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Auch Lycira und ich mussten von einem oder zwei Toten besucht worden sein, jedenfalls vermutete ich das, da ich bemerkt hatte, dass sie temporär jede Verbindung zu mir gekappt hatte. Sicherlich wollte sie nur sichergehen, dass mir nichts passierte, da sie die Wahrnehmung, die sie hatte, selbst erst einmal einordnen musste. Ich vertraute ihr in der Hinsicht vollkommen.

Wenig später forderte sie mich über den Bordlautsprecher auf: „Bitte leg deine Hände wieder in die Mulden, damit ich unsere Verbindung reaktivieren kann, Betsy!“ „OK, Lycira.“, sagte ich und tat es. Dann fragte ich: „Was ist passiert?“ Du weißt, dass ich echte Telepathie betreibe.“, sagte mein Schiff. Das bedeutet, ich kann auch tatsächlich spüren, wer in meinen Systemen war und sie konfiguriert hat. Wir beide wurden von Captain Kirk und Mr. Spock beehrt. „Bist du sicher?“, fragte ich etwas ungläubig. Natürlich bin ich das., sagte Lycira und klang dabei fast etwas beleidigt und enttäuscht. „Es tut mir leid.“, sagte ich, die ich diese Feinheit sehr wohl gehört hatte. „Aber was du gesagt hast, klingt doch sehr seltsam. Aber andererseits könnte ich mir das auch sehr gut vorstellen. Ich denke sogar, dass ich den Urheber dieser ganzen Geschichte kenne! Oh, Srinadar! Selbst nach deinem Tod gelingt es dir noch, die richtigen Verbindungen anzuzapfen und uns zu helfen!“ Das kann ich nur bestätigen., erklärte Lycira. Zumal alles um uns herum irgendwie eine Mischung aus allen Dimensionen zu sein scheint. Ich kann nur deshalb noch funktionieren, weil meine Systeme dem angepasst worden sind. „Oh ja.“, sagte ich. „Und das von keinem Geringeren als James T. Kirk und Mr. Spock! Kannst du dich bewegen? Ich meine, kannst du fliegen?“ Ich versuche es mal., sagte mein Schiff, aktivierte ihren Antrieb und flog tatsächlich ein Stück geradeaus. Dann drehte sie sich und flog das gleiche Stück zurück. „Das klappt ja wunderbar!“, sagte ich. „Kannst du die Granger finden?“ Das kann ich., antwortete sie. Sie ist einige wenige Parsec von uns entfernt. Sie scheint aber auch von Toten heimgesucht worden zu sein. „Hoffentlich trifft Kissara die richtigen Entscheidungen.“, sagte ich. „Falls sie Mr. Jannings den Computerkern mit Rosannium fluten lässt, könnte das für unsere Freunde das Aus bedeuten! Ich muss sie informieren! Verbinde mich und bring uns dann zur nächsten freien Andockrampe!“ In Ordnung., sagte Lycira.

Elektra hatte ihren Vorgesetzten, der mit der Situation ja reichlich überfordert war, im Maschinenraum abgelöst und sich bei Agent Mikel auf der Brücke per Sprechanlage gemeldet. „Ich kann Ihre Vermutung nur bestätigen, Agent.“, sagte die Androidin nüchtern, nachdem sie einen Blick auf den Computerkern geworfen hatte. „Meine interne Datenbank identifiziert sogar einen der Beiden als Shimar. Sein Muster ist allen Rechnern in der Sternenflotte und auch allen anderen künstlichen Intelligenzen, zu denen ich ja auch zähle, bekannt.“ „Sehr gut, Technical Assistant.“, sagte Mikel. „Den anderen erkennen Sie nicht zufälligerweise auch noch?“ „Negativ, Sir.“, sagte Elektra. „Aber da die Beiden ja offensichtlich im Computerkern sind, dürfte es uns vielleicht möglich sein, mit ihnen zu reden. Sie müssen vielleicht nur das Computermikrofon benutzen.“ „Also schön, Elektra.“, sagte Mikel. „Ich teste Ihre Theorie!“

Er drehte sich dem Computermikrofon zu und räusperte sich. Dann holte er tief Luft, aber bevor er noch etwas sagen konnte, unterbrach ihn Ribanna besorgt: „Tun Sie das besser nicht, Agent. Wer weiß schon, was dann passiert!“ „Ich kann mir denken, dass die Sache für Sie sehr unheimlich ist, Ribanna.“, sagte der Erste Offizier verständig. „Aber ich kenne mich in der Materie etwas aus. Ich weiß schon, was ich tue. Vertrauen Sie mir!“ „Ich will es versuchen, Agent.“, sagte die indianische Reservistin zaghaft.

