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Seit vier Uhr morgens hatte es mich nicht mehr in meinem Bett gehalten. Ich war also leise aufgestanden und hatte mich ins Wohnzimmer an den Hausrechner begeben, um dort alle Informationen über den so genannten Ritus der Könige im Dunklen Imperium nachzuschlagen. Es war nicht so, dass ich Nugura nicht glaubte. Sie kam mir aber sehr naiv vor und ich wollte wissen, ob es da etwas geben könnte, das Sytania ihr wohlweißlich verschwiegen hatte, um sie in aller Ruhe übers Ohr hauen zu können. Dass die Königstochter falsch spielte, war für mich so sicher wie das Amen in der Kirche. Wenn diese Kopie auch nur einen Teil der originalen Sytania in sich hatte, dann war es für Nugura sehr fraglich, ob sie wirklich eine gleichberechtigte Mitregentin sein würde. Für mich aber beantwortete sich diese Frage eindeutig mit einem Nein. Da war er wieder, der Gewissenskonflikt! Wäre Nugura unsere Nugura gewesen, hätte ich alle Hebel in Bewegung setzen müssen, um zu verhindern, dass sie Sytania heiratet. Das wäre sogar meine Pflicht als Offizierin der Sternenflotte gewesen, denn ich hätte wohl kaum zulassen dürfen, dass sie unsere Heimat so einfach an den Feind übergibt. Bei königlichen Hochzeiten war es ja auch immer so, dass die Reiche zusammengeschlossen wurden. Hier aber war die Situation ganz anders gelagert, ein Faktum, das mir nicht unbekannt war. Auch die Oberste Direktive diktierte mir mitzuspielen. Mein eigenes Gewissen sagte aber etwas anderes. Was sollte ich also tun?

Ich beschloss zunächst, den Informationen, die der Rechner für mich hatte, möglichst wertfrei zuzuhören. Da ich aber ein Mensch und keine Vulkanierin war, wusste ich bereits im Vorfeld, dass mir das wohl nicht gelingen würde. Eine der Informationen wurmte mich sogar sehr. Im Allgemeinen wurden in der Hochzeitsnacht nach dem Ritus der Könige auch die Kräfte der Verheirateten vereint. Da Nugura aber sterblich war und so davon nichts zu bieten hatte und Sytania nichts mehr hasste, als ebenbürtige und mit ihr gleichberechtigte Partner, würde es wohl nie dazu kommen. Was Sytanias wirkliches Motiv war, Nugura zu heiraten, konnte ich mir denken. Sie wollte die Föderation! Nuguras Gefühle waren ihr dabei völlig egal! Sie würde sie sicher bei Zeiten abservieren. Aber die Informationen aus dem Rechner bestätigten mir auch, dass nach der Unterschrift mit dem gemischten Blut aus dem Tintenfass, Sytania eine eigene Verbindung mit unserer Dimension haben würde. Nugura benötigte sie dann nicht mehr. Auch deren Rücktritt von ihrem politischen Amt würde diese Situation nicht ändern, denn durch ihre Verbindung gehörte Sytania die Dimension bereits. Wenn Nugura das doch nur einsehen würde! Aber das konnte ich wohl getrost vergessen! Diese Nugura war so naiv wie eine 12-jährige, die zum ersten Mal in ihrem Leben verliebt ist. Von dem souveränen Staatsoberhaupt, das ich kannte, war nichts mehr zu sehen. Es musste einen Grund geben, aus dem Benevidea die Situation so darstellte. Wenn ich den finden könnte, dann würde es mir sicher auch leichter fallen, mich der Situation anzupassen und sie eventuell so zu verändern, das das kleine Einhorn sehen könnte, dass alles nicht so heiß gegessen würde, wie es gekocht wäre. Dazu musste ich aber zunächst mitmachen. Sonst würde ich den Grund nie herausbekommen.

