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Shimar und Rudi hatten die Wohnung des Terraners erreicht. Sie lag in einem Haus auf dem Gelände des Therapiezentrums, das von der Schwester des Tindaraners geleitet wurde. Aber ihre Einrichtung entsprach ganz der des 21. Jahrhunderts. Shimar kam das zunächst etwas seltsam vor, aber er konnte sich schon denken, dass Rudi nicht ganz von seinen Gewohnheiten abweichen wollte.

Die Männer betraten das Wohnzimmer. Hier fiel Shimars Blick sofort auf ein kleines zweisitziges Sofa, auf dem sich einige Katzen- und Hundehaare befanden. Offenbar hatten sich sowohl die kleine Maus, als auch Mikosch darauf verewigt. Neben diesem Sofa gab es einen Sessel, der noch fast unbenutzt schien. Davor stand ein kleiner eckiger gefliester Tisch. In der Ecke gab es sogar einen für Shimar fast altertümlich anmutenden Fernseher. Er war neugierig, wie wohl die Küche aussehen würde.

Sie befreiten die Tiere von Box und Leinen. „Ich werde mit der kleinen Maus in die Küche gehen und sie dort füttern.“, sagte Rudi. „Wir müssen sie trennen, da Hunde kein Katzenfutter fressen dürfen. Gerade Mausi ist sehr empfindlich, was ihre Verdauung angeht. Mikoschs Futter findest du im Vorratsraum am Ende des Flurs. Sein Napf steht dort in der Ecke. Wasser findest du im Bad. Das ist gleich links neben der Eingangstür.“ „OK.“, sagte Shimar und sah zu, wie Rudi aus dem Zimmer ging. Mausi folgte ihm. Offenbar kannte sie die Prozedur schon.

Der junge Tindaraner wandte sich Mikosch zu, der auf die kleine Couch gesprungen war und es sich dort gemütlich gemacht hatte. „Ich bringe dir gleich dein Fresschen.“, sagte er zärtlich und streichelte den Kater. „Dein Dosenöffner hat mich ja schon gut eingespannt. Aber das wollte ich ja nicht anders.“ Mikosch antwortete kurz: „Meng!“, und begann zu schnurren. Schon zu Lebzeiten hatte er gern alles kommentiert, was er gehört hatte.

Shimar ging aus dem Raum in Richtung der Speisekammer. Hier stieß er gleich neben der Tür auf ein Regal, in dem sich unzählige kleine Packungen mit Katzenfutter stapelten. Das konnte er allerdings nur sehen, weil auf allen Packungen eine Katze abgebildet war. Die Beschriftungen waren alle auf Deutsch. „OK.“, stellte Shimar fest, der sich jetzt wohl nichts sehnlicher wünschte, als einen Universalübersetzer. Aber dann hielt er sich doch mit seinem Wunsch zurück, da er sich noch sehr gut daran erinnerte, dass im Totenreich ja alle Wünsche wahr wurden und er immer noch Rücksicht auf Rudi nehmen und ihn nicht irritieren wollte. „Offenbar brauche ich Hilfe.“, bemerkte er.

Gerade wollte er nach Rudi rufen, als ihm einfiel, dass er sich doch einfach nur Kenntnisse in dessen Muttersprache zu wünschen brauchte, um das hier lesen zu können. Rudi selbst hatte es ja bestimmt nicht anders gemacht. Von mir wusste Shimar, dass sich seine Englischkenntnisse ja zu seinen Lebzeiten sehr in Grenzen gehalten hatten. Er hoffte nur, Rudi würde sich bei Zeiten den schrecklichen deutschen Akzent wegwünschen, den er jetzt noch hatte.

Shimar begann damit, sich fest auf seinen Wunsch, die Beschriftungen auf den Packungen verstehen und lesen zu können, zu konzentrieren. Im selben Moment wurde ihm klar, was da stand. „Das klappt ja!“, stellte er erfreut fest. Dann nahm er einen der kleinen Beutel, der Geflügelfleisch mit Sauce enthielt und auch noch einen mit ein paar Leckerchen aus dem Regal und riss beide auf. Dann ging er damit zum Napf, den er an seinem Platz stehen gelassen hatte. Dort angekommen füllte er zuerst das Futter in das Gefäß und streute die Leckerchen oben drüber. Offenbar wollte er sich bei Mikosch einschmeicheln.

Der Kater hatte ihn aus dem Augenwinkel heraus beobachtet. Er kam jetzt gemächlich von seinem Liegeplatz und schlich schnurrend auf Shimar zu. Dann beschnupperte er den Inhalt des Napfes, öffnete sein Maul und machte sich schmatzend darüber her. Offenbar gefiel ihm Shimars Rezept.

