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Bald waren wir in Washington vor dem Schloss angekommen. Es war ein etwa 40 m hoher und an jeder Seite etwa 30 m in der Länge messender quadratischer Bau, der von einer mindestens 60 m hohen Mauer überragt wurde. Diese überragte nur noch der ca. 120 m hohe in seinem Umriss dreieckige Turm, der für imperianische Schlösser, zumindest auf Sytanias Seite, typisch war. Die an die Rückseite des Schlosses anliegende Seite des Turms war genauso breit wie die Wand. Die beiden anderen Seiten waren jeweils 15 m breit. Die Dächer von Schloss und Turm waren mit imperianischen dreieckigen Ziegeln gedeckt. Überall auf den Wänden des Schlosses, des Turms und der Mauer sah man außerdem Sytanias Wappen. Allerdings gab es eine kleine Änderung. Statt einer Schlange waren dort zwei zu sehen.

Scotty hielt den Jeep vor einer weißen Linie, die sich mitten durch die Straße zog, an. Dann sagte er: „Hier müssen wir warten, Darling.“ „OK.“, sagte ich. Dann beobachteten wir, wie ein Mann in einer grauen Lederjacke auf uns zuschritt. Er maß ca. 190 cm und war sehr muskulös. Er hatte kurze rötliche Haare und trug außerdem eine blaue Jeans und rote Stiefel in Kombination mit seiner unter der Jacke leicht hervorscheinenden schusssicheren Weste. Er ging um unser Fahrzeug herum und blieb an der Beifahrertür stehen. Ich vermutete, dass er meine Uniform gesehen hatte. Dann klopfte er an die Scheibe, worauf ich einen kleinen in die Tür eingelassenen Knopf drückte, der das Fenster herunterfahren ließ. Dann sagte ich: „Ich bin Allrounder Betsy Scott. Ich muss dringend zu Präsidentin Nugura! Sie ist über mein Kommen nicht informiert, aber es ist ein Notfall! Ich habe eine mündliche Nachricht von meinem Commander, die ich ihr dringend überbringen muss!“ „Also gut, Allrounder.“, sagte er. „Wenn Sie hier schon in Galauniform auftauchen, dann wird das alles schon seine Gründe haben. Ich vertraue Ihnen.“

Damit zog er ein Sprechgerät und gab einige Befehle ein. Darauf senkte sich tatsächlich eine Art von Zugbrücke. Warum das sein musste, konnte sich zwar keiner von uns wirklich erklären, denn es gab dort ja kein Wasser, aber vielleicht war der einzige Grund auch nur, weil das Ganze ordentlich was hermachen sollte. Jedenfalls winkte er danach Scotty, der den Jeep in Richtung Innenhof durch das große Tor fuhr.

Hier stiegen wir aus und der Fremde wandte sich mir zu: „Ich bin übrigens Laurence Barnaby. Ich bin der Chefleibwächter der Präsidentin. Nun, Ihr Mann darf Sie ja leider nicht begleiten. Soll ich Sie führen?“ „Nein, Mr. Barnaby.“, sagte ich. „Das Angebot ist zwar sehr verlockend, aber das macht mein Hilfsmittel.“

Damit wandte ich mich zum Jeep: „Data, komm her! Führ- und Schutzmodus ein!“ Stumm stand Data von seinem Sitz auf und stellte sich in Führhaltung neben mich. „Ach, Sie haben einen von diesen neuartigen Androiden.“, stellte Laurence fest. „Na, das ist natürlich etwas anderes. Aber seit wann haben die Namen?“ „Das ist ein Prototyp.“, sagte ich. „Ich teste ihn.“ „Na, da kann sich Ihr Mann ja wohl keine bessere Beta-Testerin wünschen, als seine eigene Frau!“, lachte der Wächter und zwinkerte Scotty gratulierend zu. Der nickte nur lächelnd zurück.

