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Auf Logars Seite des Dunklen Imperiums waren Iranach, die oberste Vendar des Herrschers und ihr Novize Talan zu Pferd unterwegs. Talan sollte im Rahmen seiner Ausbildung zum Vendar-Krieger noch so einiges lernen, das empfand zumindest Iranach so. Es war ja auch richtig, denn der Novize befand sich erst im ersten Jahr. Jetzt ritt er hinter seiner Ausbilderin her durch den Wald und wusste nicht so genau, was auf ihn zukommen würde.

Talan selbst maß ca. 2,10 m, was für sein Alter von knapp 13 Jahren bei Vendar fast durchschnittlich für einen Jungen war. Unter seiner juteartigen typischen Uniform trug er ein schwarzweiß geflecktes Fell. Das kam daher, weil seine Mutter schwarzes und sein Vater weißes Fell hatte. Er war von drahtiger Statur wie die meisten seiner Art.

Ihre Pferde waren eine rotbraune Stute und ein weißer Wallach, Talan ritt die sehr gutmütige Fuchsstute, während Iranach auf dem etwas ungestümen Wallach unterwegs war. Beide Pferde waren von stämmiger Statur, waren aber trotzdem gut trainiert, da sie ausgebildete Schlachtrösser waren.

Auf einer Lichtung hieß Iranach ihren Schüler plötzlich anhalten und sah ihn ernst an. „Warum siehst du mich so an, Ausbilderin?“, fragte Talan mit seiner für einen Jungen seines Alters schon sehr erwachsen klingenden Stimme. „Du kennst den Grund.“, setzte Iranach motivierend voraus. „Normalerweise.“, sagte Talan. „Schaust du immer so, wenn du mir eine Lektion erteilen willst.“ „Genau das will ich!“, sagte Iranach fest, schnalzte ihrem Pferd zu und ritt im Trab einen großen Bogen um Talan, bis sie ihm direkt gegenüberstand. Dann zog sie ihre Waffe, ein imperianisches Kurzschwert. „Warum tust du das, Ausbilderin?“, fragte der Novize irritiert. „Was würdest du tun, wenn dich jemand angreift und du keine Waffe hast?“, fragte Iranach. „Wie könntest du deinen Gegner trotzdem außer Gefecht setzen?!“

Sie wendete ihr Pferd, ritt in die andere Richtung davon, um dann umzudrehen und in vollem Galopp wieder auf ihn zuzujagen. „Denk nach, mein Schüler!“, rief sie ihm zu. „In einer realen Situation hast du vielleicht noch viel weniger Zeit!“

Talan wurde sehr unruhig, eine Tatsache, die sich auch auf sein Pferd übertrug. Es spannte jeden Muskel seines Körpers an. „Ganz ruhig, mein Mädchen!“, flüsterte der Novize ihr zu, dem gerade eine Idee gekommen war. „Gleich darfst du laufen was das Zeug hält, aber jetzt noch nicht. Warte, warte, warte!“

Er drehte seinen Kopf so, dass er mit dem einen Auge den Schwertarm und mit dem anderen die Hüftpartie seiner Ausbilderin beobachten konnte. Er wusste, wenn sie zuschlagen wollte, musste sie ihr Gewicht zuerst weit nach hinten legen um auszuholen und es dann schnell nach vorn bringen. Wenn ihr Schlag dann aber ins Leere gehen würde, würde sie aufgrund der Tatsache, dass sie in diesem Moment sehr nach vorn gebeugt säße, sicher den Halt verlieren.

Der Novize drehte seinen Kopf nach links und machte ein schmatzendes Geräusch mit den Lippen. Sofort drehte sein Pferd den Kopf in die gleiche Richtung. Dann sah Talan, wie Iranach zum Schlag ausholte. Im selben Moment flüsterte er seinem Pferd zu: „Rum!“, worauf dieses sich schlagartig in die gerade von ihm angezeigte Richtung wandte und auf ein kurzes Schnalzen seinerseits sofort angaloppierte.

Iranach verlor tatsächlich zuerst ihre Waffe und dann den Halt. Da sie aber durchaus damit gerechnet hatte, fing sie sich nach dem Sturz sofort ab und stand auf. Dann fing sie ihr etwas erschrockenes Pferd wieder ein.

