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Auch wir waren auf dem Weg zur Erde. Ich hatte Nachtschicht auf der Brücke gehabt und diese gemeinsam mit Mikel verbracht, der mir auf meine Selbstanzeige hin gesagt hatte, er wolle sich darum kümmern. Das hatte für mich bedeutet, dass er mich eigentlich, zumindest meiner Ansicht nach, in die Arrestzelle sperren müsste. Nichts dergleichen war aber passiert. Er hatte mir nur gesagt, er müsse noch mal für kleine Sternenflottenoffiziere und würde deshalb schon fünf Minuten vor Schichtende gehen. Er hatte mich gefragt, ob ich denn zurechtkäme, was ich verwundert bejaht hatte.

Ich hörte die Tür der Brücke, die sich langsam öffnete. Dann bewegten sich weibliche Schritte auf mich zu. „Commander?“, fragte ich. „Nein.“, gab eine helle Stimme zur Antwort. „Hier ist Ribanna. Ich löse dich ab, Betsy. Du weißt ja, dass wir nicht dazu gekommen sind, mich auf der Reservistenbasis abzusetzen. Commander Kissara hat aus der Not aber eine Tugend gemacht und bestimmt, dass ich dich, wenn es mein Gesundheitszustand zuließe, dann eben ablösen soll, wenn deine Schicht endet. Du weißt ja, dass mich dein Großvater und dein Freund in eine leichte Glaubenskrise gestürzt hatten, die jetzt aber wieder vorbei ist. Ich konnte mit Agent Mikel sehr gut darüber reden, weil er sich mit Geistern recht gut auskennt.“ Sie lächelte hörbar bei ihren letzten Worten. „Mit Agent Mikel reden.“, entgegnete ich. „Ja, das würde ich auch gern! Stell dir vor, Ribanna! Er wollte mich nicht verhaften! Er wollte mich einfach nicht verhaften! Kannst du dir das vorstellen?!“ „Warum sollte er dich denn verhaften?“, erkundigte sich die sichtlich irritierte Indianerin. „Welchen Verbrechens sollte man dich denn anklagen?“ „Des Verbrechens überhaupt, Ribanna.“, sagte ich. „Des schlimmsten Verbrechens, das eine Offizierin der Sternenflotte überhaupt begehen kann, wenn sie gegen das Gesetz der Gesetze verstößt! Er ist wohl nachlässig in seinen Ermittlungen geworden, weil wir Freunde sind. Aber das darf für ihn normalerweise keine Rolle spielen! Wenn er befangen ist, dann muss eben ein anderer Agent mich verhaften. Aber der Computer sagt, er hat zu keinem seiner Kollegen Kontakt aufgenommen, seit ich mich angezeigt hatte. So nachlässig kenne ich Mikel gar nicht! Was ist nur los mit ihm, Ribanna?! Was ist nur mit ihm los?!

Der empörte Ausdruck in meinem Gesicht war ihr nicht verborgen geblieben. Dessen war ich sicher. Sie aber stellte sich nur ruhig neben mich und sagte dann: „Wenn dich das so stört, dann geh doch zu Mikel und rede mit ihm. Man kann sehr gut mit unserem Ersten Offizier reden. Glaub mir. Ich spreche da aus Erfahrung. Trösten kann er ganz fabelhaft.“ Ihre Stimme klang etwas ironisch. Sie schien mehr zu wissen als ich. „Ich brauche keinen Trost, sondern Gerechtigkeit!“, sagte ich laut und fest. „Jedenfalls werde ich den Orden von Nugura nicht annehmen! Wie sieht das denn aus, wenn Sie einer Hochkriminellen einen Orden verleiht und die ihn auch noch annimmt?! Nein! So eine bin ich nicht! Aber das mit dem Reden war eine gute Idee von dir, Ribanna. Ich werde Mikel noch einmal aufmerksam machen.“

Ich stand von meinem Sitz auf, nachdem ich mich ordnungsgemäß aus dem System abgemeldet hatte, damit sie sich anmelden konnte. Dann sagte ich noch: „Sie verhält sich ganz normal. Es gibt nichts, auf das du gezielt achten müsstest.“ „OK.“, sagte Ribanna und gab ihre Zugangsberechtigung ein.

Ich hingegen packte meinen Taststock aus und verließ die Brücke in Richtung des nächsten Turbolifts, der mich zum Wohn- und Freizeitdeck brachte. Hier suchte ich das nächste Computermikrofon im Flur auf und fragte hinein: „Computer, wo ist Agent Mikel?“ „Agent Mikel befindet sich in seinem Quartier.“, kam eine nüchterne Antwort zurück. „Danke.“, zischte ich und drehte mich in Richtung des Gangs, in dem Mikels und mein Quartier nebeneinander lagen.