„Allrounder!“ Jemand hatte mich angesprochen. Jemand, der zwar hier im Haus sein musste, mich aber siezte. Dass konnte nur einer sein. Einer, über dessen Anwesenheit ich mich jetzt so freute wie ein Kind unter dem Weihnachtsbaum! Ich drehte meinen Stuhl also um 45 Grad nach links und winkte schräg hinter mich, von wo ich die Stimme wahrgenommen hatte. Dann bekam ich mit, wie sich mir zwei Füße in uhrwerkgleichem Takt näherten. „Hallo, Commander.“, sagte ich erleichtert. „Sie sollten mich hier lieber Data nennen.“, sagte der Androide mit einem sehr konspirativen Ton in seiner Stimme. „Man weiß ja nie, ob Ihr Mann uns vielleicht zuhören könnte. Er sollte keinen Verdacht schöpfen.“ „OK, Data.“, korrigierte ich. „Was ist?“ „Ich bekam mit, dass Sie im Wohnzimmer sind.“, sagte er. „Ich wollte nach Ihnen sehen.“ „Das war sehr nett von Ihnen, Data.“, sagte ich. „Ich kann nämlich wahrhaftig Hilfe gebrauchen. Ich bin in einem schweren Gewissenskonflikt. Sie können es sich in etwa wie einen Datenkonflikt in Ihren Systemen vorstellen. Je nachdem, wie schwer der ist, kann es Sie ja auch komplett handlungsunfähig machen.“ „Das ist korrekt.“, sagte Data. „Aber die meisten Datenkonflikte kann man lösen. Um Ihren Gewissenskonflikt beizulegen, würde ich Ihnen das Gespräch mit einem Geistlichen empfehlen. Die meisten Angehörigen Ihrer Spezies machen das so.“ „Haben Sie einen bestimmten geistlichen im Auge, Data?“, fragte ich und zwinkerte ihm zu, zumindest soweit mir das möglich war. „Ja.“, bestätigte Data und ich wusste in diesem Moment genau, wen er gemeint haben musste.

Ich ließ mir vom Rechner also das Rufzeichen des Tempels der Gemeinde Santa Valora heraussuchen und mich damit verbinden. Ich war allerdings erstaunt, zu einer so unchristlichen Zeit, es war fünf Uhr in der Frühe, bereits die Stimme von Father Fletcher zu vernehmen, die mir antwortete: „Hallo, Allrounder Scott! Was führt Sie so früh denn schon zu mir?“ „Ich leide unter einem Gewissenskonflikt, Father.“, sagte ich. „Die Hochzeit zwischen Sytania und Nugura hat ihn ausgelöst. Es ist nicht die Tatsache, dass es sich um eine gleichgeschlechtliche Hochzeit handelt. Damit habe ich kein Problem. Schließlich sagt die Kindliche Göttin Benevidea ja, dass alle nach ihrer Fasson glücklich werden dürfen, nicht wahr? Mein Konflikt bezieht sich eher auf die Tatsache, dass ich glaube, Nugura könnte über den Tisch gezogen werden. Immerhin sind sie und Sytania beides Staatsoberhäupter, was ihre Hochzeit auch zu einem Politikum macht. Ich bezweifele, ernsthaft dass Sytania lauter handelt. Ich habe mich zwar freiwillig als Nuguras Trauzeugin gemeldet, weil mein Commander verhindert ist, aber ich bekomme das irgendwie nicht mit meinem Gewissen vereinbart.“

Es verging eine quälend lange Pause, in der ich schon dachte, ich hätte vielleicht zu viel gesagt. Dann aber geschah etwas Merkwürdiges. Fletcher hatte offenbar etwas geholt, denn seine Schritte hatten sich hörbar entfernt und waren dann wieder auf das Mikrofon zugekommen. Die ganze Zeit war sein Mikrofon auf Dauersenden gestellt. Sonst hätte ich das wohl kaum mitbekommen können.

Er setzte sich wieder hin und sagte dann: „Ich habe in der Heiligen Schrift nachgesehen. Sie wissen, dass das Brautpaar später alle Trauzeugen und auch die anderen Gäste abschreitet und dass jeder eine Fürbitte zu sprechen hat. Ich habe hier ein wunderschönes altes Exemplar in Deutsch gefunden, Ihrer Muttersprache. Ich will Ihnen nur nicht zumuten, es vorzulesen, da meine Aussprache sicher total schrecklich ist. Das könnten aber sicher Ihr Hausrechner oder Ihr Hilfsmittel erledigen. Ich schicke es Ihnen per Mail.“ „Geht klar.“, sagte ich. „Die Fürbitte wurde übrigens von einem Gelehrten und Geistlichen aus Indien verfasst.“, sagte Fletcher noch. „Warum er die Sprache Deutsch verwendet hat, weiß ich aber auch nicht. Leider können wir ihn nicht mehr fragen. Er ist schon tot. Sein Name war Reltchef Mahabra. Ich muss jetzt allerdings schlussmachen. In einigen Stunden ist die Hochzeit und ich habe noch viel zu tun. Wir sehen uns dann um zehn.“ „OK.“, sagte ich und beendete die Verbindung.

