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Nugura und ihr Sekretär waren inzwischen auch wieder in ihren Büros auf der Regierungsbasis eingetroffen. Sofort hatte Nugura das Büro Sarons aufgesucht, was dem Sekretär zunächst etwas seltsam erschien. Sie hatte ihm zwar gesagt, sie wolle mit ihm reden, aber im Normalfall bedeutete das, dass er zu ihr kommen musste. Deshalb mutete es für den Demetaner noch umso merkwürdiger an. Er beschloss jedoch, keine unnötigen Fragen zu stellen, sondern die Situation einfach auf sich zukommen zu lassen.

Die Präsidentin setzte sich zu ihm. Dann sagte sie: „Ich muss Ihnen ein großes Lob aussprechen, Mr. Saron. Deshalb bin ich auch zu Ihnen gekommen und habe Sie nicht zu mir zitiert. Mit Ihrer Aktion haben Sie Benevidea wahrscheinlich das Leben gerettet. Das beweist viel politischen Weitblick Ihrerseits. Es wird es Time sehr erleichtern, mit ihren Verwandten zu verhandeln und meine offizielle Entschuldigung zu übermitteln. Aber woher hatten Sie eigentlich so schnell die richtigen Informationen? Woher wussten Sie so genau, was zu tun war. Soweit mir bekannt ist, reiten Sie in Ihrer Freizeit nicht und haben auch sonst nicht viel mit Pferdeartigen zu tun gehabt in Ihrem Leben.“ „Ach, Sea Federana, wenn man viel liest, dann ist es ein Leichtes, an solche Informationen zu kommen. Außerdem denke ich, dass Ihnen aufgefallen sein sollte, dass ich immer viel Urlaub beantrage, wenn es Sommer auf der Erde in dem Gebiet wird, in welchem Little Federation liegt. Scientist Cupernica veranstaltet dann nämlich immer einen Kurs für Erste Hilfe, in dem es um alle möglichen Spezies geht. Dazu melde ich mich jedes Jahr wieder an. Man kann ja nie wissen, wozu es gebraucht wird. An die Politik habe ich während meiner Aktion aber weniger gedacht. Ich sah einfach nur ein Wesen in Not.“ „So einer sind Sie also.“, lächelte Nugura. „Immer fleißig und immer arbeitsam und bestrebt, immer zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein. Dabei sollen Sie sich während Ihres Urlaubs doch erholen!“ „Oh das ist Erholung für mich, Präsidentin.“, erklärte Saron und lächelte erneut. „Es macht mir Spaß zu lernen und wenn ich mich dabei noch verdient machen kann, ist das noch besser.“ „Ach, Sie haben schon interessante Sichtweisen zu manchen Dingen, Mr. Saron.“, lächelte Nugura.

Sarons Gesicht wurde plötzlich wieder todernst. „Wie werden Sie eigentlich mit Mr. Barnaby umgehen, Präsidentin? Nach dem, was er Benevidea angetan hat und nach seinem Verhalten nach dieser Tat, können Sie ihn ja meiner Meinung nach nicht mehr in der verantwortungsvollen Position Ihres Chefleibwächters beschäftigen. Ich weiß, es steht mir nicht zu, so über eine Situation zu urteilen. Ich bin nur Ihr Sekretär. Ich bin für die Abwicklung Ihrer Termine und Ihrer Post zuständig. Aber …“ „Sie sind aber ganz insgeheim der beste Berater, den ich je hatte und je haben werde, Saron!“, fiel sie ihm energisch ins Wort. „Mit Ihren Fähigkeiten kommt kein Offizieller mit! Die sind alle viel zu glatt, Mr. Saron. Sie sind viel näher an der Basis und vielleicht auch, weil Sie ebenso nah an mir sind, trauen Sie sich manche Spitze, die sich keiner meiner offiziellen Berater trauen würde! Was würden Sie an meiner Stelle mit Mr. Barnaby tun?“ „Ich würde ihn entlassen, Präsidentin.“, sagte Saron leise. „In seinem Zustand ist er meines Erachtens viel zu gefährlich.“ „Zwei Seelen, ein Gedanke, Mr. Saron.“, sagte Nugura anerkennend. „Sie haben schon die richtige Sicht auf die Dinge und deshalb vertraue ich Ihnen ja auch so sehr. Genau das werde ich tun müssen und jemand anderes wird an seine Stelle rücken. Ich frage mich nur, woher er plötzlich dieses Lasso hatte. Er muss es ständig bei sich getragen haben. Wahrscheinlich war es von Anfang an seine Absicht, irgendwann einmal ein Einhorn zu verletzen, um mir zu beweisen, dass er mich auch vor den Mächtigsten schützen kann. Aber das habe ich nie verlangt! Ich habe mich niemals von den Einhörnern bedroht gefühlt. Das war alles nur in seinem Kopf. Hätte ich das vorher geahnt, dann hätte ich …“ „Wir können es nicht mehr rückgängig machen, Sea Federana.“, sagte Saron ihr ins Wort fallend, was sonst eigentlich nicht seine Art war. „Wir können nur noch den Schaden begrenzen. Hoffentlich kann Times Ärztin die arme kleine Benevidea heilen. Das würde seine Position in jedem Fall schon sehr verbessern.“ „Das würde es, Mr. Saron.“, erwiderte Nugura. „Das würde es auf jeden Fall.“