Talan hatte zwar nicht genau mitbekommen, was da gerade passiert war, denn es hatte ja in seinem Rücken stattgefunden und dort haben auch Vendar keine Augen, er hatte sich aber durch die sehr verräterischen Geräusche in etwa denken können, dass sein Plan wohl aufgegangen sein musste. Dennoch tat es ihm leid, was seiner Ausbilderin da gerade geschehen war und er beschloss nach ihr zu suchen. Womöglich hatte sie sich verletzt und benötigte jetzt seine Hilfe.

Er ritt zu dem Punkt zurück, an dem ihr Übungskampf begonnen hatte. Erleichtert nahm er zur Kenntnis, dass es Iranach offenbar gut ging, denn er sah, dass sie mit ausgeglichenem Blick ihr Pferd zu dessen Beruhigung auf der Lichtung auf und ab führte. „Den Göttern sei Dank, Ausbilderin.“, sagte Talan erleichtert und nahm die Zügel auf, um sein Pferd anzuhalten. „Ich hatte mir schon Sorgen um dich gemacht.“ Auch Iranach hielt an, drehte sich aber mit einem strengen Gesicht in seine Richtung. Dann tadelte sie ihn: „Zeigst du immer so viel Mitleid mit deinen Feinden, Talan?! Im Zweifel könnte dich das dein eigenes Leben kosten! Merk dir das! Und schau dir mal genau die Mimik deines Pferdes an! Sie schaut total verunsichert! Hat sie denn nicht genau ausgeführt, was du ihr befohlen hast?“ „Ja, Ausbilderin.“, gab Talan kleinlaut zu. „Aber ich war in Gedanken wohl schon wieder bei dir und habe …“ „Das sehe ich!“, sagte Iranach. „Aber bei so ungenauer Führung wäre es für mich kein Wunder, wenn sie dir eines Tages nicht mehr vertrauen würde! Und noch mal zu uns zurück! Ich war in diesem Moment deine Feindin, von der es dir egal sein müsste, ob sie verletzt sei oder nicht. Wenn ich wirklich eine von Sytanias Vendar gewesen wäre, hätte ich dein Mitleid sicher ausgenutzt, um dich einen Kopf kürzer zu machen, sobald du dich zu mir heruntergebeugt hättest! Meine Waffe hatte ich nämlich schon wieder gefunden!“

Talan setzte sich aufrecht im Sattel hin. Er war fest entschlossen, seine Schlappe von gerade eben wieder gut zu machen. So sollte der Tag für ihn auf keinen Fall enden! Das stand fest. Er sah Iranach also direkt ins Gesicht und sagte so fest er nur konnte: „Dann zeig mir, wie ich meine Fehler wieder gut machen kann, Ausbilderin!“ „Ich wusste es!“, entgegnete Iranach erfreut. „In deiner Brust schlägt also doch das Herz eines Kriegers! Ein solcher lamentiert nämlich nicht und sucht auch nicht nach Entschuldigungen, sondern sieht nach vorn! Also gut.“ Sie bestieg ihr Pferd. „Wir machen das Ganze noch mal!“, ordnete sie dann an. „Aber dieses Mal wirst du sie, wenn sie ausführt, was du von ihr willst, so stark loben, wie du nur kannst. Wenn sie es macht, ist sie die Allergrößte für dich! Hast du mich verstanden?!“ „Ja, Ausbilderin.“, sagte Talan. Also dann.“, sagte Iranach und beide nahmen die schon bekannten Positionen ein. Dann wiederholte sich das gleiche Schauspiel, nur dieses Mal begann Talan sofort, nachdem sein Pferd getan hatte, was er von ihr gewollt hatte, sie zu klopfen, zu streicheln und zu kraulen. Dabei sagte er leise aber mit viel Stolz in der Stimme Dinge wie: „Ja, fein! So eine brave Maus! Klasse, Süße!“ Die Stute gab ein erleichtertes Schnauben von sich und senkte den bis dahin sehr stark nach geradeaus gerichteten Kopf. Auch ihre Ohren begannen sich wieder aufmerksam in Talans Richtung zu bewegen. Da war nichts mehr zu sehen von unsicherem Wittern und Sichern in alle Richtungen. Jetzt wusste sie, dass alles in Ordnung war.