An seiner Tür angekommen suchte ich mir sofort den Knopf für die Sprechanlage und betätigte diese. „Ja.“, meldete sich ein etwas genervt klingender Mikel. Mir war zwar klar, dass er nach einer Nachtschicht liebend gern sein Bett aufgesucht hätte, diese Sache verlangte aber dringend nach Klärung. Deshalb sagte ich auf Deutsch: „Mikel, hier ist Betsy. Ich muss mit dir reden! Es ist sehr dringend!“ „Na gut.“, sagte Mikel. Dann glitten die Türen vor mir auseinander, ein unmissverständliches Zeichen dafür, dass ich herein kommen sollte.

Ich hatte sein Quartier betreten und das Nächste, das ich spürte, war seine Hand, die meine fasste und mich mit sich ins Wohnzimmer zog. Er musste im Flur auf mich gewartet haben. „Was ist denn noch?!“, fragte er genervt. „Sag bitte nicht, es ist wegen deiner Selbstanzeige. Ich habe gesagt, ich würde mich darum kümmern und das habe ich getan, indem ich sie fallengelassen habe. Es existiert nämlich gar keine Handhabe.“ „Keine Handhabe?!“, fragte ich empört. „Wieso keine Handhabe?!“ „Ich habe gegen die Oberste Direktive verstoßen, Mikel! Die Rotash haben durch mich eine schwere Glaubenskrise erfahren und das nur, weil ich …!“ „Genau!“, unterbrach er mich. „Weil du die Situation verändert hast, um Valora die Augen zu öffnen! Damit hast du uns alle gerettet! Du hast also in Nothilfe gehandelt! Es war völlig in Ordnung, was du getan hast! Wenn du das nicht getan hättest, dann wären Sytania und Valora heute immer noch verbündet, Sytania hätte Valora immer noch ausgenutzt und wir wären ihre Sklaven! Hätte dir das etwa besser gefallen, nur um einem Gesetzbuch Genüge zu tun?! Du weißt doch, dass Sytania längst versucht, unsere Gesetze gegen uns zu verwenden. Gut, die Oberste Direktive stammt aus einer Zeit, in der das noch kein Feind gewagt hatte, weil sie vielleicht auch nicht die Mittel dazu hatten, die Sytania, als eine Mächtige, aber durchaus hätte. Aber mit deiner mutigen Handlung hatte sie nicht gerechnet. Deshalb war sie überrascht und wir konnten sie auf dem falschen Fuß erwischen! Wie gesagt, es war richtig, Betsy! Es war richtig! Ich würde allenfalls jeden tadeln, der das in deiner Situation nicht genauso gemacht hätte! Außerdem standst du unter Invictus‘ Einfluss! Du warst also nicht schuldfähig!“ „Hör auf, diese Sache zu verharmlosen!“, schrie ich. „Wir reden schließlich nicht davon, dass ich einer alten Frau auf der Straße zur Hilfe gekommen bin, der gerade ihre Handtasche entwendet wurde! Wir sprechen von …!“ „Doch, Betsy!“, sagte Mikel ebenfalls sehr energisch. „Genau davon reden wir, wenn die alte Frau wir alle sind, es sich bei den Dieben um Sytania und Valora handelt und die Handtasche unser aller Freiheit ist. Noch einmal: Du hast nichts Unrechtes getan! Sicher müssen die Kommentare zur Auslegung der Obersten Direktive noch einmal überarbeitet werden und es muss eine Novelle geben, seit sich unsere Situation so verändert hat. Sonst schafft es Sytania irgendwann doch noch! Aber ich bin sicher, die Politiker werden ihre Lehren daraus ziehen. Du jedenfalls hast nichts Falsches getan! Deshalb gibt es für mich auch keinen Grund, dich in die Arrestzelle zu sperren und du brauchst auch kein schlechtes Gewissen zu haben. Du darfst den Sarek-Stern ruhig annehmen! Zwing Kissara und mich bitte nicht, es dir zu befehlen!“

Er hatte kaum ausgesprochen, da ertönte das Signal der Sprechanlage. Sofort drehte sich Mikel dem Computermikrofon zu: „Rufzeichen oder Speichernamen vorlesen, Computer!“ „Das Büro der Präsidentin der Föderation an Bord ihrer Raumjacht.“, kam es nüchtern zurück.

Mikel drehte sich wieder zu mir: „Wir reden später weiter, Betsy.“, sagte er. „Also gut.“, sagte ich etwas frustriert und ging, während Mikel sich das Gespräch durchstellen ließ. Ich würde es aber nicht dabei bewenden lassen. Auf gar keinen Fall! So leicht würde er mir nicht davonkommen. Ich beschloss, zunächst zu Shimar und Scotty zu gehen, die das Gästequartier bewohnten, solange sie an Bord unseres Schiffes waren. Vielleicht hatten meine beiden Männer ja mehr Verständnis für mich.