Er machte einen neuen Ansatz: „An die Besucher in unserem Computerkern! Ich bin Agent Mikel, Erster Offizier und momentaner Kommandant der USS Granger. Bitte identifizieren Sie sich!“ „Moin, Mikel!“, schallte Mikel eine ihm sehr gut bekannte Stimme aus dem Computer entgegen. Die Stimme hatte außerdem einen sehr starken deutschen Akzent in ihrem Englisch. „Ich bin aber nicht allein. Bei mir ist noch Shimar. Wenn du uns nicht glaubst, dann wirst du mit Sicherheit eine Möglichkeit finden, es dir selbst zu beweisen, wie ich dich kenne.“ „Das hoffe ich.“, sagte Mikel, der zwar den anderen Gegenüber versucht hatte, Sicherheit auszustrahlen, der jetzt aber doch ein wenig Angst vor der eigenen Courage bekommen hatte. Aber er wusste, dass er das hier zu Ende ermitteln musste. Schließlich war er ja auch für die interne Sicherheit des Schiffes zuständig und musste abschätzen, ob es eine Bedrohung von außen gab oder nicht. Es musste ihm irgendwie gelingen herauszufinden, ob dies eine Falle von Sytania war, oder ob alles, was Rudi ihm gesagt hatte, wirklich der Wahrheit entsprach. Dazu musste er erst einmal wissen, ob Rudi wirklich Rudi war. Seine Stimme hatte er zwar eindeutig erkannt, aber er wusste auch, dass Sytania in der Lage war, manche Vision zu erzeugen, um jemanden auf die falsche Spur zu locken. Er musste also genau abwägen, ob er Elektra das Fluten des Computerkerns mit Rosannium befehlen sollte oder besser nicht. Ihm wollte nur absolut nichts einfallen, um dies zu bewerkstelligen.

Ribanna war schließlich diejenige, die ihm den entscheidenden Hinweis gab: „Sir, wir werden gerufen. Es ist Allrounder Scott!“ „Betsy?!“, fragte der Agent ungläubig. „Was macht sie denn hier? Geben Sie her, Ribanna!“ Die junge Indianerin nickte und stellte mich an meinen ehemaligen Schulkameraden durch. „Hi, Mikel!“, sagte ich und fuhr auf Deutsch fort: „Gibt es vielleicht irgendwas, bei dem ich dir helfen kann?“ „Vielleicht kannst du das wirklich.“, gab Mikel ebenfalls auf Deutsch zurück. „In unserem Computerkern befindet sich eine Wolke aus Energie. Sie besteht zu einem Teil wohl aus dem Geist von Shimar, den Elektra bereits eindeutig identifiziert hat. Aber auch sie kann getäuscht werden, wenn man ihren Sensoren das Richtige vorspielt. Als ich mit dem Computer reden wollte, antwortete mir die Stimme deines Großvaters. Aber bei einer Gegnerin wie Sytania müssen wir auf alles gefasst sein. Vielleicht kannst du mir sagen, wie ich ihn eindeutig identifizieren kann.“ „Das kann ich tatsächlich.“, sagte ich. „Lass mich zu euch an Bord und dann erkläre ich es dir.“ „OK.“, sagte Mikel. Dann wies er Ribanna an, Lycira und mich an die freie Andockrampe zu weisen.

„Sobald wir gedockt haben, Lycira.“, wandte ich mich meinem Schiff zu. „Beamst du mich an Bord der Granger. Am besten direkt auf die Brücke.“ In Ordnung, Betsy., sagte mein Schiff.

