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Am nächsten Morgen um sieben war in Sedrins und Jadens Haus die Welt leider nicht mehr in Ordnung. Erschrocken war die Demetanerin zusammengefahren, als sie einen kurzen schläfrigen Seitenblick auf ihr Sprechgerät geworfen hatte, das neben ihrem Bett auf ihrem Nachttischchen stand. Sofort hatte sie bemerkt, dass sie verschlafen hatte. Die Zeit würde nur noch für eine Katzenwäsche reichen.

Sie huschte also nur kurz ins Bad und machte sich frisch, um dann schnell ihre Uniform überzuwerfen und an den Frühstückstisch zu ihrem Mann zu eilen, der dort bereits saß und es sich mit einer Tasse Kaffee und einem Brötchen mit Wurst gutgehen ließ. Sie selbst bestellte sich vom Replikator eine kleine Kanne mit demetanischem Sommerfruchttee und eine Schüssel Müsli. Damit ging sie zurück an den Tisch zu Jaden, der sie nur recht ungläubig ansah. Dann schob er den Bissen, den er gerade im Mund hatte, von einer Backentasche zur anderen und machte ein etwas nachdenkliches Gesicht. „Worüber denkst du nach?“, fragte die Demetanerin, die so etwas von Jaden gar nicht gewohnt war. „Über dein Verhalten, Jinya Demetana.“, sagte Jaden. „So, so.“, sagte Sedrin. „Und was ist so ungewöhnlich an meinem Verhalten?“ „Ich finde es ungewöhnlich, dass sogar die immer pünktliche Sedrin einmal verschlafen hat. Ich habe das Wecksignal vom Computer sogar gehört. Aber ich …“

Sedrin ließ laut den Löffel auf den Rand der Schüssel fallen, dass es nur so schepperte. Dann sah sie Jaden streng an und sagte mit viel Empörung in der Stimme: „Warum hast du mich nicht geweckt?!“ „Darf ich ehrlich sein?“, fragte Jaden. Sedrin nickte. „Ich wollte mir den Spaß nich’ entgehen lassen. Ich gebe zu, dass diese Aktion vielleicht auch ein Stück weit eine Retourkutsche war für all die Momente, in denen du mich etwas zurechtgestutzt hast, aber im Grunde hattest du ja immer Recht. Könntest du mich heute mitnehmen? Ich muss zu deiner Partnerin und meine Aussage machen.“ „Tut mir leid.“, sagte Sedrin, die ihm seine Aktion nicht wirklich übelgenommen hatte. Dafür liebte sie ihren in ihren Augen oft hilflosen und etwas tollpatschigen Ehemann viel zu sehr. Jadens Verhalten sprach dann doch alle so typisch demetanischen Instinkte in ihr an. „Mein Weg führt mich heute in die andere Richtung. Ich muss zum Raumflughafen nach Washington. Gestern kam eine Nachricht von Barnabys Therapeuten. Er sagt, Nuguras Leibwächter ist jetzt vernehmungsfähig und möchte sich dringend erleichtern.“ „Also gut.“, sagte Jaden. „Aber verknack’ ihn anständig, ja?! Das war ja nich’ mehr feierlich, was er der armen kleinen Benevidea angetan hat! Ich hoffe, Times Ärztin kriegt sie über den Berg!“ „Du weißt, dass das Strafmaß nicht bei mir liegt, Jaden.“, sagte Sedrin. „Darüber entscheidet immer noch ein Richter. Glücklicherweise leben wir ja nicht in einem Polizeistaat.“ „Ach.“, machte Jaden missmutig. „Manchmal wünschte ich aber, es wäre so. Dann bekämen solche Verrückten wie Barnaby zumindest ihre gerechte Strafe!“ „Ich bezweifele ernsthaft, dass die dann so gerecht wäre, Jineron.“, sagte Sedrin. „Schlag doch am besten gleich mal unter dem Begriff Polizeistaat im Föderationsnetzwerk nach. Ich denke, dann wirst du sehr leicht verstehen, was ich damit meine, wenn ich sage, dass du mit deinen Wünschen sehr vorsichtig sein solltest.“