Der Agent hatte sich dem Mikrofon zugedreht. Er ahnte, dass ihn der Computer zunächst mit Saron verbinden würde. Deshalb sagte er auch: „Hier Agent Mikel. Ich höre, Mr. Saron.“ „Hallo, Agent.“, erwiderte der demetanische Sekretär Nuguras. „Ich verbinde Sie jetzt mit meiner Vorgesetzten. Bitte bleiben Sie in der Leitung.“ „Es ist sehr höflich von Ihnen, dass Sie mir bei der Bedienung dieser Sprechverbindung helfen wollen, Aber das ist für mich selbstverständlich, Saron.“, sagte Kissaras Erster Offizier diplomatisch. „In Ordnung, Agent.“, sagte Saron und schaltete die Verbindung.

Ein Klicken in seinem Ohrhörer hatte Mikel bald verraten, dass der Vorgang des Durchstellens erfolgreich gewesen war. Er setzte sich gerade hin und salutierte. Dann sagte er: „Madam President, hier ist Agent Mikel. Was verschafft mir die Ehre Ihres Rufes?“ „Ich muss mit Ihnen über die Situation um Allrounder Scott reden, Agent.“, sagte Nugura ruhig. „Mir ist da ein beunruhigendes Gerücht zu Ohren gekommen und Sie wissen ja, wie ich zu Gerüchten stehe.“ „Das weiß ich, Madam President.“, entgegnete Mikel. „Sie mögen sie überhaupt nicht!“ „Das ist korrekt, Agent.“, bestätigte das Staatsoberhaupt. „Deshalb würde ich gern von Ihnen erfahren, ob sie stimmen oder nicht.“ „Was sind denn das für Gerüchte, Madam President?“, fragte Mikel. „Ich werde mein Bestes tun, um Ihnen zu helfen, sie aus dem Weg zu räumen.“ „Das können Sie vielleicht tatsächlich.“, sagte Nugura. „Es geht das Gerücht um, der Allrounder wolle den Sarek-Stern gar nicht annehmen. Was sagen Sie dazu?“ „Bedauerlicherweise ist das kein Gerücht, Präsidentin.“, sagte Mikel. „Gestern hat sie sich selbst des Verstoßes gegen die Oberste Direktive angezeigt. Ich aber habe die Ermittlungen fallengelassen, weil dafür überhaupt kein Anlass besteht. Was sie getan hat, tat sie als Nothilfe. Wenn sie es nicht getan hätte, dann wären wir heute alle Teil von Sytanias neuem Reich und hätten garantiert keine sehr hohe Stellung dort.“ „Das lässt sich denken, Agent.“, antwortete Nugura. „Aber wie hat Scott denn Ihre Einlassung zum Thema Notwehr aufgenommen? Ich nehme an, Sie haben es ihr gesagt.“ „Es geht um Nothilfe und nicht um Notwehr.“, korrigierte Mikel. „Wo liegt der Unterschied, Agent?“, fragte Nugura. „Bitte erklären Sie es mir doch noch einmal.“ „Gern.“, sagte der ausgebildete Agent geduldig. „Wenn Betsy selbst die gewesen wäre, die von Valora veralbert werden und zum Glauben an sie verleitet werden sollte und sie sich beispielsweise mit einer Ladung Rosannium ihrer erwehrt hätte, dann wäre das Notwehr gewesen, da sie sich selbst verteidigt hätte. Bei der Nothilfe verteidigt man andere. Das hat sie getan, indem sie Valoras Status als Göttin in Zweifel zog gegenüber den Genesianern, sie enttarnte und an ihr Gerechtigkeitsempfinden appellierte. Damit hat sie zwar uns alle verteidigt, also auch sich selbst in gewissem Sinne, Aber eben nicht nur und ausschließlich sich selbst.“ „Ich verstehe, Agent.“, sagte Nugura. „Aber was hat Ihr Gespräch mit Scott denn nun ergeben? Konnten Sie für einen Meinungsumschwung bei ihr sorgen? Wird sie den Sarek-Stern doch annehmen?“ „Ihre Äußerungen waren nicht ganz eindeutig, Präsidentin.“, sagte Mikel. „Sie hat zwar darauf bestanden, den Stern nicht verdient zu haben, aber ich konnte ja noch gar nicht wirklich versuchen, sie zu überzeugen.“ „Und warum konnten Sie das nicht?“, fragte Nugura. „Bei allem Respekt, weil Sie mir dazwischengefunkt haben, Madam President.“, sagte Mikel. „Oh, das tut mir leid, Mikel.“, lächelte die Oberbefehlshaberin der Sternenflotte. „Hätte ich das geahnt, dann hätte ich Sie zu einem späteren Zeitpunkt gerufen.“ „Schon vergeben.“, sagte Mikel und lächelte ebenfalls. „Aber Sie sollten es noch einmal versuchen, Agent. Ich habe bereits alles mit meinem irdischen Amtskollegen abgesprochen und es wäre doch sehr schade, wenn die ganze Vorbereitung umsonst gewesen wäre. Außerdem muss sie sich keine Sorgen um ihren Status machen. Scott meine ich. Ihre Handlung war gerechtfertigt. Ich habe ja alle Berichte zu dieser Mission auch gelesen. Inklusive der Berichte der Tindaraner und dem von Time und seiner Crew. Es gibt für mich keinen Grund, Scott als Kriminelle zu bezeichnen, auch wenn sie dies in ihrem eigenen Bericht noch einmal unterstreicht. Ich frage mich, was ihr wann passiert sein mag, dass sie so eine Angst vor dem Übertreten von Regeln und Gesetzen verspürt. Aber Sie kennen sie ja schon eine Weile länger. Vielleicht können Sie mir ja den entscheidenden Hinweis geben, Agent.“ „Bedaure.“, sagte Mikel und zuckte mit den Schultern. „Aber den Grund dafür kenne ich auch nicht. Mit deutscher Gründlichkeit allein kann das nichts zu tun haben, denn dann wäre ich ja auch betroffen. Aber ich kann es Ihnen beim besten Willen nicht sagen, Nugura.“ „Sei’s drum.“, sagte Nugura. „Gibt es jemanden unter Ihnen, dem Scott genauso sehr vertraut wie Ihnen?“ „Ich denke, dass Commander Kissara vielleicht einen Weg finden könnte, sie doch noch zu überzeugen.“, sagte Mikel. „Sie kann sehr gut schmeicheln und trösten. Für eine Thundarianerin ist das normal. Ihr Verhalten erinnert oft an das irdischer Katzen, wenn sie etwas erreichen wollen. Aber für Kissaras Rasse ist ein solches Vorgehen völlig normal.“ „Ach wie gut, dass die Granger eine thundarianische Kommandantin hat.“, seufzte Nugura und lehnte sich lächelnd in ihrem Stuhl zurück. „Bitten Sie doch Kissara darum, Ihnen bei der Überzeugung des Allrounders behilflich zu sein. Ich bin sicher, sie wird es gern tun.“ „Dessen bin ich mir auch sicher.“, sagte Mikel erleichtert. „Vielen Dank, Madam President.“ „Gern geschehen, Mikel.“, entgegnete die Präsidentin der Föderation. „Ich muss allerdings zugeben, dass ich nicht ganz uneigennützig gehandelt habe, als ich Ihnen den Vorschlag machte.“ „Verstehe.“, scherzte Kissaras Erster Offizier. „Sie wollen verhindern, dass die Kanapees verderben!“ „Ich wusste, wir verstehen uns.“, scherzte Nugura zurück und beendete die Verbindung.

