Bald waren wir auch im Konferenzraum angekommen, wo uns Zirell und die anderen bereits erwarteten. Nun begannen wir damit, unser Wissen auszutauschen. Maron hatte dafür gesorgt, dass ein schriftlicher Bericht von Meroolas Vernehmung vorlag und er uns allen zugänglich war. Auch ich bekam Gelegenheit, über meine Mission bei den Genesianern zu reden.
„Die Frage ist.“, sagte Zirell schließlich. „Was wir alle jetzt aus diesen Informationen machen. Iranach, du hast angekündigt, dass du noch Informationen von Logar aus seinem Exil auf Times Basis für uns hast.“ „Das ist korrekt, Zirell El Tindara.“, sagte die Vendar und trat vor, um sich direkt neben die tindaranische Kommandantin zu stellen. Dann hob sie an: „Mein Gebieter hat eine Information für euch alle, die ich euch bitte, nicht zu hinterfragen, so sonderbar sie euch auch erscheinen mag. Wir haben eine Hälfte des Webstuhls des Schicksals mitgebracht. Sie wurde durch eine von Techniker Cenda angefertigte Hälfte ergänzt. Es wird an Betsy El Taria sein, zu Akantus zu gehen und dort Spinnfaden zu besorgen, aus dem sie ein Tuch machen wird. Dieses Tuch wird das Überleben aller guten Wesen sichern. Vorher allerdings muss sie den Dolch des Vertrauens finden. Es gibt mehrere Kopien und ich weiß, wo das Original und die Kopien zu finden sind. Aber nur sie darf die Prüfung ablegen. Nur sie allein. Mein Gebieter sagt, das sei die Bedingung, damit alles wieder gut werden kann. Er hat in die Zukunft gesehen.“
Shannon meldete sich und sah skeptisch in die Runde. „Sekunde, Iranach!“, sagte sie. „Ein von Menschenhand geflickter Webstuhl des Schicksals? Wie soll der denn helfen? Ich weiß, dass es Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die für mich Kleingeist nich’ zu kapieren sind. Aber das müsste dir doch auch einleuchten! Da is’ doch nur die halbe Energie der Quellenwesen drin. Das kann doch nich’ funktionieren!“ „So hat es mir Logar El Imperia aufgetragen, Shannon O’Riley.“, sagte die Vendar. „Was is’ denn mit dir los?!“, fragte Shannon verärgert. „Kaum sagt ein Mächtiger dir was, läufst du hinter ihm her wie ein Schaf hinter seinem Hirten! Hast du dein eigenes Gehirn etwa total abgeschaltet?!“
„O’Riley, das ging zu weit!“, ermahnte Maron sie streng. „Hinsetzen und den Mund halten! Das ist ein Befehl, Technical Assistant!“ Die blonde Irin gab nur ein mürrisches: „Aye, Sir.“, zurück und setzte sich. Sie wollte nicht auch noch wegen Insubordination abgeurteilt werden, obwohl sie eigentlich noch viel Mehr hätte sagen wollen.
Ich fühlte mich irgendwie schuldig an der Sache. Schließlich ging es um eine Mission, die ich bestreiten sollte. Aber ich kannte die Zustände im Dunklen Imperium ja auch und wusste, dass es auch einige Dinge gab, die auf den zweiten Blick anders waren, als sie auf den ersten Blick schienen und meistens hatte so etwas auch mit irgendwelchen Rätseln zu tun, die man lösen musste. Vielleicht würde es ja trotzdem klappen können. Ich vertraute Logar und Iranach und das wollte ich jetzt auch zum Ausdruck bringen.