Ein Signal vom Rechner machte mich auf eine eingehende Mail aufmerksam. „Absender vorlesen!“, befahl ich ins Mikrofon. „Gemeinde Santa Valora.“, kam es nüchtern zurück. „Mail öffnen und Inhalt vorlesen!“, sagte ich. „Hallo, Allrounder Scott.“, begann die elektronische Stimme. „Unter der Grußformel finden Sie die Fürbitte. Da Sie ausgebildete Kommunikationsoffizierin sind, und sicher Übung im Auswendiglernen von Dingen haben, dürfte es Ihnen nicht schwerfallen, einen einzigen Satz zu behalten. Gesegnete Grüße, Ihr Father Fletcher. „Möge die Kindliche Göttin euch Liebende stets auf dem Pfad der Treue und Wahrheit entlang führen!“

Ich war zusammengefahren, hatte aber im gleichen Moment zu grinsen begonnen, zwei Dinge, die für Data nun so gar nicht zusammenpassen wollten. Dann hatte ich nur gesagt: „Sie waren ein weiser Mann, Father Mahabra! Wenn Sie nur wüssten wie weise!“ „Wie habe ich Ihr Verhalten zu deuten, Allrounder?“, fragte Data etwas verwirrt. „Kann Ihr Programm Deutsch übersetzen?“, fragte ich. „Ich bin in der Lage, alle der Föderation bekannten Sprachen zu verstehen und wiederzugeben.“, sagte Data. „Dann wird Ihnen aufgefallen sein, wie wunderbar zweischneidig dieser Satz ist, Data!“, rief ich aus. „Oh mein Gott! Ich meine: meine Kindliche Göttin!“ „Senken Sie Ihre Stimme!“, ermahnte mich Data leise, aber dennoch energisch. „Ihr Mann könnte erwachen und dann könnte es für uns beide unangenehm werden.“ „Sie haben ja Recht.“, sagte ich erheblich leiser. „Trotzdem ist das so schön zweischneidig. Verstehen Sie, Data, Ich wünsche ihnen auf der einen Seite, dass sie sich gegenseitig immer treu und ehrlich gegenüber sind, aber ich warne Nugura auch, die Augen offen zu halten, damit sie die Wahrheit erkennen möge. Ich bitte die Kindliche Göttin quasi verschlüsselt, genau dafür zu sorgen.“ „Das mag ja sein.“, sagte der Androide. „Nur ist mir nicht bekannt, dass Nugura über Kenntnisse Ihrer Muttersprache verfügt.“ „Das muss sie ja auch nicht.“, sagte ich. „Wissen Sie, ich setze darauf, dass der fremde Klang sie neugierig machen wird und dass sie zumindest lautmalerisch nachbilden kann, was ich gesagt habe. Damit könnte sie dann jeden Universalübersetzer füttern.“ „Das ist korrekt.“, sagte Data. „Aber ich hoffe, Ihnen ist bewusst, dass Sie dadurch gegen die Oberste Direktive verstoßen. Auch eine verschlüsselte Information ist eine Information und sie kann Folgen haben.“ „Sicher.“, sagte ich. „Aber das Risiko gehe ich ein. Früher oder später wird Sytania Nugura gegenüber ihr wahres Gesicht zeigen. Das Einzige, was ich dann getan haben werde, ist den Aufprall zu lindern, wenn Nugura auf die Nase fällt, oder besser vielleicht, sie aufzufangen, wenn ihre ach so sehr geliebte Sytania ihr das Herz bricht. Es ist ja auch noch gar nicht raus, ob sie meine verschlüsselte Botschaft überhaupt versteht. So naiv, wie sie sich im Moment gibt, glaube ich daran nur zu 50 %. Es ist also genauso gut möglich, dass mein Versuch, sich einzumischen, ohne Wirkung verpufft und wo kein Kläger ist, da ist auch kein Richter. Noch Fragen?“ „Ich bemerke, dass Sie langsam damit beginnen, Ihr braves Image abzustreifen.“, sagte Data. „Bei anderen hätte ich starke Bedenken, dass sie nicht sehen, wo die Grenze ist. Bei Ihnen aber nicht. Ich denke, Sie sollten ruhig so weitermachen. Ich denke, Benevidea hat uns nicht umsonst hierhergebracht und es kann sicher nicht schaden, wenn Sie ein wenig die Zähne zeigen. Vielleicht müssen wir das ja sogar.“ „Das hatte ich auch schon gedacht.“, sagte ich. „Aber jetzt entschuldigen Sie mich bitte, Data. Ich muss frühstücken und dann muss ich mich für eine Hochzeit herausputzen.“ „In Ordnung.“, sagte er und stellte sich dann stumm in eine Ecke des Wohnzimmers. Ich hingegen verließ selbiges in Richtung Schlafzimmer, wo ich meine Galauniform zuletzt abgelegt hatte, um sie zu holen und dann leise in Richtung Bad zu verschwinden. Dabei hoffte ich sehr, Scotty nicht zu wecken, der von meiner nächtlichen Serve-Tour im Föderationsnetz hoffentlich nichts mitbekommen hatte.