Jaden überlegte lange, während er den Rest des Brötchens in seiner Hand anstarrte. Dann sagte er: „Du hast bestimmt wieder Recht, Jinya. Manchmal bin ich eben etwas voreilig. Da kann ich nur froh sein, dass ich kein Mächtiger bin.“ „Das kann ich nur bestätigen.“, sagte Sedrin. „Deine Wünsche hätten Konsequenzen, die sicher nicht sehr gut wären.“

Sie wollte aufstehen, stellte sich dabei aber so ungeschickt an, dass sie ihre Teetasse umstieß und sich der gesamte Inhalt über ihre Uniform ergoss. „Na, du bist ja heute ganz schön vom Pech verfolgt, Jinya.“, stellte Jaden fest. „Bitte lass mich für dich zum Kleiderschrank gehen und dir deine Ersatzuniform holen. Ich denke, das bin ich dir schuldig. Ich lege sie auf dein Bett.“ „Danke, Jineron.“, sagte Sedrin. „Ich hoffe nur, ich verpasse jetzt meinen Flug nicht.“ „Keine Panik.“, sagte der Terraner und zeigte demonstrativ auf das Display des Hausrechners. „Du hast bestimmt noch genug Zeit. Diese Flughafentypen bestellen einen immer Stunden zu früh! Das kriegst du schon hin.“

Damit stand Jaden auf und ging in Richtung Schlafzimmer. Sedrin verließ ebenfalls ihren Platz und räumte nur noch schnell das Geschirr in den Replikator, den sie danach auf Reinigungsmodus stellte, um ihrem Mann zurück ins Schlafzimmer zu folgen.

Während sie sich umzog, stellte sie fest, dass Jaden heute einen gewöhnlichen braunen Anzug angelegt hatte. „Du gehst heute in Zivil?“, fragte sie. „Ich dachte, das fällt nich’ so auf.“, sagte Huxley. „Ich will nich’ dass mich so ’n Aasgeier von der Presse auf der Straße als Offizier der Sternenflotte erkennt. Die Sache mit Benevidea hat ganz schöne Wellen geschlagen. Ich will mich nich’ verquatschen, weißt du? Dir dürfte ja hinlänglich bekannt sein, wie das bei mir is’.“ Die demetanische Agentin nickte nur und seufzte. „Siehst du.“, sagte Jaden.

Sedrin hatte sich umgezogen und war dann in Richtung Tür gegangen. „Ich muss jetzt aber wirklich los, Jaden.“, sagte sie. „Und Kate wird bestimmt auch schon auf dich warten.“ „Wir haben uns nicht zu einer speziellen Zeit verabredet.“, sagte Jaden. „Ich denke, ich werde sogar zu Fuß gehen. Ich muss mir noch über einiges klar werden, was meine Aussage angeht. Du weißt ja sicher noch aus eigener Erfahrung, dass es mir manchmal nich’ so leicht fällt, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu trennen.“ „Das weiß ich.“, sagte Sedrin und sah ihn mitleidig an. „Aber dabei hilft dir Kate bestimmt gern. Am besten wird sein, du packst erst einmal alles auf ihren Tisch. Sie sortiert das dann schon.“ „Danke, Jinya.“, sagte Jaden und begleitete sie noch zur Tür, vor welcher sie mit ihrem kleinen schwarzen Koffer, in den sie nur das Nötigste gepackt hatte, in ihren Jeep stieg und ging dann selbst weiter in Richtung Enterprise Lane, wo sich alle wichtigen Gebäude von Little Federation befanden. Hier würde er das Gebäude von Polizei und Sternenflottengeheimdienst aufsuchen, um Malkovich gegenüber seine Aussage zu machen.