Shimar nahm den Wassernapf und ging damit ins Bad. Allerdings stand er hier schon wieder vor dem nächsten Problem. Wie kriegte er jetzt bloß das Wasser aus der Leitung?! Mit einem Replikator war alles viel einfacher! Aber was mit dem Katzenfutter geklappt hatte, musste ja hier auch funktionieren.

Er wünschte sich also, mit so einer in seinen Augen doch sehr primitiven Einrichtung wie einem Wasserhahn umgehen zu können und im gleichen Moment fiel ihm ein, dass er ja nur den Hebel auf dem Hahn in gewisser Weise bewegen musste. „Das klappt ja wie’s Brezelbacken!“, sagte er zufrieden, während er mit dem vollen Napf zurück zu Mikosch ging. „Bitte sehr, mein kleiner schwarzer Panther.“, schmeichelte er. „Dann musst du nicht alles so trocken herunterwürgen.“ Sofort begann der Kater zu schlabbern. Shimar setzte sich auf den Sessel und beobachtete das Schauspiel.

Mikosch hatte den Napf geleert und sich nun auf die kleine Couch gelegt, wo er damit begonnen hatte, sich zu putzen. Dabei fiel dem jungen Tindaraner sofort auf, wie gründlich er dabei war. „Also eines steht fest.“, sagte er. „Das Wort Katzenwäsche ist eine totale verbale Fehlbesetzung! Es bezeichnet eigentlich eine kurze schnelle und nicht sehr gründliche Wäsche. Dabei tust du genau das Gegenteil. Du lässt ja keine Körperstelle aus, auch wenn du dich dabei noch so sehr verrenken musst!“

Rudi und Mausi hatten wieder das Wohnzimmer betreten. Als die kleine Hündin Shimar sah, sprang sie sofort auf seinen Schoß und leckte ihm durchs Gesicht. Dann ließ sie sich flach auf den Bauch fallen. „Ich dich auch!“, lachte Shimar, dem die Bedeutung ihres Verhaltens sofort klar war. „Ist es dir recht, wenn ich das Aufgebot für nächsten Donnerstag bestelle?“ Rudi musste laut lachen. „Na deinen Humor hast du ja nicht verloren.“, stellte er fest. „So schnell geht das bei mir auch nicht.“, sagte Shimar. „Da muss das Schicksal schon stärkere Geschütze auffahren.“ „Na, dann können wir ja froh sein, dass dich so schnell nichts erschüttern kann.“, sagte Rudi.

Darauf gab es einen weißen Blitz und vor ihnen auf dem Tisch standen ein Tablett mit belegten Broten und eine Kanne Tee mit weißen Tassen. „Ich sehe, du hast Abendbrot gewünscht.“, sagte Shimar. Offensichtlich hatte er das von Abendbrot gemacht abgeleitet. Rudi, der seinen Witz durchaus verstanden hatte, grinste nur. „Wie Aufmerksam.“, sagte Shimar noch. Dann begannen die Männer zu essen.

Auf dem Brotbrett, auf dem die Schnitten lagen, war Shimar auch eine aufgefallen, die aus Schwarzbrot bestand und mit Leberwurst bestrichen war. Sie war viel kleiner als der Rest. „Für wen ist das?“, fragte der junge Tindaraner und zeigte auf die Schnitte. „Für die, die gerade auf deinem Schoß sitzt.“, sagte Rudi. „Ah, OK.“, sagte Shimar und griff nach dem Stück Brot, das er Mausi dann hinhielt. Sie aber schaute seine Hand nur zögernd an. „Na nimm’s!“, versuchte Shimar sie zu motivieren. „Sie traut sich nicht.“, sagte Rudi zur Übersetzung. „Sie hat Angst, dich mit ihren Zähnen zu verletzen.“ „Was?“, fragte Shimar ungläubig. „Aber das ist für ein Raubtier, das ein Hund ja in gewisser Weise immer noch ist, doch eigentlich eher untypisch.“ „Natürlich ist es das.“, bestätigte der ältere Terraner. „Aber Mausi ist der liebste kleine Hund, den ich kenne. Leg das Brot doch einfach auf deine flache Hand. Dann nimmt sie es.“ „Danke.“, sagte Shimar und tat, was Rudi ihm geraten hatte. Tatsächlich nahm Mausi es vorsichtig mit ihren weichen Lippen auf. „Ja fein!“, lobte Shimar. „Es geht doch. Du musst keine Angst haben.“