Wenige Sekunden später stand ich bereits neben Mikel. „Da bist du ja!“, sagte er erleichtert. „Und wie hast du dir jetzt vorgestellt, dass wir deinen Opa erkennen, he?“ „Frag ihn, wie der Spitzname lautet, den er und meine Oma mir als Kind gegeben haben.“, sagte ich und legte einen konspirativen Ton in meine Stimme. Ihn jetzt schon auszusprechen, hatte ich wohlweislich vermieden, damit Sytania, falls sie doch tatsächlich in unseren Köpfen war, keine Möglichkeit hatte, ihn herauszufinden und somit meine Idee zu zerstören.

Mikel drehte sich erneut dem Computermikrofon zu. Dann fragte er auf Deutsch hinein: „Rudi, wie lautet der Spitzname, den Sie und Ihre Frau Betsy als Kind gegeben haben?!“ „Er lautet Miezerle!“, sagte mein Großvater fest. „Für meine Frau und mich war sie immer unser kleines liebes Miezerle!“ „Miezerle ist richtig, Mikel!“, bestätigte ich.

Erleichtert ließ der Erste Offizier hörbar die Luft aus seinen Lungen entweichen, die er bis zu meiner Bestätigung gespannt angehalten hatte. Dann betätigte er die Sprechanlage für den Maschinenraum: „Es ist alles gut, Elektra. Lassen Sie den Dingen einfach erst mal ihren Lauf. Die Fremden sind keine Bedrohung für uns! Im Gegenteil!“ „Bestätigt, Sir.“, sagte die Androidin nüchtern. „Soweit ich die neue Konfiguration unserer Schiffssysteme hier beurteilen kann, wären wir ohne ihr Eingreifen schon nicht mehr am Leben.“ „Das stimmt wohl.“, sagte Mikel und beendete die Verbindung.

Ich hatte mich Ribanna zugewandt, die von der Situation um sie herum wohl sehr geängstigt worden war. „Ich denke, du kannst ihm ruhig sagen, wenn du abgelöst werden möchtest.“, flüsterte ich ihr auf Englisch zu. „Ich bin ja jetzt da und übernehme deinen Posten.“ „OK!“, gab sie erleichtert zurück und wandte sich an Mikel: „Sir, Ich bitte hiermit um Ablösung. Die Situation ist mir nicht geheuer und ich habe Sorge, in irgendeinem Moment vielleicht das Falsche zu tun vor lauter Angst. Allrounder Scott hat angeboten, meinen Posten zu übernehmen.“ „Bitte gewährt, Allrounder Ribanna!“, sagte der Agent. „Gehen Sie in Ihr Quartier und ruhen Sie sich aus!“ „Danke, Sir.“, sagte sie und verließ ihren Platz, den ich sofort einnahm. Die Situation musste Mikel doch sehr willkommen sein, so wie sie jetzt war. Er hatte wohl sowieso noch einige Fragen an mich, wie ich die Sache einschätzte. Die konnte er mir jetzt auch gleich stellen.

Ein Signal von seiner Konsole ließ Mikel aufhorchen. „Ja, Computer!“, sagte er. „Hier ist noch mal Rudi.“, sagte die Stimme meines Großvaters. „Ich werde den Rechner jetzt wieder verlassen und ins Reich der Toten zurückkehren. Aber Shimar benötigt hier eine temporäre Bleibe, du verstehst?“ „Ich verstehe sehr gut.“, sagte Mikel und visualisierte seine eigene Hand, wie sie in den Computer griff und Shimar herauszog. Augenblicklich wurde der Geist des jungen Tindaraners in seinen Körper gezogen. Danke, Mikel!, bedankte sich dieser telepathisch. Gern geschehen., gab Mikel ebenfalls in Gedanken zurück.