Das schöne Wetter trug sicher auch dazu bei, dass der Weg für Jaden wie im Flug verging. Er hatte sich so sehr auf seine kommende Aussage konzentriert, dass er nicht wirklich darauf geachtet hatte, welche Richtung er einschlug. Er konnte nur froh sein, dass um diese Zeit auf den Straßen der Kleinstadt kaum Verkehr war und ihm somit auch nicht wirklich etwas geschehen konnte. Zwar hatte die Technik viel übernommen, die Sicherheitssysteme waren jedoch so konzipiert, dass sie quasi mit der eigenen Verantwortung der Personen zusammenarbeiteten, die sie benutzten. Das bedeutete beim Überqueren einer Straße also auch, dass Jaden eigentlich seine Augen auch beim Geschehen haben musste. Dieses Mal hatte er aber anscheinend einfach nur Glück.

Er sah den Eingang zum Gebäude tatsächlich erst, als er direkt davor stand. Nachdem er ihn durchquert hatte, stand er auch bald dem kleinen gläsernen Büro gegenüber, in dem Kelly Davis arbeitete. Auch die Vermittlerin und Empfangsdame wurde ihm ansichtig und drückte auf einen Knopf an ihrem Terminal, der eine gläserne Scheibe sanft heruntergleiten ließ. Dann sah Davis in das Gesicht des Mannes, den sie zunächst gar nicht erkannt hatte: „Sie wünschen bitte.“ „Ich bin‘s doch, Kelly.“, sagte Jaden doch recht flapsig. „Commander Huxley. Ich möchte zu Agent Malkovich. Ich bin ein Zeuge.“

Kelly schloss halb die Augen, so dass ihr Blick nur noch auf einen kleinen Teil von Jadens Gesicht fallen konnte und der Rest seines Körpers für sie nicht mehr wirklich zu sehen war. Dann sagte sie: „Es tut mir leid, Commander Huxley. Ich hätte Sie in Zivil beinahe nicht erkannt. Aber ich werde Agent Malkovich gleich Bescheid geben.“

Sie deutete auf eine kleine Sitzecke, die sich direkt der Anmeldung gegenüber befand: „Bitte setzen Sie sich doch für einen Augenblick.“ „OK.“, flapste Jaden und ging hinüber zu den vier kleinen Sesseln, die mit weißem Stoff bezogen waren und um einen kleinen runden roten Tisch in Holzoptik standen. Dann suchte er sich einen aus und setzte sich.

Kelly schloss die Scheibe wieder und gab ein Rufzeichen in ihr Terminal ein, worauf sich Kate meldete: „Ja, Kelly?“ „Commander Jaden H Huxley ist hier, Agent.“, sagte Davis. „Er möchte gegenüber Ihnen eine Aussage machen.“ „Ah ja.“, sagte Malkovich. „Ich weiß schon, worum es geht. Sagen Sie ihm bitte, er möchte auf mich warten. Ich hole ihn gleich ab!“ „In Ordnung, Agent.“, sagte Kelly freundlich und beendete die Verbindung. Dann öffnete sie das Fenster erneut und rief in den Flur: „Commander Huxley!“ Jaden, der sich sofort angesprochen fühlte, stand von seinem Sessel auf und drehte sich ihr zu: „was gibt es, Kelly?“ „Agent Malkovich kommt gleich und holt Sie persönlich ab.“, sagte Davis. „Ich denke, sie hat Sie schon erwartet.“ „Das kann ich mir gut vorstellen.“, sagte Jaden flapsig und ließ sich wieder in den Sessel sinken.

Erst jetzt bemerkte er, dass er die Tür des Turbolifts, aus dem sie kommen musste, genau im Blick hatte. Diese öffnete sich aber auch im gleichen Moment und eine freundlich lächelnde Malkovich entstieg dem Lift. Dann ging sie auf Jaden zu: „Hallo, Commander. Bitte folgen Sie mir. Wir gehen gleich in ein Vernehmungszimmer.“ „Hi, Kate.“, sagte Jaden und stand auf. „Sie haben es aber eilig! Aber gut. Ich komme mit.“

