An Times Zielort wälzte sich eine gewisse Königstochter in ihrem goldenen Nachthemd unruhig zwischen den Kissen ihres mit goldenen und silbernen Beschlägen verzierten Betts hin und her. Schon die halbe Nacht hatte Sytania so verbracht, ohne auch nur für einen kurzen Moment eingeschlafen zu sein. Die telepathische Wahrnehmung, die sie wachhielt, konnte sie beim besten Willen nicht einordnen. Es war ihr, als würde sie in eine Art mentalen Spiegel schauen. Aber das konnte doch nicht sein! Sie war immer Logars einzige Tochter gewesen! Sie hatte weder einen Zwilling, noch hatte sie weitere leibliche Geschwister, die sie so hätte wahrnehmen können. Der einzige Reim, den sie sich auf ihre Situation machen konnte, war jener, dass ihr Vater sie wohl versuchte auszutricksen. Die beiden waren schon immer Feinde gewesen und auch jetzt vermutete Sytania hinter ihrem Gefühl eine Kriegslist des Königs.
Schlaftrunken wankte sie aus dem Bett. Im fahlen Licht einer Laterne, die auf ihren Befehl hin immer von einer ihrer Zofen bereitgestellt werden musste, sah sie jetzt einen Schatten, der sich aus einem der niedrigeren schlichten Betten, die um das Ihre herumstanden, reckte. Sie erkannte die Statur Longinas, ihrer neuesten Zofe, die den Platz der in Ungnade gefallenen Elisa eingenommen hatte. Auch sie war ein imperianisches Bauernmädchen. Sie war ca. 13 Jahre alt, von kleinem gedrungenen Wuchs, hatte kurze schwarze Haare und trug ein derbes einfaches bleiches Nachthemd. Dass auch sie wach war, nahm Sytania allerdings erst zur Kenntnis, als sie von ihr mit ihrer immer leicht heiseren Stimme angesprochen wurde: „Kann ich Euch behilflich sein, Herrin?“
Sytania drehte sich etwas erschrocken um und erwiderte darauf nur: „Ach, Longina, du bist also auch wach. Du scheinst fürwahr eine meiner sensibelsten Dienerinnen zu sein. Die anderen schlafen tief und fest. Aber du kannst tatsächlich etwas für mich tun. Geh und hole mir Telzan her! Du wirst ihn am Tor finden. Er befehligt heute meine Vendar-Wachen selbst. Sag ihm, ich hätte etwas sehr Dringendes mit ihm zu besprechen, das keinen Aufschub duldet! Wenn du ihm das ausgerichtet hast, dann geh in den Park und bleibe dort, bis ich dir telepathisch etwas anderes befehle. Was ich mit meinen Vendar bespreche, geht dich ja schließlich nichts an und schon gar nicht, wenn es sich um Gespräche mit ihrem Anführer, meinem Vertrauten, handelt!“ „Wie Ihr wünscht, Gebieterin.“, sagte die Zofe und wollte sich gerade zum Gehen wenden, als ihr auffiel, dass ja auch Sytania noch ihre Nachtkleidung trug. „Verzeiht mir.“, sagte sie. „Aber soll ich Euch nicht lieber vorher ankleiden? Es könnte Telzan beschämen, wenn er Euch so sieht. Vielleicht …“ „Hast du nicht gehört, was ich dir gerade befohlen habe?!“, fragte Sytania scharf. „Telzan kennt mich in vielen Situationen. Er hat mich oft schon ganz anders gesehen. Rasch, du einfältiges Ding! Mach, dass du ihn holst!“ „Ich eile, Herrin!“, sagte Longina schnell und war aus der Tür. Es war ihr sichtlich unangenehm gewesen, so von Sytania zurechtgewiesen zu werden. Aber diese Standpauke hatte ihr gereicht. Sie würde nie wieder die Befehle der Imperianischen Prinzessin infrage stellen.
Eilig huschte sie durch die dunklen Gänge des Palastes. Sie hatte das Schloss bisher noch nie so still und so gruselig erlebt. Selbst sie hatte jetzt das Gefühl, als würde ihnen irgendetwas Schlimmes bevorstehen, obwohl sie, als eine einfache Imperianerin, ja keine telepathischen Fähigkeiten besaß. Dies lag nur in den Genen der Adeligen und erst recht in denen der königlichen Familie. Trotzdem hatte sie wohl vor irgendetwas eine unbestimmte Angst. Je näher sie dem Tor kam, desto mehr wünschte sie sich, sie würde einfach ihre Beine in die Hand nehmen und hindurchlaufen können. Aber dafür war ihre Angst vor einer Strafe dann doch zu groß.