Ich hatte mein Hilfsmittel nach dem aktuellen Kurs gefragt und es hatte ihn mir genannt. „Soll ich den Kurs halten, Mikel?“, fragte ich. „Ja.“, sagte Mikel. „Du wirst dich ja sicher erst einmal mit den neuen Konfigurationen anfreunden müssen. Das Schiff dürfte jetzt ja etwas anders reagieren, als wir es gewohnt sind.“ „Das denke ich auch.“, sagte ich. Dann stellte ich das Schiff auf Handsteuerung um, um so ein besseres Gefühl für sie bekommen zu können und schob den Regler für den Impulsantrieb langsam vor: „Na komm, Granger! Schön vorsichtig.“ Langsam und ruhig schob sich unser Schiff durch den Raum. „Geht doch!“, lobte Mikel. „Na ja.“, sagte ich. „Warten wir mal ab, ob du immer noch so begeistert bist, wenn wir auf Warp gehen. Vom interdimensionalen Flug ganz zu schweigen.“ „Also gut.“, sagte Mikel. „Du übst ein bisschen Fliegen unter den neuen Bedingungen und ich rede spätestens morgen mit Kissara. Sie hat eine Menge verpasst, wenn du mich fragst.“ Ich nickte und sagte dann: „Reden ist eine gute Idee. Aber das sollte wohl auch jemand mit der armen Ribanna tun. Sie dürfte in eine Glaubenskrise geraten sein. Sicher hat sie sich das mit dem Aufpassen der Toten auf uns nie so vorgestellt und das sollte jemand tun, der sich damit auskennt.“ „Also ich!“, stellte Mikel fest. „In Ordnung, du sensibles Etwas! Ich kümmere mich morgen darum.“ „OK, Mikel.“, erwiderte ich und widmete mich weiterhin dem Fliegen des Schiffes.

Auch Tchey und Shary waren nicht von der umfangreichen Aktion unserer Freunde aus dem Jenseits verschont worden. Weder das Schiff, noch ihre Pilotin, hatten die Sache allerdings einordnen können. Beide waren insgeheim sehr froh, als es vorbei war.

„Was bitte war das, Shary?!“, fragte eine total verwunderte Tchey. „Ich weiß es nicht.“, gab das Schiff zu. „Ich erinnere mich nur, dass ich irgendwie wie ferngesteuert war. Irgendwas hat die Kontrolle über meine Systeme übernommen und sie teilweise völlig umgeschrieben. Man könnte sagen, ich erkenne mich selbst nicht wieder.“ „Deiner Persönlichkeit hat das aber keinen Abbruch getan, wie ich feststelle.“, sagte Tchey und setzte sich zurecht. „Du bist immer noch die gute alte Shary. Aber scann mal deine Umgebung. Ich habe so ein komisches Gefühl. Erinnerst du dich noch an die Erschütterung, die uns getroffen hat, kurz bevor die Wolke in deine Hülle eindrang?“ „Wie kann ich das vergessen?!“, fragte Shary beunruhigt. „Die Störung war ja schließlich überall! Aber OK. Ich zeige dir auch, was ich sehe.“

Sie begann den Vorgang des Scannens und Tchey sah genau, was auch Shary sah. „Moment mal, Shary.“, sagte die Reptiloide, der plötzlich etwas aufgefallen war. „Das Wellenmuster des Weltraums scheint sich total verändert zu haben und wenn ich mir diese Sterne da so ansehe, dann glaube ich, dass das auch auf andere Naturgesetze zutrifft. Kannst du mir sagen, ob es die interdimensionale Schicht noch gibt?“

Shary schaltete auf die interdimensionalen Sensoren um. „Nein, die gibt es leider nicht mehr, Tchey.“, sagte sie dann. „Ach du Scheiße!“, entflog es Tchey. „Das bedeutet, alle Dimensionen laufen quasi ineinander wie die Farben auf einem schlechten Gemälde. Das kann ja auf die Dauer nicht gut gehen!“ „Das wird es auch nicht.“, bestätigte Shary die Vermutung ihrer Pilotin. „Weil einige Naturgesetze sich ja auch gegenseitig neutralisieren. Zumindest sagt das Techniker McKnight.“ „Das weiß ich.“, sagte Tchey. „Ihre Theorien findet man ja heute in jeder Datenbank. Aber du könntest mich gleich mal mit den Tindaranern verbinden, wenn es sie noch gibt. Ich weiß. Du bist ein ziviles Schiff und ich bin nur eine kleine Pilotin mit einem Sanitätskurs, aber …“

