Solthea war im Frachtraum eingetroffen und hatte auch gleich alle Gerätschaften mitgebracht, die Ketna verlangt hatte. Per Fingerzeig hatte sie Switcher, der sie durch den Transportersucher beobachtete, genau die Positionen angegeben, an die er die Geräte beamen sollte. Der Androide hatte das auch getan. Auch Ishan war eingetroffen. Shannon hatte ihr Wort gehalten. So war es unter anderem dazu gekommen, dass Benevidea jetzt vor ihnen im Stroh lag. Daneben stand Zirell.
Ketna hatte ein letztes Mal über ihren Operationssaal geschaut. „Gut.“, sagte sie. „Es ist alles an Ort und Stelle. Solthea, bitte helfen Sie mir. Wir müssen Benevideas Kopf vor dem Emitter für das Sedationsfeld mit einer Kopfstütze fixieren. Dann kann der chirurgische Transporter auch besser arbeiten. Ishan, bitte überwache die Funktion des Feldes und justiere es gegebenenfalls nach. Du bist dafür viel besser geeignet als einer von uns. Schau bitte auch nach den Lebensfunktionen unserer Patientinnen. Commander, Ich muss Sie bitten, Ihren Kopf jetzt ebenfalls auf die Stütze vor Ihnen zu legen. Auch Sie werden gleich schlafen. Wegen des geschwächten Zustands von Benevideas Körper möchte ich nicht mit einer chemischen Narkose arbeiten. Das Sedationsfeld injiziert Alpha-Wellen und stört die Signalübertragung von Schmerzsignalen zum Gehirn. Ihr zwei werdet also nichts spüren.“ Danke für Ihre Erklärung, Scientist., gab Zirell telepathisch zurück und legte sich hin und dann ihren Kopf auf die silberne Stütze, die ein weißes weiches Polster zierte. Gut so?, fragte sie. „Das ist sehr gut so, Commander.“, sagte Ketna. Ach!, entgegnete Zirell. Warum so förmlich? Nennen Sie mich doch einfach Zirell! „OK, Zirell.“, sagte die Ärztin. „Dann können wir ja beginnen. Ishan, aktiviere bitte das Feld!“ Der Androide, der sich mit Hilfe seines Haftmoduls direkt mit dem Emitter verbunden hatte, nickte und wenige Sekunden danach fielen Zirell und Benevidea bereits die Augen zu. „Beide Patientinnen sind stabil.“, meldete Ishan nüchtern. „Soweit man davon bei Benevidea überhaupt sprechen kann.“ „Dann sollten wir uns beeilen.“, sagte Ketna. „Solthea, fixieren Sie ein etwa stecknadelkopfgroßes Areal in Commander Zirells telepathischem Zentrum!“ „Aye, Madam.“, sagte die medizinische Assistentin und nahm die nötigen Einstellungen am chirurgischen Transporter vor.
Im gleichen Moment hörten alle, wie jemand die Sprechanlage von außen betätigte. „Wer könnte uns jetzt hier stören wollen?!“, fragte Ketna genervt. „Ich werde nachsehen, Madam.“, sagte Solthea und begab sich in Richtung Tür.
Als sie diese mittels ihres biologischen Fingerabdrucks jedoch geöffnet hatte, staunte sie nicht schlecht, in die Gesichter ihres Vorgesetzten und seines Kollegen zu sehen. „Agent Yetron, Agent Maron, was tun Sie denn hier?“, fragte sie. „Wir würden gern bei der Operation zusehen, Medical Assistant.“, sagte Yetron. „Wir versprechen auch, uns total still zu verhalten und sie auch nicht durch dumme Fragen zu unterbrechen.“ „In Ordnung.“, sagte Solthea. „Von mir aus können Sie reinkommen, Sirs. Ich muss aber zuerst Scientist Ketna fragen.“ „Tun Sie das.“, sagte Maron, der sich hinter Yetron gestellt hatte.