Auch Maron hatte sich in seinem Bett hin und her gewälzt. Er wusste nicht, warum er nicht schlafen konnte, vermutete jedoch, dass es etwas mit Zirells letzter Äußerung zu tun haben könnte. Völlig übernächtigt hatte er sich daher an IDUSA gewandt: „IDUSA, dies ist eine rein hypothetische Frage. Können bei so großen Tieren wie Pferden oder Einhörnern überhaupt Zwillingsgeburten vorkommen?“ „Nun, ich denke, wir müssen hier einen kleinen Unterschied machen.“, sagte der Rechner. „Schwangerschaften mit Zwillingen können durchaus vorkommen. Aber im Allgemeinen haben Pferdezüchter immer einen Riegel davorgeschoben. Medizinisch ist das nämlich sehr riskant. Sowohl die Mutter, als auch eines oder beide Jungtiere könnten die Geburt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht überleben. Außerdem ist eines der Jungtiere meistens bereits im Mutterleib unterversorgt und überlebt die Schwangerschaft gar nicht. Das hängt mit der Größe und dem nötigen Aufwand zusammen, den der mütterliche Körper zur Versorgung bereits eines Jungtieres aufbringen muss.“ „Verstehe.“, sagte Maron. „Bei Großtieren sind also zwei bereits eines zu viel.“ „Korrekt.“, sagte IDUSA. „Vom Platz im Mutterleib ganz zu schweigen. Aber warum wollen Sie mit mir darüber sprechen, Agent?“ „Weil ich mich frage, wo Commander Zirell unter diesen Umständen einen 1-eiigen Zwilling von Benevidea herbekommen will. Du sagst, es sei sehr wahrscheinlich, dass Kipana die Geburt von Zwillingen wohl nicht überlebt hätte. Außerdem ist uns kein Zwilling bekannt. Benevidea hat zwar einen älteren Bruder, aber der hat außerdem das falsche Geschlecht. Scientist Ketna ist sicher, dass sein Gewebe auch abgestoßen würde. Also was in Mutter Schicksals Namen will Zirell tun?!“ „Danach sollten Sie den Commander selbst fragen.“, schlug der Rechner vor. „Sonst kommen Sie unter Umständen gar nicht mehr in den Schlaf. Dafür ist es jetzt ohnehin zu spät. Es ist bereits sieben Uhr morgens.“

Ob ihrer nüchternen Auskunft fuhr Maron im Bett zusammen. „Was hast du gerade gesagt, IDUSA?!“, fragte er alarmiert. „Ich werde zu spät kommen! Sag Joran bitte, die Besprechung zur Schichtübergabe wird etwas auf sich warten lassen.“ „Wie Sie wünschen.“, gab der Rechner zurück.

Der demetanische Agent sprang auf, hastete kurz ins Bad und warf dann nur ganz schnell seine Uniform über. So ging er aus seinem Quartier in Richtung des nächsten Turbolifts, der ihn zur Kommandozentrale brachte, in der Joran bereits auf ihn wartete.

„Du bist spät dran, Maron El Demeta.“, stellte der Vendar fest, während er zusah, wie Maron sich hastig auf seinen Stuhl setzte. „Es tut mir leid, Joran.“, sagte Maron und gähnte. „Aber mir will einfach Zirells letzte Äußerung nicht aus dem Kopf.“ „So?“, wandte sich der Vendar an seinen demetanischen Vorgesetzten und sah ihn wohlwollend an. „Was hat Anführerin Zirell denn zuletzt zu dir gesagt?“ „Ich glaube, das Problem dürfte eher das sein, was ich gesagt habe.“, sagte Maron und raufte sich die Haare. „Du hast doch so ein tolles Gedächtnis und wir alle haben die Berichte der Electronica ja gesehen. Dir dürfte also bekannt sein, was unser Problem ist.“ „In der Tat.“, sagte Joran. „Wir benötigen Zellgewebe, das auf Benevideas passt, damit wir es in ihr telepathisches Zentrum transplantieren können. Aber bisher sind alle Simulationen fehlgeschlagen, weil es zu große Abweichungen gab.“ „Das stimmt.“, sagte Maron. „Darauf habe ich gescherzt, dass uns jetzt nur ein 1-eiiger Zwilling von Benevidea helfen könnte. Aber so etwas haben wir nicht. Zirell sagte darauf nur, dass wir abwarten sollen. Mehr weiß ich nicht.“ „Dann solltest du dringend mit Anführerin Zirell über die Sache sprechen, findest du nicht?“, entgegnete Joran. „Ich kann es ja versuchen.“, sagte der Demetaner. „Aber ich glaube kaum, dass sie heute gesprächiger sein wird, als sie es gestern war. Hast du sie eigentlich heute schon gesehen?“ „Das habe ich leider nicht, Maron El Demeta.“, sagte Joran. „Na gut.“, sagte Maron und betätigte den Knopf der Sprechanlage an seiner Konsole, der ihn direkt mit dem Terminal in Zirells Quartier verband. Dort erhielt er aber keine Antwort. Auch ein Ruf über ihr Handsprechgerät brachte kein Ergebnis. „Das ist seltsam.“, stellte Maron fest. „Sie ist sonst die Pünktlichkeit in Person. Es wird ihr ja wohl hoffentlich nichts geschehen sein.“

