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Invictus hatte den Kampf gegen Valora verloren. Er hatte dabei fast all seine Kräfte eingebüßt. Dennoch erfüllte es ihn mit einer gewissen Genugtuung, dass er seiner Tochter die Flucht hatte ermöglichen können. Nun aber musste er für sich selbst nach einer Möglichkeit zum Ausruhen suchen. Er hatte sich zwar mit dem Rest seiner Kräfte noch in eine Wolke aus Energie verwandeln können und sich in das Universum der Föderation gerettet, aber lange würde er diese Gestalt nicht mehr halten können und das bedeutete, dass er sich dringend einen Planeten mit einer Klasse-M-Atmosphäre suchen musste, in der er überleben konnte. In seinem Zustand war von seiner Unsterblichkeit und seiner Unverwundbarkeit nicht mehr viel übrig.

Endlich hatte er die Erde erreicht. Hier spürte er sofort die Anwesenheit von Artverwandten. Zumindest bezeichnete er selbst die Pferde auf der Weide und im Stall der O’Gradys als solche. Er beschloss also, dort zu landen und sich erst einmal auszuruhen. Also schwebte er auf die Weide hinunter, auf der auch die alte Jessy und ihre Herde standen.

Sofort beschnupperten alle den Neuankömmling, der sich inzwischen seiner Erschöpfung ergeben und wieder eine feste Gestalt annehmen musste. Seine Gerüche verhießen den Pferden nichts Gutes. Er roch fremd und er roch krank. Sie wussten nicht, wie sie ihn einordnen sollten. Das machte sie sehr unruhig. Nur Jessy, die als Erfahrenste auch die Leitstute war, wusste genau, dass sie jetzt nur Hilfe von den Zweibeinern bekommen konnten. Sie wusste auch, wie sie diese aufmerksam machen konnte.

Commander Huxley und ich hatten einen Spaziergang über das Grundstück gemacht. Jaden hatte mich darum gebeten, weil er üben wollte, mich zu führen. Dabei hatten wir uns unterhalten. „Sie haben Ihr Schiff sehr gut erzogen, Allrounder.“, sagte er, dem Joran oder Jenna wohl erzählt haben mussten, wie sie Sytanias Schöpfung zur Strecke gebracht hatten. „Oh das war nicht ich, Commander.“, sagte ich bescheiden. „Ich denke, der Grundstein dafür wurde bereits in Lyciras saloranischer Grundprogrammierung gelegt. Für sie ist es bestimmt auch höchst amoralisch, unschuldige Kinder zu töten. Außerdem wollten Sie mich doch Betsy nennen.“ „Tut mir leid, Betsy.“, sagte Jaden.

Wir kamen der Weide immer näher. Ich hörte genau das nervöse Hin- und Herlaufen der Pferde. „Ich glaube, da stimmt etwas nicht.“, sagte ich und auch ich versteifte mich, was Jaden sehr wohl bemerkte. „Das würde ich auch sagen, Betsy.“, sagte er und schaute sich die Situation hinter dem Zaun an. Dabei machte er auf mich den Eindruck, als wollte er nicht glauben, was er dort zu sehen bekam. „Da liegt ’n Einhorn!“, rief er aus. „Bleiben Sie hier! Ich hole die anderen!“ „OK.“, sagte ich schnell und löste meine Hand von seinem Arm. Er drehte sich weg und war mit ein paar schnellen Schritten verschwunden.

Jessy musste mich erkannt haben. Jedenfalls kam sie herüber getrabt und schnupperte aufgeregt an mir, die ich mich an einem Balken, der als obere Begrenzung des Zaunes diente, festhielt. Auch für mich war die Situation recht aufregend gewesen. „Ruhig, Jessy.“, sagte ich leise, aber bestimmt. „Es wird alles wieder gut.“