Aus dem Augenwinkel heraus hatte Ketna das Geschehen verfolgen können. „Sind die beiden steril, Assistant?“, fragte sie. „Ja.“, gab Solthea zurück. „Sie tragen weiße 1-Mal-Anzüge über ihren Uniformen.“ „Dann stimmt ja zumindest der Dresscode.“, sagte Ketna. „Führen Sie die zwei herein, weisen Sie ihnen einen Platz zu und sagen Sie ihnen, sie sollen sich aber ja an ihr Versprechen halten.“ „OK.“, nickte Solthea. Dann wandte sie sich Yetron und Maron zu: „Bitte folgen Sie mir, Gentlemen.“ Auch die beiden Agenten nickten und folgten ihr zu zwei Strohballen an der rechten seitlichen Wand des Frachtraums. Hier setzten sie sich hin.
Solthea ging an ihren Arbeitsplatz hinter dem Monitor des chirurgischen Transporters zurück. „Lassen Sie mich sehen!“, befahl Ketna und begab sich ebenfalls dorthin. Dann wanderte ihr Blick über den Schirm. „In Ordnung.“, sagte sie ruhig und stellte den zweiten mit dem ersten gekoppelten Puffer auf Benevideas lädiertes Zentrum ein. Dann befahl sie in Richtung des Gerätes: „Computer, aktivieren!“
Es gab ein kurzes Surren und dann war das von Solthea ausgesuchte Stück Gewebe aus Zirells telepathischem Zentrum gebeamt und in dem von Benevidea gelandet. Ketna sah Ishan fragend an: „Wie geht es Zirell?“ „Ich bitte dich.“, sagte der Androide fast vorwurfsvoll. „Die Tindaraner haben ein recht potentes und dichtes Zentrum. Das bisschen Gewebe, das du entnommen hast, wird Zirell gar nicht interessieren. Sie ist nach wie vor stabil und ruhig.“ „Na gut.“, sagte Ketna. „Dann kommen wir jetzt zum spannenden Teil. Assistant, den mobilen Stimulator bitte!“
Solthea nickte und reichte ihrer Vorgesetzten das verlangte Gerät. Diese ließ es über Benevideas Kopf kreisen. Dabei blickte sie immer wieder zu Ishan hinüber, der durchaus gesehen hatte, dass Ketnas Blick immer wieder zwischen dem Zylinder in ihrer Hand und ihm hin- und herging. „Ich melde dir schon, wenn etwas nicht stimmt.“, sagte der Androide. „Mach dir darüber bitte keine Sorgen. Du hast bestimmt sehr viele Simulationen gesehen, in denen das Ergebnis deiner Bemühungen der Tod deiner Patientin war. Aber danach sieht es hier bei weitem nicht aus. Im Gegenteil. Benevideas Lebenszeichen haben sich stabilisiert. Außerdem wirst du feststellen, dass dein Implantat sehr gut anwächst.“
Ketna hatte beinahe den Stimulator fallenlassen. „Könntest du deine beiden letzten Sätze wiederholen?!“, fragte sie ungläubig. „Benevideas Lebenszeichen haben sich stabilisiert. Außerdem wirst du feststellen, dass dein Implantat sehr gut anwächst.“, sagte Ishan nüchtern, wie es für ihn völlig normal war.
Immer noch ungläubig holte Ketna ihren Erfasser aus ihrer Arzttasche und überprüfte das Ergebnis. „Du hast verdammt Recht, Ishan!“, sagte sie erleichtert und lächelte. „Also gut. Lassen wir sie aufwachen. Du kannst das Feld deaktivieren.“ Ishan nickte und folgte ihrer Aufforderung.
Yetron und Maron wechselten Blicke. Dann sagte der ältere Demetaner zu Ketna: „Scientist, dürften wir näherkommen, jetzt wo alles vorbei ist?“ „Das ist eine sehr gute Idee, Sir.“, sagte Ketna. „Bitte kommen Sie her und streicheln Sie Benevidea etwas. Wenn Ihre streichelnden Hände das Erste sind, was sie fühlt, wenn sie erwacht, dann ist es für sie vielleicht alles nicht so beängstigend. Bis jetzt sieht zwar alles recht gut aus, ich möchte aber nicht riskieren, dass sie, falls es Komplikationen im Nachhinein geben sollte, auch noch mit einer Panik zu kämpfen hat.“ „In Ordnung.“, sagte Yetron und sah Maron auffordernd an, der ihm in Richtung der noch immer am Boden liegenden Benevidea folgte.
