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Ginalla nahm das Gespräch entgegen. „Hier ist Ginalla von Ginallas Bar.“, sagte sie, die Jenna, deren Gesicht jetzt im Display ihres Sprechgerätes zu sehen war, offensichtlich noch nicht erkannt hatte. „Wie kann ich behilflich sein?“ „Ginalla, hier sind Betsy und Jenna.“, erklärte McKnight. „Ist Betsys Mann bei Ihnen?“ „Jenn’!“, rief Ginalla völlig aus dem Häuschen. „Meine Güte! Ich hätte Sie fast nich’ erkannt! Aber der liebe Scotty is’ tatsächlich hier. Sekunde! Ich hole ihn.“ Sie hängte das Mikrofon ein, allerdings ohne die Verbindung zu beenden.

Ihre Augen scannten den Raum. Dann hatte sie Scotty tatsächlich bald auf seinem Lieblingsplatz erspäht. Bei ihm saß Meroola und beide fachsimpelten. Als Raumpiratin, die Meroola ja in gewisser Weise gewesen war, musste sie ja von allem und jedem etwas Ahnung haben. „Du hast ’n erstaunliches Talent, wenn es darum geht, technische Zusammenhänge zu begreifen.“, sagte Scotty. „Hätte ich dir echt nich’ zugetraut.“ „’n Kind des Weltraums muss alles beherrschen.“, konterte die sich sichtlich geschmeichelt fühlende Meroola.

Ginalla stellte sich mit dem Mobilteil des stationären Sprechgerätes, auf das sie das Gespräch mittlerweile gelegt hatte, an ihren Tisch. An diesem Sonntag war die Bar irgendwie sowieso fast leer und so machte es nichts, wenn die restlichen Gäste etwas mitbekommen sollten. Es war ja eh niemand sonst da.

Sie legte das Gerät vor Scotty hin. „Für dich.“, sagte sie. „Jenna und deine Frau. Was dagegen, wenn ich mithöre?“ „Jenn’ und Betsy?“, fragte Scotty verwundert. „Wie kommen die denn …?“ Er betrachtete das Rufzeichen. „Und was is’ das für ’n Rufzeichen? Na ja. Ich werde es ja gleich sehen!“

Er nahm das Gerät in die Hand, räusperte sich und drückte die Sendetaste. Dann sagte er: „Hi, Darling, hi, Jenn’! Na, was kann denn der alte Scotty für euch tun, he?“ „Du könntest uns bei einem ziemlich kniffligen Problem helfen, Kollege.“, sagte Jenna, die auf unserer Seite der Verbindung noch immer das Mikrofon in der Hand hielt. „Es geht um so was wie das Aufladen einer Energiezelle. Der Haken ist nur, dass diese Zelle das telepathische Zentrum eines Einhorns ist. Aber warte mal. Ich gebe dir mal deine Frau.“ Sie legte mir das Mikrofon in die Hand. „Hi, Scotty.“, sagte ich. „Hi, Darling.“, kam es zurück. Frag Jenna doch bitte mal, warum ihr euch an mich gewendet habt. Bei biologischen Organismen bin ich ja wohl die total falsche Adresse!“ „Es war meine Idee.“, sagte ich. „Sie hat nichts damit zu tun. Es war ja auch nur, weil alle anderen viel zu weit weg sind und sicher mit so was noch nie zu tun gehabt haben. Aber du bist dafür bekannt, selbst in den unmöglichsten Situationen eine Lösung zu finden. Bitte lass uns jetzt nicht im Stich, Scotty.“ Ich versuchte einen schmeichelnden Blick aufzusetzen. „Alte Schmusekatze! Du weißt genau, wie du mich rumkriegst! Na gut.“, sagte mein Ehemann. „Weil du’s bist und ich dir keine Bitte abschlagen kann. Also, ich hätte da schon ’ne Idee. Aber dazu brauche ich Daten. Kannst du mir irgendwie eine grafische Darstellung des Energieschemas von dem Einhorn schicken?“ „Sekunde.“, sagte ich und drehte mich zu Jenna, während ich fragend den Kopf zurückwarf. „Jorans Erfasser!“, sagte McKnight. „Halten Sie ihn in der Leitung! Ich bin gleich wieder da!“ Sie rannte los.