„Na dann bringen Sie ihm mal bei, dass er mir mit Ihnen folgen soll.“, sagte Barnaby. „Geht das?“ „Das geht.“, sagte ich und drehte mich zu Data: „Data, Mr. Barnaby folgen! Weg speichern!“ Dabei deutete ich mit der freien rechten Hand in Laurences Richtung, damit Data auch wusste, wen ich meinte. „Sie können jetzt vorgehen, Mr. Barnaby.“, lächelte ich. „OK.“, sagte der Leibwächter und ging los. Data und ich folgten in einigem Abstand.

„Sie scheinen ja die ganzen Befehle für ihn auswendig zu können.“, staunte Laurence. „Hat das lange gedauert? Ich meine, haben Sie viel büffeln müssen?“ „Ach, es ging.“, lächelte ich zurück. „Ich habe es aber nie als Belastung empfunden. Schließlich könnte es im Zweifel mein Leben retten.“ „Ah ja.“, machte Barnaby.

Wir hatten das Schloss durch das große Tor betreten. Nun zog Laurence erneut sein Sprechgerät, um ein Rufzeichen einzugeben. „Mr. Saron, ich bringe Besuch für die Präsidentin mit.“, sagte er. „Es handelt sich um Allrounder Scott. Sie sagt, sie habe eine wichtige Nachricht von ihrem Commander für sie, die sie ihr nur persönlich übergeben kann.“ „Bringen Sie den Allrounder erst einmal zu mir, Laurence.“, kam die Antwort des Sekretärs zurück. „In Ordnung.“, sagte Laurence und wir gingen weiter, nachdem er das Sprechgerät wieder eingesteckt hatte.

Mit einem Turbolift gelangten wir in ein weiteres Stockwerk. Dabei war mir aufgefallen, dass das Schloss von innen lange nicht so mittelalterlich war, wie es von außen wirken sollte. Hier hatte doch tatsächlich die moderne Zeit Einzug gehalten, eine Tatsache, auf die ich Barnaby ansprach: „Wem gehört dieses Schloss, Mr. Barnaby?“ „Es gehört der Präsidentin.“, sagte er. „Sytania hat es als Verlobungsgeschenk für sie bauen lassen. Übrigens werden wir sie bald alle als Mitregentin, aber weiterhin mit Sie, ansprechen müssen. Das gilt aber erst für nach der Hochzeit.“ „Interessant.“, sagte ich und versuchte dabei, meiner Stimme eine möglichst neutrale Note zu verleihen. Sicher war mir klar, dass Sytania die Einzige war, die mit Majestät und mit Ihr angeredet werden wollte. Das würde sie klar von Nugura abheben und dieser auch sagen, dass sie trotzdem von der Prinzessin als viel geringer geachtet wurde. Ach, was sagte ich! Prinzessin! Hier war Sytania ja sogar die so genannte Großartige Königin! Ich musste wahnsinnig an mich halten, um meine Gefühle nicht zu zeigen, denn am liebsten hätte ich diese gesamte Föderation geschüttelt und gerüttelt, bis sie endlich alle miteinander aufwachen würden. Das stand aber im klaren Widerspruch zu dem, was ich einmal geschworen hatte.

Die Erhöhung meiner Pulsfrequenz war Data nicht entgangen. „Sind Sie in Ordnung?“, flüsterte er mir zu. „Ich bin OK.“, gab ich zurück. „Ist was?“, fragte Barnaby platt, der durch die Nähe zu uns das Gespräch sehr wohl mitbekommen hatte. „Es geht schon.“, sagte ich. „Wissen Sie, er ist programmiert, von Zeit zu Zeit meinen Gesundheitszustand zu überprüfen. Wenn ich ihm nicht bestätige, dass es mir gut geht, würden seine Systeme automatisch einen Notruf absetzen. Dazu würde er auch das nächste öffentliche Sprechgerät aufsuchen, wenn es notwendig wäre.“ „Ah ja.“, sagte Laurence. „Sehr interessantes Unterprogramm.“