Sie hörte das Klirren einer Rüstung hinter sich. Dann sagte eine männliche Stimme: „Bleib stehen, Mädchen! Dreh dich um, damit ich dich erkennen kann!“ Longina kannte die Stimme. Sie gehörte genau dem, den sie gerade suchte. Sofort tat sie, was er ihr gesagt hatte. Sie war sehr erleichtert gewesen, ihn endlich zu Gesicht zu bekommen. „Telzan, gut, dass ich dich gefunden habe!“, sagte sie und seufzte erleichtert auf. „Du bist Longina.“, wurde sie von dem Vendar identifiziert. „Du bist Sytanias neue Zofe. Was ist denn der Grund, aus dem du hier so mutterseelenallein das Schloss unsicher machst, hm?“ „Unsere Herrin schickt mich.“, sagte Longina. „Sie muss dringend mit dir sprechen, Telzan. Sie sagt, es dulde keinen Aufschub. Sie hat mir noch nicht einmal erlaubt, sie anzukleiden. Du wirst sie also auch im Nachtkleid sehen.“
Telzan machte eine Handbewegung, als wollte er ihren letzten Satz einfach wegwischen. Dann sagte er: „Das ist alles nicht so schlimm, Longina. Ich kenne Sytania in vielen Situationen. Aber es ist gut, dass du mir Bescheid gegeben hast.“
Er zog sein Sprechgerät und gab ein Rufzeichen ein. Dann erteilte er einem seiner Untergebenen den Befehl, seinen Posten am Tor einzunehmen, bis er zurück sei und ging in Richtung der großen Freitreppe, die zu Sytanias Gemächern führte. Longina ging in die andere Richtung davon. Wie es ihr Sytania gesagt hatte, würde sie eine Zeit im Schlosspark verbringen.
Telzan war vor Sytanias Schlafzimmer angekommen. Hier klopfte der Vendar an die Tür. Obwohl Sytania ihm ja das Herkommen befohlen hatte, wollte er nicht einfach so eintreten. „Tritt ein, Telzan!“, rief es von drinnen, worauf der Vendar die schwere Tür aus imperianischem Eichenholz vorsichtig öffnete und das Zimmer betrat.
Die Prinzessin saß auf ihrem Bett. Telzan näherte sich langsam. „Wie kann ich Euch helfen, Milady?“, fragte er. „Es ist etwas sehr Merkwürdiges geschehen, Telzan.“, sagte Sytania. „Etwas, auf das ich mir beim besten Willen keinen Reim machen kann. Ich habe das Gefühl, in meinen telepathischen Spiegel zu sehen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie so etwas möglich ist. So eine Wahrnehmung hatte ich noch nie.“
Telzan holte eine Tasche hinter seinem Rücken hervor, die er immer zusätzlich bei sich hatte, wenn er seine imperianische Rüstung trug. Sie enthielt seine gesamte technologische Ausrüstung. Aus dieser Tasche zog er nun seinen Erfasser und gab dem Gerät einige Befehle ein. Dann sagte er zu Sytania: „Bitte erlaubt mir Euch zu untersuchen. Ich denke, dann werden wir beide viel klarer sehen.“ „Tu, was du gerade vorgeschlagen hast!“, befahl Sytania.