Die Männer knieten sich neben das junge Einhorn und begannen sofort damit, es mit beiden Händen ruhig zu streicheln. Dabei fiel Yetron sofort auf, dass sich dort, wo er gerade gestreichelt hatte, kein neuer Schweiß bildete. „Sie scheinen auf einem sehr guten Weg zu sein, Ketna.“, sagte er. „Benevidea hat aufgehört zu schwitzen. Pferdeartige schwitzen außerhalb körperlicher Anstrengung dann meistens stark, wenn sie krank sind. Ich kann ihren Schweiß aber abreiben, ohne dass Nachschub kommt. Sie scheint tatsächlich auf dem Weg der Besserung zu sein. Sie atmet auch viel ruhiger.“
Aus der anderen Ecke des Raums kam ein weißer Blitz und dann stand Zirell in ihrer normalen Gestalt vor ihnen. „Ist mit Benevidea alles in Ordnung?“, fragte sie. „Ja.“, sagte Ishan, der sich zu ihr gesellt hatte. „Und du scheinst die Operation auch sehr gut weggesteckt zu haben, wie es für mich aussieht. Trotzdem verordne ich dir zur Vorsicht erst einmal eine 24-stündige Krankenschicht! Was das in der Fachsprache des tindaranischen Militärs bedeutet, wirst du ja wohl wissen.“ „Ja, Ishan.“, sagte Zirell, die offensichtlich mit seiner Anordnung nicht ganz einverstanden war. „Ich soll einen Tag das Bett hüten. Aber das ist meines Gefühls nach gar nicht nötig. Es geht mir gut und …“ „Ich möchte dich aber trotzdem lieber etwas beobachten.“, fiel ihr Ishan nüchtern, aber bestimmt ins Wort. „Aber …“, setzte Zirell erneut an. „Du gehst ins Bett und ruhst dich aus!“, wiederholte Ishan. „Befehl des Arztes! Ich werde heute Abend noch einmal nach dir sehen.“ „Na gut.“, sagte Zirell missmutig und verließ den Raum.
Maron hatte seinen Erfasser gezogen und Benevidea gescannt. „Wie kommt es eigentlich, dass bei den heutigen Operationen keine Blutungen mehr entstehen?“, fragte er. „Du weißt, dass jeder Transporter die Materie, die er beamt, theoretisch in jedem anderen Zustand wieder ausspucken kann.“, erklärte Ishan. „Er kann also aus einer beschädigten Struktur auch eine intakte Struktur werden lassen?“, vergewisserte sich Maron. „Genau.“, nickte der Androide. „Das ist sogar Teil eines jeden Standardprogramms dieser Geräte.“ „Verstanden.“, sagte Maron und vertiefte sich erneut in seinen Erfasser.
Plötzlich aber wurde er leichenblass und ließ das Gerät fallen. „Mutter Schicksal!“, rief er aus. „Scientist Ketna, wieviel Gewebe haben Sie Commander Zirell entnommen?!“ „Nur einen Teil von der Größe eines Stecknadelkopfes, Agent.“, antwortete Ketna, die im Gegensatz zu ihm ganz ruhig war. „Warum fragen Sie?“ „Weil das Ding in Benevideas Kopf bereits die Größe einer terranischen reifen Kirsche aufweist!“, sagte Maron alarmiert.