Wir waren vor Sarons Büro angekommen. „So, Allrounder Scott.“, sagte Barnaby. „Wir sind da. Den Rest macht Mr. Saron mit Ihnen.“ „OK.“, sagte ich und wandte mich Data zu: „Data, anhalten! Verfolgung von Mr. Barnaby abbrechen! Türsprechanlage anzeigen!“ Dann lächelte ich Laurence zu: „Sie können jetzt gefahrlos gehen.“ „OK.“, sagte der Leibwächter und drehte sich fort, um die Örtlichkeit zu verlassen.

Data legte seine rechte Hand auf das Terminal der Türsprechanlage, wie ich es ihm gesagt hatte. So tastete ich mich an seinem Arm entlang zum Knopf, den ich dann auch drückte. „Kommen Sie rein, Allrounder Scott.“, kam es freundlich und ruhig von drinnen. „OK.“, gab ich zurück und meine Hand glitt an Datas Arm wieder in ihre alte Position zurück. Dann wartete ich, bis sich die Tür vor uns geöffnet hatte und befahl: „Data, geradeaus!“

Im Büro empfing uns ein leicht irritierter Saron. „Oh wie kriegen wir das denn jetzt hin?“, fragte er. „Ich habe noch nie mit solchen automatischen Hilfsmitteln gearbeitet.“ „Das müssen Sie nicht.“, lächelte ich. „Es reicht, wenn ich es tue. Klopfen Sie einfach auf den nächsten Stuhl, falls Sie wollen, dass ich mich setze. Oder worum geht es Ihnen?“ „Ja.“, sagte Saron. „Ich muss ja erst klären, ob Nugura Sie jetzt empfangen kann.“ „OK.“, sagte ich.

Der Sekretär ging zu einem der Gästesessel und klopfte darauf. „Data, dem Geräusch folgen.“, sagte ich. „Stuhl anzeigen!“

Saron beobachtete fasziniert, wie Data mich in den Sessel manövrierte. Dann sagte er: „Ich gebe ihr jetzt Bescheid!“ „In Ordnung.“, sagte ich und lehnte mich wartend zurück.

Er wandte sich der Sprechanlage auf seinem Schreibtisch zu und drückte eine der Speichertasten. Dann hörte ich Nuguras Stimme, da Saron die Anlage wohl auf Lautsprecher geschaltet haben musste: „Was gibt es, Mr. Saron?“ „Allrounder Scott ist hier, Madam President.“, sagte der Sekretär und ich hörte sehr wohl die Anspannung in seiner Stimme. „Sie hat eine dringende Nachricht von ihrem Commander für Sie. Außerdem hat sie einen dieser neuartigen Androiden bei sich. Sie wissen schon. Die Dinger, die Mr. Scott in seiner Firma produziert. Ich fühle mich offengesagt mit der Situation etwas überfordert und weiß nicht so recht, wie ich mit ihr umgehen soll. Wie soll ich denn wem von beiden den Weg zu Ihnen erklären und …“ „Mr. Saron!“, unterbrach Nugura ihn scharf. „Wer von beiden wird denn die Entscheidungen treffen, hm?“ „Allrounder Scott natürlich, Madam.“, sagte Saron kleinlaut. „Sehen Sie!“, sagte Nugura streng. „Dann werden Sie jetzt die Güte haben und ihr sagen, sie soll ihrem Hilfsmittel beibringen, es soll der Beschilderung zum Thronsaal mit ihr folgen! Ich werde sie dort erwarten!“ „Wie Sie wünschen, Madam.“, sagte Saron und beendete die Verbindung.