„Mikosch hat ja sogar Angst vor lebendigen Mäusen und wenn mal was ist, dann maunzt er um Hilfe, statt sich selbst zu wehren.“, erklärte Rudi. „Ach du meine Güte!“, rief Shimar aus. „Er ist ja ein richtiger Pazifist! Ihr hättet ihn Mahatma nennen sollen oder am besten gleich Gandhi.“ „Na, du versuchst wohl, mit deinem Wissen über die Erde zu glänzen, um bei mir Eindruck zu schinden, mein außerirdischer Freund.“, lächelte mein Großvater. „Aber das ist gar nicht nötig. Ich respektiere dich auch so. Wir müssen sogar zusammenarbeiten. Es ist lange noch nicht deine Zeit, mein Junge. Lange noch nicht deine Zeit. Genauso, wie es lange noch nicht Betsys Zeit war, als es sie hier her verschlagen hatte.“

Shimar hatte das Gesicht verzogen. „Was ist los?“, fragte Rudi. „Es ist wegen der Sache mit Betsy.“, sagte Shimar. „Das hat mich auf was gebracht. Meine Schwester hat offenbar noch immer ihr Therapiezentrum. Das heißt, dass sie nicht für ihre Mithilfe bei Betsys Flucht von den Quellenwesen bestraft worden ist. Was passiert eigentlich mit den Kindern, wenn sie ihren Tod akzeptiert haben?“ „Sie kommen nach Omarion zu Neris und Odo.“, antwortete Rudi. „Die Beiden hatten zu Lebzeiten keine Kinder. Das war ja auch nicht möglich. Aber nach ihrer Schwangerschaft mit dem Sohn der O’Briens war in Neris doch der Wunsch gereift. Dass das allerdings dann sozusagen erst nach ihrem Tod möglich war, fand sie zuerst sehr ironisch, aber …“ „Moment mal, Rudi“., fiel ihm Shimar ins Wort. „Neris und Odo sind also auch nicht …“ „Nein, nein, mein Junge!“, versicherte der alte Mann grinsend. „Auch sie wurden nicht bestraft. Im Gegenteil. Die Quellenwesen waren ihnen sogar sehr dankbar. Sie hätten das Problem nie lösen können, weil sie es gar nicht verstanden haben.“ „Das ist logisch.“, sagte Shimar. „Das Problem war linear. Alles, was linear ist, verstehen die Quellenwesen und die Propheten nicht, weil sie Wesen sind, die außerhalb der Zeit existieren. Außerdem sind sie miteinander verwandt, was das bei beiden nahelegt.“ „Richtig.“, lobte Rudi. „Sie würden diese Schwäche aber nur ungern gegenüber Sterblichen zugeben.“ „Kann ich mir vorstellen.“, sagte Shimar. „Wer gibt schon gern eine Schwäche zu.“

Er Hatte sich in der Wohnstube umgesehen. Dabei war ihm aufgefallen, dass es, wie im Bad auch, keine Dinge gab, die auf die Anwesenheit einer Frau schließen ließen. Dabei hatte ich ihm ja auch von meiner Großmutter erzählt. „Sag mal.“, wandte er sich Rudi zu. „Was ist mit deiner Frau?“ „Ach.“, sagte mein Großvater. „Wir hatten leider unüberbrückbare Meinungsverschiedenheiten. Gerade bei der Sache, die mir mein Miezerle längst verziehen hat, wie es aussieht. Meine Frau konnte mir das nicht verzeihen und ist dann in eine andere Welt gegangen. In eine, die ihren moralischen Ansprüchen wohl mehr zusagt.“ „Betsy urteilt selten nach dem ersten Eindruck.“, sagte Shimar. „Sie versucht immer erst, den Sachen genau auf den Grund zu gehen. Sie wird gesehen haben, dass deine Eltern vielleicht einfach nur überleben wollten und dich deshalb auf die Flugschule geschickt haben. Sie wollten nicht verhaftet und ermordet werden, nur weil sie dich nicht hergeben wollten in eine zwar amoralische, aber dennoch in diesem Moment leider herrschende Maschinerie. Dein Miezerle, also Betsy, hat das genau verstanden und sie ist dennoch sehr stolz auf dich, da du es trotzdem geschafft hast, im Geiste aufrecht und aufrichtig zu bleiben.“ „Bitte hör auf.“, bat Rudi. „Sonst fange ich gleich wieder an zu weinen.“

Erneut rannen ihm Tränen über das Gesicht. Mikosch, der das durchaus gespürt hatte, machte ein trauriges: „Meng!“, und kuschelte sich an ihn. Auch Mausi sprang von Shimars Schoß und lief zu Rudi hinüber, um sich an ihn zu schmiegen und leise zu fiepen. „Entschuldige bitte.“, sagte Shimar. „Ich wollte dich nicht traurig machen.“ „Schwamm drüber.“, sagte Rudi. „Wir müssen uns ja sowieso auf ganz andere Dinge konzentrieren.“

