinsend. „Wir scheinen doch noch eine Antwort zu bekommen. Man will …“

Meroola gab einen scharfen ablehnenden Laut von sich. „Sag es mir nicht!“, befahl sie. „Ich will es selbst lesen. Deiner Reaktion nach muss es ja etwas sehr Gutes sein. Zeig schon her!“ „Wie du willst.“, sagte Kamura und rückte das Bild der eingegangenen SITCH-Mail in den Vordergrund. Meroola begann damit, sich den Inhalt halblaut durchzulesen: „Sehr geehrte Ms. Sylenne, Ich freue mich, ihnen mitteilen zu dürfen, dass ich Sie gern morgen um 15:00 Uhr Ortszeit zu einem Vorstellungsgespräch begrüßen würde. Mit freundlichen Grüßen Felix Kingsley, (Betriebsleiter).“ „Na, OK.“, sagte Meroola. „Das lässt sich ja schon sehr gut an. Vielleicht bin ich ja demnächst also auch einer von Felix‘ findigen Fehlerfüchsen vom Pannendienst. Was macht ihr Schiffe eigentlich als Entsprechung für das Daumendrücken?“ „Wir verbinden kurz alle Transportersysteme an Bord.“, sagte Kamura. „Dann tu das bitte morgen für mich.“, sagte Meroola. „Ich beabsichtige nämlich nicht, den guten Mr. Kingsley zu enttäuschen.“ „OK.“, sagte Kamura. „Aber dann würde ich mich an deiner Stelle jetzt gut ausschlafen. Sonst bist du morgen nicht zu gebrauchen.“ Sie grinste Meroola an. „Hey.“, sagte diese. „Nicht frech werden, junge Lady!“ Dann ließ sie sich von Kamura die Tür zur Achterkabine öffnen und ging hindurch, um es sich dort auf einer Bank gemütlich zu machen und sofort einzuschlafen. Sie fühlte sich unglaublich sicher bei diesem kleinen Schiff. Sie ahnte ja noch nicht, wie wichtig dieses Vertrauen noch werden sollte.

Kamura hatte beschlossen, in dieser Nacht nicht untätig zu bleiben. Empfand sie es doch als ihre Aufgabe, ihrer Pilotin in allen Lebenslagen so gut behilflich zu sein, wie es nur ging. Sie hatte durch ihren Vater, der ihr schon viel über Ginalla berichtet hatte, erfahren, dass sie sich zuweilen als Junggastronomin versucht hatte, wenn sie nicht gerade mit ihm zusammen die Welt rettete. Das bedeutete, dass sie eine Bar haben musste. Vielleicht gab es hier ja auch Zimmer. Aus Kamurus‘ letzten Schilderungen ging das auch hervor.

Sie loggte sich selbstständig in eine Seite ein, auf der man Unterkünfte buchen konnte und suchte dort nach Ginallas Namen. Tatsächlich wurde sie fündig. Das Rufzeichen, das ihr der freundliche Rechner am anderen Ende der Verbindung gegeben hatte, wurde gleich ausprobiert.

Ginalla war in ihrer Bar damit beschäftigt, den Rest der täglichen Arbeiten zu verrichten, als das Sprechgerät sie davon mit lautem Piepen abzuhalten beabsichtigte. „Ja.“, sagte sie etwas unwirsch. „Ich komme ja schon.“ Dann begab sie sich zum Tresen, hinter dem das Gerät auf sie wartete.

Die junge Celsianerin stutzte, als sie das für sie völlig unbekannte Rufzeichen im Display sah. Nur die Kennung hinter dem Punkt war ihr bekannt. „Ein Rufzeichen aus der Dimension meines Schiffes und es ist nich‘ Kamurus?“, wunderte sie sich. „Na, schauen wir mal, dann sehen wir schon.“

Diesen Spruch hatte Ginalla von mir übernommen, nachdem ich ihn irgendwann einmal verwendet hatte und ihr gesagt hatte, er sei ein Erbstück von meinem Großvater gewesen. „Schönes Erbstück, Allrounder Scott, oder darf ich Betsy sagen?“, hatte sie gefragt. Ich hatte nur genickt. „Dann sagen Sie ihrem Opapa, dass ich es in Ehren halten werde!“ Ich hatte sie darauf aufmerksam gemacht, dass wir schon beim Du gewesen waren und dann nur gesagt: „Bedauerlicherweise geht das nicht mehr, Ginalla. Er ist schon seit Jahrhunderten tot.“ „Ach.“, hatte sie entgegnet. „Bei deinen Verbindungen kriegst du das auch noch hin.“ Dann hatte sie schelmisch gegrinst.

Sie nahm das Mikrofon aus der Halterung und drückte den Sendeknopf. Dann sagte sie: „Hier ist Ginalla!“ „Hallo, Ginalla.“, kam eine helle ihr unbekannte Stimme zurück. Gleichzeitig sah sie das Bild einer für sie ebenfalls völlig fremden Jugendlichen. „Nanu! Wer bist denn du?“, fragte die junge Celsianerin erstaunt. „Ich bin Kamura.“, stellte sich das Schiff vor.