Ich stieß Shimar, der sich mit mir in eine Sitzreihe gesetzt hatte, vorsichtig an: „Bitte bring mich nach vorn.“ „OK.“, sagte mein Freund ebenfalls sehr leise und trat mit mir den Weg zu Zirell und Iranach in die Raummitte an. Dort stellte er mich ab und sah zu, wie ich mich in Richtung der Zuschauer drehte und sagte: „Im Grunde ist es doch ganz einfach. Ich bin die, welche die Mission bestreiten soll und Commander Kissara ist meine Vorgesetzte. Im Grunde hat sie zu entscheiden, ob sie mich auf diese Mission gehen lässt, oder ob sie das Ganze für ein sinnloses Unterfangen hält! Aber ich denke, Wir wissen auch noch nicht alles. Du wurdest unterbrochen, Iranach. Gibt es vielleicht noch etwas, das ich über den Dolch wissen muss?“ „In der Tat, Betsy El Taria.“, sagte die Vendar. „In seinem Griff ist eine vendarische Inschrift eingraviert. Ihre Übersetzung lautet: Wenn du mir im Vertrauen wirst zugetan sein, dann finde ich für dich meinen Weg allein!“
Ihre Worte hatten mich kurz überlegen lassen. Dann sagte ich: „Unter Umständen könnte das bedeuten, dass ich die Einzige bin, die ihn unter den Kopien herausfinden kann. Ich kann eine Zielscheibe oder dergleichen nicht sehen und wenn man mir meinen speziell programmierten Erfasser auch wegnimmt, dann habe ich keine Möglichkeit, genau bestimmte Koordinaten festzustellen. Gut, ich hätte meine Ohren und aus Beschreibungen eine ungefähre Richtung, aber wenn der Dolch seinen Weg allein ins Ziel findet, wenn man ihm vertraut, dann bin ich die ideale Besetzung. Ich muss vertrauen.“
Maron kam zu uns. „Ich stimme Allrounder Scott zu.“, sagte Zirells Erster Offizier. „Wir anderen würden wahrscheinlich viel zu sehr den eigenen Augen und den anderen Sinnen vertrauen, und versuchen, den Dolch in die Mitte der Zielscheibe zu werfen. Da viele von uns eine recht gute Hand-Augen-Koordination haben dürften, könnte das bedeuten, dass am Ende vielleicht mehrere Dolche der Richtige sein könnten und dann wären wir genauso schlau wie jetzt auch. Die andere Sache mit dem Webstuhl sei dahingestellt! Oder, Moment, Iranach, was geschah mit der zweiten Hälfte?“ „Sie ist im Besitz von Sytania und ihren Leuten, Maron El Demeta.“, sagte die Vendar. „Ah ja.“, sagte der Agent. „Das bedeutet, Sytania ist in einer ähnlichen Situation wie wir, was das angeht. McKnight, kommen Sie her!“
Jetzt betrat auch Jenna unseren Kreis. „Sie sagten einmal, es könne keinen Minuspol ohne einen Pluspol geben und umgekehrt.“ „Das ist korrekt, Sir.“, antwortete die Technikerin. „Und ich denke, ich weiß auch, worauf Sie hinauswollen. Aber Sytania wird nicht bereit sein, sich einen guten Gegenpol zu schaffen, geschweige denn, unser Tuch mit ihrem zu verbinden, vorausgesetzt, sie käme irgendwie an Fäden. Aber ich denke, dass es da durchaus Leute in ihrem Umkreis gibt, die das durchaus anders sehen. Ich schließe sogar eine zweite vendarische Rebellion unter Telzans Führung nicht aus.“
„Telshanach.“, meldete sich Joran. „Telzan ist Sytanias treuester Diener. Ich glaube nicht, dass …“ „Na da wäre ich mir nicht so sicher, Joran.“, fiel ihm Jenna ins Wort. „Der hängt nämlich auch an seinem Leben und wenn er merkt, dass seiner Herrin ihre Macht auch nicht mehr gehorcht, weil die Dimensionen ihre geistigen Befehle einfach nicht mehr verstehen, laienhaft ausgedrückt, dann wird er schon merken, was er davon hat und wenn er dann auch nur den Hauch einer Chance in unserer Mission sieht, dann wird er schon das Richtige tun. Vertrau mir. Ich kenne Telzan ja auch. Wenn es wirklich hart auf hart kommt, dann ist auch er sich selbst der Nächste.“
Shimar hatte Jennas Theorie gespannt gelauscht. Genau das Gleiche hat Rudi auch gesagt., dachte er bei sich. Und wenn Jenn’ genau die gleiche Theorie aufstellt, dann hatte er vielleicht sogar Recht!