Er wandte sich dem Stationsrechner zu: „IDUSA, wo befindet sich Commander Zirell?“ „Commander Zirells Position ist unklar.“, gab der Rechner zurück. „Was soll das heißen?!“, fragte der Erste Offizier entrüstet. „Es gibt mehrere Orte, an denen sie sein könnte.“, sagte IDUSA. „Das verstehe ich nicht.“, sagte Maron.

Er betätigte erneut die Sprechanlage. Dieses Mal aber ließ er sich mit dem Arbeitsplatz von Jenna verbinden. „McKnight hier!“, sagte Jenna. „Techniker McKnight, hier ist Agent Maron. Welche Gründe kann es dafür geben, dass IDUSA jemanden an mehreren Orten gleichzeitig registrieren kann?“ „Oh das kommt auf die Einstellung der Suchparameter an.“, sagte die hoch intelligente Halbschottin. „Das Signal des Kommunikators, die Lebenszeichen und die DNS sind Standard. Kommunikatoren kann man aber ablegen und die Tindaraner sind in der Lage, sich jede Gestalt zu geben, die sie wollen. Das geht sogar hinunter bis auf die zellare Ebene, soweit ich weiß. Sie können also sogar ihre DNS manipulieren. Von ihren Lebenszeichen in anderer Gestalt ganz zu schweigen. Lassen Sie sich doch von IDUSA einfach mal die Orte zeigen, an denen sie Zirell vermutet.“ „Das werde ich tun, McKnight.“, sagte Maron und beendete die Verbindung.

Erneut wandte er sich an den Rechner: „IDUSA, zeig mir Bilder von den Orten, an denen du Zirell lokalisieren kannst!“ „Wie Sie wünschen, Agent.“, sagte der Rechner.

Vor Marons geistigem Auge öffneten sich mehrere Fenster auf dem virtuellen Schirm, den ihm der Rechner über den Neurokoppler zeigte. Unter anderem sah er eines von ihrem Quartier, in welchem er nur ihre feinsäuberlich zusammengelegte Uniform wahrnehmen konnte, die über einem Stuhl lag. Daran war ihr Kommunikator geheftet. Diese Position fiel also als ihr aktueller Standort aus, denn sie selbst war dort nirgendwo zu sehen. Das nächste Bild aber irritierte Maron doch sehr. Die Umgebung, die sich ihm darstellte, konnte er eindeutig als den leeren Frachtraum vier erkennen. Der Boden aber war mit Stroh ausgelegt und mitten in diesem Stroh stand ein junges Einhorn, das Benevidea bis aufs Haar genau glich.

Blass und nervös wandte er sich erneut Joran zu, der die Bilder auch gesehen hatte: „Wo kommt dieses Einhorn her und wie kommt IDUSA darauf, dass es Zirell sein könnte?“, fragte er. „Warum fragst du sie nicht?“, fragte der Vendar, der sich insgeheim längst eine Erklärung zurechtgelegt hatte. „Na gut.“, sagte ein total verwirrter Maron, der sich inzwischen gar nicht mehr auskannte. „IDUSA, woran hast du Zirell erkannt?“ „Der Neuralabdruck des Einhorns stimmt mit dem des Commanders zu 100 % überein.“, antwortete der Rechner nüchtern.

Maron wollte noch etwas sagen, aber im gleichen Augenblick hörte er Zirells Stimme in seinem Geist: Komm schon, Maron! Das kann doch nicht so schwer sein! Ich bin es tatsächlich! Zirell! Wenn du willst, dass Benevidea geholfen wird, würde ich an deiner Stelle ganz schnell dafür sorgen, dass die Electronica herkommt! Na los!

Joran hatte gesehen, dass Maron immer blasser geworden war. „Was ist dir?“, fragte der Vendar mit einem milden Blick. „Verbinde mich sofort mit der Electronica!“, stieß Maron hervor. „Beeil dich!“ „Wie du wünschst, Maron El Demeta.“, sagte der Vendar geduldig und leitete alle Schaltungen für die Verbindung ein.

Ketna hatte Benevidea erneut gemeinsam mit ihrer Assistentin einen Besuch abgestattet, bei dem sie dem Einhorn Medizin gegeben hatte, welche die Symptome ihrer Krankheit abmildern sollte. Benevidea hatte sich sehr schwach und sehr schlecht gefühlt. Die Medizin konnte dies zwar abfedern, ihr helfen konnte sie aber nicht wirklich.