Ginalla überlegte. Irgendwo hatte sie diesen Namen schon einmal gehört. Im Augenblick konnte sie sich nur keinen vernünftigen Reim darauf machen. Immer wieder streifte ihr Blick das Display, auf dem das fremde junge Mädchen immer noch zu sehen war. Über ihr war eine Leiste mit Datum und Uhrzeit zu sehen. Das war bei jedem Sprechgerät eine Standardeinstellung. „Was machst du denn noch so spät auf, Kamura.“, fragte Ginalla schließlich. „Ich mein’, es is’ Mitternacht durch und du SITCHt einfach so durch die Weltgeschichte. Was immer du auch willst, kannst du bestimmt auch morgen noch erledigen. Du hast doch bestimmt morgen Schule. Also, an deiner Stelle würde ich jetz‘ janz schnell in die Federn springen, wenn du verstehst, was ich meine. Sonst bist du morgen nich’ zu gebrauchen.“ „Das mit den Federn dürfte etwas schwierig werden, Ginalla.“, sagte Kamura. „Es gibt nämlich kein Bett in meiner Größe. Es sei denn, du sprichst von einem Hangar.“

Das intelligente Schiff hatte selbstverständlich sofort gemerkt, dass Ginalla total auf dem Holzweg war. Aber offensichtlich machte es ihr Spaß, diese Tatsache ein wenig auszunutzen. Dennoch wollte sie auch dafür sorgen, dass Ginalla doch irgendwann drauf kommen würde. Das war auch der Grund, aus dem sie kleine aber feine Hinweise streute.

„Wieso brauchst du einen Hangar?“, fragte Ginalla schließlich sehr verwirrt. „Willst mich wohl verkohlen, was?“ „Oh nein, Ginalla.“, sagte Kamura und ihr Avatar machte das unschuldigste Gesicht, das Ginalla je gesehen hatte. „Ich würde doch nie die Pilotin meines Vaters verkohlen. Nein. So was würde mir nicht im Traum einfallen.“

Ihr letzter Satz hatte Ginalla fast erstarren lassen. Sie hatte das Gefühl bekommen, dass um sie herum die Zeit stehengeblieben war und nur sie sich noch hatte bewegen können. Kamuras Stimme war für sie sehr verzerrt rübergekommen, aber das hatte sie wohl ihrem eigenen emotionalen Zustand zu verdanken. Sie hatte sich nämlich sehr erschrocken, denn langsam war ihr klar geworden, wer sie nur sein konnte.

Es gelang ihr nur schwerlich, sich aus ihrer Schockstarre zu befreien. Dann sagte sie mit stotternder Stimme, was sonst gar nicht die Art der kessen Ginalla war: „Brat mir doch einer ’n Storch! Du bist doch nich’ etwa Kamurus’ und Sharys Tochter? Ich mein’ Kamurus hat dich erwähnt, aber er hat gesagt, dass du noch nich’ alt genug wärst, um dir einen Piloten zu suchen. Deine Software sei noch nich’ ausgereift genug. Du müsstest noch lernen.“ „Eigentlich stimmt das.“, gab Kamura zu. „Aber ich wollte nicht mehr warten. Bitte sag meinem Vater nichts, Ginalla. Bitte!“ „Oh Mann!“, stöhnte Ginalla. „Da bringst du mich aber echt in Schwulitäten. Ich habe mittlerweile auch gelernt, was es bedeutet, Verantwortung für andere zu übernehmen. Das bedeutet, ich sage dir jetzt, dass das Universum da draußen bestimmt kein Spielplatz is’. Dein Vater hat völlig Recht. Du solltest machen, dass du wieder in deine Dimension kommst! Dann vergesse ich, dass du je hier warst und auch dein Vater kriegt nix mit. Is’ das ’n Deal?“ „Ich glaube, das wird etwas schwierig, Ginalla.“, sagte Kamura. „Ich habe nämlich eine Pilotin und die braucht ein Zimmer. Sie will auf Celsius ein neues ehrliches Leben anfangen, genau wie du es damals wolltest. Hat man dir etwa die Tür vor der Nase zugeschlagen?“ „Ne.“, musste Ginalla zugeben. „Im Gegenteil! Man hat mir geholfen, wo es nur ging, ob ich wollte oder nich’. Besonders ein gewisser Tindaraner war da ganz groß, zäh und hartnäckig. Wenn der nich’ gewesen wäre, … na ja. Also gut. Schick sie zu mir runter. Ich werde sehen, was sich machen lässt.“ „Sie braucht das Zimmer wohl erst ab morgen.“, sagte Kamura. „Sie hat nämlich Aussicht auf eine Stelle und wenn sie die hat, dann braucht sie eine Wohnung. Die kann sie sich ja dann besser von deiner Bar aus suchen. Außerdem sieht es bestimmt nicht sehr gut aus für Mr. Kingsley, wenn sie sagen muss, ich wohne zurzeit auf meinem Raumschiff. In gewisser Weise seid ihr Schwestern im Schicksal. Mein Vater hat mir auch viel über deine Vergangenheit erzählt, Ginalla.“ „Wo du Recht hast …“, zischte Ginalla. „Du kleine miese Erpresserin du. Aber Ginalla steht zu ihrem Wort. Sag deiner Pilotin, das Zimmer is’ geritzt und nich’ geschnitten.“ Sie grinste. „Danke, Ginalla.“, sagte Kamura und wollte die Verbindung schon beenden, als Ginalla fragte: „Wie heißt die Frau denn eigentlich?“ „Sie heißt Meroola.“, sagte Kamura. „Meroola Sylenne. Sie ist total in Ordnung.“ „Also gut.“, sagte Ginalla und beendete nun ihrerseits die Verbindung. Irgendwie kam ihr dieser Name bekannt vor. Sie wusste nur gerade nicht, wo sie ihn hinstecken sollte. Sie ahnte auch noch lange nicht, wie schnell sich das ändern sollte.

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