Kissara war zu uns getreten. „Ich vertraue Logar und auch dir, Iranach.“, sagte sie. „Und auch die Ausführungen von Techniker McKnight klingen plausibel für mich. Deshalb werde ich Ihnen, Allrounder Scott, auch diese Mission zubilligen. Iranach, du wirst sie begleiten wollen, denke ich. Du kennst ja die Gegebenheiten. Wir fliegen mit der Granger ins Dunkle Imperium und operieren von dort aus. Zirell, wenn du mir einen Aufklärer zur Unterstützung mitgeben könntest, wäre ich dir sehr dankbar. Die Situation ist knifflig und man weiß bei Sytanias Vendar ja nie.“ „Sicher.“, sagte Zirell und deutete auf Shimar und Jenna: „Jenna, Überprüfe Shimars Schiff! Shimar, wenn deine Gesundheit es erlaubt, wirst du die Granger begleiten!“ „OK, Zirell!“, sagten Jenna und Shimar und waren aus dem Raum.
„Was ist mit mir?“, fragte Scotty aus dem Hintergrund. „Es tut mir leid, Mr. Scott.“, sagte Maron diplomatisch. „Aber seit Sie für eine zivile Firma auf Celsius arbeiten, gelten Sie als Zivilist und dürfen Ihrer Frau leider nicht zur Seite stehen. So sind leider die Vorschriften.“
Kommentarlos setzte mein Mann sich wieder hin. Er hatte es nicht gezeigt, aber in ihm war bereits ein Plan gereift, wie er diese Vorschrift umgehen würde. Ich geb‘ denen gleich ’n Zivilisten!, dachte er. Aber ’n Anständigen!
„Dann dürfte jetzt ja alles geklärt sein.“, sagte Zirell. Alle nickten. „Also dann.“, sagte Kissara und winkte Mr. Jannings, der sich gemeinsam mit seiner Assistentin aufmachte, die Granger zu überprüfen. Wenn das geschehen wäre, würden wir sofort aufbrechen.
Auch Shimar war zu IDUSA gegangen. Dort hatte er Shannon getroffen, die bereits gemeinsam mit Jenna dabei war das Schiff zu warten. „Ich kann gar nicht glauben, dass sie wirklich noch existiert!“, sagte er und nahm die technische Assistentin fest in die Arme. „Gerade dir hätte ich das am wenigsten zugetraut, Shannon. Ich hätte nicht gedacht, dass du auf so einen Trick kommen würdest, wo du dich doch selbst immer als recht dumm darstellst. Aber das bist du nicht. Lass dir das von einem Telepathen gesagt sein!“ „Geschenkt.“, sagte die blonde Irin. „Aber sag mir bitte nich’, du warst gerade in meinem Kopf!“ „Keine Panik.“, beruhigte Shimar sie. „Das würde ich nie tun, ohne dich vorher zu warnen. Das weißt du doch. Aber jetzt muss ich machen, dass ich wegkomme! Sonst kriege ich noch einen gewaltigen Anpfiff von Commander Kissara, weil ich zu sehr rumgetrödelt habe.“ „Schon OK.“, sagte O’Riley. Dann sah sie zu, wie Shimar sein Schiff bestieg.
Hier fühlte sich alles so wunderbar vertraut an! Aber nicht nur Shimar schien froh zu sein, dass sie wieder zusammen waren. Als er seinen Neurokoppler in den Port gesteckt hatte, empfing ihn ein überglücklicher Avatar, der es sich nicht nehmen ließ, ihm das Gefühl einer festen Umarmung zu geben. „Shimar!“, rief sie aus. „Ich hätte nie gedacht, dass ich Sie je wiedersehen würde. Nachdem unser Commander mir sagte, Sie seien tot, wäre ich beinahe verschrottet worden, wenn Ms. O‘Riley nicht gewesen wäre. Aber ich hätte nie gedacht, dass es unseren Freunden gelingen könnte, Sie aus dem Reich der Toten zurückzuholen!“ „Eine lange Geschichte.“, sagte Shimar. „Aber die werde ich dir auf dem Flug erzählen. Zeig mir die Steuerkonsole und lass uns starten! Ich will die Granger nicht länger als nötig auf uns warten lassen.“