Er drehte sich wieder mir zu und fragte: „Ist Ihr Hilfsmittel auf das Lesen von Schildern programmiert?“ „Aber natürlich.“, lächelte ich ihm beruhigend zu. Mir war ebenfalls längst klar, dass die Situation, die er vorgefunden hatte, ihn etwas aus der Bahn geworfen haben musste. „Wenn er mich auf der Straße führt, dann muss er ja auch die Verkehrsschilder lesen können. Außerdem liest er mir auch im Alltag so einiges an Displays vor.“ „Ah, gut, gut.“, gab der immer noch leicht überfordert scheinende Sekretär von sich. „Dann sagen Sie ihm jetzt bitte, er soll der Beschilderung mit dem Text: zum Thronsaal folgen und Sie dort abliefern. Die Präsidentin erwartet Sie.“ „In Ordnung, Mr. Saron.“, sagte ich. „Es geht doch!“

Ich stand auf und wandte mich Data zu: „Data, Die Beschilderung mit dem Text: „Zum Thronsaal“ suchen und ihr folgen!“ So verließen Data und ich schließlich das Büro des nach dieser Aktion total erleichterten Saron.

Wir brauchten tatsächlich nicht lange, um zum Thronsaal zu gelangen. Ein Turbolift hatte uns bald in das höchste Stockwerk gebracht, wo wir auch bald vor der Tür standen. „Passen Sie auf, Data.“, flüsterte ich ihm zu, nachdem ich dachte, dass wir allein wären. „Gleich kommt ein Herold und wir müssen noch einen Knicks und einen Diener machen.“

Herold und Hornbläser blieben aber aus. So pathetisch wollte es Nugura dann wohl offensichtlich doch nicht. Stattdessen öffnete sich die große Tür vor uns, die Nugura vielleicht selbst durch die Betätigung eines Sensors geöffnet hatte. Dann sagte ihre Stimme: „Treten Sie ein, Allrounder!“ „Ja, Madam President!“, gab ich zurück und sagte zu Data: „Data, Nuguras Stimme folgen!“, und deutete in die Richtung, aus der ich die Stimme selbst wahrgenommen hatte.

Data setzte sich in Bewegung und nahm mich, die ich meine Hand noch immer auf seinem Arm platziert hatte, mit sich. Wir erreichten bald den Audienztisch. Hier deutete Nugura auf den Stuhl links neben dem ihren: „Setzen Sie sich.“ Ich nickte und bedeutete Data per Befehl, mir den Stuhl anzuzeigen, auf den Nugura soeben gezeigt hatte.

Nachdem ich mich gesetzt hatte, stand sie auf und ging zum Replikator, um bald darauf mit einem Tablett mit weißen bauchigen Teeschalen und einer Kanne zurückzukehren. Außerdem gab es noch einen Milch- und einen Zuckertopf, sowie eine Schale mit Gebäck. „Sehr liebenswürdig, Madam President.“, sagte ich. „Aber ich werde nicht lange bleiben.“ „Trotzdem werde ich meine Manieren nicht vergessen, Allrounder.“, sagte Nugura und goss mir sogar persönlich Tee ein. Dann setzte sie sich wieder auf ihren Platz und bediente sich selbst.

Wir nahmen beide einen großen Schluck aus unseren Tassen. Dann fragte sie: „Und was ist das nun für eine Nachricht, die Ihr Commander für mich hat, Allrounder Scott?“ „Es geht um Ihre und Sytanias Hochzeit.“, sagte ich und druckste herum. Ich hatte mich zwar eigentlich entschieden, mich gemäß der hier geltenden Regeln zu verhalten, da mir aber von Beginn an eingetrichtert worden war, Sytania sei der Feind, hatte ich immer noch meine Schwierigkeiten, mich mit der jetzigen Situation anzufreunden. Beides, also nach den gesellschaftlichen Regeln zu spielen und Sytania als Feind zu erkennen, war mir durch mein Sternenflottentraining beigebracht worden und diese beiden Überzeugungen rangen jetzt in mir um die Vorherrschaft. Wenn es mir nicht gelang, diesen Kampf zu beenden, würden wir in drei Jahren hier wohl immer noch sitzen. Das stand für mich fest. Aber was sollte ich tun?