Ketna drehte sich um und bewegte sich langsam, aber forsch auf Maron und Benevidea zu. Sie hatte ihren eigenen Erfasser in der Hand. „Bitte treten Sie kurz zur Seite, Agent.“, sagte sie. Maron nickte und kam ihrer Bitte nach. Dann begann Ketna damit, das Einhorn selbst zu scannen. „Das ist keine Schwellung.“, sagte sie erleichtert. „Das ist schönes gleichmäßiges Gewebe. Wir scheinen ihre Selbstheilungskräfte angeregt zu haben. Um Zirells Gewebe bildet sich einfach eine schöne neue gesunde Struktur. Die Tatsache, dass es nicht kristallisiert ist, verdanken wir dem Umstand, dass ich eine direkte von Patient zu Patient Transplantation durchgeführt habe. Nur damit Sie Bescheid wissen, Gentlemen. Bevor jemand von Ihnen beiden fragt.“ „Schon gut.“, sagte Maron. „Das wäre tatsächlich meine nächste Frage gewesen, Scientist.“ „Konnte ich mir denken.“, antwortete die Zeonide.
Yetron hatte sich streichelnd bis zu Benevideas Kopf vorgearbeitet. Hier war er auf ihr Horn gestoßen, das ihm lange nicht mehr so eingefallen und verschrumpelt vorkam. Das war aber auch kein Wunder. Yetron konnte sich diesen Umstand sehr wohl erklären. Wusste er doch, dass dieses Horn eine so genannte knöcherne Raumforderung war, die aus zwei Einbuchtungen in den Schädelplatten der Stirn bestand. Hier lag das telepathische Zentrum der Einhörner. Je größer es wurde, desto weiter wurden auch die Platten unter der Haut auseinandergeschoben. Ihre lamellenartige Struktur ließ eine Dehnung zu, die Platz für ein Zentrum bot, das die Größe einer Orange erreichen konnte. Diese Fakten kannte Yetron.
Er zog Maron näher zu sich und bat ihn, ebenfalls das Horn zu berühren. „Spürst du das auch?“, fragte er. „Wenn du das Pulsieren meinst, dann ja.“, sagte Maron. „Es sieht aus, als hätten Ketna, Solthea und Ishan es wirklich hinbekommen. Herzlichen Glückwunsch, Scientist.“ „Oh danke, Agent Maron.“, sagte Ketna. „Ich hoffe aber trotzdem, dass derartige Operationen nicht zum Alltag werden für mich. Das hätte nämlich auch ganz anders ausgehen können.“
Benevidea hatte sich bewegt. „Ich denke, da will jemand zu uns zurückkommen.“, sagte Yetron. Alle anderen nickten ihm nur bestätigend zu. Dann tat das junge Einhorn einen tiefen Atemzug und versuchte die Hufe unter den Körper zu stellen. „Also gut.“, sagte Ketna. „Aber wir sollten ihr auf alle Fälle beim Aufstehen helfen.“ Maron und Yetron nickten. Dann sagte Maron: „Ich gehe an den Schweif. Bleib du am Kopf.“ „OK.“, sagte Yetron. „Aber denk daran. Sie bestimmt das Tempo und nicht wir!“ Dabei sah er fragend zu Ketna hinüber, die nur antwortete: „Sehr richtig, Gentlemen. Ihr Kreislauf muss sich ja auch erst einmal anpassen. Falls sie einige Schritte gehen möchte, gehen Sie bitte einfach mit.“ Maron und Yetron nickten.
Mit Wohlwollen und Erleichterung hatten die drei Mediziner bald beobachtet, dass Benevidea aufgestanden war und einige Runden um den Frachtraum gedreht hatte. Auch danach hatte sie sich nicht wieder hingelegt. „Es sieht aus, als könnten wir zusammenpacken.“, sagte Ketna. „Ich gehe vor und melde es Time.“, bot Solthea an. Ihre Vorgesetzte nickte ihr nur zu. Dann verabschiedeten sich Ketna und Solthea noch von Ishan und Solthea zog ihr Sprechgerät, um Switcher den Auftrag zu erteilen, sie, Benevidea, Ketna und die Ausrüstung wieder auf die Electronica zu beamen. Sie würden gleich wieder starten, um ihren Flug ins Dunkle Imperium fortzusetzen und das Einhorn nach Hause zu bringen.