Er reihte sich hinter ihr ein, die ihn wieder zu dem Lift zurückführte, der beide dann ein Stockwerk höher transportierte. „Können Sie mir mal verraten, warum Sie es so eilig haben, Kate?“, fragte Huxley. „Die Situation ist etwas dringlich.“, sagte Kate. Sedrin und ich standen und stehen noch immer in Kontakt mit Time, Kissara, Zirell und ihren Leuten. Die Situation hat sich ziemlich zu Benevideas, Scotts und Datas Nachteil entwickelt, soweit wir das bis jetzt verstehen. Benevidea ist sehr krank und Ketna kann ihr nicht helfen. Wir wüssten deshalb sehr gern, was Sie gesehen haben, Commander. Wir möchten einen Einfluss Sytanias auf Barnaby ausschließen. Falls sie daran schuld sein sollte, dass er sich so verhalten hat, wie er sich verhalten hat, könnte es sein, dass sie auch alle unsere Maßnahmen blockiert und wir komplett umdenken müssen. Sedrin teilt die Theorie zwar nicht, aber …“ „Ich halt’s da ausnahmsweise mit meiner Frau, Kate.“, sagte Jaden. „Ich glaube auch nich’ an Sytanias Einfluss auf Barnaby. Das hat der ganz allein zu verantworten. Da bin ich mir verdammt sicher! Wie kommen Ihre Leute denn darauf?“ „Wir möchten nur alle Eventualitäten ausschließen.“, sagte Kate. „Tamara will absolut sichergehen.“ „Ah so.“, sagte der Amerikaner. „Der Chief-Agent. Hätte mir denken können, dass sie da die Finger im Spiel hat.“

Die junge Agentin führte den Commander der Sternenflotte jetzt in ein kleines aber doch recht freundlich eingerichtetes Zimmer, in dem in der Mitte nur ein Schreibtisch und zwei sich gegenüberstehende Sessel befanden. Der Tisch und die Sessel waren in freundlichem Rot gehalten. In der Ecke des Raums stand eine Zimmerpflanze, die Jaden nicht genau einordnen konnte. Mit der Botanik hatte er es noch nie wirklich gehabt.

Kate zeigte auf einen der beiden Sessel: „Setzen Sie sich doch bitte, Commander. Ich werde schon mal alles vorbereiten.“ „OK.“, nickte Jaden und setzte sich auf den Sessel, den sie ihm zugewiesen hatte. Sie setzte sich ihm gegenüber und zog ein Pad, das sich auf eine Eingabe von ihr selbstständig über eine drahtlose Verbindung in den Rechner und somit auch ins Netzwerk des Gebäudes einwählte. Dann hielt sie Jaden das Pad hin: „Bitte lesen Sie sich den Inhalt durch. Hat sich an Ihren Personalien etwas geändert?“

Huxley ließ seinen Blick prüfend über das Pad wandern. Dann sagte er: „Nein, Kate. Es is’ alles noch beim alten. Wir können jetzt zum Wesentlichen kommen, wenn Sie mich fragen.“