Sogleich verfasste Mikel eine SITCH-Mail an Kissara, in der er ihr das Problem schilderte. Ihre sofortige Antwort, sie würde sich darum kümmern, erleichterte ihn sehr. Jetzt konnte er in aller Ruhe schlafen gehen.

Scotty hatte sich im Wohnzimmer des Gästequartiers auf dem Tisch ausgebreitet. Genauer hatte er dort eine Arbeit ausgebreitet, an der er jetzt schon einige Minuten saß. Auf dem Tisch verstreut lagen technische Einzelteile und Werkzeug. Davor saß ein konzentrierter Scotty, der mit ruhiger Hand gerade dabei war, alles in bestimmter Weise zusammenzufügen.

Da er seine Augen auf seine Arbeit gerichtet hatte, bemerkte er Shimar nicht, der langsam durch die Tür gekommen und an ihn herangetreten war. „Darf ich erfahren, was du da ausbrütest?“, fragte der junge Tindaraner, der mit dem, was er dort vor sich sah, nun so gar nichts anfangen konnte. „Das darfst du.“, sagte Scotty und sah kurz von seiner Arbeit auf. „Das wird ’n Geschenk für Betsy, das ich ihr überreichen werde, wenn der ganze Zinnober um ihre Ordensverleihung vorbei is’. Das is’ sozusagen meine Gratulation, oder sollte ich besser sagen, die unsere. Du wirst den Neurokoppler nämlich für mich testen. Als Tindaraner bist du ja Experte in so was. Schließlich kann und will ich meinem Darling ja keinen Murks andrehen.“ „Ich glaube kaum, dass du Murks machen wirst.“, sagte Shimar. „Schließlich bist du Seine Majestät Montgomery der Erste, König der Bastler und Vernichter der Fehlerquellen. Du kannst …“

