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In Little Federation stand Mikel vor dem Tresen eines öffentlichen Transporters in der Schlange und wartete, bis er dran war. Dabei lauschte er auch immer nach hinten, denn eigentlich war er hier ja mit mir verabredet. Gemeinsam wollten wir zur Flugbereitschaft gebeamt werden, um uns von dort zu unserer Basis fliegen zu lassen, wie wir es eigentlich meistens am Ende unseres Urlaubs taten.

Mit seinem Taststock hatte der blinde Agent Kontakt zur Sperre gehalten, die sich jetzt langsam vor ihm öffnete. Da er wie ich keinen Visor trug, war das auch notwendig gewesen. Jetzt stand er vor dem Tresen. Der Operator, ein Betazoide mittlerer Größe und mittleren Alters mit schlanker Figur und kurzen braunen Haaren, der in einen feinen Anzug aus einer weißen Hose und einem ebensolchen Hemd gekleidet war, nahm den Datenkristall mit seiner Buchung entgegen. Dann sagte er: „Einen kleinen Moment bitte. Ich komme herum und führe Sie in den Transportbereich. Dazu bin ich aus versicherungstechnischen Gründen sogar verpflichtet, damit Unfälle vermieden werden.“ „Also gut.“, sagte Mikel. „Ich bin aber nicht allein. Sehen sie hier vielleicht eine Frau mit einem Taststock wie meinem in der Uniform eines Allrounders?“

Der Betazhoide ließ seinen Blick über die Wartenden schweifen. „Nein, tut mir leid.“, sagte er. „Ich sehe hier leider niemanden, auf den Ihre Beschreibung passen könnte, Sir.“ „Dann ist ihr bestimmt etwas passiert!“, sagte Mikel. „Es ist sonst gar nicht ihre Art, nicht zu Verabredungen zu erscheinen, ohne dass sie mir vorher Bescheid gegeben hätte!“

Er fuhr herum und hastete Richtung Ausgang, ohne sich weiter um den Operator zu kümmern, der noch versuchte, ihn darauf aufmerksam zu machen, dass er ja noch seinen Datenkristall, der quasi wie eine Fahrkarte funktionierte, in seinem Besitz hatte.

Blitzschnell war Mikel durch den Ausgang verschwunden und hatte den Weg in unser Wohnviertel eingeschlagen. Dabei hatte ihn der Gedanke an meine Situation sogar sämtliche Verkehrsregeln missachten lassen. Er bemerkte noch nicht einmal, dass er mitten auf der Straße lief.

Das wurde ihm aber schlagartig bewusst, als er plötzlich ein schrilles Signal neben sich hörte und ein Jeep abrupt abbremste. Dieses Geschehen schreckte ihn so sehr, dass er lang hinfiel.

Mit zitternden Händen war es der demetanischen Fahrerin gerade noch gelungen, den Code in die Konsole einzugeben, der die Systeme des Jeeps nach einem solchen Ereignis wieder freigab. Sonst hätte das Fahrzeug selbstständig einen Notruf abgesetzt und sämtliche Rettungskräfte wären alarmiert worden, weil davon auszugehen gewesen wäre, dass sie einen Schock gehabt hätte, der es ihr nicht mehr ermöglichte, das Fahrzeug zu steuern. Mit dem Code hatte sie dem System aber gesagt, dass alles in Ordnung war.

Sie parkte den Jeep in der nächsten Parkbucht und rannte dann zu Mikel, der inzwischen damit beschäftigt war, seinen verlorenen Taststock zu suchen. Sie half ihm und sprach ihn dann an: „Mutter Schicksal, was tust du denn mitten auf der Straße, Mikel! Dir hätte ja sonst was passieren können!“ Sie hob seinen Stock auf und gab ihn ihm: „Hier!“

Jetzt hatte auch Mikel ihre Stimme erkannt. „Sedrin!“, sagte er aufgeregt. „Es ist wegen Betsy! Wir wollten zusammen zu unserer Basis fliegen, aber sie ist nicht gekommen! Das sieht ihr nicht ähnlich! Da muss etwas passiert sein!“ „Ach deshalb bist du so durch den Wind.“, sagte die Demetanerin und zog ihn in Richtung ihres Fahrzeugs: „Steig ein!“ Dann wendete sie dieses und sie rasten in Richtung meines Hauses.