Er stand auf und ging zu dem großen Fernseher hinüber. „Funktioniert das Gerät?“, fragte Shimar etwas verwirrt. „Ich meine, in der Welt, in der du jetzt lebst, dürfte …“ „Das funktioniert!“, versicherte Rudi. „Und wie s funktioniert! Das wirst du gleich sehen!“

Sein Gesichtsausdruck verriet, dass er sich auf etwas zu konzentrieren schien. Dann sah Shimar plötzlich das Bild vom Grundstück der O’Gradys auf dem Bildschirm. Aber nicht nur das. Auch die Huxleys und ich waren zu sehen, was Mausi veranlasste aufzuspringen und laut fiepend zum Fernseher zu laufen. Auch Mikosch sprang aufgeregt von der Couch und stellte sich neben sie. Sein Schwanz peitschte durch die Luft und er machte einige kurze Laute. „Oh je!“, sagte Shimar. „Die Beiden scheinen ihr Frauchen wirklich zu vermissen.“ „Ja, das tun sie.“, bestätigte mein Opa. „Sie haben Betsy sehr lieb gehabt. Alle beide.“

Shimar war aufgestanden und hatte die Tasche und den Koffer mit dem Spielzeug geholt. „Wir müssen sie ablenken.“, sagte er. Wenn wir sie nur streicheln und zu trösten versuchen, erreichen wir genau das Gegenteil.“ „Sehr gut!“, sagte Rudi. „Ich sehe, Betsy hat dir schon einiges beigebracht.“

Der tindaranische Flieger nahm eine große Ente aus Plüsch aus dem Koffer und drückte auf ihren Bauch, worauf diese ein lautes Schnattern losließ. Sofort sauste Mausi quer durch das Wohnzimmer und war neben ihm. Es hatte vier Dinge gegeben, für die sie schon zu Lebzeiten absolut empfänglich gewesen war. Das waren Spielen, Schmusen, Leckerchen und Autofahren. Ersteres würde sie jetzt von Shimar bekommen und dann war ihr alles andere egal. „Du kannst dir schon etwas darauf einbilden, dass sie so schnell Freundschaft mit dir geschlossen hat.“, sagte Rudi. „Normalerweise geht das gerade bei Männern nicht so schnell. Ach, wirf mir doch bitte mal ein Spielzeug für Mikosch herüber!“ „Ah.“, machte Shimar, der gesehen hatte, das Mikosch inzwischen wieder auf die Couch gesprungen war. „Seine Hoheit ziehen es also vor, in der Sänfte bespaßt zu werden. Aber gut.“

Er zog einen Federbusch an einer Schnur aus der Katzentasche: „Fang!“ Rudi fing den Busch auf.

Der junge Tindaraner steckte sich die Stoffente jetzt hinten in den Hosenbund und krabbelte auf allen Vieren vor Mausi her. Dabei rief er immer wieder: „Na hol’s!“ Dabei schlug er Haken um die Möbel. Mausi folgte ihm mit wedelnder Rute. Dabei ließ Shimar sie natürlich auch die Ente erwischen, die sie dann schüttelte und in die sie hineinbiss, um sie zum Schnattern zu bringen. Er warf sie sogar durch den Raum, was Mausi dazu veranlasste, hinterher zu rennen. Zwar apportierte sie die Ente nicht, aber sie machte einen Veitstanz um sie, wenn sie bei ihr angekommen war, der Shimar die Lachtränen in die Augen trieb. Zwischendurch ließ Mausi auch immer wieder ihr bekanntes: „Ruuuuuuu!“, hören und stellte sich mit Schwung auf die Hinterbeine. Darüber musste Shimar noch mehr lachen.

Auch Rudi war es gelungen, Mikosch zum Spiel mit dem Federbusch zu motivieren. Schnurrend tatzte der Kater danach oder biss auch spielerisch hinein. So spielten die Beiden mehrere Minuten lang mit den Tieren, bis diese sich vor Erschöpfung beide gemeinsam in eine große ovale Schaumstoffschale zurückzogen, die an der Heizung stand. Shimar sah entzückt zu, wie sie sich aneinander kuschelten um dann gemeinsam einzuschlafen. Wie niedlich ist das denn?!, dachte er.

„So.“, sagte Rudi. „Jetzt können auch wir fernsehen.“ „Ja.“, bestätigte Shimar. „Ich habe gehört, der Sender Diesseits-TV soll heute ein sehr kurzweiliges Programm zeigen. Einen Super-Film mit deiner Enkelin, also meiner Freundin, in der Hauptrolle.“ Rudi grinste.

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