Er fuhr zusammen und gab einen Laut von sich, der Scotty zum Zuhören mahnte. „Was is’?“, fragte der ältere Terraner. „Es ziehen Gewitterwolken auf.“, sagte der junge Telepath. „Aber das geht doch im Weltraum gar nich‘.“, scherzte Scotty. „Du weißt genau, was ich meine.“, zischte Shimar etwas unwirsch. „Betsy ist auf dem Weg hierher und sie ist sehr verstimmt. Wenn ich den genauen Grund wissen wollte, dann müsste ich in ihren Geist eindringen und das tue ich nicht ohne ihre Zustimmung. Schnell weg mit den Sachen, Scotty, bevor sie noch misstrauisch wird!“ „OK.“, sagte mein Mann, raffte in Windeseile alles zusammen und dann deponierten Shimar und er es unter dem Tisch.

Draußen vor der Tür hatte ich, wie es sich für eine gut erzogene Besucherin gehört, zunächst die Sprechanlage betätigt. Es war Shimar, dessen Stimme ich daraufhin aus dem Gerät vernahm: „Hallo, Kleines!“ „Woher weißt du, dass ich es bin?“, fragte ich erstaunt. „Deine schlechte Laune würde sogar ein Nicht-Telepath wahrnehmen können.“, flapste er. „Oh tut mir leid.“, entschuldigte ich mich und riss mich zusammen. „Ist schon gut, Kleines.“, tröstete mein Freund. „Es ist nur gerade etwas unordentlich bei uns. Ich schlage vor, du wartest an der Tür und ich hole dich ab.“ „Vorschlag angenommen.“, frotzelte ich und beendete die Verbindung. Dann stellte ich mich neben den Türpfosten und wartete auf ihn, der sich bald von innen näherte und die Tür mittels seines rechten Zeigefingers auf dem Sensor öffnete. Dann nahm er meine Hand und zog mich mit sich in den Flur, worauf sich die Tür wieder hinter uns schloss.

„Wie habe ich mir das mit der Unordnung denn vorzustellen in eurer Junggesellenbude, he?“, flapste ich. „Du hast wohl total vergessen, dass ich das eh nicht sehe, Srinadar, was?“ „Darum geht es gar nicht.“, widersprach Shimar. „Du könntest einen Unfall erleiden und ich würde dann meines Lebens nicht mehr froh. Dein Mann Scotty übrigens auch nicht.“ „Uff!“, stöhnte ich. „So schlimm?“

Wir hatten das Wohnzimmer betreten. „Scotty, ich habe Besuch mitgebracht.“, sagte Shimar an Scotty gewandt, der immer noch auf seinem Platz saß. „Hi, Darling!“, begrüßte mich mein Ehemann erfreut. „Setz dich doch.“

Ich nickte und Shimar führte mich zu einem Stuhl, der zwischen dem seinen und dem von Scotty stand. Beim Hinsetzen stieß mein rechter Fuß gegen etwas. „Was habt ihr denn da unter dem Tisch?“, fragte ich. „Ach, nur irgendwelches Gerümpel!“, sagte Scotty. „Genau.“, bestätigte Shimar. „Ich habe dir ja schon gesagt, dass wir dringend mal aufräumen müssen. Eigentlich sind wir gar nicht bereit für Damenbesuch.“ „Na dann kann ich ja wieder gehen.“, flapste ich und machte eine übertriebene Geste, als wollte ich beleidigt aufstehen. „Du machst dich, Darling.“, lobte Scotty. „Du wirst langsam richtig gut im Witzereißen.“ „Danke, Scotty.“, sagte ich und lächelte ihm zu.