Iranach kam wenig später zu ihm geritten. „Na also.“, sagte sie zufrieden, die alles genau beobachtet hatte. „Es geht doch. Aber nun folge mir! Das Kampftraining ist für heute vorbei, aber wir wollen ja noch deine Sinne schärfen.“ „Also gut.“, sagte Talan und folgte ihr. Er wusste zwar nicht genau, was ihn erwarten würde, war aber sehr neugierig.

Auf einer weiteren Lichtung nicht weit von der, auf der sie zuerst angehalten hatten, hieß Iranach ihren Schüler erneut anhalten und absteigen. Auch sie tat es ihm gleich. Dann führten beide ihre Pferde zu zwei jungen Buchen am Anfang der Lichtung hinüber, an die sie gebunden wurden. Danach winkte Iranach Talan, ihr wieder auf die Lichtung zu folgen. In deren Mitte blieben sie stehen und Iranach legte den Finger an die Lippen. „Warum soll ich still sein, Ausbilderin?“, fragte der Novize. „Wenn du es nicht bist.“, antwortete Iranach. „Dann wirst du nie in der Lage sein, deine Umgebung zu erlauschen.“ „Aber warum muss ich denn das können, Ausbilderin?“, fragte Talan. „Ich habe doch gute Augen.“ „Das bezweifele ich nicht.“, sagte Iranach geduldig. „Aber in mancher Situation kann es schon zu spät sein, wenn du den Feind siehst. Dann hat er dich nämlich auch schon gesehen und du hast viel zu wenig Zeit, dir noch eine Strategie zu überlegen. Zeit kann ein Vorteil sein, wenn du sie auf deiner Seite hast, mein Schüler, aber auch ein gewaltiger Nachteil, wenn sie auf Seiten deines Feindes ist.“ „Ich verstehe.“, sagte Talan, der über ihre Worte jetzt sehr sorgfältig nachgedacht hatte.

Er hielt den Atem an und begann zu lauschen. „Ich könnte etwas tun, das es dir fürs Erste sehr erleichtern würde, dich auf dein Gehör zu konzentrieren.“, sagte Iranach, die genau sah, dass er sich zwar redlich mühte, aber auch, dass er sehr verwirrt war, da aus den vielen Geräuschen im Wald einfach kein Bild werden wollte. „Ja, bitte.“, bat Talan. „Gut.“, sagte Iranach. „Dann warte hier auf mich!“

Sie ging zu den Pferden zurück und kam wenig später mit einer Augenbinde in der rechten Hand wieder. Diese legte sie Talan vorsichtig an und schloss den Verschluss hinter seinem Kopf. Dann nahm sie seine Hand, denn sie befürchtete, dass der plötzliche temporäre Verlust seines Augenlichts dafür sorgen könnte, dass es Talan schwindelig würde. „Jetzt versuch es erneut!“, ermutigte sie ihn.

Talan atmete tief aus und konzentrierte sich nur auf seine Ohren. Jetzt, da seine Augen ihn nicht mehr störten, fing tatsächlich einiges an, für ihn einen Sinn zu ergeben. „Dort in der Wiese muss ein Rehkitz liegen.“, flüsterte er Iranach zu, die ihm bereitwillig ihr Ohr hingehalten hatte, nachdem sie gesehen hatte, dass er wohl etwas gehört haben musste, weil sich sein Gesichtsausdruck plötzlich sehr von ruhig zu aufgeregt gewandelt hatte. Dann deutete Talan nach rechts und fügte noch hinzu: „Es ruft nach seiner Mutter.“ „In der Tat.“, bestätigte die Vendar ebenfalls sehr leise. „Sag mir doch, ob es Antwort bekommt.“

Erneut lauschte Talan angestrengt. Der gerade erreichte Erfolg hatte ihn motiviert. Er nahm ein kleines Rascheln war, das ihn an kleine schnelle Hufe erinnerte, die über den mit Laub bedeckten Boden trippelten. Sie bewegten sich offensichtlich in die Richtung, aus der er das Kitz rufen gehört hatte. „Die Ricke.“, sagte er. „Jetzt werden sich Mutter und Kind bald wieder haben.“ Iranach nickte ihm nur zu und lächelte. „Das war schon recht gut für den Anfang.“, sagte sie und zog ihr Sprechgerät, in das sie ein Rufzeichen gefolgt von einer Abfolge von Befehlen eingab, zu denen auch ein Code gehörte. Dann fing sie die Augenbinde auf, deren Verschluss sich daraufhin geöffnet hatte. Die Vendar sind sowohl in der sehr mittelalterlich anmutenden Welt des Dunklen Imperiums, als auch in der Welt der Technologie zuhause, wie ihr vielleicht schon wisst.