Mit dem Rest der Truppe im Schlepptau hatte Jaden bald wieder das Arial betreten. Auch der kleine James war, neugierig wie Kinder nun einmal sind, hinter den Erwachsenen hergeschlichen. Er fand es wohl seltsam, dass Tchiach mit durfte und er nicht, obwohl der Vendar-Teenager erheblich älter als er war. Aber sein knapp sechsjähriger Verstand konnte das ja noch nicht erfassen. „Ui, was is’ das denn?!“, quietschte er. „Is’ das ’ne Mischung aus einem Pferd und einem Nashorn?“ „Nein, James.“, sagte Sedrin, die an zweitletzter Stelle gegangen war und ihn erst jetzt erspäht hatte. „Aber ich darf dir das leider nicht erklären. Dafür bist du noch zu klein. Aber keine Angst. Wenn du größer bist, dann wirst du es schon verstehen und größer wirst du schließlich von ganz allein.“

Alle standen jetzt vor dem Zaun und blickten auf die Szenerie, die sich ihnen bot. „Du solltest deine Pferde wegbringen, Samson El Taria.“, schlug Joran schließlich vor. „So aufgeregt wie sie sind, könnten sie uns eventuell gefährlich werden, wenn wir versuchen, uns um Invictus zu kümmern.“ „Sie haben … Entschuldigung, du hast Recht, Joran. Aber das kann mein Sohn erledigen.“, sagte Sam. „Das sind mindestens zehn Tiere, Mr. O’Grady!“, sagte Jaden mit viel Empörung in der Stimme. „Denken Sie nich’, dass ’n Sechsjähriger damit bei weitem überfordert is’?!“ „Ich bin überzeugt, sie werden ihre Methoden haben, Jineron Terraneron.“, versuchte Sedrin, ihren etwas aufgebrachten Mann wieder zu beruhigen. Alle anderen nickten nur bestätigend.

James war zum Tor gegangen, das er dann auch geöffnet hatte. Dann rief er: „Jessy, heim!“ Sofort begann die Leitstute damit, ihre Herdenmitglieder zu umkreisen und sie somit zusammenzutreiben. Dann ging es im Gänsemarsch zu James, der alle kurz klopfte und ihnen dann zurief: „Kommt!“ So ging es in Richtung Stall.

Fasziniert hatten alle jenem Schauspiel zugesehen. „Deine Pferde sind sehr wohlerzogen, Samson El Taria.“, urteilte Tchiach und ihr Vater nickte ihr bestätigend zu. Dann sahen beide Vendar Samson mild an. „Das müssen sie sein.“, sagte der Ire. „Wenn ich sie Gästen mit verschiedener Reiterfahrung anbieten will.“ „In der Tat.“, bestätigte Joran.

Jaden zeigte auf Invictus, der natürlich noch immer auf der Weide lag. „Was wird jetzt mit ihm?“, fragte er. „Wir müssen herausfinden, wie sein Gesundheitszustand genau ist.“, sagte Sedrin. „Ach, ich wünschte, ich hätte einen Erfasser.“ „Den kannst du haben, Sedrin El Demeta!“, sagte Joran großspurig und zog mit einer übertriebenen Geste den Seinen aus der Tasche, um ihn ihr zu geben. „Glücklicherweise hat uns ja niemand Technologieverbot erteilt.“, sagte Jenna und lächelte ihrem Freund gewinnend zu. „Danke, Joran.“, sagte Sedrin und näherte sich Invictus vorsichtig. „Dabei sprach sie ruhig auf ihn ein: „Ganz ruhig, mein Freund. Ganz ruhig. Ich möchte nur wissen, wie es dir geht.“ Dann begann sie damit, ihn zu scannen.

Jaden hatte sich wieder neben mich gestellt. Deshalb konnte ich gut hören, dass er etwas vor sich hin murmelte. „Was ist?“, fragte ich. „Ach.“, sagte der sichtlich ertappte Jaden. „Es ist nur, weil meine Frau ihn gerade behandelt wie ein ganz normales krankes Tier. Dabei ist Invictus das mächtigste Wesen im gesamten Dunklen Imperium!“ In seiner Stimme schwang etwas Verärgerung mit. „Er war das mächtigste Wesen im ganzen Dunklen Imperium, Jaden El Taria!“, verbesserte Tchiach. „Er hat seine Kräfte fast vollständig verloren. Das spüre ich. Jetzt ist er kaum noch mehr als ein Tier. Deine Frau verhält sich also genau richtig!“