IDUSAs Avatar nickte und zeigte ihm auch die Konsole, den Befehl zum Start führte sie aber nicht aus. „Na komm!“, sagte Shimar. „Was ist denn?“ „Ich kann nicht.“, sagte das Schiff. „Da ist jemand an der Luke.“ „Wer ist es?“, fragte der junge Tindaraner. „Es ist Mr. Scott.“, sagte IDUSA. „Öffne deine Luke einen Spalt!“, befahl Shimar. Dann stand er auf und drehte sich in Richtung der gerade genannten Luke, um Scotty entgegenzuschmettern: „Was willst du hier?! Hast du nicht mitbekommen, was dir Maron gesagt hat?!“ „Natürlich habe ich das, Junge!“, sagte Scotty. „Aber dein Agent übersieht total, dass ich mal für den selben Verein gearbeitet habe wie meine Frau, beziehungsweise deine Freundin, auch wenn das schon knapp 1000 Jahre her ist. Aber wir sollten nich’ päpstlicher sein als der Papst, wenn du mich fragst! Betsy könnte uns beide brauchen, Junge! Uns beide, hörst du?! Also stell dich nich’ so an und nimm den alten Scotty gefälligst mit!“ „Das darf ich nicht!“, sagte Shimar. „Maron wird seine Gründe haben, warum du nicht mit darfst und Zirell hat ihm ja auch nicht widersprochen.“ „Die hat das glaube ich gar nich’ mitgekriegt!“, sagte Scotty. „Sonst hätte sie bestimmt was gesagt! Ich weiß, dass IDUSA nich’ starten kann, solange noch jemand in der Schleuse steht! Deshalb werde ich so lange hier stehen bleiben, bis du dich entschließt, mich endlich einsteigen zu lassen!“
Das Schiff zeigte Shimar eine laufende Sanduhr. Damit wollte sie ihm wohl andeuten, dass die Zeit drängte. „Beam Scotty irgendwo hin auf dem Freizeitdeck, IDUSA!“, befahl Shimar seinem Schiff. „Er ist zu nah.“, entgegnete sie. „Ich habe den Eindämmungsstrahl meines Transporters bereits soweit eingeengt, wie es mir möglich war. Aber so dicht an der Luke kann ich nicht beamen. Mr. Scott steht sozusagen im toten Winkel der Sensoren.“ „Verdammt!“ zischte Shimar. „Dann müssen wir das wohl anders machen!“
Er begann damit, sich auf das Bild von Scotty zu konzentrieren, wie dieser langsam in Richtung Freizeitdeck schwebte. Allerdings fühlte es sich für ihn so an, als würde er ins Nichts fassen. Seine mentale Energie schien einfach durch Scotty hindurchzugehen. IDUSA, die dies ja zwangsläufig mitbekam, da Shimar ja den Neurokoppler trug, hatte sofort begonnen, Scotty zu untersuchen. Bald hatte sie den Grund dafür gefunden.
„Bitte verschwenden Sie nicht länger Ihre Energie, Shimar!“, bat sie. „Es scheint mir, als hätte Mr. Scott sich das Gift der weiblichen Schlangenmenschen aus dem Dunklen Imperium gespritzt. Sie wissen, das Gift der Männer ist einfach nur tödlich. Aber das der Frauen verändert die Zellen so, das mentale Energie nicht haften kann. Bitte verausgaben Sie sich nicht länger.“
Shimar ließ von seinem angestrengten Vorhaben ab. Dann raunte er Scotty zu: „Steig ein, bevor ich es mir noch wieder überlege.“
Mein Mann betrat lächelnd das Cockpit und IDUSA schloss die Tür hinter ihm. Dann starteten sie doch noch. „Was hättest du denn tun wollen?“, erkundigte sich Scotty. „Dein Schiff konnte nich’ beamen und du konntest mich auch nich’ da wegbekommen. In der Enge wolltest du bestimmt auch keinen Nahkampf riskieren. „Ich hätte IDUSA immer noch befehlen können, Maron Bescheid zu geben. Der hätte dich dann festnehmen können.“, sagte Shimar. „Aber das wolltest du nich’.“, sagte Scotty. „Das sehe ich dir doch an deiner Nasenspitze an.“ „Erwischt.“, sagte Shimar. „Ich gestehe im vollen Umfang. Aber jetzt, IDUSA, musst du Scottys Lebenszeichen verschleiern. Lass dir was einfallen!“ „Keine Sorge.“, sagte das Schiff. „Ich bin ein Aufklärer des tindaranischen Militärs. Auf getarnte Operationen bin ich programmiert. Oh, Shimar, wir werden gerufen. Es ist Zirell.“ „Duck dich!“, rief Shimar Scotty zu, bevor er seinem Schiff befahl: „Gib sie her, IDUSA!“