Talan drehte sich plötzlich in eine bestimmte Richtung und deutete still geradeaus. „Was ist dort, Talan?“, fragte Iranach. „Ich habe ein Scheppern gehört, Ausbilderin!“, sagte der Junge aufgeregt. „Und jetzt ruft jemand um Hilfe! Ich höre auch das Wiehern eines Pferdes in Angst!“ „Führ mich hin!“, befahl Iranach, die sich schon dachte, eine gute Gelegenheit für ihn gefunden zu haben, das Erlernte gleich einmal in der Realität auszuprobieren. „Ja, Ausbilderin.“, nickte Talan und ging forschen Schrittes in die Richtung, aus der er die Rufe und das Wiehern wahrgenommen hatte.

Sie standen bald vor der Bescherung in Form eines Wagens, der halb in einer Fallgrube hing. Auf dem Wagen saßen drei Männer, die alle mit ihren durchschnittlichen Körpermaßen von 1,70 m und ihren etwas gedrungenen Körpern recht klein wirkten. Sie trugen alle alte abgewetzte Kleidung und ebensolche Schuhe. Sowohl ihre Kleidung, als auch sie selbst, waren ziemlich schmutzig. Sie hatten alle drei rötliches Haar und ebensolche Bärte. Der Wagen wirkte etwas alt und klapprig. Er wurde von einem dicken zottigen braunen Pferdchen gezogen, das jetzt aber mit den Vorderhufen in der Luft hing. Seine Augen waren vor Angst weit aufgerissen, so dass man das Weiße sehen konnte. Es trat immer wieder mit einem seiner Hinterhufe nach dem Wagen, denn es versuchte wohl, sich loszureißen. Wäre das Geschirr nicht gewesen, hätte es bestimmt das Gleichgewicht verloren.

Iranach zog ihren Phaser und gab ihn Talan: „Schieß auf die Stränge, die dieses arme Geschöpf mit dem Wagen verbinden!“, befahl sie. „Du stehst günstiger!“ „Wenn ich das tue!“, entgegnete Talan mit sorgenvoller Miene. „Dann wird es losrennen!“ „Immer noch besser, als wenn es sich in seiner Lage noch verletzt!“, sagte Iranach fest und machte keinen Hehl daraus, dass sie nicht von ihrer Position weichen würde. Also gut.“, sagte Talan, fasste sich ein Herz, hockte sich hin und zielte. Dann feuerte er auf die Stränge.

Das Pferdchen, das so befreit worden war, stolperte kurz einige Schritte, fand dann aber recht schnell sein Gleichgewicht wieder und galoppierte geradeaus in den Wald davon. „Wir werden es später einfangen.“, erklärte Iranach. „Lass uns jetzt zuerst den drei Verunfallten helfen.“

Sie wandten sich den drei Männern auf dem Wagen zu. Iranach sprach sie zuerst an: „Seit gegrüßt! Ich bin Iranach, die oberste Vendar und Vertraute des Logar El Imperia! Das ist mein Novize Talan!“

Die drei Männer fuhren zusammen, als hätte sie gerade der Teufel persönlich begrüßt. Dann sagte einer von ihnen, der in der Mitte saß: „Logars oberste Vendar? Ach du Schreck! Dabei wollten wir deinen Gebieter gerade ausrauben! Ach übrigens, wir sind die drei Lateiner. Mein Name ist Simplicissimus, das ist Sophus und das Pfiffikus! Wisst ihr, die Falle, in die wir hier gerade selber geraten sind, hatten wir eigentlich für Logars Leute ausgelegt, aber dann fehlte uns die Geduld, auf sie zu warten und wir wollten uns selbst aufmachen. Wir wollten deinen Gebieter das Fürchten vor uns, den neuen Räubern hier im Wald, lehren, jawohl!“