Telzan richtete seinen Erfasser auf den Körper seiner Gebieterin. Dann befahl er dem Gerät mittels Auswahl einiger Symbole im Menü, die gesammelten Daten zu interpretieren. Das Ergebnis aber stimmte ihn sehr nachdenklich. „Hm.“, überlegte er und kratzte sich am Kopf. „Ich denke, ich sollte den Erfasser einer Selbstdiagnose unterziehen.“ „Wie kommst du darauf, Telzan?“, fragte Sytania. „Weil er mir hier etwas sagt, das meiner Meinung nach überhaupt nicht sein kann.“, antwortete der Vendar. „Laut meinem Erfasser nehmt Ihr Euch tatsächlich selbst wahr. Aber das ist unmöglich, weil es meines Wissens keine zweite Sytania gibt.“ „Eine zweite Sytania wäre ja auch noch schöner!“, fuhr die Königstochter ihn an. „Das wäre für mich wie ein Stachel im Fleisch! Ich bin und bleibe ich und ich bin und bleibe einzigartig! Wenn es eine zweite Sytania gäbe, dann fehlte ja nur noch, dass ich vielleicht sogar meine Macht mit ihr teilen müsste! Igitt! Was für eine schreckliche Vorstellung!“ „Ich kann mir vorstellen, dass das für Euch keine sehr beruhigende Vorstellung ist.“, versuchte Telzan seine Herrin, die schon fast in Raserei war, zu beruhigen. „Aber vielleicht ist es ja auch gar nicht so. Vielleicht ist ja auch nur dieses Gerät kaputt. Seht mal.“
Erneut betätigte er die Menütaste des Erfassers, aber dieses Mal tat er es direkt vor Sytanias Augen. Dann wählte er den Punkt für die Selbstdiagnose aus und bestätigte ihn.
„Das kann jetzt eine Weile dauern.“, sagte er. „Aber ich glaube nicht. Dass es an dem Gerät liegt. Ihr wisst, dass auch wir Vendar in der Lage sind, etwas Telepathisches zu spüren. Sonst könnten wir ja unserer Aufgabe als Telepathenjäger wohl schlecht nachkommen. Was ich die ganze Zeit spüre, würde Eure Wahrnehmung nur bestätigen und die Analyse des Erfassers obendrein. Wir, also der Erfasser und ich, können uns zwar nicht erklären, was hier passiert ist, aber das könnte sich ändern, wenn Ihr mir erlaubt, in meine Garnison zurückzukehren und meine Frau zu unterrichten. Sie ist nicht nur meine Stellvertreterin, sondern auch die Führungsoffizierin jedes Spions, den wir in den feindlichen Reihen haben. So können wir zum Beispiel einen Streich Eures Vaters sicher ausschließen.“ „Und was ist mit der Föderation und ihren Verbündeten, he?!“, stieß Sytania wütend hervor. „Die haben ja auch sehr starke Telepathen unter ihren Freunden und die wären sicher durchaus in der Lage, mir so einen Streich zu spielen! Aber warte! Die sollen mich kennen lernen!“
Es gab einen schwarzen Blitz und Telzan hatte das Gefühl, das gesamte Schloss würde sich vom Boden erhoben haben. Als der Vendar aber aus dem Fenster sah, war kein Höhenunterschied zum Park wahrzunehmen. „Was habt Ihr getan, Herrin?“, fragte der etwas verunsicherte Vendar. „Ich habe das Schloss mitsamt seinem Park in die Luft erhoben!“, sagte Sytania. „Ich werde es so lange schweben lassen, wie es braucht, um dem Schuldigen an diesem Streich meine Macht zu beweisen! Es war mein Vater! Es kann nur mein Vater gewesen sein! Mein Vater und vielleicht noch einige seiner Freunde! Vielleicht sogar die Aldaner, oder …“ „Bitte vergesst nicht, Herrin, selbst Euer Vater gilt als unschuldig, bis das Gegenteil bewiesen ist. An Eurer Stelle würde ich ihn nicht fälschlich beschuldigen, bis ich seine Schuld oder auch seine Unschuld zweifelsfrei beweisen kann. Ihr habt erst einen Krieg gegen ihn verloren. Erinnert Euch bitte daran! Cirnach und die Spione werden sicher alles daran setzen. Nur lasst mich bitte machen und riskiert nichts. Dieses ganze Gebiet über einen so langen Zeitraum im Schwebezustand zu halten, wird Euch viel Kraft kosten. Ich flehe Euch an. Beendet das!“ „Das werde ich nicht tun!“, rief Sytania aus. „Das käme ja einem Eingeständnis von Schwäche gleich! Nein, nein, Telzan. Du und deine Leute, ihr werdet dann eben jeden Telepathen aussaugen, dem ihr habhaft werden könnt, um mir genug Energie zu beschaffen! So und nun geh und kümmere dich um die Beweise!“ „Wie Ihr wünscht, Gebieterin.“, sagte Telzan missmutig und verließ den Raum. Er wusste, dass es Wahnsinn war, was Sytania da gerade tat. Aber er wusste auch, dass er nur eine Möglichkeit hatte, dies zu beenden und das war das Erbringen von Beweisen. Anders ging es einfach nicht. Von allein würde sie nicht einlenken. Das war ihm längst klar.