Joran flüsterte seiner Tochter etwas Lobendes auf Vendarisch zu. Dann sagte er zu Jaden: „Tchiachs Einschätzung ist korrekt, Jaden El Taria! Ich fühle nämlich das Gleiche!“

„Bitte kommt alle her!“ Sedrins Ausruf hatte uns alle alarmiert. Sofort hakte mich Jaden unter und wir liefen zu ihr. Dann hielt sie allen, die es sehen konnten, den Erfasser unter die Nase und erklärte für mich: „Er wird sterben, wenn wir nichts tun. Laut diesen Werten ist er zu schwach zum Aufstehen. Er darf aber auch nicht zu lange so liegen, weil er sonst von seinem eigenen Gewicht erdrückt wird.“ „In der Tat.“, bestätigte Joran. „Wir müssten ihn aufrichten und ihn dann mit mehreren Schichten aus flachen Heuballen stützen. So können wir immer eine entfernen, falls er sich langsam erholen sollte. Dann kann er langsam wieder seine Muskeln trainieren.“ „Klasse Idee, Joran!“, sagte Jenna. „Genau das Gleiche hatte ich auch gerade gedacht.“ „Zwei Seelen, ein Gedanke, Telshanach.“, sagte der Vendar anerkennend.

„Er kann aber auf keinen Fall hier draußen in der Kälte bleiben.“, wandte ich ein. „In seinem jetzigen Zustand wird das auch nicht gesund für ihn sein.“ „Sie haben Recht, Betsy.“, sagte Sedrin. „Joran, Jaden, bitte versucht ihn aufzurichten. Dann geht ihr mit ihm Richtung Stall. McKnight, Sie gehen vor und halten die Tür auf. Tchiach, geh du bitte mit Mr. O’Grady die Heuballen besorgen. Betsy, wir beobachten genau das Verhalten des Einhorns. Wir sind dafür verantwortlich, dass den Männern nichts passiert. Ich bin zwar auch eine Farmerstochter, aber mein Wissen über das Verhalten von Pferdeartigen ist etwas eingerostet. Ihres ist trainiert. Ich werde Ihnen sozusagen meine Augen leihen und Ihnen sagen, was Invictus tut. Sie interpretieren sein Verhalten!“ „OK.“, sagten wir alle unisono und begaben uns auf unsere Posten. Dabei war es uns allen sehr recht, dass Sedrin die Organisation übernommen hatte. Dass sie dazu Talent hatte, stand außer Frage. Schon in der Zeit, als sie noch Jadens Erste Offizierin war, hatte er ihr Organisationstalent sehr zu schätzen gewusst.

 

Vorsichtig näherten sich Jaden und Joran Invictus. „Du gehst am besten an den Schweif, Jaden El Taria.“, sagte der Vendar. „Dort kannst du ihn stabilisieren. Ich nehme den Rest von ihm.“ „Jetzt tu mal nicht so stark.“, sagte Jaden. „Ich tue nicht nur so.“, sagte Joran.

Die Beiden hatten ihre Positionen eingenommen und Jaden hatte zu Sedrin und mir herübergerufen: „Ist das für Invictus noch in Ordnung, Jinya?!“ Sedrin hatte nur genickt und ich hatte mich ihr auch angeschlossen, denn auch die Lautäußerungen des Einhorns ließen keine Schlüsse auf übermäßige Angst zu. „Also gut.“, sagte Jaden. „Dann auf drei! Eins, zwei, drei!“

Sie schoben ihre Hände unter Invictus‘ Körper und hoben ihn an. Sofort begann das Einhorn mit dem Versuch, seine Hufe wieder unter sich zu stellen, wie Sedrin mir beschrieb. „Er will mithelfen!“, stellte Sedrin fest. „Er will leben! Das sind schon einmal gute Voraussetzungen!“ Ich gab einen bestätigenden Laut von mir.