„Tchey!“, Shary war ihr ins Wort gefallen. An dem alarmierten Gesicht des Avatars vor ihrem geistigen Auge konnte Tchey sehr gut sehen, wie ernst es ihr war. „Was ist los?“, fragte sie. „Es geht um Shimars Körper.“, sagte Shary. „Mir ist da was aufgefallen. Du weißt, dass wir ihn mit der medizinischen Liege in meinen Frachtraum gebeamt haben.“ „Ja.“, sagte Tchey. „Natürlich haben wir das. Der Plan war ja, dass wir ihn im tindaranischen Universum absetzen, damit er dort endlich seine letzte Ruhe finden kann.“ „Ich denke, den müssen wir verwerfen, Tchey.“, sagte Shary und replizierte einen Erfasser und ein Sprechgerät. „Was sollen deine Andeutungen, Shary?“, fragte Tchey. „Nimm bitte die Geräte und schau es dir selbst an.“, sagte das Schiff. „Halte aber Kontakt zu mir über das Handsprechgerät.“ „Ach, also gut.“, sagte Tchey leicht genervt, nahm den Neurokoppler ab und stand auf. Dann drehte sie sich in Richtung der Tür zur Achterkabine, die von Shary bereitwillig geöffnet wurde. Auch mit der Tür zum Frachtraum verhielt es sich so.

Bald stand Tchey vor der Liege, auf der Shimars Körper immer noch lag. Sie zog den frisch replizierten Erfasser aus ihrer Tasche und ließ ihn darüber kreisen. Was sie allerdings sah, erstaunte sie sehr. Sofort holte sie auch ihr Handsprechgerät aus der Tasche und schloss den Erfasser daran an. Dann gab sie Sharys Rufzeichen ein, vertippte sich dabei allerdings aus Nervosität einige Male.

„Shary, das glaube ich jetzt nicht!“, sagte Tchey, nachdem die Verbindung endlich zustande gekommen war. „Sein Körper schwingt. Da er jetzt eine kristalline Form hat, kann ich mir das durchaus vorstellen. Aber die Sache hat einen kleinen Schönheitsfehler. Nur lebende Kristalle schwingen meines Wissens. Wieso … Augenblick!“

Sie beugte sich herunter und scannte eine der Deckplatten. Dabei war ihr Ziel aber nicht, deren Zusammensetzung zu erfahren, nein, sie wollte viel eher herausfinden, was sich darunter abspielte. Unter dem Frachtraum, das wusste Tchey, waren nämlich direkt Sharys Antriebsspulen für ihren Impulsantrieb.

Nachdem sie ihren Scann komplettiert hatte, rief sie die Datei mit dem Muster von Shimars Körper noch einmal auf und verglich die Frequenzen. Sie stimmten genau überein!

„Stopp, Shary!“, befahl sie in das Mikrofon ihres Sprechgerätes. „Was meinst du genau damit?“, fragte das etwas irritierte Schiff. „Ich meine genau das, was ich gerade gesagt habe.“, sagte Tchey. „Ich meine, dass du anhalten sollst. Mach deinen Antrieb aus.“ „Warum?“, fragte eine völlig irritierte Shary, die langsam das Gefühl hatte, sich gar nicht mehr auszukennen. „Ich werde es dir gleich erklären.“, beschwichtigte Tchey. „Aber dazu muss ich noch was rauskriegen. Du kannst mir am besten dabei helfen, wenn du tust, was ich dir gerade gesagt habe.“ „Na, OK.“, sagte Shary und deaktivierte ihren Antrieb befehlsgemäß.

Tchey scannte Shimars Körper erneut. Dabei fiel ihr auf, dass die Schwingungen weniger wurden. „Alles klar.“, sagte sie. „Jetzt weiß ich Bescheid. Wir können weiterfliegen. Ich muss nur noch den Übertragungsweg finden. Aber ich glaube, da habe ich auch schon eine Idee.“

Sie legte sich auf den Bauch und konzentrierte sich auf das, was sie jetzt über die Nerven ihrer Haut wahrnahm. Tatsächlich hörte sie jedes kleine Geräusch von Sharys Antrieb und spürte jede Schwingung der Spulen. Bingo!, dachte sie.