Das Bild des Avatars vor seinem geistigen Auge wurde durch das von Zirell ersetzt. „Bist du allein?!“, fragte die Kommandantin. „Ja, das bin ich.“, log Shimar. „Merkwürdig.“, sagte Zirell. „Mir war gerade, als hätte ich einen weiteren Haarschopf gesehen, der merkwürdig abgetaucht ist.“ „Das wird eine Sensorenspiegelung gewesen sein.“, redete sich mein Freund heraus. „IDUSA hat darüber geklagt, dass einige ihrer internen Sensoren nicht richtig funktionieren und dieses Problem aufweisen. Es dürfte unsere Mission aber nicht gefährden. Jenna kann sich drum kümmern, wenn wir wieder zurück sind.“ „Ich finde seltsam, dass Jenna das vorher nicht aufgefallen ist.“, wunderte sich die Kommandantin. „Sie ist doch sonst immer so gründlich bei IDUSAs Wartung. Na, ich werde mal mit ihr reden.“ „Na ja.“, sagte Shimar. Auch unsere Göttin der Technik ist im Grunde nur ein Wesen aus Fleisch und Blut. Auch Jenn’ kann mal was übersehen. Aber diese Kleinigkeit ist doch nun wirklich nicht wichtig. Wir kommen schon klar! Aber warum wolltest du denn jetzt wirklich mit mir reden, Zirell?“ „Du benimmst dich ja, als wolltest du mich loswerden.“, stellte die ältere Tindaranerin fest. „Aber sei’s drum. Ich wollte dir nur sagen, dass du freie Hand hast, was deine Hilfe für die Granger angeht. Du musst nicht alles mit mir absprechen. Es können Situationen auftreten, in denen du gar nicht die Zeit dazu hast.“ „Ok, Zirell.“, sagte Shimar. „Danke!“ Dann beendete er die Verbindung.
Erleichtert bückte sich Shimar zu Scotty: „Komm raus!“ „Na endlich!“, sagte der terranische Ingenieur. „Ich kriegte da unten schon Rückenschmerzen.“ „Du hast’s nötig.“, sagte Shimar missmutig. „Hast du überhaupt eine Ahnung, was ich für dich riskiert habe? Deinetwegen habe ich meinen Commander hintergangen! Von der armen Jenn’ ganz zu schweigen. Für so was kann ich vors Kriegsgericht kommen und für illoyales Verhalten als Verräter abgeurteilt werden. Hast du über so was schon mal nachgedacht?! Das müsstest du ja eigentlich, wenn du behauptest, kein Zivilist zu sein.“
Scotty schluckte. „Es tut mir leid, Junge.“, sagte er und Shimar hatte durchaus das Gefühl, dass er es ehrlich meinte. „Darüber habe ich aus Liebe zu unserer Betsy wohl nicht nachgedacht. Friede?“ „Friede!“, sagte Shimar mit Überzeugung. „Mehr als dich entschuldigen kannst du ja nicht und ich kann dich hier ja wohl schlecht irgendwo vor die Tür setzen. Also gut. Arbeiten wir zusammen.“
Per virtuellem Display hatte IDUSA Shimar bedeutet, Scotty den zweiten Neurokoppler zu geben und ihn anzuschließen. Dann lud sie seine Reaktionstabelle und sagte zu beiden: „Ich hoffe aber, Gentlemen, dass Sie sich bewusst sind, dass Allrounder Scott die Prüfung zur Erlangung des Dolches des Vertrauens allein bestreiten muss. Die Versuchung wird groß sein, aber Sie dürfen ihr nicht helfen, soweit ich das verstanden habe.“ „Das hast du richtig verstanden.“, sagte Shimar. „Deshalb möchten Scotty und ich auch, dass du alles tust, um uns davon abzuhalten, wenn wir es versuchen sollten. Alles, was dir möglich ist, verstanden?!“ „Definitiv.“, sagte IDUSA. „OK.“, sagte Shimar und Scotty fügte bei: „Dann sind wir uns ja einig.“
Wir waren bald alle im Dunklen Imperium angekommen und Iranach und ich hatten uns von Techniker Jannings in der Nähe der Koordinaten absetzen lassen, an denen der Wald lag, in welchem die drei Lateiner wohnten. Die Vendar hatte es vorgezogen, die drei nicht sofort mit unserer Materialisierung zu konfrontieren. Sie hatte wohl Angst, sie könnten uns nicht vertrauen, wenn sie das sehen würden. So legten wir einen kleinen Teil des Weges zu Fuß zurück. Dabei konnte mich Iranach auch noch über einige Fakten informieren, was die drei anging. „Sie sind sehr dumm, Betsy El Taria.