„Lass ihn seine Hinterbeine sortieren.“, sagte Joran zu Jaden. „Und dann führen wir ihn vorsichtig in Richtung Stall.“

Jenna hatte die Prozession bereits am Stall erwartet. Sie hatte weisungsgemäß die Tür aufgehalten und bei der Gelegenheit den kleinen James gleich einmal nach einer freien Box gefragt, die dieser ihr gezeigt hatte. Dort wurde Invictus nun hineingeführt und dann wurden eilig einige Heuballen unter seinen Bauch geschoben, die von Tchiach und Samson besorgt worden waren. „Die Kleine meinte, wir könnten besser einige zu viel holen als zu wenig.“, sagte Sam und zeigte auf den Stapel. „Sehr gut.“, sagte Sedrin.

Bald war Invictus auf sein Krankenlager gebettet. „Seine Augen sind schon viel ruhiger.“, stellte Sedrin fest. „Anscheinend vertraut er uns.“ „Aber wie lösen wir sein Energieproblem?“, fragte Jaden flapsig und sah Joran an. „Die Energie der Quellenwesen ist dafür nicht bestimmt!“, sagte der Vendar fest. „Ich kann also nicht helfen!“ „Was machen wir da bloß?“, fragte der Amerikaner erneut in die Runde. „Ich mein‘, wir können hierüber ja wohl schlecht den örtlichen Tierarzt informieren. Mir is’ schon nich’ wohl dabei, dass wir die O’Gradys mit reinziehen müssen.“ „Mir auch nicht, Jaden!“, sagte Sedrin. „Aber in diesen sauren Apfel müssen wir wohl beißen. Sam, wenn wir weg sind, dann hat das alles hier nie stattgefunden, klar? Und sagen Sie das auch ihrem Sohn!“ „Sicher, Agent!“, sagte Sam. „Aber wovon reden Sie überhaupt?“ Er warf ihr einen unschuldigen Blick zu. „Ich wusste, wir verstehen uns.“, grinste die Demetanerin.

Ich war irgendwie an dem Wort Energieproblem hängengeblieben. Aber ich wusste auch, wer sich mit so was auskannte. Mein Mann war Ingenieur! Wenn er nicht wusste, wie man ein Energieproblem löste, wer dann?

„Bitte bringen Sie mich noch einmal zu dem Sprechgerät in Sams Haus.“, sagte ich zu Jenna. „Ich glaube, ich weiß, wie ich helfen kann. Ich kenne jemanden, der sich damit auskennt.“ „OK.“, flüsterte Jenna zurück. „Kommen Sie!“ Dann hakte ich mich bei ihr ein und wir gingen los.

Auch Shary hatte die Erde mittlerweile erreicht. Allerdings war ihr auch etwas aufgefallen, während sie Shimars Körper beobachtet hatte. Immer wieder hatte sie nachgesehen, ob sein Signal noch intakt war. Dabei hatte sie gesehen, dass sich in seinem Körper viele mometnan inaktive Viren befanden. Das war ja auch kein Wunder, denn sie konnten ja, nachdem der Körper meines Freundes kristallisiert war, in ihm keine Nahrung mehr finden. Shary wusste nur nicht so genau, wem sie diese Informationen geben sollte. Dass sie an irgendeine Adresse mussten, war dem selbstständig denkenden Schiff klar. Aber an welche?

Wie sie es mir versprochen hatten, hatten sich Tchey und D/4 dem Aufpassen auf mein Haus gewidmet. Da sie dieses auch benutzen durften und nicht nur zum Gießen der nicht vorhandenen Blumen kommen und dann wieder gehen mussten, hatten sie es sich in meinem Wohnzimmer gemütlich gemacht. Dabei hatte sich Tchey mit meinem Replikator einen Milchkaffee repliziert und schaute nun aus dem Fenster, während sie an ihrem Strohhalm zog.