„Na, was ist denn?!“, fragte Nugura etwas unwirsch. „Also wirklich! Sie sind ausgebildete Kommunikationsoffizierin und Raumschiffpilotin mit rudimentären Kenntnissen in allen anderen wichtigen Fächern und Sie kriegen noch nicht einmal eine einfache Nachricht über die Lippen! Wenn es etwas sein sollte, das Sie mir schonend beibringen müssen, dann nutzen Sie doch Ihre rudimentären Kenntnisse in Psychologie. Stellen Sie sich vor, ich wäre ein Mitglied einer neuen Spezies, das Sie am SITCH davon überzeugen müssen, etwas zu warten, weil Commander Kissara leider gerade keine Zeit hat, oder so. Lassen Sie sich etwas einfallen!“

Ich wusste nicht wie, aber sie hatte einwandfrei diesen Kampf der Überzeugungen in mir beendet. Jedenfalls konnte ich plötzlich aufstehen, mit der rechten Hand salutieren und mich sagen hören: „Madam President, Allrounder Betsy Scott bedauert melden zu müssen, dass Commander Kissara nicht als Ihre Trauzeugin fungieren kann! Scientist Loridana und sie sitzen wegen einer technischen Panne des Liners auf Demeta fest! Die Panne kann wohl erst übermorgen behoben werden! Daher bitte ich Sie, mein Angebot als Vertretung meines Commanders zu akzeptieren!“

Nugura begann plötzlich, über ihr ganzes Gesicht zu grinsen. Dies konnte ich an ihrer Stimme sehr gut ausmachen, als sie sagte: „Bitte gewährt, Allrounder! Angebot akzeptiert! Sie wissen gar nicht, was Sie gerade getan haben! Sie haben nicht nur meine Hochzeit, sondern auch meinen Tag gerettet! Sytania besteht darauf, dass wir morgen heiraten! Länger hätte sie nicht gewartet! Die Hochzeit wäre gestorben, hätten Sie nicht …“

Sie stand auf: „Kommen Sie! Wir machen einen Spaziergang im Park und ich informiere Sie über Ihre Aufgaben. Wir werden nämlich nach imperianischem Ritus heiraten!“

Ich stand ebenfalls auf, hängte mich bei Data ein und befahl ihm, Nugura zu folgen und den Weg zu speichern. Dann machten wir uns auf den Weg.

Dieser führte uns aus dem großen Tor in den Schlosspark, wo wir zwischen in Fasson geschnittenen Buchsbäumen, die größten Teils Helden aus der Vergangenheit der Föderation darstellten, in eine Allee abbogen, die von großen alten Bäumen gesäumt war, die ihres Umfangs nach mindestens 1000 Jahre alt sein mussten. Das konnte zwar nicht sein, denn die Dimension gab es schließlich erst einen Tag. Es schien aber zu den Dingen zu gehören, die Benevidea so darstellte, wie sie ihr genehm waren. Durch Datas leise Beschreibung war ich sogar derart über die Situation im Bilde, dass ich erkannt hatte, dass es sich bei den Pflanzen in diesem Park fast ausschließlich um Pflanzen imperianischen Ursprungs handelte. Sie schienen das nordamerikanische Klima gut zu vertragen. Mich wunderte aber, dass es hier fast nichts aus Nuguras Heimat Elyrien zu geben schien. Wenn das hier wirklich ihr Schloss war, dann hätte ich eigentlich etwas anderes erwartet. Sicher hätten dann vielleicht Habitate mit künstlichen Umweltkontrollen angeschafft werden müssen, aber das war ja sogar in meiner eigentlichen Heimat kein Problem. Welchen Grund konnte es also dann dafür geben? Während ich mir diese Frage stellte, ahnte ich allerdings noch nicht, wie sinnbildlich die Einrichtung dieses Parks sein würde.