Beide Vendar konnten nicht mehr an sich halten. Sie brachen in schallendes Gelächter aus und das kann bei Vendar ziemlich laut werden und hielten sich die Bäuche. Dann prustete Iranach irgendwann: „Na ja. Vielleicht hättet ihr Dummköpfe … äää Entschuldigung ich meinte natürlich Räuber von der traurigen Gestalt, meinem Gebieter eine Einladung schicken sollen mit einer genauen Beschreibung eurer Falle.“ „Ja.“, sagte Sophus, der rechts neben Simplicissimus saß. „Das wäre doch wirklich eine Maßnahme. Findet ihr nicht?“ „Ich weiß nicht.“, meinte Pfiffikus von links, dessen Name ja nun so gar nicht Lateinisch war. „Ich glaube, die will uns veralbern.“ „Meinst du wirklich?“, fragte Simplicissimus. „Das glaube ich nicht. Sie klang doch sehr ernst. Aber ich frage sie einfach mal.“

Er wandte sich Iranach zu: „Du, Iranach, wolltest du uns eigentlich gerade veralbern?“

Die Vendar versuchte sehr stark an sich zu halten, als sie antwortete: „Um ehrlich zu sein, das wollte ich. Aber jetzt sollten wir euch erst mal aus eurer Lage helfen. Mein Novize wird euer Pferd wieder einfangen und wir vier werden uns mal unterhalten müssen, fürchte ich. Aber steigt erst mal vom Wagen.“ „Also gut.“, sagten die drei und taten, was Iranach gerade von ihnen verlangt hatte. Dann zog sie den Wagen aus der Grube, was für sie, die ja fünfmal so stark wie eine durchschnittliche menschliche Frau war, kein wirkliches Problem darstellte.

Talan war den gesamten Weg zu dem Platz zurückgegangen, an dem er und seine Ausbilderin ihre Pferde zurückgelassen hatten. Hier band er seines los und führte es am Zügel in Richtung der Stelle, an der er das verängstigte Zugpferd der drei Fremden zuletzt gesehen hatte. Sein Plan war, das Vertrauen des Pferdchens über seine Artgenossin zu gewinnen. Wenn es sah, dass sich diese bei Talan sicher fühlte, dann würde es ihm bestimmt auch leichter fallen, sein Vertrauen zu gewinnen. Der Novize wusste, dass Pferde zwar als Fluchttiere sehr ängstlich, aber auch sehr neugierig waren. Wenn es seine Artgenossin wittern würde und spüren würde, dass diese auch keine Angst vor dem komischen fremden Zweibeiner hatte, dann würde es vielleicht neugierig näherkommen und mal nachsehen wollen, was da so Aufregendes passierte.

Tatsächlich konnte der jugendliche Vendar bald das Pferdchen erspähen, das sich auf eine Anhöhe gestellt hatte und dort friedlich auf einer wilden Wiese graste. In einiger Entfernung blieb er selbst mit seinem Pferd stehen und begann damit, es liebevoll zu kraulen und zu streicheln. Allerdings war er dabei in Sichtweite des fremden Pferdchens geblieben.

Offensichtlich schien sein Plan wenig später Früchte zu tragen. Das kam aber nicht zuletzt auch durch den Umstand, dass sein Pferd den Fremden bereits gewittert und ein freudiges Wiehern losgelassen hatte. Talan wusste, dass seine Stute sehr kontaktfreudig war und gern neue Freundschaften schloss. Das war auch einer der Gründe, warum der Novize fand, dass sie sich prima als Eisbrecherin eignete.

Das Pferdchen antwortete mit einem hohen quietschenden Laut, was wohl der Tatsache geschuldet war, dass es aufgrund seiner geringen Größe von 1,40 m auch nur eine kleine Pony-Stimme hatte. Dann kam es langsam herüber und beschnupperte Talan und sein Pferd. Bei Talan, der sich gerade heruntergebeugt hatte, als es das tat, landete seine Nase sogar im Gesicht. „Hey, du, das kitzelt!“, lachte Talan und streckte vorsichtig eine Hand nach dem Fell des Pferdchens aus, das er sich erst jetzt genauer ansehen konnte. Er sah, dass es sich um einen wohl erst vor kurzer Zeit frisch gelegten, also kastrierten, Wallach handeln musste, dessen Zeit als Hengst wohl noch nicht so lange her war. Außerdem viel dem Novizen sofort sein zotteliges Fell auf. „Na, dich haben sie aber auch lange nicht mehr gebürstet.“, sagte er und zog einen Striegel aus der Tasche. Den er ihm zuerst unter die Nase hielt, damit er sich ein Bild darüber machen konnte, was gleich passieren würde. Dann berührte er ihn vorsichtig damit an der Seite seines Halses und strich von links nach rechts. Das Pferdchen genoss seine Behandlung offensichtlich so sehr, dass es einen tiefen lauten Grunzlaut von sich gab und sich gegen die Hand mit dem Striegel drückte. „Ja, das gefällt dir, was?“, fragte Talan mit freundlichem ruhigen Ton und einem Lächeln im Gesicht. Dann aber steckte er den Striegel zunächst wieder ein und nahm sein eigenes Pferd wieder am Zügel: „Komm!“ Folgsam ging es mit ihm. Das fremde Pferdchen, das aber auf jeden Fall noch mehr von seiner Wellness-Behandlung haben wollte, folgte ihnen ebenfalls.