„Wir können einfach ohne das richtige Gewebe nichts tun.“, resignierte die Zeonide. „So können wir allenfalls nur palliativ tätig werden.“ „Das ist wohl wahr, Madam.“, sagte Solthea. „Aber vielleicht kann ja ihre Familie noch etwas für sie tun.“ „Den Flug dorthin wird sie nicht überleben.“, sagte die Ärztin. „Wir benötigen eine schnelle Lösung.“ „Wer sagt es Time?“, fragte Solthea. „Ich werde das tun!“, sagte Ketna entschlossen. „Bleiben Sie bei ihr und überwachen Sie ihre Lebensfunktionen, Assistant. Es kommt mir fast so vor, als hätte sie nach ihrem Geständnis gegenüber Sensora jeglichen Lebensmut verloren. Es sieht für mich fast so aus, als wollte sie ihr Gewissen erleichtern und dann sterben.“ „Hoffen wir, dass Sie sich irren, Madam.“, sagte Solthea. Ketna zuckte nur niedergeschlagen mit den Schultern und verließ das Krankenzimmer des jungen Einhorns.

Yetron war auf der Brücke und hatte das Kommando übernommen. Bei ihm auf ihren Plätzen waren außerdem Shorna und Sensora. Die Androidin hatte ihren normalen Dienst wieder aufgenommen, nachdem sie erreicht hatte, was sie erreichen sollte. Das Schiff war immer noch auf ihrem normalen Kurs Richtung Weltraumwirbel unterwegs, den Time angeordnet hatte. Keiner der Brückenoffiziere ahnte jedoch, dass sich dieser Umstand bald schlagartig ändern würde.

Sensora war auf das nervös blinkende Licht auf der Konsole für das Sprechgerät aufmerksam geworden. Im Display konnte sie sehr gut das Rufzeichen von Commander Zirells Basis erkennen. Sofort meldete Sie an Yetron: „Sir, wir werden gerufen. Es ist die Basis von Commander Zirell.“ „Mich wundert, dass bei den ganzen interdimensionalen Störungen überhaupt noch eine Verbindung zustande kommt.“, sagte der Demetaner. „Das könnte etwas mit den Systemupdates zu tun haben, die Cenda kürzlich aufgespielt hat.“, vermutete Sensora. „Tatsache ist aber, dass man uns offenbar sprechen möchte.“ „Stellen Sie es auf den Hauptschirm, Allrounder!“, befahl Yetron. Sensora nickte und folgte seiner Aufforderung.

Der Agent sah bald in das Gesicht Jorans, der ihn nur begrüßte: „Ich grüße dich, Yetron El Demeta. Ich verbinde dich jetzt mit Maron El Demeta, dem Vertreter von Anführerin Zirell. Ich muss dich warnen. Er ist sehr aufgeregt.“ „Damit komme ich schon zurecht, Joran.“, sagte Yetron. „Trotzdem danke! Gib ihn ruhig her.“ „Wie du wünschst.“, sagte der Vendar und Yetron sah, wie sein Gesicht dem eines völlig aufgelösten Maron wich. „Bitte helft uns.“, stammelte dieser nur verzweifelt ins Mikrofon. Er war wohl froh und erleichtert über den Umstand, in Yetrons Gesicht zu sehen, aber die Situation, die er auf der Basis im Frachtraum vorgefunden hatte, ließ ihn einfach nicht in Ruhe.

„Was genau ist denn überhaupt passiert?!“, fragte Yetron sehr langsam und betont ruhig auf Englisch. Er hätte zwar mit Maron auch Demetanisch sprechen können, wollte aber, dass auch der Rest der Crew der Unterhaltung folgen konnte, ohne erst umständlich einen Universalübersetzer bemühen zu müssen.

„Yetron, ich habe das doch nie ernstgemeint!“, sagte Maron und raufte sich erneut die Haare. „Ich habe das doch eigentlich nicht gewollt!“ „Wovon redest du überhaupt?!“, fragte Yetron mit sehr ernstem Ton. „Sag mir am besten von Anfang an, was geschehen ist.“ „Du willst es von Anfang an?“, fragte Maron. „Na gut! Dann kriegst du es von Anfang an! Zirell und ich hatten über Benevideas Situation gesprochen. Du musst mir glauben! Ich hatte mehr oder minder einen Scherz gemacht, als ich sagte, dass uns nur ein 1-eiiger Zwilling von Benevidea helfen könnte. Jetzt ist Zirell verschwunden und wir haben einen!“ „Dein Commander verschwindet nicht einfach.“, belehrte Yetron seinen Landsmann und Kollegen. „Es wird sicher sowohl für das Auftauchen des Einhorns, als auch für das Verschwinden von Commander Zirell eine logische Erklärung geben. Wir werden herkommen und uns die Sache ansehen. Ich werde dich vernehmen und ein Team wird sich bei euch umsehen. Ich bin sicher, wir werden beides finden. Zirell und eine Erklärung für das plötzliche Auftauchen des Zwillings.“ „Danke, Yetron.“, sagte Maron erleichtert. „Ich wusste, dass ich auf dich zählen kann.“ Dann beendete er die Verbindung.