Mein Mann zog mich plötzlich an sich. „Na komm mal her, Darling. Was ist denn der Grund für deine miese Stimmung?“ „Stellt euch vor.“, sagte ich. „Nugura will mir den Sarek-Stern verleihen. Dabei habe ich den gar nicht verdient. Ich habe gegen das Gesetz der Gesetze verstoßen, um mein Ziel zu erreichen. Da sind meine Verdienste doch wohl nebensächlich.“ „Du meinst wegen der Sache mit den Genesianern.“, sagte Scotty. „Aber das musstest du tun, Darling. Irgendwer musste Valora doch wieder auf den rechten Weg zurückbringen und das warst nun mal du. Invictus hat dir eben am meisten vertraut. Das hätte er sicher nich’, wenn du einen bösen kriminellen Charakter hättest. Außerdem is’ die Fassung der Obersten Direktive, die wir im Moment noch benutzen, meiner Ansicht nach so alt, dass sie schon Staub ansetzt und das nich’ zu knapp.“ Er hustete übertrieben. „Scotty hat Recht.“, sagte Shimar. „Da muss dringend was gemacht werden, sonst schafft es Sytania tatsächlich irgendwann noch einmal, eure Gesetze komplett gegen euch zu benutzen. Als Mächtige könnte sie durchaus Situationen herstellen, die auf den ersten Blick für euch wie die natürliche Entwicklung einer Gesellschaft aussehen, aber wenn man genauer hinsieht, dann würde man ihren Einfluss doch klar erkennen.“ „Das Problem könnte nur sein.“, ergänzte Scotty. „Dass die Schreibtischtäter im Oberkommando das nich’ unbedingt erkennen würden und die Politiker schon gar nich’. Die haben nämlich null Ahnung vom Leben hier draußen. Die entscheiden viel zu oft rein nach Aktenlage. Wenn sich Kirk nich’ ab und zu widersetzt hätte, dann …“ „Ich weiß.“, sagte ich. „In Geschichte war ich recht gut. Aber trotzdem darf der Zweck nicht immer die Mittel heiligen, finde ich.“ „Aye.“, machte Scotty. „Natürlich muss immer von Fall zu Fall genau geguckt werden. Da stimme ich dir vollkommen zu, Darling. Das macht die Sache dann vielleicht auch etwas kompliziert. Aber das Leben ist nun mal kompliziert und nicht schwarzweiß. Es gibt Situationen, in denen gibt es nich’ nur ja oder nein. Deshalb haben auch Computer und künstliche Intelligenzen in unserer Gesellschaft so ihre Schwierigkeiten. Aber deshalb können sie ja melden, wenn sie mit etwas nich’ klarkommen oder fragen.“ „Dafür haben wir auf Tindara ja auch die Lex Technologica.“, sagte Shimar. „Die lässt IDUSA wissen, dass sie mich oder eine andere biologische Lebensform in so einer Situation jederzeit zurate ziehen kann. Wir entscheiden dann zusammen.“ „Das habt ihr dann wohl uns voraus.“, sagte ich. „Die Rechtsprechung bezüglich künstlicher Lebensformen steckt bei der Föderation eben noch in den Kinderschuhen.“ „Das stimmt.“, urteilte mein Freund. „Aber ihr seid in unseren Augen deshalb nicht viel weniger wert.“ „Danke.“, sagte ich und brachte sogar ein leichtes Grinsen zustande.

Scotty hatte mich losgelassen und ich hatte mich wieder aufgesetzt. „Na also.“, sagte Shimar. „Es scheint dir ja schon etwas besser zu gehen. Aber so ganz sind die dunklen Wolken wohl noch nicht vertrieben. Erzähl mal. Was ist denn noch?“ „Mikel hat alles versucht, um mich zu überzeugen, den Sarek-Stern doch anzunehmen.“, sagte ich etwas unwirsch. „Ich hatte fast den Eindruck, Als würde er Nuguras Handlanger sein und unbedingt dafür sorgen müssen, dass sie ihre Feier kriegt.“ „Vielleicht will sie nur verhindern, dass der Champagner schlecht wird.“, grinste Shimar. Ich musste laut lachen.

Scotty stand auf und stellte sich vor Shimar hin. Dann sagte er übertrieben ernst: „Was fällt dir ein, in meinem Gebiet zu wildern?! Für das Reißen von Witzen bin normalerweise ich zuständig!“ „Ach ne.“, frotzelte Shimar zurück. „Aber sie durfte, Herr Oberförster, oder wie habe ich das von vorhin zu verstehen?“

Ich hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen bekommen. „Bitte nicht streiten!“, sagte ich und machte ein trauriges Gesicht. „Das kann ich heute gar nicht gebrauchen.“

Shimar zog mich nun an sich und gab einen beruhigenden Laut von sich. Dann sagte er: „Aber wir streiten doch gar nicht, Kleines. Was ist denn heute los? Ich dachte wirklich, dein feines Gehör hätte dir das verraten können.“ „Sorry.“, sagte ich. „Aber ich habe im Moment ganz andere Dinge im Kopf. Den muss ich unbedingt wieder freikriegen, bevor wir auf der Erde ankommen. Lasst mich bitte gehen.“ „OK.“, sagte Shimar und ließ mich los. Auch Scotty gab einen bestätigenden Laut von sich. Dann verließ ich das Gästequartier.