Dass Mikel gar nicht so falsch gelegen hatte, sollte sich zur gleichen Zeit in meinem Schlafzimmer bewahrheiten. Ich war am Vorabend früh ins Bett gegangen und hätte eigentlich nicht verschlafen dürfen, aber ich hatte das Wecksignal des Computers total überhört. Das lag wohl auch mit daran, dass ich in einem furchtbaren Albtraum gefangen war. Ich war in Mitten von Ackerflächen mit Kipana und ihrem Fohlen allein. Dass es sich um Ackerflächen handeln musste, hatte ich aus der Tatsache geschlossen, dass sich die Erde unter meinen Füßen sehr weich anfühlte und es einfach nach Ären und Heu roch. Auch war der Boden sehr uneben. Kipana und das Kleine schnaubten, scharrten und wieherten vor Angst. Sie atmeten auch beide sehr schnell und die Stute versuchte immer wieder, sich durch Schnuppern meiner Anwesenheit zu versichern. Wovor die Beiden solche Angst hatten, konnte ich mir auch denken, denn in der Ferne war das Getöse einer Schlacht zu hören. Aber alles erschien unwirklich laut und sehr riesenhaft, als würde dies von einem Kind erlebt, für das die Welt ja ohnehin sehr groß erscheint. Auch lagen Blitze in der Luft, die ich zwar nicht sehen konnte, die diese aber derart in Spannung versetzten, dass ich es knistern hören konnte. Dass dies eine beängstigende Atmosphäre für die Beiden darstellen musste, konnte ich mir an fünf Fingern abzählen. Es machte ja sogar mir Angst. Aber ich wusste auch, dass ich jetzt die Souveräne sein musste, obwohl mir das selbst sehr schwer fiel.

Ich tastete nach Kipanas Kopf. Sie trug kein Halfter. Also musste ich eine Möglichkeit finden, sie zu locken, wenn ich sie schon nicht führen konnte. Das Fohlen würde uns hoffentlich allein folgen.

Ich klaubte also einige Grasreste vom Boden auf und hielt sie ihr hin. Dann ging ich langsam los, rief ihr aber dabei zu: „Komm, Dicke, komm! Nur ein paar Schritte, dann gibt es etwas Leckeres!“ Allerdings hatte ich keinen blassen Schimmer, wohin diese Schritte führen sollten. Ich wusste nur, dass ich sie in Bewegung halten musste, denn Bewegung war das einzige, das ein Fluchttier wie sie beruhigen konnte.

Ständig witternd und lauschend ging Kipana vertrauensvoll hinter mir her. Ihr Fohlen folgte uns. Das konnte ich an dem kleinen tapsenden Hufschlag gut hören. Aber ich wusste ja auch nicht wo hin. Ich wusste nur, dass sich die Blitze in der Luft immer weiter verdichteten und wir keine Chance haben würden, ihnen zu entkommen. Dass sie gefährlich für uns werden konnten, war mir klar. Wir waren alle drei groß genug, um ein Ziel abzugeben. Also mussten wir kleiner werden. Ich wusste, dass Kipana in ihrer Ausbildung zum Schlachtross zwar das Kommando zum Hinlegen gelernt hatte auszuführen, aber ob sie das jetzt in dieser Situation auch täte, war für mich höchst fraglich. Jedenfalls würde das unser Verhältnis arg auf die Probe stellen. Jetzt würde sich herausstellen, was größer war. Ihre Angst vor der Situation, oder ihr Vertrauen zu mir. Ich hoffte außerdem, dass ihr Fohlen ihr alles nachmachen würde. Ausprobieren musste ich es. Darin bestand kein Zweifel.