Wieder an der Stelle angekommen, von der er mit seinem Pferd losgegangen war, band er sie zunächst wieder an den Baum, um dann einen Strick aus der Satteltasche zu holen und ihn an der Trense des Pferdchens zu befestigen. Dann wurde auch er an einen Baum gebunden und Talan fuhr mit dem Putzen fort. Dabei stellte er aber auch fest, dass er wohl nicht sehr weit kommen würde, ohne das Geschirr zu entfernen, was er dann auch tat. Jetzt hatte er freie Bahn für seinen Kurs des Einschmeichelns.

Iranach hatte sich den drei Möchte-Gern-Räubern zugewandt. „So.“, sagte sie. „Ihr wolltet also meinen Gebieter Logar ausrauben. Wie hattet ihr euch denn das vorgestellt, he?“ „Na ja.“, meinte Simplicissimus, den sie bereits als den Redelsführer identifiziert hatte. „Erst mal wollten wir seine Wachen überwältigen und dann in die Schatzkammer spazieren.“ „Ah ja.“, antwortete Iranach. „Und wie?“ „Wir wollten sie niederschlagen.“, sagte Sophus und zog eine Keule aus der Tasche. „Und dann sollte ich sie fesseln.“, fügte Pfiffikus bei und holte ein dickes Seil aus der Seinen. „Alle mit einem Seil.“, vergewisserte sich die Vendar und hatte schon wieder mit einem Lachanfall zu kämpfen. Mit einer Keule und einem Seil wolltet ihr also eine ganze Armee überwältigen. Na, das ist mir ja ein schöner Plan.“ „Ja.“, sagte wieder Simplicissimus. Das fanden wir ja auch. Aber du schaust, als wärst du damit gar nicht einverstanden. Wieso denn nicht?“

Iranach atmete tief durch und zählte im Geist langsam bis zehn. Sie konnte nicht glauben, dass diese drei Männer tatsächlich glaubten, ihr Plan hätte funktionieren können. Offensichtlich waren sie sehr dumm und somit zur Ausübung des Räuberhandwerks gänzlich ungeeignet. Sie vermutete sogar, dass sie schon gefasst würden, bevor sie überhaupt einen Fuß aus ihrer Räuberhöhle gesetzt hatten. Mehrmals musste sie sich auf Vendarisch ermahnen, ruhig und geduldig zu bleiben. Schließlich konnten sie ja nichts für ihren geistigen Zustand. Dass sich einer von ihnen dann auch noch der Weise nannte, fand Iranach schon wieder unfreiwillig komisch.

Simplicissimus hatte sich ihr zugedreht. „Was findest du denn nun so schlecht an unserem Plan?“, fragte er. „Also gut.“, sagte die Vendar. „Ich will mal versuchen, es euch zu erklären. Die Wachen arbeiten ja alle jeweils in Sichtweite des anderen. Mit einer Keule und einem Seil könnt ihr, wenn es hoch kommt, ja höchstens einen in eure Gewalt bringen. Aber dann haben euch die anderen ja längst gesehen und Alarm gegeben und dann kommen die Kameraden der Wächter, nehmen euch am Kragen und schleifen euch ins Verließ!“ „Upsi!“, machte Simplicissimus. „Darüber habe ich nicht nachgedacht.“