Das Sprechgerät hatte zu piepen begonnen und somit ihrer Unterhaltung ein abruptes Ende gesetzt. Saron hatte sich ihm sofort zugewandt und das Rufzeichen der vendarischen Garnison, die Logar gehörte, erkannt. „Was hat das zu bedeuten?“, wunderte er sich halblaut. „Warum will Iranach mit uns persönlich Kontakt aufnehmen? Steht ihr dieses Recht überhaupt zu?“ „Nun, wir werden nie herausfinden, was der Grund für ihren Ruf ist, wenn Sie das Gespräch nicht annehmen, Mr. Saron.“, sagte Nugura und zwinkerte ihm aufmunternd zu. „Wie Sie wünschen, Präsidentin.“, sagte der Sekretär, nahm das Mikrofon in die rechte Hand und drückte die Sendetaste. Dann sagte er: „Büro der Präsidentin der Föderation der vereinten Planeten, Sie sprechen mit Sekretär Saron.“ „Ich grüße dich zum zweiten Male, Saron El Demeta.“, kam es zurück. „Ich bin Talan, ein Schüler der Iranach, der Obersten Vendar und Vertrauten des Logar El Imperia. Ich muss dringend mit deiner Präsidentin sprechen! …“

Er stutzte plötzlich, was Saron nicht entgangen war. Ganz Demetaner hatte er sich sofort in seinem Verständnis angesprochen gefühlt. Seine Instinkte hatten ihm verraten, dass er diesem Jungen unbedingt helfen musste und das würde er jetzt auch tun. „Ist etwas nicht in Ordnung?“, fragte er. „Wie man es nimmt, Saron El Demeta.“, sagte Talan, der sich aus ihm selbst noch unerfindlichen Gründen bei Saron sehr sicher und gut aufgehoben fühlte. „Bitte sag mir doch, wo sich deine Präsidentin befindet. Ist sie noch im Thronsaal?“ „Im Thronsaal?“, fragte Saron irritiert zurück. „In welchem Thronsaal sollte sie denn sein? Meinst du etwa den Plenarsaal unseres Parlaments? Ich weiß ja, dass du aus einer völlig anderen Herrschaftsstruktur kommst und es dir deshalb oft schwerfällt, demokratische Zusammenhänge zu erfassen. Aber gemeinsam werden wir das hier schon hinbekommen. Sag mir doch bitte einfach erst einmal, was dich so verwirrt hat. Du machst nämlich einen Eindruck, als wärst du völlig durcheinander, mein Junge.“ „Also gut.“, sagte Talan. „Aber bevor ich beginne, Saron El Demeta, möchte ich gern von dir wissen, ob du dir vorstellen kannst, dass sich deine Präsidentin und Sytania ineinander verliebt haben könnten.“