Ich stellte mich also vor ihr hin und legte meine rechte Hand auf ihren Hals, um Kontakt zu ihr halten und überprüfen zu können, ob sie denn nun auch ausführte, was ich ihr sagen würde, oder was sie stattdessen tun würde. „Dann sagte ich fest und ruhig: „Kipana, leg dich!“

Zu meinem Erstaunen ging ihr Hals plötzlich immer tiefer nach unten. Aber nicht nur ihr Hals. Auch der Rest von ihr begab sich langsam Richtung Boden. Erfreut klopfte ich ihren Hals und gab ihr das Gras, das ich ja extra für sie gepflückt hatte. Dann hockte ich mich selbst hin und verschränkte die Arme vor meinen Beinen, um auch selbst kleiner zu werden. Dabei bemerkte ich, dass sich auch das Fohlen neben uns hingelegt hatte. „Fein, ihr Süßen.“, flüsterte ich. „Ganz fein.“ Da fühlte ich, wie mir beide die Hände, Kipana rechts und das Fohlen links, abzulecken begannen. Das war etwas, das mich sehr beruhigte, weil es mir auch sagte, dass sich beide bei mir sehr sicher und geborgen fühlten.

Sedrin und Mikel waren vor meinem Haus eingetroffen und hatten den Jeep der Demetanerin verlassen. Jetzt waren sie auf dem Weg zur Vordertür. Als dort auf das Betätigen der Sprechanlage niemand antwortete, sagte Mikel: „Ich kenne ihren Türcode, Sedrin.“ „Dann benutze ihn!“, sagte die Agentin. Mikel nickte und gab den Code ein, worauf die Tür befehlsgemäß zur Seite glitt. Dann betraten er und Sedrin das Haus. „Ich nehme das Schlafzimmer und das Bad. Du suchst in den anderen Zimmern.“, sagte Sedrin. „OK.“, sagte Mikel, drehte sich in Richtung Küche und begann nach mir zu rufen. Auch Sedrin begab sich ihrerseits auf die Suche. Dass sie sich die beiden intimeren Räume ausgesucht hatte, war kein Wunder, denn sie wusste, dass ich, würde sie mich vielleicht splitternackt in einer unglücklichen Situation vorfinden, das lange nicht so übel nehmen würde, als hätte mich ein fremder Mann gefunden. Mikel war zwar für mich kein Fremder, Aber Sedrin empfand es nun einmal als schicklicher so.

Die Agentin wurde auch bald darauf in meinem Bett fündig, nur lag ich nicht ruhig schlafend da, sondern zuckte und zitterte. Der Albtraum verursachte einen solchen Stress, dass die Neuronen in meinem Gehirn unkontrolliert Energie feuerten. Das sah wie ein Anfall aus.

Sie zog ihren Erfasser und scannte mich damit. Dabei fiel ihr auf, dass ich mit irgendwem in telepathischer Verbindung stehen musste. Sie konnte das Muster aber nicht einordnen. Sie wusste auch, dass es zwecklos sein würde, mich verbal zu wecken. Ich würde gar nicht reagieren können, denn der Telepath würde mich festhalten. Dieses verdammte Muster war Sedrin sehr bekannt, sie wusste nur nicht, wohin sie es stecken sollte.

Sie steckte den Erfasser wieder ein und holte stattdessen ihr Sprechgerät aus der Tasche, in das sie Cupernicas Rufzeichen eingab. „Hier Mr. Oxilon.“, meldete sich der talaxianische Assistent der Ärztin. „Hier ist Agent Sedrin.“, sagte diese. „Ich brauche Ihre Vorgesetzte in Allrounder Scotts Haus! Schnell, Mr. Oxilon, schnell!“ Der Talaxianer hatte sehr genau hören können, wie ernst die Lage sein musste. „Ich gebe ihr sofort Bescheid, Agent.“, sagte er ruhig. „Aber was ist denn passiert?“ „Sie wird von irgendeinem Telepathen im REM-Schlaf gehalten.“, sagte Sedrin. „Der Stress ist so groß, dass sie einen Anfall hat.“ „Keine Angst, Agent.“, sagte der Talaxianer. „Achten Sie darauf, dass sie sich nicht auf die Zunge beißt oder sie verschluckt. Halten Sie ihren Kopf, damit sie sich nicht verletzt. Stecken Sie ihr am besten irgendetwas zwischen die Zähne.“ „OK.“, sagte Sedrin und steckte mir ein kleines Deko-Kissen zwischen die Zähne. Dann fasste sie meinen Kopf und überstreckte ihn.