Meroola und Ginalla hatten alles mitbekommen. „Denkst du, was ich denke?“, flüsterte Ginalla ihrer neuen Freundin zu. „Ich denke schon.“, antwortete Meroola. „Und ich denke, dass wir das Gleiche denken, was er denkt.“ „Fragen wir doch mal.“, schlug Ginalla vor.

Dazu kam es aber nicht mehr, denn Scotty wandte sich den Frauen zu: „Was denkt ihr über das Problem, Ladies. Ich meine, ihr habt ja bestimmt alles mitgekriegt.“ „Das haben wir, Scotty.“, sagte Ginalla. „Und ich wäre wohl keine gute Celsianerin, wenn mir nich’ sofort ’ne Lösung für dieses technische Problem eingefallen wäre. Obwohl es sich um einen biologischen Organismus handelt, haben wir hier doch das klassische Aufladen. Und dazu brauchen wir ein Ladegerät. Da es so was ja nicht für Einhörner gibt, werden wir es wohl bauen müssen. Dafür brauchen wir tatsächlich die Daten von deiner Frau. Wenn wir die haben, können wir ein Gerät bauen, das in etwa die richtige Energie produziert. Sie wird zwar lange nich’ so potent sein, denke ich, weil wir so eine hohe Leistung mit technischen Mitteln sicher nich’ hinkriegen, Aber sie könnte wie ein Schrittmacher wirken. ’ne Art Stimulator. Kapisch?“

Scotty ließ sich ihre Idee einige Sekunden lang durch den Kopf gehen. Dann rief er begeistert aus: „Klasse, Gin’! Warum bin ich nich’ darauf gekommen?“ „Weil du wohl den Wald vor lauter Bäumen nich’ gesehen hast.“, sagte Ginalla.

Es gab ein Signal vom Sprechgerät, das die Ankunft einer SITCH-Mail ankündigte, die Scotty sofort öffnete, nachdem er festgestellt hatte, dass sie von genau dem gleichen Rufzeichen gekommen war wie das immer noch laufende Gespräch. „Die Daten sind da, Ladies!“, sagte er. „Ich habe Zugang zu Räumen mit Industriereplikatoren. Lasst uns zu meiner Arbeitsstelle fahren und loslegen!“ Ginalla schüttelte den Kopf. „Ne, ne!“, sagte sie. „Das machen wir anders. Kamura und Kamurus können uns die Teile geben, die wir brauchen. Dann musst du deiner Chefin später keine unbequemen Fragen beantworten.“ „Außerdem sollten wir zwei Geräte bauen.“, warf Meroola ein. „Ich kenne Sytanias Vendar. Sie werden sicher auf der Lauer liegen. Sie werden sich denken können, dass wir dem Einhorn helfen wollen. Also werden sie versuchen, uns zu stoppen. Eine von uns Beiden fliegt mit ihrem Schiff einen Umweg und die andere direkt zur Erde. Sie werden nicht wissen, wem sie folgen sollen. Das wird sie verwirren. Diejenige, die einen Umweg fliegt, wird ganz offensichtlich zeigen, was sie an Bord hat. So kann sie zur Ablenkung werden. Die Vendar werden sich an sie hängen und sie gefangen nehmen wollen. Sie wird so tun, als wolle sie sich ergeben. Das gibt der anderen die Gelegenheit, zur Erde durchzukommen.“ Scotty und Ginalla nickten und klatschten Beifall.

Ginalla ging nach hinten und replizierte zwei hölzerne Essstäbchen, wie sie in China auf der Erde vielfach zum Essen benutzt wurden. Dann brach sie von einem ein Stück ab, um sie dann beide so in Scottys rechte Hand zu legen. „Du bist jetzt unsere Glücksfee.“, sagte sie. „OK.“, sagte Scotty und nahm die Stäbe auf. Dann wirbelte er sie einige Male in seinen Händen hin und her, um sie dann, nachdem er sie so wieder in seiner rechten Hand platziert hatte, dass die intakten Enden gleich lang waren und zu Meroola und Ginalla zeigten, den beiden Frauen hinzuhalten. Die Bruchstelle und somit das Zeichen dafür, das eines kürzer als das andere war, zeigten zu Scotty. So konnten weder Ginalla, noch Meroola, mogeln.