Saron hatte sehr wohl mitbekommen, wie schwer der letzte Satz dem Vendar-Teenager über die Lippen gekommen war. Offensichtlich ahnte Talan bereits, dass dies nicht gut ankommen könnte. Umso überraschter war er, als Saron ein freundliches Gesicht machte und sagte: „Aber nein, Talan. Da kann ich dich beruhigen. Präsidentin Nugura ist verheiratet und zwar mit einem Mann. Sie hat noch nie eine Beziehung mit einer Frau gehabt, soweit mir bekannt ist. Ich bin ihr Sekretär. Ich wüsste so etwas. Darauf kannst du dich verlassen. Außerdem würde sie schon gar nichts mit Sytania, unserer Erzfeindin, anfangen. Jeder weiß doch, wie das enden würde. Unsere Wissenschaftler sind sich alle darin einig, dass Sytania nicht in der Lage sein dürfte, Liebe zu empfinden. Das weiß auch Nugura. Wenn sie sich mit jemandem zusammentäte, dann täte sie das nur aus kalter Berechnung und nur so lange, wie es ihr selbst einen Vorteil brächte. Nugura weiß das auch. Da musst du wirklich keine Angst haben. Sie würde auf keinen Fall auf einen Liebesschwur von Sytania hereinfallen. Da hat sich wohl jemand einen bösen Scherz mit dir erlaubt. Jemand, dem es offenbar Spaß macht, arme kleine Vendar-Jungen zu erschrecken. Aber erzähl doch mal von Anfang an. Deine Andeutung mit dem Thronsaal und der Liebe zu Sytania macht uns nämlich neugierig. Nugura ist übrigens gerade bei mir und könnte uns zuhören, wenn du kein Problem damit hast.“ „Das habe ich in der Tat nicht, Saron El Demeta.“, sagte Talan, der jetzt sicher war, dass ihm niemand seine Worte übelnehmen würde.

Saron schaltete das Sprechgerät auf Lautsprecher. Dann sagte er: „So, Talan. Jetzt können wir uns alle gegenseitig hören. Also. Nun noch mal ganz von vorn. Was hast du gesehen, als du das erste Mal mit uns gesprochen haben willst.“ „Ich sah ein kleines Büro so wie deines.“, begann der junge Vendar. „Aber dann sagtest du mir, die Präsidentin befände sich im Thronsaal. Dann hast du mich zu ihr durchgestellt. Das Bild hat sich verändert. Sie schien wirklich in einem Thronsaal zu sein. Die Decke war sehr hoch. Das konnte ich sehen. Der Saal sah aus wie der in Sytanias Schloss. Da war ihr Thron in der Mitte und darauf waren aber zwei Plätze. An den Wänden war Sytanias Wappen. Aber es bestand aus zwei geflügelten Schlangen, die gerade dabei waren, zwei geflügelte Löwen zu töten. Normalerweise ist es doch nur eine Schlange, die es gleich mit zwei Löwen aufnehmen will, oder irre ich mich da? Ach, ich bin ganz durcheinander!“ „Das ist alles nicht so schlimm.“, tröstete Saron. „Du machst das ganz toll. Ich kann dir bisher sehr gut folgen. Du hast Recht. Normalerweise gibt es nur eine Schlange. Aber lassen wir das mal dahingestellt. Erzähl mir mehr! Ich höre dir zu. Was war da noch? Kannst du mir noch mehr von dem Raum beschreiben?“ „In der Tat.“, sagte Talan. „In einer Ecke gab es einen Audienztisch. An dessen Kopfseite war eine Krone eingelassen. Auf einem Platz daneben saß Nugura vor einem Sprechgerät. Dort hat sie auch das Gespräch entgegengenommen. Ich sagte ihr, dass Logar und Sytania sich ein Muskelspiel ihrer Macht liefern, indem sie ihre Schlösser mittels ihrer geistigen Fähigkeiten mit allem, was sich darum herum und darin befindet, in die Lüfte erhoben haben und sie dort belassen. Das ist aber sehr gefährlich, weil es sie sehr viel Energie kostet und sie in ihrer Konzentration nie nachlassen dürfen. Sonst stürzen die Schlösser sofort wieder ab und es gibt Tote und Verletzte. Damit ihre Energie nicht versiegt, müssen wir Vendar noch mehr Telepathen jagen, um von ihnen Energie zu erbeuten. Wir, Logars Vendar, würden niemals Energie von denen nehmen, die sie uns nicht freiwillig geben, aber Sytanias Vendar sind skrupellos! Sie würden auch eure Völker überfallen und sobald die sich mittels ihrer eigenen Kräfte wehren würden, würde die Energie ja automatisch zu dem Vendar fließen, der angreift. Das bedeutet, der arme Telepath würde sofort ausgesaugt. Ich denke, daher kommt auch die Legende, dass ein Vendar einen Telepathen sofort aussaugt, wenn dieser freiwillig Kontakt mit ihm aufnimmt. Aber …“