Sie stand wieder auf und ging ins Cockpit zurück. „Kannst du mir vielleicht mal den Sinn deiner merkwürdigen Übungen erklären?“, fragte Shary etwas verwirrt, als Tchey den Neurokoppler wieder aufgesetzt hatte. „Oh ja!“, gab eine sehr zufrieden dreinschauende Tchey zurück. „Offensichtlich hat dein Antrieb genau die richtige Frequenz, um Shimars Körper zum Schwingen zu bringen. Tindaranische Körper verwesen nicht, weil sie zu Kristallen werden, wenn sie sterben. Aber Kristalle können von außen zum Schwingen gebracht werden. Wenn ein Tindaraner mit Absicht wieder in seine kristalline Form geht, dann schwingt sein Körper auch, wenn er noch am Leben ist. Das könnte im Umkehrschluss bedeuten, dass du eine Art lebenserhaltende Maßnahme durchführst, ohne davon zu wissen oder es zu wollen. Dein Frachtraum ist nicht so gut isoliert wie dein Cockpit oder deine Achterkabine. Das kommt daher, weil sich eine Palette Energiezellen wohl kaum über zu viel Lärm oder zu viel Rütteln oder Vibration beschwert. Zeichne dein eigenes Antriebsgeräusch auf und dann repliziere mir einen Lautsprecher und ein Abspielgerät, mit dem wir es in die Liege direkt einspeisen können. Während ich das Ding einbaue, wirst du nach der Granger suchen! Shimars Körper haben wir. Jetzt müssen wir nur noch seinen Geist finden, um ihn eventuell zurück ins Leben holen zu können und derjenige, der sich mit so was am besten auskennt, ist Commander Kissaras Erster Offizier, Agent Mikel! Mach schon, Shary!“ „Na hoffentlich nehmen sie uns deine Theorie überhaupt ab.“, sagte Shary skeptisch. „Immerhin bist du nur eine kleine Pilotin mit einem Sanitätskurs und keine Ärztin.“ „Aber sie haben eine an Bord.“, sagte Tchey. „Die soll herkommen und sich selbst überzeugen.“ „Also gut.“, sagte das Schiff und führte alles aus, was Tchey ihr gesagt hatte.

Mikel hatte einen schriftlichen Bericht verfasst und ihn Kissara gesendet. Er wusste zwar, dass sie ihn erst nach dem Aufstehen lesen würde, aber dann war sie ja mindestens schon mal auf das vorbereitet, was sie dann sehen würde. Danach hatte er begonnen, sich mit mir zu unterhalten, die ich mich mittlerweile schon recht gut mit den neuen Reaktionen der Granger angefreundet hatte. So sehr unterschieden sie sich ja auch nicht von denen, die das Schiff sonst gezeigt hatte. Aber das lag wahrscheinlich in gewisser Weise auch daran, dass sich ja auch unsere Umgebung verändert hatte.

„Denkst du, du kannst den Autopiloten aktivieren?“, fragte Mikel. „Ich denke schon.“, entgegnete ich. „Der Weltraum vor uns scheint ruhig zu sein und ich denke, das Schiff kommt eine Weile ohne mich klar. Warum fragst du?“

Ich bekam mit, wie Mikel seinen Platz verließ und sich meinem näherte. Dann flüsterte er mir auf Deutsch ins Ohr: „Ich muss mit dir reden, aber das tun wir am besten in unserer Muttersprache. Wenn Kang das mitkriegt, was ich dir sagen muss, dann flippt er aus.“ Ich gab nur einen bestätigenden Laut von mir und aktivierte den Autopiloten. Dann bemerkte ich, wie Mikel sich auf den Platz neben mir setzte. „Was willst du mir sagen?“, fragte ich. „Ich bin nicht allein in diesem Körper, Betsy.“, sagte Mikel zu mir auf Deutsch. „Dein Großvater ist wieder im Reich der Toten, aber Shimar ist hier. Er sagt, sein Platz sei noch immer unter den Lebenden und er müsse dringend zurück in seinen Körper. Aber er hat noch eine andere Bitte an dich und mich. Er würde gern meine Lippen benutzen, um dich zu küssen.“

Ich musste tief durchatmen. Die Informationen, die mir Mikel gerade gegeben hatte, waren doch schon ganz schön heftig. Dann sagte ich: „Oh mein Gott! Er muss sich ja in deinem Körper nicht sehr wohl fühlen. Keine Telepathie und kein Augenlicht. Wie kommt ihr klar?!“ „Na gut.“, sagte Mikel. „Dann machen wir das anders.“