Kate nahm das Pad zurück, bestätigte lächelnd Jadens Personalien und stellte es dann auf Aufnahme. „So, Commander.“, sagte sie. „Dann erzählen Sie mal, was Sie gesehen haben.“ „Wir hatten alle auf Scott geachtet.“, sagte Jaden. „Dann tauchte Benevidea auf. Sie schien irgendwie total verängstigt. Data hat versucht, Scott aus ihrem Weg zu bringen. Bei einem verängstigten Wesen kann man ja schließlich nie sicher sein, ob es aufpasst, wo es hinläuft. Benevidea hat beide mit ihrem Horn berührt, dann gab es einen weißen Blitz und dann waren sie weg. Dann habe ich nur noch einen roten Schatten gesehen, der durch die Luft flitzte. Benevidea ging sofort zu Boden. Dann sah ich Barnaby, der vor der Ohnmächtigen einen irren Tanz aufführte. Dabei hat er geschrien, dass er ganz allein ein mächtiges Einhorn besiegt hätte und das wäre ja schon eine Leistung, die wir alle zu würdigen hätten, weil er ja nur ein sterblicher Mensch sei. Wenn Sytania ihn zu ihrer Marionette gemacht hätte, dann hätte sie uns das spätestens jetzt wissen lassen. Dazu siegt sie viel zu gern und zeigt ihre Macht. Sie können mir glauben. Ich habe sie lange genug selbst bekämpft. Na ja. Dann habe ich Barnaby gestoppt.“ „Und hier fügt sich Ihre Aussage lückenlos an die Ihrer Frau.“, sagte Kate. „Ich denke, dass der Umstand, dass er das Lasso bereits bei sich hatte, Tamara irritiert hat. Aber das kann auch sein, wenn er selbst das hier von langer Hand geplant hat. Wenn er sich selbst aus irgendeinem Grund beweisen wollte, was für ein guter Leibwächter er ist, der sogar mit den Mächtigsten der Mächtigen fertig wird, dann könnte das passen. Aber deshalb müssen wir zunächst abwarten, was Sedrin in Erfahrung bringen kann. Ich denke, nur so wird ein Schuh draus.“ Jaden nickte. „Das war alles, was ich gesehen habe, Kate.“, sagte er. „OK.“, sagte Kate. „Dann sind Sie hiermit aus meiner Vernehmung entlassen.“ „Danke, Agent.“, sagte Jaden und stand auf. „Oh ich danke Ihnen, Commander.“, sagte Kate. „Sie haben uns einen großen Schritt weiter gebracht.“ „Das hoffe ich.“, sagte Jaden, gab ihr noch höflich zum Abschied die Hand und ließ sich dann noch von ihr zurück zum Ausgang begleiten, durch den er das Gebäude wieder verließ.

Zur gleichen Zeit war auch Sedrin zum Raumflughafen nach Washington unterwegs. Warum sie statt des Highways die Landstraße genommen hatte, war ihr selbst nicht klar. Eigentlich hatte sie dafür gar keine Zeit. Deshalb fuhr sie auch eigentlich viel zu schnell und nahm nur aus dem Augenwinkel jene Situation wahr, die sich ihr bald darauf am Straßenrand bot. Dort stand ein Jeep mit aufgeklappter Antriebsabdeckung. Neben dem grünen kleinen etwas ovalen Fahrzeug stand eine Frau von ca. 1,70 m Größe in einem wallenden langen Kleid, das ebenfalls hellrot war und ihr bis zu den Füßen reichte. An diesen trug sie weiße Halbschuhe. Ihre etwa schulterlangen schwarzen Haare waren zu einem kessen Pferdeschwanz zusammengebunden und wurden von einer großen silbernen Spange mit einem Schmetterlingsmotiv gehalten. Sie war hellhäutig und ihr Gesicht war ebenmäßig. Sedrin hatte sie sofort als Terranerin oder angehörige einer artverwandten Rasse identifiziert.

Die demetanische Agentin überlegte, ob sie anhalten sollte. Die Zeit saß ihr im Nacken. Sie wusste auch, dass sie nicht in der Lage sein würde, der Fremden technische Hilfe zu geben. Aber ein kurzer Blick ins Innere des Fahrzeugs hatte ihr gezeigt, dass dort kein einziges Display leuchtete. Sie musste also ein größeres Problem mit der Energieversorgung haben. Warum der Pufferakku des Sprechgerätes, das serienmäßig in jedes Fahrzeug eingebaut war, aber auch nicht funktionierte, war ihr ein Rätsel. Sie konnte nur vermuten, dass die Fremde trotz vieler Anzeigen im Display versäumt hatte, den Akku auswechseln zu lassen, als ihr die Systeme des Fahrzeugs seinen Defekt gemeldet hatten. Auch das Kennzeichen des Jeeps hatte sie sich gemerkt und so wäre es ein Leichtes für sie gewesen, bei der Pannenhotline Hilfe für die in Not geratene Frau zu besorgen. Als Angestellte des Staates sah sie es sogar als ihre Pflicht an, ihr zu helfen.