Mikel hatte von dem Geschehen auch Kenntnis erhalten und war hinzugeeilt. „Geh zur Tür und nimm Cupernica in Empfang.“, sagte Sedrin. „Ich bleibe bei Betsy. Ich sehe besser, wenn sie sich eventuell verletzt, weil ihre Hände oder ihre Füße krampfen und kann dann eher eingreifen als du.“ „OK, Sedrin.“, sagte Mikel, machte auf dem Absatz kehrt und ging zur Tür, um dort auf die Ärztin zu warten, wie Sedrin es ihm gerade aufgetragen hatte.

In Cupernicas Praxis hatte Oxilon seine Vorgesetzte gerade über die Situation informiert. „Ich mache mich sofort auf den Weg, Oxilon.“, sagte die Androidin nüchtern. „Sie kennen ja das Procedere, was die leichteren Fälle angeht. Geben Sie allen neue Termine und schicken Sie sie dann nach Hause! Haben Sie Agent Sedrin Anweisungen zur Ersten Hilfe erteilt?“ „Ja, das habe ich, Madam.“, sagte der stets fleißige Talaxianer. „Sehr gut, Mr. Oxilon.“, sagte Cupernica, schulterte ihre Arzttasche und war aus der Tür. Oxilon begab sich währenddessen ins Wartezimmer, um ihre weiteren Instruktionen auszuführen.

Wenige Sekunden später war Cupernica bereits vor meiner Tür und betätigte die Sprechanlage. Sie war etwas überrascht, am anderen Ende Mikels Stimme zu hören, der das Gespräch am Terminal auf dem Flur entgegengenommen hatte, maß dem aber keine übermäßige Bedeutung bei.

„OK, kommen Sie rein, Scientist!“, sagte Mikel und öffnete mittels seines Fingers auf dem Sensor die Tür. „Wo sind Agent Sedrin und die Patientin?“, wurde er sofort von Cupernica gefragt. Stumm deutete er nur in Richtung Schlafzimmer. „Ah ja.“, sagte Cupernica und ging forschen Schrittes an ihm vorbei.

Ihr Weg führte sie dann auch gleich in mein Schlafzimmer, wo sie der Misere ansichtig wurde. Ein einziger Blick reichte für die Androidin aus, um zu sehen, was mit mir los war. Wo menschliche Ärzte oder auch die anderer Spezies vielleicht erst ihren Erfasser hätten ziehen müssen, hatte sie eindeutig einen Vorteil. Ihre Augen, die ja wie die Sensoren eines Erfassers funktionierten, lieferten ihr meine Werte sofort gratis.

Sie griff in ihre Tasche und holte einen Hypor heraus. Auf diesen steckte sie eine Patrone mit zellarem Peptidsenker auf. Dann sagte sie zu Sedrin: „Ich werde den Hypor jetzt so einstellen, dass er das Medikament sofort an ihren Hirnstamm beamt. Von dort wird es viel schneller in ihr Traumzentrum gelangen und dort seine Arbeit verrichten können. Wenn die zellaren Peptide dort eine gewisse Menge unterschreiten, wird sich die telepathische Verbindung von allein lösen, denn dann ist Sie ja nicht mehr für Telepathie empfänglich und kann erwachen. Halten Sie jetzt bitte ihren Kopf ganz fest und ganz ruhig, Agent. Der Minitransporter in dem Hypor kann sonst nicht zielen.“ „OK, Cupernica.“, sagte die Demetanerin vertrauensvoll und nahm mich in eine Art Schwitzkasten. Dann fragte sie: „Ist das fest genug?“ „Allerdings.“, bestätigte Cupernica und setzte das medizinische Gerät an. Sofort wurde das Medikament genau an die Stelle gebeamt, die sie vorausgesagt hatte. „Legen Sie Allrounder Scott jetzt bitte wieder hin.“, wies Cupernica Sedrin an. „Wenn sie erwacht, könnte es sein, dass sie sehr verwirrt ist. Unter Umständen ist sie dann sogar nicht zeitlich oder örtlich orientiert und wenn sie sich dann noch dazu in Ihrem Schwitzkasten wiederfindet, Agent, könnte sie das sehr ängstigen. Ihr Stresslevel ist ohnehin bereits viel zu hoch! Es grenzt meiner Meinung nach an ein Wunder, dass ihr Kreislauf das bisher so lange durchgehalten hat.“ „Ich würde es eher großes Glück nennen, Cupernica.“, sagte Sedrin. „Aber ich finde es faszinierend, dass Sie in diesem Zusammenhang das Wort Wunder in den Mund genommen haben.“ „Nun.“, sagte Cupernica. „Ich habe meine Sprechweise einfach der in unserer Gesellschaft gültigen Norm angepasst.“