Yetron hatte aus dem Augenwinkel seines rechten Auges gesehen, dass Sensora und Shorna ihre Handsprechgeräte in den Händen hielten und eifrig dabei waren, SITCH-Mails auszutauschen. „Darf ich erfahren, was so interessant ist, Ladies?“, fragte der Erste Offizier ruhig.

Auffällig schnell ließen die Frauen die Geräte wieder in ihre Taschen gleiten. Shorna wurde sogar rot. „Sie kommen mir gerade vor wie ein ertapptes Schulmädchen, Warrior, welches vom Lehrer beim unerlaubten Tuscheln mit der Sitznachbarin erwischt wurde.“, sagte Yetron. „Worüber haben Sensora und Sie sich denn gerade so angeregt unterhalten, hm?“ „Offen gesagt, Sir.“, sagte Shorna. „Ich wette mit Ihnen, das Einhorn ist Zirell! Diese Tindaraner können sich doch verwandeln in was sie wollen, wenn sie es wollen, nicht wahr? Der Allrounder teilt meine Theorie.“ „Und ich auch.“, sagte Yetron. „Nur Maron scheint noch nicht so weit gekommen zu sein. Sensora, aktivieren Sie den interdimensionalen Antrieb mit Ziel Tindara. Wir sollten keine Zeit mehr verlieren!“ „Aye, Agent!“, nickte die Androidin und machte sich daran, Yetrons Befehle auszuführen.

Ketna war auf dem Weg zur Brücke. Dabei hatte sie ein Pad in der Hand, auf das sie eine kleine Rede in Stichworten gesprochen hatte, die sie vor Time halten wollte. Damit wollte sie ihrem Vorgesetzten auf jeden Fall verdeutlichen, wie ernst es um Benevidea stand und dass man unter Umständen sogar eine Änderung der Pläne in Betracht ziehen musste. Auf dieses Pad hatte sie jetzt ihre Augen gerichtet und deshalb nicht gesehen, dass sie beinahe mit Time zusammengestoßen wäre. Sein Versuch, sie von sich fortzustoßen, erschreckte sie sogar derart, dass sie fast hingefallen wäre, hätte er sie nicht aufgefangen.

„Langsam, Scientist!“, sagte Time ruhig. „Wo haben Sie denn heute Ihre Augen?“ „Es tut mir leid, Sir.“, entschuldigte sich die Ärztin. „Aber ich war wohl mit meinen Gedanken ganz woanders.“ „Sieht man.“, sagte Time platt, dessen Blick ihr Pad leicht gestreift hatte. „Es geht ihr wohl schlechter, was?“ Die Zeonide nickte nur niedergeschlagen. „Es ist, als wollte sie sterben, Commander. Es ist, als würde sie ihr Geständnis gegenüber Sensora als letzte Beichte betrachten. Anscheinend …“

Time hatte seinen rechten Zeigefinger an seine Lippen gelegt. Dann hatte er einen mahnenden Laut von sich gegeben und zu Ketna gesagt: „Pst, Scientist! Bitte seien Sie kurz mal ganz still!“ „Was ist denn?“, hatte die Medizinerin verwundert gefragt. Time hatte daraufhin seine Ermahnung nur wiederholt.