Sie wendete ihr eigenes Fahrzeug also bei nächster Gelegenheit und kam dann langsam wieder auf die Fremde zugefahren. In der Nähe auf dem Seitenstreifen stellte sie den eigenen Jeep vorschriftsmäßig ab. Dann stieg sie aus und ging in Richtung der Fremden, die bereits verzweifelt zu winken begonnen hatte. Je näher sie ihr aber kam, desto stärker wurde ihr Eindruck, sie schon einmal gesehen zu haben. Irgendwie erinnerte sie diese Frau an jemanden. Aber die Person, die Sedrin vorschwebte, hatte einen Lockenkopf. Das war aber auch nicht weiter verwunderlich, denn Frisuren konnte man schließlich jederzeit ändern. Die Wahrscheinlichkeit war also recht hoch, dass es doch die sein konnte, von der Sedrin ausging, dass sie es sei. Das musste sie sich selbst nur noch irgendwie beweisen.

Die Fremde gab einen erleichterten Seufzer von sich, als sie Sedrin ansichtig wurde. „Gut, dass Sie da sind, Agent.“, sagte sie und warf einen kurzen Blick auf Sedrins rechte Schulter. Damit aber hatte sie ihr bereits ein Indiz mehr für ihre Theorie geliefert. Es war relativ unwahrscheinlich, dass eine einfache Zivilistin die Rangabzeichen der Sternenflotte so einwandfrei deuten konnte. Es war aber nicht unmöglich. Deshalb war es auch nur ein Indiz und kein Beweis, aber auch die Stimme der Fremden kam Sedrin jetzt sehr bekannt vor. Noch aber wollte sie die Fremde nicht spüren lassen, wie nah sie ihrer vermutlichen wahren Identität bereits war. Deshalb sagte sie nur: „Oh das mache ich doch gern. Ich bin Demetanerin. Wir helfen immer gern, wo es drauf ankommt. Was ist denn passiert?“

Die Fremde zeigte mit einem Schulterzucken und einem ratlosen Blick auf ihr Fahrzeug. „Er hat einfach den Geist aufgegeben.“, sagte sie. „Die Bordsysteme sind plötzlich alle heruntergefahren und dann … Tot, nichts mehr. Ich weiß, dass ich den Akku für das Sprechgerät längst hätte auswechseln lassen müssen. Aber ich habe es irgendwie immer wieder vergessen. Sonst könnte ich mir jetzt selbst Hilfe besorgen. Aber ich kann mir auch dieses verdammte Rufzeichen von der Pannenhotline nicht merken.“ „Das macht gar nichts.“, sagte Sedrin beruhigend. „Wir gehen zu meinem Jeep und dann rufen wir sie von dort. Aber das Rufzeichen müssen Sie sich doch auch nicht merken. Jeder Fahrschüler lernt heutzutage, dass es serienmäßig in jedem Sprechgerät auf Speicherplatz zwei gespeichert ist, das in einen Jeep eingebaut wird. Auf eins liegt der allgemeine Notruf. Das ist zwar kein gesetzlicher Zwang, aber eine stille Vereinbarung zwischen dem Staat als oberstem Organ der Sicherheit und den Herstellern von Fahrzeugen.“ „Tatsächlich?“, sagte die Fremde erstaunt. „Das war mir jetzt irgendwie entfallen. Aber das nützt uns ja jetzt eh nichts.“ „Sehr richtig.“, bestätigte Sedrin. „Aber deshalb sollten wir jetzt auch wirklich los. Kommen Sie! Ich bin übrigens Agent Sedrin Taleris-Huxley. Aber das wissen Sie bestimmt auch bereits, …“ Sie machte eine dramatische Pause: „Tolea!“ „Erwischt.“, gab die Fremde zu und lächelte. „Aber wie sind Sie mir auf die Spur gekommen?“ „Sie haben sich verraten, als Sie meinen Rang erkannten.“, sagte Sedrin. „Außerdem kann man das mit dem Rufzeichen gar nicht vergessen, weil man es erstens sicher als Prüfungsfrage bekommt und zweitens jedes Mal beim Start des Fahrzeugs durch die Bordsysteme auf dessen Speicherplatz als kurze Erinnerung aufmerksam gemacht wird. Die Meldung ist so auffällig, dass man sie überhaupt nicht übersehen kann. Deshalb halte ich das für eine Ausrede. Ihre Stimme haben sie außerdem nicht verändert. Ich bin niemand, die auf eine veränderte Frisur hereinfällt.“ „Sehr gut.“, sagte die Mächtige. „Dann ist diese ganze Maskerade hier ja nicht mehr notwendig.“