„Darf ich an Ihren Gedanken partizipieren?“, fragte die xylianische Sonde, der aufgefallen war, dass Tchey etwas verkniffen geschaut hatte. „Von mir aus.“, stöhnte Tchey. „Im Prinzip geht es ja auch um Sie. Ich wüsste gern, warum Sie im Moment so viel online sind. Ihre Leute scheinen Sie ja sehr zu beanspruchen.“ „Ihre Annahme ist korrekt.“, sagte D/4. „Wir helfen den Genesianern, eine Lösung für ein sehr dringendes Problem zu finden. Ihre Welten werden von einem Virus heimgesucht, das alle Männer tötet. Wir denken, es kommt von Sytanias Vendar.“

Die Reptiloide setzte irritiert ihr Glas ab. „Aber was hätte Sytania davon, alle genesianischen Männer zu töten?! Ich meine, die Männer sind doch in der genesianischen Gesellschaft …“ „Ihre Schlüsse sind fehlerhaft!“, fiel D/4 ihr ins Wort. „Die genesianischen Männer sind fast rechtlos, das ist korrekt. Dennoch sind sie für die Fortpflanzung der Genesianer unabdingbar. Dieser Fakt mag zwar einigen Genesianerinnen nicht gefallen, aber das ändert ihn nicht. Gerüchten nach soll es eine Prätora geben, die Valora als Göttin verehrt. Diese ist aber von ihr ausgenutzt worden und zwar in der Weise, dass sie ihr gesagt hat, sie könne ihr einen Weg der Fortpflanzung auch ohne Männer und ohne Leiden und die Zeit der Schande, also Schwangerschaft und Geburt, ermöglichen. Leider hat die Sache einen Haken. Alle Geschöpfe Valoras sind Marionetten, die ihr und Sytania willfährig sind. Viele Genesianerinnen haben das erkannt und sich wieder von der Prätora abgewendet. Das bedeutet, …“ „Das bedeutet.“, schlussfolgerte Tchey. „Seid ihr nicht willig, so brauche ich Gewalt! Wenn die Männer alle sterben, dann können sie bald nicht mehr anders, als sich von Valora und Sytania als Rasse am Leben halten zu lassen! Wie fies!“ „Bestätigt.“, sagte die Sonde. „Die Oberste Prätora der Genesianer wandte sich an uns. Ich denke allerdings, dass sie das große Überwindung gekostet haben muss. A/1 sandte eine Abgesandte zu ihr. Diese ist unsere direkte Verbindung und hilft auch bei der Suche nach einer Lösung. Sie übermittelt auch all unsere Belange.“ „Na ja.“, scherzte Tchey. „Solange Shashana nicht Angst haben muss, dass sie assimiliert wird …“

Mein Sprechgerät piepte. „Wer kann denn jetzt was von Betsy wollen?“, fragte Tchey verwirrt. „Ihre Freunde wissen doch alle, dass sie weg ist. Aber vielleicht ist es ja was Offizielles.“

Sie stand behäbig vom Sofa auf und watschelte unmotiviert zu meinem Sprechgerät herüber. Dann schaute sie auf das Display. Bei dem Rufzeichen, das sie dort allerdings zu Gesicht bekam, traf sie fast der Schlag. „Shary?!“, fragte sie verdutzt. „Das kann doch nicht wahr sein!“ „Werden Sie den Ruf beantworten?“, fragte D/4 aus dem Hintergrund. „Sicher.“, antwortete Tchey. „Nur wenn ich die Situation genau erforsche, werde ich auch Antworten finden, denke ich.“ „Ihre Annahme wird korrekt sein.“, sagte die Sonde und stand ebenfalls auf, um sich dem Sprechgerät zu nähern.

Tchey nahm das Mikrofon aus der Halterung und drückte die Sendetaste. Dann sagte sie: „Hallo, Shary! Ich höre!“ „Hi, Tchey.“, kam es zwar etwas unsicher, aber doch erfreut zurück. Gleichzeitig wurde auf dem Display das Tchey sehr gut bekannte Gesicht von Sharys Simulation sichtbar. „Ich bin sehr froh, dass ich dich endlich erreicht habe. Ich brauche deine Hilfe. Bitte lass mich dich an Bord holen.“ „OK.“, sagte Tchey. „Obwohl ich mir nicht vorstellen kann, in was du wieder hineingeraten bist. Hoffentlich ist es nichts Schlimmes. Eine Katastrophe reicht mir nämlich für heute.“ „Was meinst du damit?“, fragte Shary. „Das besprechen wir, wenn ich bei dir bin.“, sagte Tchey. „Hol mich erst mal.“ „OK.“, sagte das Schiff und ihr Transporter erfasste die Reptiloide. „Ich hoffe, ich bin bald wieder da, D/4.“, sagte Tchey. Dann gab sie Shary den Befehl zum Beamen.