Er entspannte sich hörbar und dann hörte ich seine Stimme erneut, allerdings sprach er jetzt wieder Englisch mit mir und seine Betonung hatte sich auch verändert. „Hallo, Kleines.“, sagte er. „Shimar?“, fragte ich ungläubig. „Ja, ich bin es wirklich.“, sagte Mikel, oder besser Shimar. Mittlerweile glaubte ich nämlich, was er mir gesagt hatte. „Du möchtest wissen, wie Mikel und ich klarkommen? Das kann ich dir beantworten. Wir kommen sehr gut klar. Mikel fühlt sich durch meine Anwesenheit in seinem Körper keinesfalls eingeschränkt und ich mich durch seinen Körper auch nicht. Man könnte sogar sagen, es ist für mich eine sehr lehrreiche Erfahrung. Er bringt mir Sachen bei, von denen habe ich noch nicht einmal zu träumen gewagt. Ein Beispiel: Wusstest du, dass man Leute an ihrem Schritt erkennen kann? Ach, natürlich wusstest du das! Aber die Sache mit der Telepathie stimmt auch nicht ganz. Wusstest du, dass Mikel zu den wenigen Terranern gehört, die ein so genanntes telepathisches Mikrozentrum haben?“ „Na ja.“, sagte ich. „Ich wusste, dass er in mentalen Dingen sehr talentiert ist, aber das wusste ich nicht.“ „Loridana, eure Ärztin, wird es wissen, Srinadell.“, sagte Shimar. „Eure Geräte können das ja auch feststellen. Nur in Mikels und deinem Heimatjahrhundert geht das noch nicht.“ „Ich weiß.“, sagte ich. „Aber trotzdem wirst du mit seinem Zentrum ja nicht so viel machen können wie mit deinem eigenen, wenn es nur ein Mikrozentrum, also ein kleines Zentrum, ist.“ „Das ist mir bewusst.“, sagte Shimar. „Aber es ist nicht schlimm. Ihr müsst aber so schnell wie möglich meinen Körper finden! Ich will mich Mikel nicht länger als nötig aufbürden, obwohl er das gar nicht als Bürde empfindet. Wenn er wieder die Kontrolle übernommen hat, kannst du ihn ja persönlich danach fragen, wenn du mir nicht vertraust.“ „Ich vertraue dir.“, sagte ich. „Du würdest seinen Körper ja auch bestimmt nicht gegen seinen Willen in Besitz nehmen. Das passt ja nun so gar nicht zu dir. Und dass ich dir vertraue, werde ich dir jetzt beweisen!“

Ich bewegte hörbar meine Zunge über meine Lippen. Dann drehte ich mich zu ihm und sagte auffordernd: „Nur zu!“ Er näherte sich vorsichtig und dann legten sich seine Lippen auf die meinen. Dabei bemerkte ich, dass er viel vorsichtiger und geschickter vorging, als ich es von Mikels Küssen während unserer Beziehung in unserer gemeinsamen Jugend kannte. Ich machte mir nichts vor. Sicher war ich ähnlich ungeschickt gewesen und unser erster Versuch eines Zungenkusses hatte auch leider für mich in einem Erstickungsanfall geendet. Allerdings war ich auch noch zusätzlich erkältet gewesen. Diesen Eindruck hatte ich jetzt aber gar nicht! Im Gegenteil! Es fühlte sich alles sehr schön und sehr vorsichtig und zärtlich an, so wie ich es von Shimar gewohnt war. Nein!, dachte ich bei mir. Das ist nicht Mikel! Er hat dir kein Theater vorgespielt! Mit Sicherheit nicht!