Es gab einen weißen Blitz und der Jeep war verschwunden. Außerdem hatte Tolea ihre alte Frisur wieder. Dann sagte Sedrin: „Ich nehme an, Sie sind auch für meine heutige Pechsträhne verantwortlich und für die Tatsache, dass ich mich quasi genötigt fühlte, die Landstraße zu benutzen, obwohl ich gar keine Zeit hatte.“ „Schuldig im Sinne der Anklage.“, lächelte die Bewohnerin des Raum-Zeit-Kontinuums. „Ich gestehe in vollem Umfang. Ich wusste und wollte auch, dass Sie mir draufkommen, Sedrin. „Ich wollte eine Situation herstellen, in der wir allein sind. Ich muss nämlich noch eine Schuld begleichen. Sie alle haben mich vor einer großen Dummheit bewahrt.“ „Sie sprechen von dem Moment, als Sie ihr Leben beenden wollten.“, sagte Sedrin. „Aber dann sollten Sie sich lieber an Ihren Bruder und Shimar wenden. Denen und der Besatzung der Electronica haben Sie es schließlich zu verdanken.“ „Da haben Sie sicher Recht.“, sagte Tolea. „Aber die Art, in der ich meine Schuld bei euch Sterblichen begleichen will, ist sicher bei Ihnen besser aufgehoben, Agent. Mein Zahlungsmittel, eine wichtige Information, können Sie ja auch weitergeben an die, die damit Ihrer Meinung nach etwas mehr anfangen können. Alle anderen sind schwer beschäftigt im Augenblick. Sie sind die Einzige, die gerade frei war.“ „Das bin ich eigentlich nicht, Tolea!“, sagte Sedrin energisch. „Ich weiß.“, beschwichtigte die mächtige. „Sie müssen ein Shuttle bekommen. Aber das werden Sie auch. Ich habe uns aus der Zeit genommen. Wenn ich uns wieder integriere, wird es genauso spät sein, wie es zu dem Zeitpunkt, war, an dem sie und ich uns begegnet sind. Sie haben also genug Zeit, sich meine Informationen anzuhören.“ „Na gut.“, sagte Sedrin, die inzwischen gemeinsam mit Tolea an ihrem eigenen Fahrzeug angekommen war. „Und was ist das für eine Information?“ „Es geht um Allrounder Scotts und Commander Datas Situation.“, sagte Tolea. „Sie dürften mittlerweile wissen, dass Benevidea die Dimension geschaffen hat, in der sie sich jetzt befinden. Sie hatte aber die Verbindung dorthin verloren und das bedeutet, die Dimension ist jetzt völlig autark. Selbst dann, wenn sie die Verbindung wiederbekommen sollte, wird die Situation, die sie dort sieht, ihren kindlichen Verstand bei weitem überfordern. Sie wird nicht in der Lage sein, die richtigen Prozesse einzuleiten, um ihre Schöpfung zu zerstören. Zerstört werden muss sie. Das ist der einzige Weg, auf dem Scott und Data nach Hause kommen können und auf dem auch in den Dimensionen wieder ein Gleichgewicht erreicht werden kann.“ „Ladungsverschiebungen, ja.“, sagte Sedrin und überlegte. „Die Tindaraner haben entsprechende Beobachtungen gemacht. „ Aber warum?“ „Es gibt in Benevideas Schöpfung auch eine Kopie von Sytania.“, erklärte Tolea. „Deren mentale Verbindung zum Dunklen Imperium wurde unglücklicherweise ebenfalls dupliziert. Das bedeutet, die Dimension hat jetzt zwei Minus-Pole und nur einen Plus-Pol.“ „Mutter Schicksal!“, rief Sedrin aus. „Dass das ein Problem ist, verstehe ja sogar ich! Aber was hat das jetzt mit der Lösung zu tun?“ „Um wieder nach Hause kommen zu können und die Dimensionen gleichzeitig zu retten.“, begann Tolea. „Muss Scott eine Entscheidung treffen, die ihr nicht gefallen könnte. Sie muss die beiden Sytanias aufeinanderhetzen. Da die Kopie von einem schwächeren Wesen geschaffen wurde, das jetzt noch kein reifes telepathisches Zentrum besitzt, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass sie den Kampf verlieren wird. Das bedeutet gleichzeitig die Zerstörung der Dimension, wenn alles so läuft, wie ich es vorausgesehen habe. Data kann ihr bei ihrer Entscheidung nicht helfen. Er ist dort eine rechtlose Maschine. Wie ich Scott einschätze, wird sie das aber nicht tun. Sie ist Offizierin der Sternenflotte und fühlt sich sehr an deren Regeln gebunden. Sie würde auf keinen Fall eine Dimension voller empfindungsfähiger Wesen opfern, nur um selbst nach Hause zu gelangen, auch wenn das bedeuten würde, dass sie für immer dort bleiben müsste. Ich weiß nicht, ob das Argument, sie rette damit alle anderen, noch bei ihr ankommen würde. Ich sehe einen schweren Gewissenskonflikt bei ihr voraus, aus dem sie vielleicht nicht allein herauskommt. Ich denke, sie wird es nicht tun. Sie wird die Dimension nicht von innen zerstören. Das bedeutet, wir werden für immer mit dieser Situation leben müssen, oder zumindest solange, bis Benevidea erwachsen genug ist, um ihre eigene Schöpfung besser zu verstehen. Wir anderen Mächtigen können aus Energiespezifischen Gründen nichts tun und …“