Er hatte mitten im Satz die Sendetaste losgelassen, was für Saron ein eindeutiges Zeichen war, dass er sich dessen Hilfe doch sehr wünschte. Offenbar war die ganze Situation dem Jugendlichen über den Kopf gewachsen und seine Ausbilderin hatte das wohl auch nicht ändern können. Deshalb übernahm der Sekretär jetzt wieder die Kontrolle über das Gespräch und gab einen beruhigenden Laut von sich, nachdem er seinerseits die Sendetaste gedrückt hatte. Dann sagte er: „Ist ja gut, mein Junge. Wir finden es ganz mutig von dir, dass du uns gewarnt hast. Aber jetzt sag mir doch noch, wie du darauf kommst, dass sich Nugura in Sytania verliebt hat.“ „Sie hat es selbst gesagt, Saron El Demeta.“, sagte Talan. „Deine Vorgesetzte hat es selbst gesagt. Sie sagte, ihre geliebte Sytania würde so etwas ihren Untertanen nie antun! Aber wir beide wissen es doch besser, Saron El Demeta, nicht wahr? Wir beide wissen doch, zu was für Taten Sytania in der Lage ist, wenn es ihr hilft. Wir wissen doch beide, dass sie über Leichen gehen würde!“ „Das stimmt.“, sagte Saron. „Das würde sie definitiv. Was für einen Eindruck hat meine Vorgesetzte auf dich gemacht, Talan? War sie in deinen Augen souverän?“ „Nein, Saron El Demeta.“, sagte Talan, der inzwischen durch seine Verzweiflung den Tränen nah war. Sicher war es für einen Vendar eigentlich unschicklich, seine Verzweiflung und damit seine Verwundbarkeit offenzulegen, aber er wusste, Saron war ein Freund und er konnte keine seelische Wunde heilen, von der er nichts wusste. Talan wusste, dass es dem Demetaner durch seine Worte und seine Art längst gelungen war, zu weit in seine verängstigte Seele vorzudringen. Jetzt abzublocken würde nichts mehr bringen. Deshalb sagte er: „Nein, Saron El Demeta. Wenn ich ehrlich sein darf, dann kam sie mir eher vor wie ein naiver gerade zum ersten Mal frisch verliebter Teenager. Ich muss das ja wissen. Ich bin ja selbst gerade in dem Alter. Ich bin zwar kein Mädchen, aber …“ „Na gut.“, sagte Saron. „Fassen wir also zusammen. Die Nugura, mit der du gesprochen hast, lebt in einem Schloss, ist total naiv und noch dazu ist sie in Sytania verliebt und kann ihre wahren Absichten nicht erkennen, weil ihre rosarote Brille ihr total den Blick für das Wesentliche verstellt. Könnte man das in etwa so sagen?“ Talan nickte nur stumm bei gedrückter Sendetaste. „Wir werden uns darum kümmern.“, versprach Saron. „Die Sternenflotte hat gute Forschungsschiffe. Die kriegen schon raus, was hier los ist! Verlass dich auf uns.“

Auf ihren Fingerzeig hielt er das Mikrofon in Nuguras Richtung, die nur lächelnd in die darin eingebaute Kamera nickte. „Ich danke dir für deinen Trost, Saron El Demeta.“, sagte der Novize und beendete die Verbindung. Auch Saron hängte sein Mikrofon wieder ein.