“, sagte sie. „Meines Erachtens sind sie auf dem Entwicklungsstand kleiner Kinder. Ich denke aber, dass uns gerade dieser Umstand einen Vorteil bietet. Sytania wird niemals versuchen, in ihren Geistern nach dem Rechten zu sehen. In ihrer Überheblichkeit ekelt sie sich regelrecht vor so viel Dummheit.“ „Das kann ich mir gut vorstellen, Iranach.“, sagte ich. „Und unsere Prinzessin auf der Erbse würde ja nichts tun, was sie anekelt. Dazu ist sie sich ja selbst viel zu schade. Sehr gute Strategie!“ „Ich danke dir für das Kompliment, Betsy El Taria.“, sagte Iranach. „Aber das mit der Prinzessin auf der Erbse musst du mir erklären. Eine Erbse ist doch viel zu klein, als dass eine Prinzessin auf ihr sitzen könnte.“ „Oh in dem Märchen, auf das ich mich gerade bezogen habe, hat sie ja auch nicht darauf gesessen, sondern darauf gelegen.“, erklärte ich. „Also jetzt kenne ich mich gar nicht mehr aus.“, sagte die Vendar. „Ich erzähle dir die Geschichte bei Gelegenheit.“, versprach ich.
Sie war plötzlich stehengeblieben und hatte tief Luft geholt. Dann rief sie: „Hey, Simplicissimus, Sophus und Pfiffikus, kommt raus aus eurem Versteck! Ich bin es! Eure Freundin Iranach!“
Es dauerte einige Sekunden. Dann hörte ich aus drei Richtungen das Rascheln von Buschwerk und drei Männer tauchten auf. „Du bist es wirklich!“, begrüßte sie einer. „Du bist es tatsächlich, Iranach. Aber Talan hat sich sehr verändert.“ „Das ist nicht mein Novize, Simplicissimus.“, sagte Iranach. „Das ist Betsy El Taria. Sie arbeitet für die Sternenflotte und ist hier, um den Dolch des Vertrauens zu erringen. Sophus, du hast doch eine sehr ruhige Hand. Bitte geh zu dem toten Baumstamm dort hinüber und ritze mit deinem Messer drei Ringe hinein, die ineinander liegen und somit immer kleiner werden.“ „Das habe ich nich’ verstanden.“, sagte der Angesprochene. Dann gab er Iranach sein Messer: „Bitte zeig mir, was du damit meinst.“ „Na gut.“, sagte die Vendar, ging zu dem Baumstamm und tat es selbst. „Ach so.“, sagte Sophus. „Jetzt verstehe ich.“
Iranach war zu mir zurückgekehrt. Dann hatte sie mich in Richtung des Baumstumpfes gedreht. „Warum hilfst du ihr so viel?“, erkundigte sich Pfiffikus. „Betsy El Taria verfügt über kein Augenlicht.“, sagte Iranach. „Aber das muss euch nicht weiter interessieren. Schafft jetzt am besten alle Dolche her, die es hier gibt. Wir werden den Richtigen schon finden.“ „OK.“, sagten die drei. „Wenn wir uns nur erinnern könnten, wo wir sie versteckt haben.“
Iranach gab einen schweren Seufzer von sich. „OK.“, sagte sie. „Ich werde mit euch suchen. Aber eigentlich könnte ja einer von euch bei Betsy bleiben.“ „Ich mach‘ das.“, sagte Simplicissimus. „OK.“, sagte Iranach und ging mit Sophus und Pfiffikus los.
Ich hatte durch die Unterhaltung mit den dreien einen ungefähren Eindruck ihrer geistigen Entwicklung erlangen können. Tatsächlich erinnerten sie mich irgendwo viel mehr an den kleinen James, als an erwachsene Männer. „Wie willst du das denn anstellen, Betsy?“, fragte mich der Räuberhauptmann. „Du kannst doch die Zielscheibe gar nich’ sehen.“ „Nein, Simplicissimus.“, sagte ich. „Aber das muss ich auch nicht. Auf dem Dolch ist ein Rätsel und wenn ich das richtig gelöst habe, dann muss ich dem Dolch nur vertrauen. Seinen Weg wird er dann ganz allein finden.“ „Das glaube ich nich’.“, sagte Simplicissimus. „Wie soll denn ’n Dolch seinen Weg allein finden?“
Mit einem Handwagen voller Dolche waren Iranach und die beiden Kumpane von Simplicissimus bald zurück. „Welcher war das jetzt noch?“, fragte Sophus. „Die sehen alle so gleich aus.“ „Das werden wir bald sehen.“, sagte Iranach und gab mir den ersten Dolch in die Hand.