Ich hatte zu zittern und zu krampfen aufgehört, hatte die Augen aufgeschlagen und war mit einem tiefen Atemzug erwacht. „Es ist alles wieder in Ordnung, Betsy.“, sagte Sedrin. „Agent Sedrin?“, fragte ich ungläubig und leicht verwirrt. „Wo bin ich und was tun Sie hier?“ „Sie sind in Ihrem Haus und liegen in Ihrem Bett, Betsy.“, sagte Sedrin ruhig. „Es kommt alles wieder in Ordnung.“ „Wie spät ist es, Agent?“, fragte ich. „Das tut jetzt überhaupt nichts zur Sache!“, sagte Sedrin sehr bestimmt. „Was immer Sie auch für Termine hatten, die können Sie jetzt alle als gecancelt betrachten! Jetzt ist es erst einmal wichtig, dass wir herausfinden, wer Sie in diese Situation gebracht hat und welche Bedeutung das für uns alle hat. Ich werde Sie zu Ihrem Albtraum vernehmen müssen.“

Cupernica stellte sich vor die Agentin hin und sagte langsam, aber bestimmt: „Ich denke, dagegen muss ich Einspruch erheben. In ihrem jetzigen Zustand kann Allrounder Scott keine relevante Aussage machen. Ich werde ihr erst einmal etwas geben, das ihre Fähigkeit zum Träumen temporär unterdrückt, damit sie gesunden Schlaf finden kann und sich erholt.“

Sie griff erneut in ihre Tasche und holte eine zweite Patrone mit einem Medikament hervor, die sie dann auch auf den Hypor steckte. „Bitte halten Sie noch einmal still, Betsy.“, sagte sie und dann hörte ich das Summen des Hypors.

Sedrin zog meine Kissen zurecht. Seit meiner Kindheit war es eine Angewohnheit von mir, immer mit mindestens zweien von ihnen zu schlafen. Dann sagte sie: „Ich werde morgen noch einmal bei Ihnen vorbeisehen. Dann werden wir über das reden, was Sie in Ihrem Traum gesehen haben. Bis dahin schlafen Sie sich erst mal aus und bleiben in Ihrem Bett, in Ihrem sicheren weichen!“ Sie legte sogar die Decke um mich. „Aber ich möchte Ihnen besser jetzt alles erzählen.“, sagte ich mit leicht geschwächter Stimme. „Jetzt sind meine Erinnerungen zumindest noch frisch. Cupernica kann ja hierbleiben und aufpassen. Wenn es zu viel für mich werden sollte, kann sie ja eingreifen.“ „Also gut.“, nickte Sedrin und auch Cupernica stimmte in gleicher Weise zu. „Aber warten Sie bitte noch einen Moment.“, sagte die Androidin außerdem und ging aus dem Raum in den Flur zurück, wo Mikel immer noch wartete. „Ihnen dürfte klar sein, Agent.“, sagte sie zu Kissaras Erstem Offizier. „Dass ich Allrounder Scott in ihrem Zustand auf keinen Fall für dienstfähig befinden kann! Ich übersende meiner Kollegin auf Ihrer Basis selbst sämtliche Daten, inclusive ihrer Krankschreibung. Nur wäre es sehr freundlich von Ihnen, wenn Sie Ihren Commander parallel über diese Situation informieren könnten und ihr auch später die Ergebnisse von Agent Sedrins Vernehmung Ihrer Freundin mitteilen würden.“ „Denken Sie denn, dass die Sache relevant sein könnte?“, fragte Mikel. „Haben Sie in letzter Zeit die Nachrichten verfolgt, Agent?“, fragte Cupernica ernst. Der ausgebildete Spionageoffizier nickte. „Dann wissen Sie ja, dass es sehr schlecht um die Dimensionen steht. Außerdem wissen Sie, dass unsere Verbündeten, die Tindaraner, bereits Daten zu dieser Situation gesammelt haben und uns gern helfen würden, alles wieder ins Reine zu bringen. In solchen Situationen ist es schon oft zu merkwürdigen Vorkommnissen gekommen und Ihre Freundin wirkt auf diese oftmals wie ein Magnet auf einen eisernen Nagel. Das habe ich im Laufe meiner Dienstzeit bereits feststellen dürfen.“ „Scientist, Sie machen mir Angst.“, sagte Mikel. „Aber ich werde tun, worum Sie mich gerade gebeten haben.“ „In Ordnung, Agent.“, sagte Cupernica und wandte sich wieder um, um wieder in mein Schlafzimmer zurückzukehren. Auch Mikel verließ wieder mein Haus, um erneut den Weg zu dem öffentlichen Transporter anzutreten.