Talan hatte seine Aktion beendet und dem Pferdchen auch das Geschirr wieder angelegt, nachdem er es ebenfalls von Schmutz und Haaren befreit hatte. Dann hatte er seinen neuen Freund am Zügel genommen und war mit ihm zu Iranach und den drei Männern gegangen. „Hallo, Zottelchen!“, rief Sophus aus. „Du siehst ja wieder richtig schick aus!“ „Sein Name ist also Zottelchen.“, stellte Talan fest. „Wie passend.“ Dann wandte er sich Iranach zu: „Und was hast du erreichen können, Ausbilderin?“ „Ich denke, ich konnte unsere drei verkappten Räuber hier überzeugen, dass ihr Plan, Logar auszurauben, eine verdammt dumme Idee war! Vor allem in der Weise, wie sie es geplant hatten.“ „Sie hat Recht.“, pflichtete ihr Simplicissimus bei. „Wenn wir getan hätten, was wir wollten, dann hätten wir jetzt unsere Freiheit eingebüßt und das für nichts. Meine Leute und ich sind dir sehr dankbar, Iranach und dir auch, Talan. Zum Dank möchten wir euch in unsere Höhle zu einer Mahlzeit einladen. Übrigens, hätten wir auf Zottelchen gehört, dann wäre es gar nicht zu diesem Unfall gekommen. Er wollte plötzlich nicht weitergehen und wir wussten erst nicht mehr warum. Aber dann …“ „Ihr hattet also tatsächlich vergessen, dass ihr diese Fallgrube errichtet hattet?“, fragte Iranach. „Ja.“, sagte Pfiffikus. „Obwohl das erst zwei Tage her war. Aber, wenn ich ehrlich sein soll, dann hatten wir es nach einem Tag schon wieder vergessen. Aber darauf sind wir sehr stolz. Denn das war schon eine verdammt lange Zeit, die wir uns das gemerkt haben. Wir vergessen nämlich alle drei sehr schnell.“ „Ihr würdet wahrscheinlich sogar eure Köpfe vergessen, wenn sie nicht angewachsen wären!“, entfuhr es Talan, worauf ihn Iranach gleich scharf in Vendarisch zurechtwies. „Es tut mir leid, Ausbilderin.“, entschuldigte sich der Novize sofort wieder. „Ich weiß ja, dass sie nichts dafür können.“

Iranach wendete sich Simplicissimus zu. Sie war gewillt, seine Einladung anzunehmen, denn vieles, was geschehen war, hatte sie neugierig werden lassen. „Also gut.“, sagte sie. „Wir nehmen eure Einladung an! Aber wir sollten erst mal schauen, dass wir euren Wagen und auch das Zottelchen wieder nach Hause bekommen. Beruhigt scheint er sich ja zu haben.“ „Aber wie willst du ihn denn anspannen?“, fragte Pfiffikus. „Ganz einfach.“, sagte Iranach. „Gebt mir das Seil!“

Sie führte das Seil vorsichtig um das Brustblatt von Zottelchens Geschirr herum und verknotete es so mit den Resten der Stränge, dass es quasi parallel zu ihnen verlief. Dann zurrte sie die Enden an der Deichsel fest. Jeweils eines rechts und eines links, damit Zottelchen auch gleichmäßig ziehen konnte. Der Unfall schien nichts bei ihm hinterlassen zu haben. Vielleicht war daran auch Talans Behandlung nicht ganz unschuldig, die ihn wohl längst wieder alle Angst vergessen lassen hatte. So sehr hatte er sie genossen.

Iranach begab sich nach vorn an Zottelchens Kopf. Dann sagte sie: „Ich werde ihn führen, falls doch noch etwas ist. Talan, bitte hol unsere Pferde und komm nach.“ „Ja, Ausbilderin.“, nickte der Novize, der in ihrer Anweisung auch gleich eine Trainingseinheit im Spurenlesen erkennen konnte. Dann machte sich die gesamte Prozession auf den Weg in die Höhle der drei Lateiner.

Tatsächlich hatten sie nicht übertrieben, was die Sache mit der Höhle anging. Zwischen einigen Büschen versteckt lag tatsächlich der Zugang in den Untergrund. Dass es im Dunklen Imperium ein weit verzweigtes Höhlensystem gab, das wusste Iranach. Dass es diesen Dreien aber tatsächlich gelungen war, einen Teil davon wohnlich einzurichten, erstaunte sie doch sehr. Es gab hier offenbar eine Wohnhöhle und sogar Stallungen, in denen sich allerlei Getier befand. Allerdings war sie froh, dass einige Spalten im Fels der Höhlendecke noch Licht durchließen, denn sonst wäre das alles für sie sehr fraglich gewesen. Es gab einen Kuhstall, einen für Zottelchen und einen für ein bis zwei Schweine. Auch Hühner und Gänse gab es. Das Ganze erinnerte sie viel stärker an einen unterirdischen Bauernhof, als an eine Räuberhöhle und sie begann sich zu fragen, welchen Teil des Wortes Räuber sie nicht verstanden hatten. Als solche wäre es doch eigentlich ihr Bestreben gewesen, sich ihr Essen auch zusammen zu stehlen. So dachte auf jeden Fall Iranach.