„Ich helfe dir, Betsy!“, rief Simplicissimus plötzlich und rannte auf den Baumstamm zu. Im gleichen Moment aber packte ihn die Vendar am Kragen, hob ihn hoch, schleuderte ihn herum und setzte ihn mit einer solchen Wucht wieder auf dem weichen Waldboden ab, dass seine beiden Füße ca. 20 cm darin einsanken. Das war für Iranach ja kein Problem. Immerhin hatte sie die Stärke von fünf durchschnittlichen menschlichen Frauen. Dass sie ihm dabei aber nicht beide Knöchel brach oder mindestens verstauchte, grenzte für mich schon an ein kleines Wunder. „Aus dem Weg, du Narr!“, schrie sie ihn an. „Oder willst du etwa durchbohrt werden?!“ Der arme Mann gab einen leisen negierenden Laut von sich. „Ich wollte ihr doch nur helfen.“
Iranach wollte zu einer weiteren Standpauke ansetzen, aber ich sagte nur: „Warte! Ich werde es ihm erklären.“ „Also gut.“, sagte Iranach. „Dann versuch mal dein Glück. Ich bin mit meiner Geduld am Ende.“
Ich drehte mich zu Simplicissimus und sagte: „Pass auf. Die Quellenwesen haben den Dolch des Vertrauens gemacht. Sie haben da was eingebaut, damit er den Weg finden kann. Die anderen Dolche können das natürlich nicht, weil sie von Menschenhand gemacht sind. Aber das bedeutet, wir müssen darauf vertrauen, dass die Quellenwesen schon alles richtig gemacht haben und das tue ich. Du musst mir also nicht helfen, auch wenn ich das total lieb von dir finde. Aber es ist alles OK.“ „Na gut.“, sagte Simplicissimus. „Aber sag Iranach bitte, sie soll mich wieder ausgraben. Ich verspreche auch, dass ich mich nie wieder einmischen werde und meine Leute auch nich’. Wir haben ja gesehen, was sie dann mit uns macht.“ Ich nickte ihm nur zu und sagte dann zu der Vendar: „Du hast ihn gehört, Iranach. Ach, nimm doch bitte noch meine Ausrüstung in Verwahrung, damit ich wirklich nicht schummeln kann. Damit gab ich ihr die Bauchtasche mit meiner Ausrüstung. „Wie du wünschst, Betsy El Taria.“, sagte Iranach und steckte die Bauchtasche ein. Dann sagte sie zu Sophus: „Bitte geh und besorge mir einen Spaten oder eine Schaufel.“ Sophus nickte und ging in Richtung Höhle davon.
Ich hatte meine rechte Hand gehoben, in der sich der Dolch befand. Dann hatte ich mir die Zielscheibe vorgestellt und meinen Griff gelockert. Aber der Dolch war einfach nur heruntergefallen. „Der war es also nicht.“, sagte Iranach und gab mir den nächsten Kandidaten. So ging es eine ganze Weile fort.