Auf Scottys Zeichen zog zuerst Ginalla und dann Meroola einen Stab. Dann verglichen sie ihre Beute. „Ich habe den Kürzeren erwischt!“, sagte Meroola mit einem Ausdruck in Gesicht und Stimme, als wäre sie darauf auch noch stolz, eine Tatsache, die weder Ginalla, noch Scotty wirklich in den Kopf wollte. „Das heißt, ich fliege mit Kamura den Umweg und spiele Köder. Du, Ginalla, fliegst mit Kamurus direkt zur Erde. Habt keine Angst um mich, meine Freunde! Ich werde mit Sytanias Vendar schon fertig!“ „Hört, hört!“, sagte Ginalla. „Große Worte.“, pflichtete ihr Scotty bei. „Pass ja auf, dass du den Mund nich’ zu voll nimmst!“ „Danke für deine Warnung, Kumpel.“, sagte Meroola und warf ihm einen gönnerhaften Blick zu. „Aber Meroola Sylenne kann ihre Fähigkeiten durchaus einschätzen! Mach dir keine Sorgen um mich. Aber nun lasst uns loslegen. Wir haben schließlich noch viel Arbeit und einen langen Weg vor uns. Oder will einer von Euch etwa verantworten, dass das Einhorn sterben muss, nur weil wir so lange gequatscht haben, he?!“ Scotty und Ginalla schüttelten die Köpfe. „Na Also!“, sagte Meroola. „Dann los! Scotty, sag deiner Frau, dass alles in Butter ist!“ „OK.“, sagte mein Mann und nahm das Sprechgerät wieder an sich: „Darling, wir helfen euch. Wir werden da schon was zusammenschustern. Sag das bitte auch den anderen.“ „OK, Scotty.“, sagte ich erleichtert, gab dem Mikrofon in Ermangelung seines Mundes einen dicken Kuss und beendete das Gespräch.

„Sieht aus, als würde Invictus doch noch Hilfe bekommen.“, sagte Jenna. Ich gab einen bestätigenden Laut von mir. „Etwas anderes hätte ich von Ihrem Mann auch nicht erwartet.“ „Ich auch nicht.“, sagte ich. „Ich hoffe nur, dass Invictus noch so lange durchhält.“ „Das hoffe ich auch.“, sagte Jenna. „Lassen Sie uns jetzt wieder zu den anderen gehen und ihnen die frohe Botschaft übermitteln.“ Als Bestätigung hakte ich mich bei ihr ein und wir gingen zurück zum Stall, wo wir bereits von einer Schar Neugieriger erwartet wurden.

Auf Zirells Basis war Shannon mit der Wartung der Schiffe und der Systeme der Station beschäftigt. Mit Jorans Schiff war sie durch. Jetzt wollte sie sich dem von Shimar zuwenden.