Neben einer Statue aus Marmor, die Nugura und Sytania gemeinsam auf ihrem Thron darstellte, gabelte sich der Weg. „Richtung unklar. Bitte definieren.“, meldete Data. Diese kurze Meldung passte durchaus zu seiner Rolle. Ich warf fragend den Kopf nach hinten und drehte ihn dann in Nuguras Richtung. „Wir gehen nach links!“, sagte sie. „OK!“, gab ich zurück und drehte mich zu Data: „Data, links! Dann geradeaus!“

Nachdem wir den Weg eingeschlagen hatten, wandte sich Nugura mir zu: „Da gibt es etwas, das mir schon die gesamte Zeit über aufgefallen ist.“ „Und was ist das, Madam President?“, wollte ich wissen. „Es hat einen Namen?“, fragte Nugura und deutete hörbar auf Data. Ich konnte ihren Fingerzeig hören, da ihre Kleidung stark raschelte und sie sehr nah bei uns stand. „Ja.“, nickte ich. „Es ist ein Prototyp. Ich teste ihn. Wissen Sie, ich habe meinen Mann überraschen wollen zu unserem Hochzeitstag. Ich wusste, dass er schon seit Monaten über etwas brütet, das unsere Androiden von anderen unterscheidet. Da hatte ich einige Ideen und habe mit seinen Mitarbeitern etwas konspiriert. Es sollte ein Hochzeitsgeschenk für ihn werden.“

Wir setzten uns auf eine kleine Mauer, die einen Springbrunnen umfasste, in dessen Mitte eine Statue von Sytania saß, die ein Füllhorn in der Hand hatte, aus dem das Wasser sprudelte. Brunnen und Statue waren ebenfalls aus Marmor. „Sie sind ja doch eine Romantikerin, Scott!“, staunte Nugura. „Dabei hätte ich Sie nie so eingeschätzt. Aber wie sagt man doch so schön: Stille Wasser sind tief. Oh, Sie werden eine wunderbare Trauzeugin abgeben! Aber ich sollte Ihnen dazu vielleicht erst einmal sagen, was auf Sie zukommt. Also. Sytania und ich werden nach dem imperianischen Ritus der Könige heiraten. Das bedeutet, Es wird auch ein Ritual geben, bei dem Blut eine Rolle spielt. Sytania und ich werden von einer der Trauzeuginnen mit einem zeremoniellen Dolch geschnitten. Dieses Blut fließt dann in ein kleines Tintenfass. Dann wird die andere Trauzeugin es so lange schütteln, wie ein vendarischer Chor zeremonielle Lieder singt. Das wird das Blut im Fass vermischen und dann unterschreiben Sytania und ich damit ein altes aber gut von den Vendar gepflegtes Pergament, die so genannte Hochzeitsrolle. Außerdem ermögliche ich Sytania dadurch eine direkte mentale Verbindung mit meiner Dimension.“

Bei ihrem letzten Satz wurde ihre Stimme immer verträumter. Das fiel mir schon auf. Ich hätte sie am liebsten am Schlafittchen gepackt und ordentlich geschüttelt, damit sie aufwacht und sich über die Konsequenzen ihres Handelns klar wurde. Aber das durfte ich ja nicht. Also fasste ich mich, atmete einige Male tief durch und sagte dann: „Wer von uns soll denn nun welche Aufgabe übernehmen? Und wie macht Sytania das?“ „Sie gibt dafür temporär ihre Unverwundbarkeit auf. Das mussten Sie sich doch wohl denken können, Scott! Aber wegen der Aufgaben sagen Sie tatsächlich etwas. Ursprünglich sollte Kissara uns schneiden und Cirnach das Fass schütteln. Da Sie aber nicht sehen, wohin Sie schneiden und es Ihnen deshalb sicher zu gewagt ist, werden wir die Aufgaben einfach tauschen.“ „Und dagegen hat Ihre Verlobte nichts, Madam?“, fragte ich. „Ich denke nicht.“, sagte Nugura. „Aber wir können sie ja fragen.“