Cupernica und Sedrin hatten sich beide einen Stuhl an mein Bett gezogen. Die Agentin hatte ein Pad in ihrer Hand und die Ärztin scannte mich permanent mit ihren Augen, was sie mir auch gleich mitteilte.

„Also gut, Betsy.“, sagte Sedrin. „Lassen Sie uns beginnen! Fangen wir mal mit etwas Harmlosem an. Hat sich an Ihren Personalien etwas geändert?“

Ich schüttelte den Kopf und gab einen negierenden Laut von mir, nachdem ich mich aufgesetzt hatte. „Bleiben Sie ruhig liegen.“, sagte Sedrin und drückte mich in die Kissen zurück. „Ich möchte vermeiden, dass Sie sich überanstrengen. Sonst könnte unsere Frau Doktor hier nämlich ziemlich ungemütlich werden.“ „Oh je.“, stöhnte ich. „Das wollen wir ja besser nicht riskieren.“

Sie machte das Pad aufnahmebereit. „OK, Betsy.“, sagte sie dann. „Dann erzählen Sie mal, was Sie gesehen haben.“ „Ich war auf einem Acker.“, sagte ich. „Und da waren auch noch Kipana und ihr Fohlen.“ „Welches Fohlen meinen Sie?“, vergewisserte sich Sedrin. „Sie hatte ja schließlich schon zwei, soweit ich mich erinnere.“ „Ich denke es war die kleine Stute.“, sagte ich. „Also das Jüngere.“, sagte Sedrin. „Woran machen Sie das fest?“ „Es hatte noch sein Babyfell.“, sagte ich. „Das ist weicher als das erwachsener Pferde.“ „Verstehe.“, sagte Sedrin. „Das Fell des jungen Hengstes dürfte jetzt ja schon das eines Erwachsenen sein. Ich glaube Ihnen, was das angeht. Im Fühlen sind Sie ein Ass und wer bin ich schon, dass ich Ihre taktilen Fähigkeiten in Frage stellen darf. Sie wurden ja nie durch einen Visor verstümmelt.“ „Wenn Sie das so sehen möchten, Agent?“, sagte ich. „Oh ja.“, bestätigte sie. „Das möchte ich und ich möchte außerdem, dass Sie aufhören, Ihr Licht immer unter den Scheffel zu stellen.“ „Na ja.“, sagte ich. „Aber ich finde das immerhin besser, als wenn ich eine eingebildete Pute wäre.“ „Sie haben Recht.“, lachte Sedrin. „Das wäre das andere Extrem. Also gut. Ihre Bescheidenheit macht Sie ja auch so liebenswert. Aber ich denke, wir schweifen ab. Lassen Sie uns doch noch mal zu der Umgebung zurückkommen, in der Sie sich gesehen haben. Woran machen Sie fest, dass Sie sich auf einem Acker befunden haben mit den Pferden?“ „Die Erde unter uns war sehr weich und überall waren Reste von Heu und Ären.“, sagte ich. „Welche Jahreszeit herrschte dort gerade? Bitte verzeihen Sie einer Sehenden diese für Sie doch sicher weniger relevanten Fragen, aber …“ „Ich weiß.“, hakte ich ein. „Sie wollen sich immer gern ein vollständiges Bild machen. Also, ich glaube, es war Frühherbst. Es war sehr windig und kalt und die Reste der Ernten weisen auch darauf hin.“ „Wo glauben Sie hat sich der Acker befunden?“, fragte Sedrin. „Ich glaube, er war im Dunklen Imperium.“, sagte ich. „Dort gibt es noch sehr starke mittelalterliche Strukturen und viele Bauern. Unterhalb des Berges, auf dem Logars Schloss steht, sind zum Beispiel viele Höfe, deren Besitzer seine leibeigenen Bauern sind. Das würde zumindest Sinn machen.“ „Sie meinen im Hinblick auf Kipana und die Kleine.“, sagte Sedrin. Ich nickte. „Das würde ich auch sagen.“, sagte die Agentin. „Was haben Sie noch gesehen?