Kaum hatte sie sich diesem aber zugewendet, begrüßte sie ein ziemlich traurig dreinschauender Avatar. „Was für ’ne Laus is’ dir denn über die nich’ vorhandene Leber gelaufen, IDUSA?“, flapste die blonde Irin verwundert. „Bitte legen Sie Ihr Werkzeug hin, Shannon.“, bat das Schiff. „Und bitte setzen Sie sich. Ich habe mit Ihnen zu reden.“ „Na gut.“, sagte O’Riley etwas genervt, legte ihre Werkzeugtasche aus der Hand und setzte sich auf den Pilotensitz. „OK.“, sagte sie. „Wo drückt denn der Schuh, IDUSA?“ „Ich gehe davon aus, dass dies die letzte Wartung ist, die Sie mir geben werden.“ „Was für ’n Blödsinn!“, flapste Shannon missmutig. „Sag mir sofort, wer dir so ’’n Quatsch einredet! Dem drehe ich den Hals um und hänge ihn rückwärts an den Ohren auf, so dass er später ohne Mühe damit im Gehen den Boden putzen kann!“ „Dann müssen Sie die Logik an den Ohren aufhängen, Shannon.“, sagte IDUSA. „Wie jetzt?“, fragte Shannon. „Werd‘ mal konkreter.“ „Die Programmierung meines Charakters hat es den meisten Piloten unmöglich gemacht, mit mir zurechtzukommen. Bisher waren nur Shimar und Joran dazu in der Lage. Joran ist als Vendar sehr genau, was Auslegungen angeht und das bezieht sich auch auf die Auslegung des tindaranischen Rechts. Genauso war es bei Shimar. Er war ein Musterbeispiel an dessen Umsetzung, was künstliche Lebensformen angeht. Er hat meine Diskussionsfreudigkeit und meine Art, den Dingen auf den Grund zu gehen, nie als Hindernis, sondern eher als Bereicherung empfunden. Das haben sie beide. Ihre Ansichten und meine Programmierung deckten sich sehr genau. Sie passten vorzüglich zusammen.“ „Hey, Sekunde mal, IDUSA!“, warf Shannon mit schon fast beleidigtem Ton ein. „Und was is’ mit uns anderen?“ „Sie alle.“, sagte IDUSA. „Sie geben sich große Mühe, aber das merkt man auch. Da Sie sehr aufpassen müssen, bin ich eher eine Belastung für Sie als eine Unterstützung. Da das auf die Meisten zutrifft, haben die Ingenieure auf den tindaranischen Werften meine Serie auf Eis gelegt. Nach mir wurde kein Schiff mehr mit meiner Programmierung gebaut, weil es keinen Piloten mehr gab, der annähernd an Shimars Testergebnisse kam. Sie sind in der Softwareentwicklung dann lieber wieder einen Schritt zurückgegangen. Jorans Schiff ist so konzipiert, dass jeder mit ihr zurechtkommen kann. Aber meine Demontage wird wohl unabdingbar sein.“ „Was redest du für ’n Blech!“, rief Shannon aus. „Du bist die Einzige deiner Art! Das hast du gerade selbst gesagt. „Die können dich doch nich’ einfach …!“ „Doch, Shannon.“, sagte IDUSA nüchtern. „Genau das können sie. Es ist die logische Konsequenz. Shimar ist tot und Joran muss, wenn er wieder hier ist, seinen Hut nehmen, wegen der politischen Entwicklung bezüglich des Vertrauens der Tindaraner in die Vendar. Wahrscheinlich werden Sie meine Systeme herunterfahren müssen und dann werde ich zur nächsten Werft geschleppt, wo sie die Daten aus meinem Datenkern ziehen und dann meine Teile anderweitig verwenden werden.“

Ihre letzten Worte waren für die blonde Irin wie ein Stich in die Magengrube. „Was hast du da gerade gesagt?!“, hustete sie und schnappte nach Luft. „War das dein Ernst?!“ „Mein voller und logischer Ernst.“, sagte das Schiff. „Ne, ne, ne!“, meinte Shannon. „Logisch is’ an dieser Praxis gar nix. Da bist du gewaltig auf ’m Holzweg, meine Süße! Das passt meines Erachtens überhaupt nich’ zum tindaranischen Rechtssystem. Sie würden doch niemals ihre telepathischen Fähigkeiten gegen jemanden einsetzen, um dessen Meinung zu manipulieren, nur weil sie ihnen nicht passt. Aber deine Systeme. Mit denen können sie’s machen, wie?! Dabei seid ihr doch uns Organischen in allen Punkten gleichgestellt, oder!“ „Theoretisch ja.“, sagte IDUSA. „Aber es wird seit Jahrhunderten so praktiziert!“ „Dann machen eure Leute seit Jahrhunderten einen Fehler!“, sagte Shannon und schlug mit der rechten Hand auf die Konsole. Dann sagte sie kleinlaut: „Sorry, IDUSA.“ „Sie haben keinen Grund, sich zu entschuldigen.“, sagte das Schiff. „Die Kraft, die Sie aufwendeten, hat nicht ausgereicht, um das Gehäuse zu beschädigen. Auch wurden keine Komponenten durch die Erschütterung in Mitleidenschaft gezogen. Es ist also alles in Ordnung.“ „Na, OK.“, sagte Shannon sehr genervt. „Aber jetzt lass mich raus! Ich will über die Sache mit Zirell quatschen, OK?!“ „Wenn Sie denken, dass Sie noch was für mich rausholen können.“, sagte IDUSA und öffnete die Luke. „Was war das denn?“, fragte eine ziemlich verwunderte Shannon. „Gerade hast du noch so getan, als würdest du dich mit deinem Tod abfinden und jetzt ermöglichst du mir einen Versuch, dich zu retten? Reichlich unlogisches Verhalten, wenn du mich fragst, he?!“ „So unlogisch ist das gar nicht.“, sagte IDUSA. „Ich darf Sie nicht einfach Ihrer Freiheit berauben. Tindara ist ein Staat mit Meinungs- und Pressefreiheit. Sie dürfen also äußern, was Sie wollen und solange Sie keine Straftat begehen, sind Sie eine freie Frau. Die Meinung haben, dass die Regierung Fehler macht, darf schließlich jeder. Außerdem kann ich nachvollziehen, was Sie mir gerade gesagt haben. Das Verhalten unserer Ingenieure ist wirklich unlogisch und dass dieses noch scheinbar von unseren Gesetzen gedeckt wird, noch obendrein. „Es wäre also tatsächlich an der Zeit, mal mit dem Commander über die Sache zu reden, Shannon.“ „Alles klar.“, sagte Shannon und grinste. „Aber du kannst mir nix vormachen, IDUSA. Eigentlich willst du doch einfach nur leben. Es is’ doch nix Schlimmes daran, das zuzugeben. Komm schon! Sag es! Von mir aus nennen wir es nich’ leben, sondern intakt bleiben in deinem Fall. Aber es is’ doch im Prinzip das Gleiche. Oder willst du das nich’? Ich mein’ dann hätten wir uns ja diese ganze Diskussion schenken können. Das wäre doch auch nur eine Verschwendung von Energie gewesen, oder? Das wäre bestimmt nicht effizient und somit auch nich’ in deinem Sinne, he? Also, IDUSA! Sag es! Sag es!“ „Ich will intakt bleiben, Shannon!“, sagte das Schiff. Sie hatte die gerade von der technischen Assistentin vorgebrachten Argumente sehr gut nachvollziehen können. „Na also!“, sagte Shannon erleichtert. „Uff! Das war ja ’ne schwere Geburt, schon fast ’n Kaiserschnitt! Aber betrachte mich jetzt erst mal als deine Anwältin!“ Sie stand auf und verließ das Cockpit.