Sedrin war blitzschnell in ihren Jeep gestiegen hatte mit einem lauten Knall die Tür manuell geschlossen und hatte den Antrieb gestartet. Sie sah noch einmal durch die heruntergefahrene Seitenscheibe zu Tolea und sagte mit entschlossenem Blick: „Ich denke, da unterschätzen Sie Scott gewaltig, meine Beste! Sie hat schon oft Wege aus Situationen gefunden, die man ihr am Ende gar nicht zugetraut hat und sie hat schon in mancher dieser Situationen Mut bewiesen, wenn wir alle gedacht hätten, sie würde stattdessen furchtsam weichen! Sie wird einen Weg finden, Tolea! Haben Sie verstanden?! Sie wird definitiv einen Weg finden. Außerdem ist sie nicht allein!“ „Warten Sie!“, sagte Tolea. Sedrin deaktivierte den Antrieb des Jeeps. „Ich muss Sie erst wieder in die Zeit integrieren.“, sagte Tolea. „OK.“, sagte Sedrin genervt. „Dann aber schnell!“ Dann gab es einen weißen Blitz. „Sie haben mich gerade mit Ihrem Plädoyer für Scott sehr beeindruckt. Wir alle im Hohen Rat hätten mit Ihrer Reaktion nicht gerechnet. Aber ich erinnere mich jetzt auch, dass Sie die Wahrheit gesagt haben, Agent. Und wenn Scott auch nur ganz unverschämtes Glück hatte. Trotzdem hat sie viele Situationen wider zum Guten wenden können. Allein ist sie ja auch nicht. Ich denke, ich kann den anderen Ausrichten, dass die Situation lange nicht so schlimm ist, wie wir alle glauben.“ Damit war sie in einem weiteren weißen Blitz verschwunden und auch Sedrin verfasste nur noch eine kurze Mail mit den Ergebnissen der Vernehmung Toleas, die sie an Kate schickte. Sie enthielt außerdem die Bitte, Kate möge sie an Chief-Agent Tamara weiterleiten.

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