Man versorgte Zottelchen gemeinsam und dann ging es in die Wohnhöhle. Aber Iranach und ihrem Novizen waren einige kleine Tafeln aus Ton aufgefallen, die über den Türen der Ställe hingen, kleine Symbole trugen und von denen Schnüre abgingen, die in die Wohnhöhle führten. „Was ist das?“, wollte Iranach wissen. „Das ist unsere Erinnerungsmaschine.“, sagte Sophus. „Wir würden nämlich sonst sogar das Versorgen unserer Tiere vergessen.“ „Darauf wollte ich euch auch noch ansprechen.“, sagte Iranach. „Meint ihr wirklich, dass es das Richtige für euch ist, Räuber zu werden? Gut, ihr habt eine Höhle. Aber ansonsten seid ihr doch als Bauern viel besser dran, denke ich. Das habt ihr nämlich anscheinend im Griff. Hinten in der Höhle, da wo die Spalten im Fels in der Decke etwas größer werden, habe ich nämlich sogar Felder gesehen.“ „Das stimmt.“, sagte Simplicissimus. „Das sehe ich jetzt auch ein. Aber jetzt werden wir uns erst mal zusammen eine gute Mahlzeit zubereiten. Wenn ich nur wüsste, wo unser Geschirr ist.“ „Wenn du Steinguttöpfe und das alles meinst.“, sagte Talan. „Dann habe ich das in einer Nische am Eingang gesehen.“

Er lief vor und winkte Simplicissimus, der ihm aufgeregt folgte. Tatsächlich standen sie bald vor den Töpfen und Pfannen. „Da ist es ja!“, rief Simplicissimus aus. „Und wir haben schon seit Stunden danach gesucht!“ „Lasst mich raten.“, sagte Talan. „Ihr hattet vergessen, dass ihr es hier hingestellt hattet. Na, wenn ihr Beute machen würdet, dann würdet ihr sicher auch vergessen, wo ihr sie versteckt. Aber ich habe eine Idee! Morgen bitte ich Logars Hoftöpferin, eine Tontafel anzufertigen, auf der ihr das Symbol eines Tellers seht. Die binden wir dann auch an eine Schnur und hängen sie hier auf. Die Schnur führen wir dann auch zu den anderen Schnüren in eurer Erinnerungsmaschine. Dann werdet ihr immer hierher geführt, wenn ihr nach eurem Geschirr sucht. Ach, wer hatte überhaupt diese Idee. Entschuldigt, aber euch traue ich sie nicht zu.“ „Das war unsere gemeinsame Nichte Elisa!“, sagte der gescheiterte Räuberhauptmann stolz. „Sie ist viel schlauer als wir. Aber ich danke dir, Talan. Du bist sehr nett!“ „Klasse!“, lobte der Novize und lächelte. „Du hast dir ja sogar meinen Namen gemerkt!“ „Na ja.“, sagte Simplicissimus bescheiden. „Für ein paar Stunden geht so auch. Aber morgen habe ich sicher schon wieder alles vergessen.“ „Weißt du denn auch noch den Namen meiner Ausbilderin?“, fragte Talan. „Ich glaube ja.“, überlegte Simplicissimus. „Sie heißt … Eeem …“ „I.“, machte Talan leise, um ihm zu helfen.

Nach einigen weiteren Sekunden platzte Simplicissimus heraus: „Iranach!“ „Richtig!“, rief Talan und lächelte. Dann trugen er und der gescheiterte Räuberhauptmann gemeinsam das Geschirr zur Feuerstelle und man bereitete gemeinsam eine Mahlzeit aus einigen gut abgehangenen Rinderkeulen und selbst angebautem Gemüse zu, die man sich dann auch gemeinsam schmecken ließ. Dann verabschiedeten sich die Vendar und ritten wieder ihrer Wege.

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