Shimar hatte sein Sprechgerät gezogen. „Was willst du?“, fragte Scotty. „Sie will zu IDUSA.“, sagte Shimar. „Und wir beide sollten zu Commander Kissara gehen. Wir sollten mit ihr über die Sache reden. Aber vorher kriegt IDUSA von mir noch ihre Befehle. Wenn das klappen soll, was ich vorhabe, dann wird sie diejenige sein, die Betsy ablenken muss, damit Kissara, du und ich alles vorbereiten können.“ „OK.“, sagte Scotty und sah zu, wie Shimar eine SITCH-Mail an das Rufzeichen seines Schiffes verfasste.

Ich hatte mich um einige Ecken begeben und dann in einer Nische, in der ich mich unbeobachtet wähnte, mein Sprechgerät gezogen, um dort das mir sehr gut bekannte Rufzeichen von Shimars Schiff einzugeben. Außerdem hatte ich einen Ohrhörer benutzt, damit keinem auffiel, mit wem ich sprach, der eventuell gerade vorbeikam.

„Hier ist IDUSA.“, meldete sich die elektronische Stimme des Schiffsavatars. „Was ist Ihr Begehr, Allrounder Scott?“ Da sie auch das Rufzeichen meines Handsprechgerätes kannte, wusste sie sehr wohl, wer da am anderen Ende der Leitung war. „Hol mich sofort zu dir an Bord, IDUSA.“, flüsterte ich ins Mikrofon. „Ich muss mit dir reden.“ „In Ordnung.“, sagte die künstliche Intelligenz. „Ich erfasse Sie jetzt mit dem Transporter. Bitte halten Sie sich bereit.“

Wenige Sekunden danach fand ich mich in ihrem Cockpit auf dem Pilotensitz wieder. Ich tastete nach vorn. Hier fand ich auf der Konsole tatsächlich Shimars Neurokoppler, den ich gleich aufsetzte. Er würde bestimmt nichts dagegen haben.

IDUSA, die meine Signale auch sofort identifiziert hatte, lud meine Reaktionstabelle. Dann fragte sie: „Was gibt es denn, Betsy? Wie kommt es, dass Sie gerade mit mir, einer Maschine, über Ihre Probleme sprechen wollen? Wäre nicht ein organischer Gesprächspartner besser geeignet, der Ihnen auch emotionale Unterstützung entgegenbringen kann? Oder wäre nicht sogar Ihr Schiff die weitaus bessere Wahl?“ „Nein, IDUSA.“, entgegnete ich. „Du bist genau das, was ich jetzt benötige. Ich würde gern mit Elektra reden, aber sie ist gerade dienstlich sehr beschäftigt. Die alljährlichen Wartungen laufen. Ich habe keine Ahnung, wo sie sich gerade auf dem Schiff befindet und möchte sie auch nicht stören und von ihrer Arbeit abhalten. Lycira ist außerdem zu verständig. Das kommt wohl von der biologischen Komponente, die sie in sich hat. Die hast du nicht und bist deshalb wohl neutraler. Außerdem muss ich den Kopf freikriegen. Du hängst doch sicher mit deinem eigenen Traktorstrahl am Rumpf der Granger. Shimar hat mir erzählt, dass du es gar nicht magst, wenn du in einen fremden Strahl genommen wirst.“ „Das ist korrekt.“, antwortete Shimars Schiff. „Ihr Commander hat das auch berücksichtigt und mir erlaubt, meinen eigenen Strahl einzusetzen.“ „Dann löse ihn bitte und lass uns vorausfliegen. Dann drehen wir noch ein paar Runden durch das irdische Sonnensystem. Oh, IDUSA, ich brauche dringend deinen Rat!“ „In Ordnung.“, sagte sie. „Ihren medizinischen Werten nach sind Sie aber sehr aufgeregt. Viel zu aufgeregt, um mich sicher fliegen zu können. Bitte erlauben Sie mir, Das Steuer zu übernehmen. Reden können wir trotzdem. Wie Sie mittlerweile wissen sollten, bin ich ja multitaskingfähig.“ „OK.“, seufzte ich und legte demonstrativ meine Hände in den Schoß. „Mach ruhig.“