Scotty und Shimar hatten dies auch von Bord des tindaranischen Schiffes beobachtet. „Uns läuft die Zeit weg!“, stellte mein Mann fest. „Hilf ihr doch! Ich meine, du bist Telepath! Du müsstest doch spüren können, welches der Richtige ist.“ „Wir dürfen uns nicht einmischen!“, erinnerte Shimar ihn. „Was glaubst du, wie schwer das gerade für mich ist. Aber wir …“
Es gab ein lautes Zischen und dann eine Rauchwolke. Dann zeigte das Schiff Scotty eine Anzeige auf der technischen Konsole, die sie ihm gezeigt hatte, damit er ihre Systeme überwachen konnte. „Da is’ ’n Relais durchgebrannt!“, sagte er. „Und auch noch so ’n wichtiges! Es ist eines für die Lebenserhaltung. Wenn ich mich da nich’ kümmere, dann ersticken wir bald!“ „Die Wartungsschächte sind hinten.“, sagte Shimar.“ „OK.“, sagte Scotty, schnappte seine Werkzeugtasche, die er immer dabei hatte und ging los. Dabei murmelte er noch: „Mensch, Schiffchen, was machst du denn für Sachen!“
Kaum hatte Scotty allerdings das Cockpit verlassen, sackte IDUSA gefährlich ab. Shimar hatte alle Hände voll zu tun, sie wieder zu stabilisieren. „Wir sind in einen unberechenbaren Abwind geraten, Shimar.“, sagte sie. „Das muss bereits mit dem Untergang der Dimension zusammenhängen. Ich denke, die Atmosphäre wird instabil!“ „Das denke ich auch.“, sagte der junge Flieger und gab ihr den Gedankenbefehl zur Deaktivierung der elektronischen Trimmung, was ihm ermöglichte, ihre Atmosphärentriebwerke so zu steuern, dass er sie seitwärts aus der Strömung manövrieren konnte. Dann ließ er sie die Trimmung reaktivieren und zog sie wieder auf die Höhe, auf der sie vorher waren. „Wie konnte denn das passieren?“, fragte er. „Hast du die Strömung denn vorher nicht messen können? Und die Sache mit dem Relais. Wie konnte Jenna denn so etwas Wichtiges übersehen?“ „Aber Shimar!“, sagte das Schiff. „Haben Sie denn Ihren eigenen Befehl an mich etwa schon wieder vergessen?“ „Soll das etwa heißen, du hast das Relais mit Absicht überlastet und dich einfach fallen lassen, um uns abzulenken?“, fragte der tindaranische Flieger.
Bevor das Schiff antworten konnte, hatte Scotty wieder das Cockpit betreten. „Das war vielleicht komisch, Shimar.“, sagte er. „Wieso hat Jenna das beschädigte Relais übersehen und wieso hatte IDUSA das fertige Ersatzteil schon repliziert, als ich …“ „Jenn’ hat nichts damit zu tun!“, sagte Shimar. Aber wenn ich IDUSA sage, sie soll alles tun, um uns abzulenken, dann tut sie auch alles.“ „Ach so.“, sagte Scotty und strich mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand über einige leere Ports, wie er es bei Shimar schon oft gesehen hatte. „Gut gemacht, Schiffchen!“
Inzwischen hatten wir die Dolche auf nur noch einen reduzieren können, der auch bereits in meiner Hand lag. „Ich bin gespannt!“, sagte Simplicissimus. Im gleichen Moment erhob sich der Dolch von meiner Hand, ohne dass ich ihn geworfen hatte und landete direkt in der Mitte des mittleren Rings. „Das wird er dann wohl sein!“, sagte Iranach fest, ging zu dem Baumstumpf, zog ihn heraus und gab ihn mir. Dann gab sie mir auch meine Ausrüstung zurück und ich steckte beides wieder ein. Dann bedankten wir uns noch bei den drei Lateinern, aber als ich gerade wieder mein sprechgerät ziehen wollte, um Jannings Bescheid zu geben, hörte ich das Herannahen eines galoppierenden Pferdes. An der Silhouette hatte Iranach erkannt, dass es sich um Kipana handelte. Aber sie war auch noch gesattelt.
Jetzt kam sie auf uns zu und hielt genau vor mir an. Ihre Ohren schienen aufgeregt hin- und her zu wackeln, als würde sie nach etwas suchen. Sofort hatte ich meinen Erfasser gezogen. So wurde mir dann auch bald klar, wonach sie suchte. Offenbar hörte sie Logars Stimme in ihrem Geist, der ihr Kommandos gab, die sie sehr gut kannte. Da sie aber nicht wusste, was Telepathie war, lauschte sie in alle Richtungen. Aber nicht nur sie hatte wohl seine Stimme gehört. Auch derjenige, der sie gesattelt hatte, musste das getan haben. Jetzt aber hörte auch ich sie: Betsy, meine Freundin. Kipana wird dich zu Akantus tragen. Sitz auf und vertraue ihr.
Ich drehte mich Iranach zu, die Logars Anwesenheit ja sicher auch gespürt haben musste. „Ich verstehe schon, Betsy El Taria.“, sagte sie und half mir in den Sattel. Dann setzte sich Kipana mit mir in Bewegung. Ich vertraute ihr. Sie würde mich schon zu Akantus’ Höhle bringen und dann würde ich mir dort den Rest von der Granger herbeamen lassen.