Nugura wandte sich ihm zu und klatschte in die Hände. „Das war wundervoll, Mr. Saron!“, sagte sie. „Sie können besser Leute beruhigen, als es mein Pressesprecher je vermocht hat. Aber nun mal zu dem Thema an sich. Haben wir schon einen Bericht von Kissara und den Tindaranern? Die sollten doch zusammenarbeiten, um die Sache mit der mysteriösen Paralleldimension zu erforschen.“ „Leider noch nicht, Präsidentin.“, sagte Saron. Aber der wird ja hoffentlich bald kommen.“ „Das hoffe ich inständig.“, sagte Nugura. „Es gefällt mir nämlich gar nicht, so lange im Dunkeln zu tappen.“ „Mir auch nicht.“, sagte Saron und machte ein beschwichtigendes Gesicht. „Aber wir wollen ja schließlich vernünftige Daten und keine Halbwahrheiten, die uns eventuell auf völlig falsche Fährten locken. Damit wäre ja schließlich auch niemandem geholfen. Am wenigsten wohl Allrounder Scott und Commander Data, deren Verbleib ja immer noch nicht vollständig geklärt ist.“ „Da haben Sie wohl Recht, Mr. Saron.“, sagte Nugura und legte demonstrativ die Hände in ihren Schoß. „Üben wir uns also in Geduld.“ Dann stand sie auf und verließ das Büro durch die Zwischentür, um wieder in ihr eigenes zu gelangen. Auch Saron ging wieder seiner normalen Arbeit nach. Zumindest versuchte er es, denn die Ereignisse, die gerade passiert waren, ließen ihn nicht in Ruhe. Er hatte Talan gegenüber zwar behauptet, es hätte sich um einen üblen Scherz eines Schelms gehandelt, aber er und Nugura wussten viel zu genau, dass dies nicht stimmte. Daher beschloss er, nicht auf die Berichte der Tindaraner zu warten, sondern selbst zu tun, was er tun konnte, um die Sache zu bestätigen.

Er gab also das eigene dienstliche Rufzeichen in den Rechner ein, vergaß aber nicht, sich vorher am interdimensionalen Relais der Föderation anzumelden. Sonst hätte er bestimmt eine Fehlermeldung bekommen. Eine solche Meldung erwartete Saron auch jetzt und war sehr verdutzt, als ihm stattdessen das eigene Gesicht auf dem Schirm entgegenlächelte.

Er schaltete den Rechner auf Standbild und ließ dies dann auch noch vergrößern. Die Beschreibung, die ihm Talan von dem Büro gegeben hatte, deckte sich zu 100 % mit dem, was er hier sah. Wenn das schon so war, dann würde sich das bestimmt mit dem Thronsaal, von dem der Novize gesprochen hatte, nicht viel anders verhalten. Auch den dürfte es bestimmt geben. Dessen war der Sekretär sicher. Alle Indizien sprachen also dafür, dass Talan die Wahrheit gesagt hatte.

Er beendete die Verbindung mit Hilfe einer fadenscheinigen Ausrede über falsche Rufzeichen und falsche Zuordnungen im Speicher seines Adressbuches und war heilfroh, dass sein Gegenüber ihm diese Ausreden abnahm. Dann ging er hinüber in Nuguras Büro, um ihr von seinen Forschungen zu berichten.