Ein jähes Geräusch hinter uns ließ mich plötzlich zusammenfahren und Shimar abwehren. Dann drehte ich mich der Quelle des Geräusches zu, das ich inzwischen als das Ziehen eines traditionellen klingonischen Degens erkannt hatte und schrie in deren Richtung: „Mr. Kang, sind Sie denn von allen guten Geistern verlassen?!“ Vermutlich ob meiner Reaktion, mit der er offensichtlich nicht gerechnet hatte sehr erschrocken, ließ der Klingone seine Waffe fallen. Erstens hatte er wohl nicht damit gerechnet, dass ich ihn nur an seinem Tun erkennen würde und zweitens passte meine Reaktion wohl nicht so ganz zu dem, was er sich erhofft hatte. Es konnte drittens aber auch daran liegen, dass ich im Allgemeinen als Leisetreterin bekannt war und nur dann laut meine Stimme erhob, wenn ich dafür wirklich einen Grund sah. „Oh ich wollte Ihnen doch nichts Böses, Allrounder.“, beschwichtigte Kang mich. „Im Gegenteil. Ich wollte Sie nur vor Mikel, diesem Petach, beschützen, der sich gerade von Ihnen einen Kuss ergaunert hat! So etwas hätte ich von unserem Ersten Offizier, der ja eigentlich eine Vorbildfunktion ausüben sollte, nicht gedacht!“ „Und da hätten Sie ihn gleich umgebracht?!“, fragte ich fassungslos und sichtlich empört. „Zunächst nicht.“, tröstete Kang. „Ich wollte ihn zuerst nur einschüchtern.“

Ich atmete erneut tief durch. Irgendwie konnte ich ihn ja verstehen. Es war viel passiert, das für einen Klingonen wie ihn sehr verwirrend sein musste. Tote, die eigentlich ins Totenreich gehörten, waren hierher zurückgekehrt in dieses für manche vielleicht so anmutende Jammertal, nur um uns zu helfen und jetzt behauptete auch noch jemand, dass einer dieser Toten noch immer hier war und sich im Körper eines seiner Kameraden aufhielt. Das musste bei Kang ja eine wahre Glaubenskrise ausgelöst haben. Dass er, als Krieger, auf eine Situation, die er nicht verstand, mit Aggression reagierte, war für mich auf jeden Fall sehr wahrscheinlich. Es war mir aber auch klar, dass die logische Konsequenz aus dieser Situation nur sein konnte, dass ich die einzige Anwesende war, die dieses Problem jetzt lösen konnte. Also sagte ich ganz ruhig: „Warrior, ich finde es hoch ehrenhaft, dass Sie mich beschützen wollen. Aber dazu besteht gar kein Anlass. Nehmen Sie doch statt Ihrer Waffe Ihren Erfasser in die Hand und scannen Sie Agent Mikels vorderen Schädelbereich. Dann lassen Sie das Interpretationsprogramm durchlaufen mit der Fragestellung nach der Identität des Neuralmusters, das Sie dort sehen. Daran werden Sie erkennen, dass sich Mikel nichts ergaunert hat, sondern dass Shimar wirklich hier ist und gerade die Kontrolle hat.“

Peinlich berührt ob der Ruhe, die ich bei meinen Sätzen offenbar gerade ausgestrahlt hatte, tat Kang, was ich ihm gesagt hatte. Dann ließ er das Gerät wieder sinken und sagte: „Danke, Allrounder Scott. Sie haben mich da gerade vor einer riesigen Dummheit bewahrt. Ihre Argumente, Ihre wirklich sehr entwaffnenden Argumente im Wortsinn, hätten glatt von einer Vulkanierin stammen können.“ „Vielen Dank, Kang.“, sagte ich. „Aber Sie wissen, dass die Vorschriften jetzt verlangen, dass ein derartiger Fall untersucht wird. Immerhin hätten Sie beinahe einen Vorgesetzten angegriffen. Da Agent Mikel nicht ermitteln kann, weil er sozusagen befangen ist, wird Commander Kissara wohl selbst ermitteln müssen. Der Vorfall ist von den Sensoren aufgezeichnet worden, die auch für die schiffsinterne Sicherheit zuständig sind. Jannings zu befehlen, die Aufzeichnungen zu löschen, würde nur noch mehr Ungereimtheiten auslösen.“ „Also gut.“, sagte Kang. „Wenn man einen Fehler macht, dann muss man auch dazu stehen. Ich wäre dafür, wir reden nachher alle drei mit Kissara.“ Mikel und ich nickten zustimmend.

 

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