Die Reptiloide fand sich in Sharys Cockpit wieder. Hier setzte sie sich sofort in den Pilotensitz und setzte den Neurokoppler auf, den sie auf der Konsole vor sich erspäht hatte. Shary, die dies auch gleich registriert hatte, lud gleich darauf ihre Reaktionstabelle.

Tchey war sehr aufmerksam geworden, als sie das Gesicht des Avatars vor ihrem geistigen Auge gesehen hatte. Irgendwas schien sie sehr zu belasten. Das konnte Tchey ihrem etwas verkrampften Blick durchaus entnehmen. Shary war noch nie Meisterin im Zeigen eines Pokerface gewesen. Sie wusste aber auch, dass das gegenüber Tchey auch nicht notwendig war. Schließlich hatten die Beiden ein sehr großes Vertrauensverhältnis.

„Was ist los, Shary?“, fragte Tchey. „Ich muss dir etwas zeigen.“, sagte das Schiff. „Ich hoffe, dass du mir nachher auch bei einer bestimmten Sache hilfst.“ „Dann zeig mal.“, sagte Tchey platt. „OK.“, sagte Shary und begann damit, die Simulation von ihrer Begegnung mit Gorg abzuspielen.

Nachdem das Programm geendet hatte, sah Tchey sie bedient an. „OK. Das hätte ich dir nicht zugetraut, Shary! Ich meine, ich weiß ja, dass bei dir die Moral am rechten Fleck sitzt, aber ich hätte dir nicht zugetraut, dass du sogar einen Ferengi betrügen würdest, nur um zu verhindern, dass er andere betrügt. Ich bin sehr stolz auf dich, Shary! Aber woher wusstest du, dass er böse Absichten hegt, he?“ „Weil Kamurus ihn mir in allen Einzelheiten beschrieben hat und mir auch gesagt hat, was er mit der armen Ginalla gemacht hat. Dafür sollte er büßen! Außerdem war ich sicher, dass er erneut für Sytania arbeitet. Warum sonst sollte er Shimars Körper stehlen wollen? Denk nach, Tchey! Vielleicht weiß Sytania, wie wir Betsy zurückgeholt haben von den Toten und befürchtet, das würden wir auch mit ihm versuchen. Wenn sein Körper allerdings zerstört wäre, dann ginge das nicht.“ „Da hast du Recht, Shary.“, sagte Tchey. „Und dafür wollte sie unschuldige Cobali benutzen, die sich doch nur nichts sehnlicher wünschen als ein Kind. Pfui Spinne!“ Sharys Avatar vor Tcheys geistigem Auge nickte bestätigend. „Aber normale Cobali wissen doch, dass sie mit den Körpern von Tindaranern nichts anfangen können.“, überlegte Tchey. „Normale Cobali ja.“, sagte Shary. „Aber was ist mit solchen, deren Kinderwunsch übermächtig ist? Die würden es auf jeden Fall versuchen und sich damit nur noch mehr in eine Krise bringen. Aber ich habe es ja verhindert.“ „Ja, das hast du.“, sagte Tchey grinsend. „Und wie du das hast! Nur hast du auch Glück gehabt. Was hättest du gemacht, wenn Gorg hätte zu dir an Bord kommen wollen und wenn er herausgefunden hätte, dass es dort gar keine verzweifelte Cobali gibt?“ „Dazu hätte er keine Gelegenheit gehabt!“, sagte Shary fest. „Ich hätte mein Cockpit mit Narkosegas geflutet. Dann wäre er sofort nach der Materialisierung ins Land der Träume entglitten. Dann wäre ich ins Dunkle Imperium geflogen und hätte ihn vor Sytanias Haustür abgeladen!“ „OK.“, sagte Tchey und musste noch mehr grinsen. „Ich sehe, du hast an alles gedacht. Aber eines interessiert mich doch noch.“ „Wo ist Shimars Körper und wobei brauchst du mich?“ „Transporterpuffer zwei.