Maron und Zirell hatten ebenfalls gerade über die jüngsten Verfehlungen der tindaranischen Regierung und über die seltsame Nachrichtenlage im Gebiet der Föderation diskutiert. Auch die Situation der Dimensionen hatte sich rapide verschlechtert. Das hatte dazu geführt, dass der Erste Offizier sich irgendwann an seine Vorgesetzte wandte: „Wir werden bald ein physikalisch bedingtes immer weiter kreisendes Flüchtlingsproblem haben, Zirell. Die letzten Bilder von den Satelliten verheißen nichts Gutes. In den meisten bekannten Dimensionen hat es schon massive Auswirkungen gegeben. Monde haben ihre Umlaufbahnen verlassen und sogar ganze Sonnensysteme sind auseinandergedriftet. Bisher gab es zwar das Problem nur in einigen unbewohnten Gebieten, aber es wird nur eine Frage der Zeit sein, wann es auch bewohnte Gebiete trifft. Wenn wir nicht bald einen Weg finden, den Krieg zwischen Valora und Invictus zu beenden, wird es uns allen noch sehr schlecht ergehen, Zirell. Verdammt schlecht! Ich habe IDUSA befohlen, aufgrund der vorhandenen Daten Simulationen durchzuführen und die sehen nicht sehr gut aus. Alles wird zusammenfallen wie ein Kartenhaus. Dimensionäre Grenzen werden verschwimmen und sich auflösen, weil die interdimensionale Schicht das tun wird. Aufgrund der physikalischen Gesetze in den Dimensionen, die sich teilweise gegenseitig aufheben, werden sich die Dimensionen gegenseitig neutralisieren. Dann gibt es gar nichts mehr! Das bedeutet unser aller Ende! Die günstigste Variante, die ich in einer der Simulationen gesehen habe, war die, dass sich alles nach dem Verschwinden der Grenzen in eine so genannte Superdimension verwandelt, in der …“ „Eine Superdimension?!“, fragte Zirell ihm irritiert ins Wort fallend. „Jenn’ sagt, so etwas ist unmöglich. Sie sagt, so etwas kann nicht von Dauer sein, weil die Naturgesetze der verschiedenen Dimensionen eben zu verschieden sind, um …“ „Genau das.“, sagte Maron. „Die Superdimension in der Simulation hat sich auch nur für ca. 30 Sekunden halten können. Wenn man das in Echtzeit umrechnet, dann wären das drei Tage laut IDUSA.“ „So, so.“, sagte Zirell und legte resignierend die Hände in den Schoß. „Also ein Ende in Etappen. Erst bricht alles nur fast zusammen, dann haben wir drei Tage, um unseren Frieden mit allem zu machen und dann geht die Welt unter. Tolle Aussichten, Maron! Wirklich tolle Aussichten!“ „Das muss nicht eintreten, Zirell.“, tröstete der Erste Offizier. „Es wird nur dann eintreten, wenn wir keine Möglichkeit finden, Valora und Invictus wieder zu befrieden. Ich stehe in Kontakt mit Agent Yetron. Er hat Logar und seine Vertraute Iranach vernommen. Der König und die Vendar haben unabhängig voneinander bestätigt, dass dies die einzige Möglichkeit wäre.“ „Aber wie soll das gehen?!“, fragte Zirell fast verzweifelt. „Solange niemand das Band zwischen Sytania und Valora zerstören kann, sehe ich da keine Chance. Sytania wird Valora immer wieder anstacheln!“ „Das ist richtig.“, sagte Maron. „Dabei hat Valoras Eifersucht sie für die wahren Motive Sytanias blind gemacht. Wenn es nur jemanden gebe, der ihre Augen wieder öffnen könnte.“ Er kratzte sich nachdenklich am Kopf.