Einige Sekunden waren vergangen, ohne dass beide auch nur ein weiteres Wort gewechselt hatten. Peter hatte sogar den Atem angehalten. Erst jetzt löste er sich wieder aus seiner starren Haltung und erklärte: „Ich glaubte, den interdimensionalen Antrieb zu hören. Jetzt ist das Geräusch aber wieder vorbei. Ist das nicht faszinierend? Das Auge ist ein so dominantes Sinnesorgan für uns. Dabei ist es so leicht zu täuschen. Ohren, Nase, Hände und Zunge setzen wir dagegen viel zu selten ein. Darauf haben wir aber selbst Einfluss. Wir können unser Gehirn entsprechend trainieren, wenn wir wollen, nicht wahr? Ich denke, von Scott und Mikel können wir dadurch eine Menge lernen.“ Ketna nickte. „Die medizinische Abteilung der Sternenflotte erhebt tatsächlich im Augenblick darüber eine Studie, Sir.“, sagte sie. „Mikel und Scott wurden angeschrieben, ob sie teilnehmen wollten, weil sie tatsächlich die einzigen bekannten Blinden in unserer Zeit sind, die keinen Visor tragen. Wir versuchen tatsächlich herauszufinden, ob es durch Training, das bereits in der Kindheit stattfindet, möglich ist, Einfluss darauf zu gewinnen, wie dominant ein Sinn für jemanden sein wird. Wir hoffen, dass uns das helfen kann. Vor allem bei der Behandlung von Unfallopfern. Nicht alle vertragen schließlich künstliche Implantate oder wollen sie.“ „Verstehe.“, sagte Time. „Und das nicht Wollen halte ich vor allem in den Familien für sehr verbreitet, die vor knapp 800 Jahren ein Borg-Trauma erlitten haben.“ „Mag sein.“, sagte Ketna. „Aber andererseits ist diese Erklärung auch sehr flach. Es gibt sicher auch noch andere Motive. Aber das ist ja nicht wichtig. Jeder Patient darf schließlich schlussendlich selbst entscheiden, ob er eine Behandlung annehmen oder ablehnen will. Zwingen darf und kann die Medizin ihn nicht. Das wäre Körperverletzung in Verbindung mit Nötigung und damit eine Straftat. Das würde Mr. Yetron sicher bestätigen.“ „Ja, das würde er, meine Liebe.“, sagte Time. „Aber ich glaube, wir schweifen ganz schön ab. Wie geht es Benevidea?“ „Solthea und ich glauben, sie könnte den Tag nicht überleben.“, sagte Ketna. „Deshalb wollte ich zu Ihnen, Sir. Aber anscheinend weiß Mr. Yetron bereits Bescheid. Aus irgendeinem Grund wird er angeordnet haben, dass wir sie auf dem schnelleren Weg nach Hause bringen. Ich kann mir zwar nicht erklären, woher er das weiß, aber …“

Erneut legte Peter den Finger an die Lippen. Dann sagte er: „Das sind nicht die Atmosphärentriebwerke. Das sind die Impulsmaschinen. Wir können also nicht im Dunklen Imperium sein.“ „Wie lange trainieren Sie schon heimlich, Commander?“, fragte Ketna erstaunt. „Wollen Sie sich nicht an unserer Studie beteiligen? Wir suchen nämlich noch einen Sehenden, der sich freiwillig selbst umtrainieren will.“ „Von mir aus.“, sagte Time. „Geben Sie mir mal die Kontaktdaten.“ „Sicher.“, sagte die Ärztin. „Ich sende Ihnen eine Mail. Aber zurück zu Benevidea: Wenn keine Lösung gefunden wird, dann wird sie den Tag nicht überleben!“ „Oh wie es aussieht, hat Mr. Yetron aber bereits eine.“, sagte Time. „Sensora scheint gerade auf Manöverierdüsen umgeschaltet zu haben. Wir machen anscheinend irgendwo fest. Gehen Sie zu Ihrer Patientin! Ich kläre das hier!“, „OK, Commander.“, sagte Ketna und wandte sich erleichtert ab.

Der Terraner setzte seinen Weg fort. Sobald er die Brücke betreten hatte, forderte er von Yetron: „Bericht, Agent!“ „Wir haben den Kurs in Richtung tindaranische Dimension geändert, Sir.“, begann der Demetaner nüchtern. „Auf Commander Zirells Basis gab es einen Vorfall, der uns Anlass zur Hoffnung gibt. Ich bin zwar mit meinen Ermittlungen noch nicht ganz fertig, aber es sieht bisher ganz danach aus, als hätte sich Commander Zirell selbst in einen 1-eiigen Zwilling von Benevidea verwandelt, um uns das entsprechende Gewebe liefern zu können. Wir docken gerade an der Basis. Ich werde, als leitender Ermittler, selbst hinübergehen.“ „Ich begleite Sie, Agent!“, sagte Time entschlossen. „Das lasse ich mir doch nicht entgehen. Sensora, sagen Sie den Medizinerinnen, sie sollen den Agent und mich in Transporterraum Eins treffen!“ Die Androidin nickte.

Time wandte sich Yetron zu: „Na los, Agent! Das hätte ich Zirell wirklich nicht zugetraut! Aber so könnten wir Benevidea tatsächlich retten. Sehr gute Entscheidung, Mr. Yetron!“

Dann wandte er sich kurz an Sensora: „Sie haben die Brücke, Allrounder!“, bevor er gemeinsam mit seinem Ersten Offizier den eben genannten Teil des Schiffes verließ und sich beide in Richtung Transporterraum begaben, wo Switcher bereits auf sie wartete, den Sensora entsprechend verständigt hatte.

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