“, gab Shary die Position von Shimars Körper an. „Und ich habe dir nicht alles gezeigt, Tchey. Ich habe ein wichtiges Detail bis jetzt ausgespart. Ich habe jedem Cobali quasi eine Entschädigung versprochen. Die sollen sie von den Genesianern bekommen. Sie könnten dann zwar nur Söhne haben, aber …“ „Du meinst, wir bitten die Genesianer, uns die Körper ihrer toten Männer zu überlassen?“, fragte Tchey. „Ja.“, sagte Shary. „Für die Genesianer wäre das ja kaum ein Verlust. Für sie wäre das nicht schlimmer als der Verlust von Eigentum. „Aber bitten möchte ich sie auch gar nicht. Du weißt, dass die Genesianer es hassen, wenn man um etwas bittet. Das ist in ihren Augen ein Zeichen von Schwäche. Nein. Ich will, dass wir sie herausfordern! Ich will, dass wir sie zu einem Wettflug herausfordern. Zehn ihrer Schiffe gegen uns zwei, Tchey! Gewinnt eine von ihnen, können sie die Leichen behalten. Gewinnen aber wir …“ „Schon klar.“, sagte Tchey, die es jetzt gewaltig in den Fingern juckte. Shary hatte bei ihr genau den richtigen Nerv getroffen. „Also gut.“, überlegte Tchey. „Dann hoffen wir mal, dass sich Shashana darauf einlässt und du dein Versprechen gegenüber den Cobali halten kannst.“ „Soll das heißen, du bist dabei?!“, fragte Sharys Avatar und strahlte sie an. „Genau das soll es.“, bestätigte die Reptiloide. „Oder hast du ernsthaft geglaubt, ich lasse mir diesen Spaß entgehen? Worauf wartest du noch? Vorwärts! Auf nach Genesia-Prime!“ „Gleich.“, sagte Shary. „Aber vorher habe ich noch ein paar wichtige Daten für dich, oder besser, für D/4. Ich weiß, dass sie in deiner Nähe ist. Ich habe deine Lebenszeichen gesucht und dabei bin ich auf ihre ganz in deiner Nähe gestoßen.“ „Ja.“, sagte Tchey. „Wir passen zusammen auf Betsys Haus auf. Aber was sind das für Daten und warum denkst du, dass sie für die Xylianer wichtig werden könnten?“ „Ich beobachtete das Universum wegen Kamurus.“, sagte Shary. Ich habe nach ihm Ausschau gehalten und dabei habe ich auch ein xylianisches Modul gesehen, das in Richtung Genesia geflogen ist. Außerdem gibt es Gerüchte, denen nach es im genesianischen Reich ein Virus gibt, das nur die Männer tötet. Um aber nicht von Sytania und Valora auf die Dauer abhängig zu sein, brauchen die Genesianer gesunde Männer. Ich denke, Shashana wird klug genug gewesen sein, um sich Hilfe zu holen.“ „Das deckt sich mit meinen Infos, Shary.“, sagte Tchey flapsig. „D/4 hat es mir gegenüber bestätigt. Aber was sind das für Daten?“ „Sieh selbst.“, sagte das Schiff und zeigte ihrer Pilotin die toten Viren in Shimars Körper.“

„Ich könnte dich küssen, Shary!“, rief Tchey aus und sprang auf. Dabei stieß sie sich den Kopf am Dach, was sie aber in ihrem Freudentaumel gar nicht registrierte. „Ich bin zwar nur eine Pilotin mit einem Sanitätskurs! Aber sogar ich weiß, dass tote Viren oft für Impfstoffe verwendet werden! „Gib mir sofort D/4 über Betsys Sprechgerät!“ „Das brauchen wir nicht.“, sagte Tchey und steuerte das direkte Rufzeichen der Sonde an, was Tchey, die alles genau sah, sehr überraschte. „Wow!“, machte Tchey. „Dass du dich das traust, hätte ich nicht gedacht! Du bist ja total mutig geworden, meine kluge und mutige Shary!“ „Da staunst du Bauklötze, was?“, grinste der Avatar. Tchey nickte nur. „Ich lerne immer wieder neue Facetten von dir kennen. Habt ihr alle solche Überraschungen auf Lager?“ „Ich auf jeden Fall.“, sagte das Schiff und ihr Avatar vor Tcheys geistigem Auge grinste hinterlistig.