“, fragte sie mich weiter. „Kipana und ihre Tochter hatten vor irgendetwas schreckliche Angst!“, sagte ich jetzt schon etwas aufgeregter. Das ließ Sedrin einen kurzen Blick in Cupernicas Richtung werfen, die aber nur abwinkte. „Das mache ich an ihrem Verhalten fest.“, sagte ich. „Sie haben geschnaubt, gewiehert und mit den Hufen gescharrt. Ich denke, ich weiß auch, wovor sie so große Angst hatten. Ich habe in der Ferne das Getöse einer Schlacht wahrnehmen können. Aber es kam mir alles sehr unwirklich laut und riesenhaft vor, als sei ich selbst ganz klein. Ich habe sie dann in Bewegung bringen wollen, da ich weiß, dass Fluchttiere damit beruhigt werden können. Stehen zu müssen in einer Situation, vor der sie Angst haben, empfinden sie als Strafe und dann werden sie sich ja wohl kaum beruhigen.“ „Da stimme ich Ihnen zu, Allrounder.“, sagte Sedrin, die ja selbst auf einer Farm aufgewachsen war und somit auch ein wenig von tierischem Verhalten verstand. „Haben Sie diese Entscheidung bewusst getroffen?“, fragte sie.

„Ich denke, hier muss ich eingreifen.“, sagte Cupernica. „Ich halte dies eher für eine instinktive Handlung des Allrounders. Sie wissen, Agent, dass sie nicht in der Lage ist, das so genannte Lichte Träumen zu praktizieren. Ihre intensive Beziehung zu Kipana allerdings wird ihrem Unterbewusstsein geholfen haben, diese Bilder zu generieren, damit die Situation für sie nicht noch unangenehmer wird, als sie es für ihre Seele bereits war. Das von ihr so geliebte Tier in Angst zu sehen, wird ein Zustand gewesen sein, der sie in starken Stress versetzt hat und dann …“ „Sie meinen also, ihre Seele hat schlicht und einfach die Notbremse gezogen, als sie nicht erwachen konnte?“ vergewisserte sich Sedrin. „Das ist korrekt, Agent.“, bestätigte die Androidin. „Erwachen ist normalerweise die adäquate Reaktion, wenn der Stresslevel zu sehr ansteigt. Aber da das nicht ging, mussten sich ihre Schutzmechanismen anpassen. Wir können froh sein, dass sie das auch getan haben. Ihren Werten nach hätten wir sie sonst vielleicht bereits beerdigen können.“ „Bitte malen Sie den Teufel nicht an die Wand, Scientist.“, sagte Sedrin und wurde blass. „Das liegt keineswegs in meiner Absicht, Agent.“, sagte Cupernica. „Ich habe nur die Wahrheit gesagt und die eventuellen Fakten dargelegt.“ „Kann sich das wiederholen, Cupernica?“, fragte Sedrin. „Das weiß ich nicht.“, sagte die Angesprochene. „Dazu wissen wir zu wenig über dieses Phänomen. Ich darf dem Allrounder auch nicht auf Dauer die Fähigkeit zum Träumen nehmen. Für ihre Psyche hätte das schlimme Folgen! Aber wir könnten dafür sorgen, dass sie dem Albtraum mehr entgegenzusetzen hat. Wenn sie erholter ist, dürfte ihr Stresslevel nicht so leicht so schnell ansteigen. Ich werde ihr eine Kur verschreiben. Agent, zu diesem Zweck würde ich Sie und Ihren Mann gern heute Nachmittag in meiner Praxis sehen, wenn Ihr Dienst vorbei ist.“ „Was haben mein Mann und ich mit Allrounder Scotts Kur zu tun?“, fragte Sedrin. „Das möchte ich nicht hier vor der Patientin besprechen!“, sagte Cupernica bestimmt. „Also gut, Scientist.“, sagte Sedrin. „Dann werde ich zunächst einmal mit ihrer Vernehmung fortfahren.“ Cupernica nickte.