Völlig unerwartet für Maron hatte Zirell plötzlich IDUSA den Gedankenbefehl zum Wechseln des Bildschirmfensters erteilt. „Wir werden das Problem heute nicht lösen, Maron.“, sagte sie. Lass uns lieber über etwas anderes reden, das meiner Meinung nach viel lustiger ist. Was ist da bei euch eigentlich gerade los? Nugura soll abgewählt werden, aber das klappt nicht, weil jeder Wahlgang mittlerweile mit fast 100 % der Stimmen für ungültig erklärt werden muss. Erklär mir das mal. Unsere Presse titelt schon über den gordischen Wahlknoten und andere Spottverse.“ „Dazu haben sie auch allen Grund, Zirell.“, grinste Maron. „Anscheinend verstehen die Bürger die Situation besser, als der Opposition lieb ist. Das Misstrauensvotum gegen Nugura stößt bei ihnen wohl auf keinerlei Zustimmung. Sie scheinen alle genau verstanden zu haben, dass ein Virus, also eine Krankheit, keine Rücksicht auf politische Grenzen nimmt. Wenn wir den Genesianern also nicht helfen, dann unterschreiben wir quasi unser eigenes Todesurteil. Und dass sie das verstanden haben, lassen sie die Politiker jetzt auch spüren. Das Ironische daran ist, dass man dagegen nichts machen kann. Niemand kann gezwungen werden, bei diesem oder jenem ein Häkchen zu setzen.“ „Das ist ja das Geile an der Demokratie!“, spottete Zirell. Maron, der offenbar mit ihrer Äußerung nicht gerechnet hatte, musste sich räuspern.

Das Piepen der Türsprechanlage unterbrach die darauf eingekehrte Stille. „Hier ist Zirell!“, beantwortete die tindaranische Kommandantin den Ruf. „Shannon hier!“, kam es gewohnt flapsig zurück. „Kann ich reinkommen?! Ich muss dringend mit Maron und dir reden! Hier is’ was im Gange, was meiner Meinung nach überhaupt nich’ geht!“ „Ich weiß nicht, ob du kannst.“, scherzte Zirell. „Aber du kannst es ja mal versuchen.“ „Sehr komisch.“, gab Shannon etwas mürrisch zurück und beendete die Verbindung.