Sie wollte gerade etwas aus ihrer Tasche holen, als der Schrei eines Falken die Luft zerriss. Dann stieß tatsächlich ein Vogel auf uns nieder, ließ direkt auf Datas Kopf etwas fallen und flog dann zu Nugura hinüber, um sich auf ihre ausgestreckte rechte Faust zu setzen. Ich war kurz erschrocken, denn Vögel waren für mich immer etwas unberechenbar gewesen, da ich sie im Allgemeinen erst dann hörte, wenn es schon zu spät war. Nugura aber warnte mich vor: „Scott, keine Angst!“ Dann zog sie den Arm mit dem Vogel näher an uns heran und begrüßte ihn: „Leonard, Hallo, mein schöner Bube! Hat deine Herrin dich wieder vorgeschickt? Na, dann wird sie ja auch bald kommen.“

Erst jetzt war mir aufgefallen, dass das Falkenmännchen eine Schelle am Fuß trug. Offenbar war er ein Jagdfalke. Mich irritierte allerdings die Tatsache etwas, dass Nugura und Sytania ihn offensichtlich nach dem Arzt der Enterprise unter Kirk benannt hatten. Andererseits war Leonard im englischen Sprachgebrauch auch ein recht verbreiteter männlicher Vorname. Mein Schluss konnte also auch trügen. „Wollen Sie mir ernsthaft sagen, Sytania hätte ihn mittels ihrer Macht den ganzen Weg hierhergebracht?“ „Nun, sicher nicht den ganzen Weg.“, sagte Nugura. Sie hat ihn wohl nur in unsere Dimension und in die Atmosphäre der Erde teleportiert. Den Rest hat er mit den eigenen Flügeln geschafft. Aber …“

Sie konnte nicht aussprechen, denn im nächsten Augenblick gab es einen schwarzen Blitz und dann stand Sytania vor uns. Sofort war Nugura aufgesprungen und sie und die Prinzessin hatten sich umarmt und geküsst. Wieder musste ich sehr mit mir kämpfen, denn die entsprechenden Geräusche trieben den Ekel in mir hoch! Wie konnte Nugura nur so naiv sein?! Wie konnte sie nur?!

Endlich hatten sie wieder voneinander gelassen und Nugura sagte: „Sytania, mein Liebling, das ist Allrounder Betsy Scott. Sie wird den Part von Commander Kissara übernehmen, die leider nicht verfügbar ist. Das bedeutet allerdings, es gibt jetzt ein Problem. Vielleicht könnten Cirnach und sie die Aufgaben tauschen.“ „Von mir aus!“, sagte Sytania. „Hauptsache ist doch, dass wir morgen heiraten. Es kommt nur alle zehntausend Jahre vor, dass im Dunklen Imperium und auf der Erde gleichzeitig Vollmond ist und das muss sein. Das ist doch so schön romantisch, nicht wahr, Nugura, mein Liebling?“ Nugura nickte nur und seufzte verträumt.

Ich musste hier raus! Ich musste eindeutig hier raus! Wenn ich diesem Treiben noch länger zusah, würde ich explodieren! Also sagte ich: „Wenn ich jetzt alle Informationen habe, dann würde ich gern gehen. Mein Mann wartet sicher schon.“ „Sie haben alle wichtigen Informationen, Allrounder.“, sagte Nugura. „Wegtreten!“ „Aye, Madam President.“, sagte ich und hängte mich wieder bei Data ein, dem ich dann auch gleich befahl: „Data, Ausgang! Scottys Jeep suchen und Beifahrertür anzeigen!“ Dann gingen Data und ich. Mich tröstete nur der Umstand, dass Data auch gemerkt haben würde, wie es mir ging. In einer stillen Stunde würden wir hoffentlich darüber reden können.

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