Die Agentin wandte sich wieder mir und ihrem Pad zu, das sie während Cupernicas Belehrung auf Pause geschaltet hatte. Diese Schaltung deaktivierte sie jetzt und fragte dann: „Wo waren wir stehengeblieben?“ „Sie fragten mich, ob ich die Entscheidung, die Beiden in Bewegung zu bringen, bewusst getroffen habe.“, antwortete ich. „Ihr Kurzzeitgedächtnis ist intakt.“, stellte Cupernica fest. „Das ist sehr gut.“ „Ich habe sie mit Sicherheit nicht bewusst getroffen.“, sagte ich. „Aber Cupernicas Erklärung leuchtet mir ein.“ „Wie haben Sie die Pferde in Bewegung gebracht?“, fragte Sedrin. „Ich habe Gras- und Kornreste vom Boden aufgeklaubt und Kipana damit gelockt. Sie ist mir gefolgt und das Fohlen ist ihr gefolgt. Aber über uns waren Energieblitze. Das konnte ich hören, weil die Luft vor Spannung geknistert hat. Außerdem hat sich jedes meiner und auch ihrer Haare aufgestellt. Das fanden sie sicher auch sehr unangenehm. Ich merkte dann irgendwann, dass wir nicht entkommen konnten und habe Kipana gesagt, sich hinzulegen. Sie hat das auch getan. Ich denke, sie hat mir einfach vertraut.“ „Und dieses Vertrauen war sicher größer als ihre Angst.“, sagte Sedrin. „Ich habe mich dann auch hingehockt.“, sagte ich. „Dann haben die Beiden mir die Hände geleckt. Das Nächste, an das ich mich erinnere, ist ein Kissen in meinem Mund und Ihre Hände, Agent.“ „In Ordnung.“, sagte Sedrin und schaltete die Aufnahme ab. Dann speicherte sie die Datei und steckte das Pad wieder ein. „Sie wissen, dass Sie jetzt einer meiner Fälle sind, Betsy.“, wendete sie sich an mich. „Wie Sie wissen, arbeiten meine Partnerin und ich für die Abteilung zur Feststellung feindlichen außerirdischen Einflusses. Ich denke zwar, dass wir einen feindlichen Akt ausschließen können und es sich stattdessen eher um einen Hilferuf handelt, aber das werde ich noch verifizieren.“ „Ein Hilferuf.“, wiederholte ich unsicher. „Das könnte zu den Daten passen, die mir Shimar gegeben hat. Er wollte, dass ich sie Kissara gebe, aber bei Ihnen sind sie ja sicher auch gut aufgehoben. In meinem Nachttisch, Agent.“

Sie drehte sich dem genannten Möbel zu und zog dessen Schublade auf. Dann nahm sie einen Datenkristall in seiner Hülle heraus. „Sie haben ja sogar ein Etikett in Punktschrift für sich repliziert!“, vermutete sie. „Was steht hier?“ „Nur Shimars Name.“, erklärte ich. „Ich dachte, das würde ausreichen.“ „Schon gut.“, sagte Sedrin und steckte den Kristall ein. Dann stand sie auf und sagte: „Ich werde jetzt gehen. Versuchen Sie zu schlafen. Ich komme morgen noch einmal wieder.“ „OK, Agent.“, sagte ich, legte mich zurecht und schloss die Augen. Sedrin winkte Cupernica, die dann gemeinsam mit ihr mein Haus verließ.

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