Die Xylianerin hatte Sharys Ruf beantwortet. „Ich habe deine Verbindung, Tchey.“, sagte Shary. „Dann gib her!“, sagte die Reptiloide und grinste in die Kamera des Sprechgerätes: „Hi, D/4! Ich hoffe, Sie können sich irgendwo festhalten! Shary und ich haben Daten für Sie, die Sie vom Sofa fegen werden!“ „Sprechen Sie.“, sagte die Sonde nüchtern. „Oh das brauche ich nicht.“, sagte Tchey. „Die Daten sprechen für sich. Shary, dein Stichwort!“

Shary übersandte die Daten direkt in den Kopf der Sonde. Diese schien sichtlich beeindruckt, nachdem sie sich das Material angesehen hatte. „Diese Daten sind verblüffend.“, sagte sie. „Aber sie könnten genau die Lösung enthalten, nach der wir suchen. Ich werde direkt mit unserer Abgesandten auf Genesia korrespondieren und sie ihr geben. Aber die Anzahl toter Viren aus dem Körper eines einzelnen Individuums ist ungenügend. Wir benötigten viel mehr, um alle zu impfen, die bisher noch nicht infiziert sind. Wir können aber nicht noch mehr Tindaraner dem Tode weihen.“ „Das müssen wir auch nicht.“, grinste Tchey. „Soweit ich das weiß, nehmen die Tindaraner nur menschliche Gestalt an, um besser mit uns interagieren zu können. In ihrer ursprünglichen Gestalt sind sie Kristalldrusen, D/4. Verstehen Sie. Sie sind Kristalle! Sie können das steuern! Wenn wir einige überreden, sich zwar dem Virus auszusetzen, aber sich in ihre ursprüngliche Gestalt zu verwandeln, bevor es ausbricht und erst dann wieder menschliche Gestalt anzunehmen, wenn alle Viren tot sind, dann …“ „Verstanden.“, sagte die Sonde nüchtern. „Ihre Lösung ist genial! Ich bin sicher, sie wird effizient sein. Ich werde unserer Abgesandten auch diese Daten zur Verfügung stellen.“ „Danke, D/4!“, sagte Tchey erleichtert. „Das dürfte auch unsere Verhandlungsposition stärken! Aber mehr kann ich Ihnen nicht sagen. Nur so viel. Shary und ich müssen weg! Wir müssen sofort los! Bitte stellen Sie mir keine Fragen!“ „In Ordnung.“, sagte D/4 nüchtern. Sie wusste, dass Tchey sehr verwegen sein konnte, aber sie wusste auch, dass man ihr umso mehr vertrauen konnte. Deshalb beendete sie einfach nur die Verbindung und Shary und Tchey machten sich auf den Weg nach Genesia-Prime.

Jenna und ich hatten jenes Sprechgerät im Haus der O’Gradys erreicht. „Wen wollen Sie informieren?“, fragte die hoch intelligente Halbschottin. „Meinen Mann!“, sagte ich ruhig. „Er ist Ingenieur und in gewisser Weise geht es hier ja um nichts anderes, als um das Aufladen einer Batterie, nicht wahr?“ „Technisch gesehen haben Sie Recht, Betsy.“, sagte Jenna. „Obwohl das sicher einige ganz anders sehen würden. Aber im Prinzip stimmt es schon.“

Sie legte ihre Finger auf die Tastatur. „OK.“, sagte sie. „Dann mal her mit dem Rufzeichen!“ Ich begann damit, ihr das Rufzeichen von Ginallas Bar zu diktieren. Heute war Sonntag und das machte mich sicher, dass sich Scotty um diese Zeit wohl dort befinden müsste.

 

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