Nugura saß an ihrem Schreibtisch und bekam nicht wirklich mit, dass er sich ihr näherte. Sie reagierte erst auf ihn, als er sie ansprach: „Präsidentin, ich muss Ihnen etwas sagen.“ „Worum geht es denn, Mr. Saron?“, fragte Nugura. „Es geht um das andere Rufzeichen, von dem Talan gesprochen hat.“, sagte der Sekretär. „Ich muss Ihnen gestehen, dass ich es gerade ausprobiert habe. Es existiert tatsächlich. Das war vielleicht eine seltsame Erfahrung, als ich mir plötzlich selbst ins Gesicht blickte.“ „So, so.“, scherzte Nugura, um seine etwas angespannte Stimmung wieder aufzulockern. „Sie haben sich morgens also noch nie im Spiegel betrachtet?“ Saron musste grinsen. „Doch, Präsidentin.“, sagte er. „Aber mein Spiegelbild hat kein Eigenleben und versucht auch nicht mit mir zu kommunizieren. Der andere Saron hat sich gemeldet wie ich. Ich könnte mir vorstellen, dass er auch genauso gut darin ist, anderen Leuten ihre Scheu zu nehmen. Wenn er das bei mir erreicht hätte und ich ihm gesagt hätte, warum ich ihn wirklich gerufen habe, dann hätte er das sicher nicht geglaubt. Wenn ich keine Beweise, oder zumindest die Indizien von Talan gehabt hätte, dann hätte ich es ja selbst nicht geglaubt.“ „Und das Büro, das Sie gesehen haben, sieht ganz genau aus wie das Ihre?“, wollte Nugura wissen. „Ja, Sea Federana.“, nickte Saron. „Deshalb gehe ich auch davon aus, dass es diesen Thronsaal geben könnte, von dem der kleine Vendar gesprochen hat. Mir ist nur keine Ausrede eingefallen, warum ich oder Sie Ihr Gegenstück sprechen wollen. Ich war zu perplex.“ „Ist schon in Ordnung, Mr. Saron.“, sagte Nugura. „Wir werden es zunächst hierbei bewenden lassen. Warten wir ab, was die Tindaraner dazu sagen. Sie kennen sich mit interdimensionaler Forschung am besten aus von all unseren Verbündeten, wenn man einmal von den Aldanern absieht, die uns ja ohnehin einige tausend Jahre voraus sind, wenn ich mich nicht irre. Vielleicht hat ja auch Commander Kissara bald Daten für uns. Sie hat ja den persönlichen und direkten Befehl von mir erhalten, mit den Tindaranern zusammenzuarbeiten. Ich denke, diese Zusammenarbeit dürfte bald Früchte tragen.“ „Ich weiß, es steht mir sicher eigentlich nicht zu, Ihre Entscheidungen infrage zu stellen, Präsidentin. Aber wäre es nicht besser gewesen, Sie hätten die Missionen genau andersherum verteilt? Ich meine, Commander Kissara ist Allrounder Scotts Vorgesetzte und als solche sicher befangen. Vielleicht urteilt sie in mancher Situation nicht objektiv genug, weil sie Scott zu gern befreien will. Wer weiß, welchen Schaden sie dadurch in der fremden Dimension anrichten könnte. Dass Scott und Data offensichtlich die Dimension verlassen haben, haben wir alle gesehen und die Aussage von Shimar hat das ja auch bestätigt. Aber trotzdem …“ „Commander Kissara ist eine ausgebildete Offizierin der Sternenflotte!“, fiel Nugura ihm ins Wort und würgte seine Ausführungen so unsanft ab. „Sie wird sich schon objektiv verhalten. Davon gehe ich aus. Scott mag zwar Kissaras Untergebene sein, aber Kissara weiß auch, dass sie keine verhätschelte Zivilistin ist, sondern die gleiche Ausbildung wie sie genossen hat. Zumindest in Grundzügen. Natürlich kann man die Ausbildung eines Commanders fachlich nicht mit der eines Allrounders vergleichen. Da hinkt mein Beispiel. Das räume ich ein. Aber Sie wissen doch genau, was ich damit sagen möchte, oder, Mr. Saron?“ „Natürlich ist mir das klar, Präsidentin.“, sagte Saron und schaute sie beschwichtigend an. „Außerdem hat sie, ich meine Scott, Commander Data an ihrer Seite. Einen objektiveren Mitgefangenen kann sie sich doch gar nicht wünschen und das wird Kissara auch wissen. Wir alle können uns also denken, dass sich die Schäden an der Gesellschaft in Grenzen halten werden, wenn sie überhaupt auftreten.“, ergänzte er. „Genau das wollte ich gerade sagen.“, sagte Nugura. „Sie sehen also, die Situation ist nicht so gravierend und Kissara kann sich getrost Zeit nehmen, um ihre Aktionen genau zu planen. Sie hat genug Zeit, um sich beispielsweise mit Commander Zirell abzusprechen, was sie sicher tun wird, wie ich sie kenne. Sicher ist die Granger bereits auf dem Weg nach Tindara.“ „Das kann ich mir auch gut vorstellen.“, sagte Saron. „Und jetzt ergibt alles für mich einen Sinn. Bitte verzeihen Sie, dass ich Ihre Entscheidung angezweifelt habe, Präsidentin. Jetzt denke ich aber, es war alles richtig so. Ich habe auch keinen Zweifel daran, dass Time seine Mission bezüglich der Einhörner hinbekommt. Er wird vielleicht etwas improvisieren müssen, aber darin sind er und seine Leute ja besonders gut und sind es auch immer gewesen.“ „Ganz recht.“, sagte Nugura. „Wir können froh sein, dass wir Time und Kissara genau auf den Positionen haben, auf denen sie jetzt sind. Aber eine Sache finde ich sehr merkwürdig. Der Kleine sagte, mein Gegenstück führt eine Beziehung mit Sytania? Dem sollten wir auf jeden Fall nachgehen. Teilen Sie Kissara das mit!“ „Ja, Präsidentin.“, nickte Saron und verließ ihr Büro erneut, um in seinem das Sprechgerät zu benutzen, um ihre Anweisung per SITCH-Mail an die Granger auszuführen.