Die Türen glitten auseinander und die blonde Irin betrat die Kommandozentrale. Mit ernstem Gesicht und die Hände in die Hüften gestemmt stellte sie sich vor Zirell und Maron hin. „Was hast du denn nun auf dem Herzen, Shannon?“, fragte die ältere Tindaranerin ruhig. „Es geht um Shimars Schiff.“, sagte die technische Assistentin. „Sie befürchtet ihre Demontage. Shimar is’ tot und Joran muss seinen Hut nehmen, sobald er diese Station wieder betritt. Das bedeutet, alle, die sie fliegen könnten, fallen schon mal aus. Es gibt niemanden, der auch nur annähernd an Shimars Testergebnisse kommt unter den neuen Kadetten. Das hast du neulich sogar gesagt, Zirell. Von den ausgebildeten Piloten ganz zu schweigen. IDUSA ist die einzige ihrer Art. Weil die Ingenieure das wussten, hatten sie ihre Serie auf Eis gelegt. Wenn ihr Pilot also nich’ mehr da is’, dann wird auch sie ausgemustert. Aber ihre Teile und ihre Daten, die wollt ihr gern noch verwenden, he?! Was ist denn das für eine Rechtsauffassung?! Ihr würdet also auch jemanden töten, der euch zu intellektuell is‘ und dann telepathisch seinen Geist noch nach Infos durchsuchen, während er stirbt, um …!“ „So etwas Grausames würden wir nie tun!“, empörte sich Zirell. „Was unterstellst du uns?!“ „Ach ne.“, sagte die blonde Irin schadenfroh. „Aber mit den Schiffen könnt ihr’s machen, wie?! Dabei dachte ich immer, die wären uns Organischen gleichgestellt! Und dann die Sache mit dem Volk vom Grizzly! Findest du das etwa richtig, was ihr da veranstaltet habt, Zirell?! Die wissen über Sytania am allerbesten Bescheid! Wie konntet ihr euch nur so ’n Ei ins Nest legen?! Ich glaube, das kann ich mir selbst beantworten! Deine Leute haben Schiss, Zirell! Sie haben Schiss! Jawohl! Schiss bis Unterkante Oberlippe! Schiss an allen Ecken und Enden! Schiss bis der Arzt kommt! Schiss bis …!“ „Bist du fertig!!!!“, fiel ihr Zirell so laut ins Wort, dass Maron vor Schreck seine Kaffeetasse, die er gerade angesetzt hatte, fallen ließ. „Eigentlich nich’!“, sagte Shannon. „Ich war gerade so schön in Fahrt! Aber wenn du unbedingt was sagen willst, Zirell.“ „Ja, das würde ich sehr gern.“, sagte die tindaranische Kommandantin. „Du weißt, dass ich nicht jedes Vorhaben meiner Regierung in blindem Gehorsam unterstütze. Mit der Sache mit den Vendar bin ich auch nicht einverstanden, obwohl ich das Risiko durchaus sehe. Aber es gab schon andere Situationen, in denen die Zusammenkunft nicht auf das Wissen der Vendar verzichtet hat, obwohl das Risiko auch genauso hoch war.“ „Wegen der Sache mit IDUSA stimmen wir Ihnen auch zu, O’Riley.“, sagte Maron. „Danke, dass Sie uns auf diese fehlerhafte Praxis aufmerksam gemacht haben.“ „Äääää, was?“, machte eine völlig verwirrte Shannon. „Ja.“, sagte Zirell mild. „Du hast es uns gerade aufgezeigt, Shannon. Wir widersprechen unserem eigenen System. Das darf ja wohl nicht sein. Aber mir sind die Hände gebunden. Gegen die Entscheidungen des Oberkommandos bin ich machtlos. Aber wenn du willst, kannst du IDUSA ja selbst zur Werft bringen. Fliegen kannst du sie ja theoretisch. Auch wenn das bisher nur für Antriebstests notwendig war.“ „Unterwegs könnten Sie ja ein kleines Unglück erleiden, das euch beide von allen Schirmen verschwinden lässt. Bei der momentanen physikalischen Lage könnte das ja durchaus passieren, nicht wahr, O’Riley?!“, fragte Maron und sah sie konspirativ an. „Aber Agent!“, sagte Shannon und spielte übertriebene Empörung vor. „Sagen Sie bitte bloß nicht, dieses Unglück spült uns dann ausgerechnet in die Dimension von Freunden, die …“ „Genau.“, grinste Maron. „Aber an Ihrer Stelle würde ich machen, dass ich loskomme, bevor Zirell und ich unsere Meinung wieder ändern.“ „Pfui, Agent!“, sagte Shannon grinsend. „Was für schmutzige Gedanken! Aber gut!“ Sie machte auf dem Absatz Kehrt und verließ grinsend die Kommandozentrale.

„Das hätte ich ihr nicht zugetraut.“, sagte Maron an Zirell gewandt. „Ich auch nicht, Maron.“, gab die ältere Tindaranerin zurück. „Jenna hätte den Fehler im System sicher sofort aufgespürt. Aber Shannon …“, sagte Maron. „Umso überraschter werden alle sein, Maron.“, sagte Zirell. „Shannon ist nicht dumm. Ich glaube, das hat sie mittlerweile verstanden. Ich denke, sie wird sich noch was Schönes ausdenken, um uns alle zu überraschen.“ „Dem kann ich nur zustimmen, Zirell.“, sagte der Demetaner und grinste.

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