Sie löste den Traktorstrahl und ging dann sofort auf Warp sechs, was zur Folge hatte, dass wir die Granger bald hinter uns gelassen hatten. „Worüber möchten Sie denn jetzt mit mir reden.“, fragte IDUSA verständig. „Stell dir vor!“, rief ich aus. „Nugura will mir den Sarek-Stern am Bande verleihen!“ „Die Modulation Ihrer Stimme.“, führte das Schiff aus. „Zeigt mir an, dass Sie über diesen Umstand Wut zu empfinden scheinen. Das weicht von dem ab, was ich normalerweise von biologischen Wesen erwarte. Normalerweise müssten Sie sich doch freuen. Ihr Verhalten erscheint mir unlogisch. Würden Sie mir bitte erklären, warum das so ist?“ „Die Erklärung kannst du haben, IDUSA!“, zischte ich. „Weißt du eigentlich, dass du gerade eine Verbrecherin transportierst?“ „Negativ.“, antwortete das Schiff. „Sie haben keine Vorstrafen und aktuell liegt auch kein Haftbefehl gegen Sie vor. Zumindest allen Datenbanken nach nicht, die ich kontaktieren konnte. Welches Verbrechen wollen Sie denn begangen haben, Betsy?“ „Das Verbrechen der Verbrechen für eine Offizierin der Sternenflotte überhaupt.“, erklärte ich. „Ich habe gegen die Oberste Direktive verstoßen, als ich den Genesianern die Augen über ihre neue Göttin öffnete. Das durfte ich doch normalerweise nicht. Eigentlich hätte ich doch dafür längst im Bau landen müssen und nicht noch belobigt werden dürfen. Nugura macht sich ja dadurch nicht besser als so mancher Diktator einer Bananenrepublik!“ „Nun.“, sagte IDUSA. „Ich sehe das ein wenig anders. Valora benötigte eine Medizin, da sie sich von Sytanias krankem Gedankengut hat anstecken lassen. Fast jedes Medikament hat Nebenwirkungen. Trotzdem werden die meisten von ihnen aber doch verschrieben.“ „Du meinst also, die Glaubenskrise der Rotash war eine Nebenwirkung, die wir in Kauf nehmen mussten?“ „Korrekt.“, sagte das Schiff knapp. „Außerdem waren Sie genaugenommen nicht schuldfähig. Sie standen unter dem Einfluss von Invictus.“ „Schon klar.“, sagte ich. „Den haben ein paar Genesianer nicht gekümmert. Der hatte ein höheres Ziel vor Augen. Aber das ändert leider nichts daran, was ich getan habe und dass so etwas eigentlich unter Strafe steht.“

„Initiiere Programm zur Lebenszeichenüberprüfung.“, sagte IDUSA plötzlich und begann mich zu scannen. „Überprüfung läuft. Meiner Diagnose nach sind Sie am Leben.“ „Was soll das, IDUSA?!“, fragte ich irritiert. „Natürlich bin ich am Leben! Warum sollte ich das nicht sein?!“ „Es ist also kein Blitz aus einer der vielen Heldenstatuen gefahren, die sich auf der Erde befinden und hat Sie getötet!“ „Was? Nein!“, erwiderte ich verwirrt. „Warum denn auch und vor allem wie? Das sind doch nur Bauwerke aus Stein!?“ „Ihrem Verhalten nach.“, führte sie aus. „Schreien Sie geradezu nach der höchstmöglichen Strafe und das wäre, zumindest rein technisch betrachtet, der Tod durch göttliche Fügung, auch wenn die Todesstrafe in der Föderation längst abgeschafft ist. Aber die Oberste Direktive ist meines Wissens auch kein heiliges Gebot irgendeiner Gottheit. Sie wurde verfasst von Wesen aus Fleisch und Blut, wie Sie oder Shimar eines sind. Das bedeutet, solche Wesen sind auch jederzeit in der Lage, sie der jeweiligen Situation anzupassen. Sytania hat nun einmal herausbekommen, dass sie sich prima gegen ihre eigene Schöpferin, die Föderation, verwenden lässt, wenn dort keiner aufpasst. Als Mächtige ist sie durchaus in der Lage, Situationen herzustellen, die wie eine natürliche Entwicklung aussehen können. Wenn ihr dann niemand das Handwerk legen darf, dann ist der Weg für sie frei, das Universum, in dem Ihre Heimat liegt, frei und frisch zu erobern. Weil Sie das nicht wollen, haben Sie alles getan, was in Ihrer Macht stand, um es zu verteidigen und sie zurückzuschlagen. Sicher sind die Zeiten vorbei, in denen es recht einfach war, die oberste Direktive zu interpretieren. Es muss sicher eine Novelle geben, die erlaubt, jeden Fall erst einmal gründlich zu prüfen, wenn man den Verdacht hat, dass es sich um keine natürliche Entwicklung handelt. Aber den hatten Sie ja wohl hinreichend genug.“ „Stimmt schon.“, gab ich zu. „Bitte lass mich nachdenken.“ „In Ordnung.“, sagte IDUSA. „Dann lehnen Sie sich bitte zurück und genießen Sie den Flug. Ich melde Ihnen, sobald wir die Umlaufbahn der Erde erreicht haben, oder falls sonst etwas sein sollte.“ „OK.“, seufzte ich erleichtert und ließ mich entspannt ins Polster sinken. Den Neurokoppler behielt ich aber auf, um Kontakt zu ihr halten zu können.

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