Mit Ach und Krach hatte die Granger den Flug in die tindaranische Dimension geschafft. Das hatte Kissara nicht zuletzt Techniker Jannings zu verdanken, der den Antrieb entsprechend konfiguriert hatte. Der Terraner hatte aus irgendeinem Grund genau die Updates in den Rechner geladen, die notwendig geworden waren, als es die große Ladungsverschiebung in den Dimensionen gegeben hatte. Seine fachlichen Instinkte hatten ihm gesagt, dass es jetzt wieder genauso war, denn der Antrieb des Schiffes hatte sich auch genauso verhalten. Es war einfach unmöglich gewesen, ein stabiles interdimensionales Feld aufzubauen und das Schiff war sozusagen zwischen den Zuständen innerhalb und außerhalb der Phase, wie es in der Fachsprache hieß, hin- und hergewechselt. Erst nachdem Jannings das Profil verändert hatte, war es Ribanna gelungen, den interdimensionalen Antrieb korrekt zu aktivieren. Das war eine Situation, die allen zudenken gegeben hatte.

Nun aber waren sie angekommen und befanden sich auf dem Weg zu Zirells Station. Während des Fluges befassten sich Mikel und Kissara allerdings auch mit der SITCH-Mail von Saron. „Ich finde das sehr merkwürdig, Kissara.“, bemerkte der Erste Offizier. „Nugura soll eine Beziehung mit ihrer ärgsten Feindin führen und dabei noch total naiv sein? Ich habe zwar schon viel gehört, aber das geht mir nun ehrlich gesagt etwas weit.“ „Unter normalen Umständen würde ich Ihnen zustimmen, Mikel.“, sagte Kissara. „Wir dürfen aber nicht außer Acht lassen, dass sich die Umstände anscheinend verändert haben. Sie sind nicht mehr normal, wie Ihnen die Sache mit dem Antrieb verdeutlicht haben dürfte. Ich kann mir zwar nicht erklären, wo die plötzliche Ladungsverschiebung herkommen soll, aber vielleicht finden wir ja gemeinsam mit den Tindaranern eine Erklärung dafür. Sie haben schließlich auch Techniker McKnight, die dafür bekannt ist, extrem gut um die Ecke denken zu können. Ihre Theorien haben sich schon sehr oft als richtig erwiesen.“ „Das stimmt, Kissara.“, erwiderte der Erste Offizier und lehnte sich demonstrativ in seinem Sitz zurück.

Ribanna hatte ein Licht auf der Konsole für das Sprechgerät wahrgenommen. Gleichzeitig gab es ein Signal und im Display erschien das Rufzeichen von Zirells Basis. „Wir werden gerufen, Commander.“, meldete die junge Indianerin in Kissaras Richtung. „Es ist die Basis von Commander Zirell. Augenscheinlich wird es der Rechner sein. Ich sehe nämlich kein Unterrufzeichen.“, „Vielen Dank für die Warnung, Ribanna.“, lächelte Kissara. „Aber ich habe nun wahrhaftig kein Problem damit, den Computer einer tindaranischen Basis wie eine Person auf Augenhöhe zu behandeln. Wenn ich dieses Problem hätte, dann wäre ich beileibe eine sehr miserable Sternenflottenoffizierin, die es nicht einmal auf die Reihe kriegt, andere Kulturen und ihre Rechtsprechung zu akzeptieren. Also stellen Sie schon durch!“

Kissaras Untergebene nickte und im nächsten Moment sah Kissara das Gesicht des Avatars vor sich auf dem Schirm. „Hallo, IDUSA.“, begrüßte sie den Rechner. „Wo ist deine Crew?“ „Sie sind alle im großen Konferenzraum.“, antwortete IDUSA. „Ich registrierte Ihre Ankunft. Deshalb habe ich Sie gerufen. Commander Zirell lässt ausrichten, dass Sie bereits erwartet werden.“ „Also gut, IDUSA.“, sagte die Thundarianerin. „Dann werden wir mal docken. Du hast doch hoffentlich noch einen schönen Platz an der Sonne für uns, oder?“ „Glücklicherweise hat Ms. O’Riley mich erst kürzlich mit den neuesten Floskeln und ihren Bedeutungen versorgt.“, sagte IDUSA. „Sonst würde ich Sie jetzt darauf hinweisen müssen, dass es nicht gut wäre, ihr Schiff direkt in der Nähe einer der beiden tindaranischen Sonnen zu docken. So aber sage ich nur: Bitte folgen Sie den Positionslichtern, Allrounder Ribanna.“

Kissara wandte sich kurz der Flugoffizierin zu: „Sie haben es gehört, Ribanna!“ Die Angesprochene nickte und tat, was Kissara ihr soeben indirekt befohlen hatte.

Die ältere Thundarianerin wendete sich wieder an den Rechner: „Du sagtest, deine Crew wäre im Konferenzraum. Das bedeutet, ihr habt bereits einige Daten gesammelt, nicht wahr?“ „Das ist korrekt, Commander.“, sagte der tindaranische Rechner. „Ich unterhalte eine Verbindung zu einer Sonde, welche die Dimension, in der sich Allrounder Scott und Commander Data befinden, beobachtet. Anscheinend dürfen wir ja sehen, was sie tun und ihre Umgebung studieren. Eingreifen können und dürfen wir vielleicht nicht. Die Beschaffenheit der Dimension weist darauf hin, dass sie eine Schöpfung Benevideas ist. Warum das junge Einhorn sie allerdings geschaffen hat, wissen wir noch nicht.“ „Noch nicht.“, wiederholte Kissara IDUSAs letzte zwei Worte. „Das scheint die entscheidende Information zu sein. Wenn wir die Situation besser verstehen, können wir vielleicht auch Schlüsse ziehen, die uns eine Erklärung dieser Einschränkung erlauben und wir können sie am besten kennen lernen, wenn wir sie länger beobachten. Ich bin sicher, Benevidea hat nicht in böser Absicht gehandelt. Als sie auftauchte, zeigte sie eher das Verhalten eines verängstigten Pferdes. Das kann ich nachvollziehen, da ihre Mutter ja schließlich eines ist. Aber ihre Angst muss einen Grund haben und der wird es auch sein, aus dem sie ihre Fantasie Realität werden lassen hat! Sag deinem Commander, sie soll uns alle erwarten!“ „Ich muss Sie korrigieren, Commander.“, sagte der Computer. Leider ist im Konferenzraum nur noch Platz für eine Abordnung aus zwei Personen. Sonst sehen nicht mehr alle alles. Vielleicht können Sie Ihren Ersten Offizier mitbringen.“ „In Ordnung.“, sagte Kissara und beendete die Verbindung. Dann drehte sie sich Mikel zu: „Kommen Sie, Agent. Wir sollten schon mal zum Transporterraum gehen. Es macht mich sehr neugierig, was ich gerade erfahren habe und ich möchte keines der interessanten Bilder verpassen. Sie wissen ja, dass ich neugierig wie eine terranische Katze bin. Ribanna, Sie haben die Brücke!“ Der deutsche Agent und der indianische Allrounder nickten und Mikel stand von seinem Platz auf, um Kissara von der Brücke zu folgen.

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