Ich war inzwischen auch mit meinen Vorbereitungen fertig. In meiner sorgfältig glattgestrichenen Galauniform hatte ich das Bad verlassen und nach Data gerufen. Dies wiederum war Scotty leider nicht verborgen geblieben. Er kam über den Flur und stellte sich dem Androiden und mir in den Weg: „Lass dich mal ansehen, Darling! Du siehst toll aus! Aber sag mir mal bitte, warum du dich so herausgeputzt hast.“ „Weißt du denn nicht mehr, dass ich Nuguras Trauzeugin bin?“, fragte ich. „Ach ja.“, erinnerte sich mein Mann. „Das war ja der Grund, aus dem wir nicht zusammen feiern können. Aber kannst du mir vielleicht verraten, warum sich Sytania und Nugura ausgerechnet unseren Hochzeitstag ausgesucht haben?“
Ich schluckte. Ich konnte ihm ja wohl schlecht von meiner Theorie erzählen, nach der er eine Kopie war und alles nur deshalb erschaffen wurde, damit ich etwas lernte. Der symbolische Charakter der Situation war mir durchaus bewusst. „Keine Ahnung.“, sagte ich nur schnell. „Das war vielleicht reiner Zufall. Woher sollten die zwei denn wissen, wann wir geheiratet haben, hm?“ „Stimmt auch wieder.“, sagte Scotty platt.
Ich hakte mich bei Data ein und befahl in seine Richtung: „Data, Schutz- und Führmodus ein! Ausgang!“ Stumm setzte sich der Androide in Bewegung und ich folgte. Unterwegs warf ich Scotty noch ein schnelles: „Bis Nachher!“, zu. Dann verließen Data und ich das Haus. Ich war nur heilfroh und verdammt erleichtert, dass er nicht genauer nachgefragt hatte. Der Original-Scotty hätte das bestimmt getan! Darauf wäre ich jede Wette eingegangen. Aber dieser Scotty hier, also Benevideas Schöpfung, schien bestimmte Dinge einfach so hinzunehmen, als seien sie ihm egal. Ich vermutete allerdings, dass genau das ein Teil von Benevideas Trainingslager für mich war.
„Sie sind nachdenklich.“, stellte Data fest, während wir die noch sehr stillen Straßen meiner Heimatstadt im 30. Jahrhundert entlanggingen. „Es gibt eine Menge Dinge, die mir durch den Kopf gehen, Data.“, gab ich zu. „Das Ganze hier ist irgendwie sehr schwarzweiß. Da ist die Föderation, der offensichtlich völlig egal ist, was mit ihr passiert. Allen voran eine sehr naive Nugura und dann gibt es da die despotische Sytania, die alles an sich reißt und niemand merkt es. Haben Sie das Schloss gesehen? Es sollte doch eigentlich Nugura gehören, aber es ist in jedem Gang und bis in jede Mauerritze hinein nur Sytania zu spüren und zu sehen.“ „Bestätigt.“, sagte Data, der ja das Innere des Schlosses auch gesehen hatte. „Das ist aber die logische Konsequenz von Nuguras Naivität.“ Dieses Mal nickte ich bestätigend. „Das ist mir klar.“, sagte ich. „Und ich weiß auch, warum das hier alles so ist. Diese ganze Dimension wurde von einem Kind erschaffen. Kinder denken in Schwarzweiß. Für sie gibt es nur richtig oder falsch, ja oder nein. Erst mit dem Erwachsenwerden lernt ein Wesen die komplexen Denkweisen.“ „Korrekt.“, sagte Data, der mich inzwischen den Straßenschildern folgend in Richtung des Tempels der Gemeinde Santa Valora führte. „Wenn Valora und Invictus mit der Kleinen darüber geredet hätten, dann hätten wir das Problem heute nicht.“, stellte ich fest. Data gab nur einen bestätigenden Laut von sich.
Am Torbogen des Tempels, der von Valoras Statue auf der einen und der von Invictus auf der anderen Seite gesäumt wurde, begrüßte mich bereits Father Fletcher: „Da sind Sie ja, Allrounder Scott!“, sagte er. „Bitte folgen Sie mir. Wir gehen in einen Raum im hinteren Bereich des Tempels. Hier warten die Trauzeugen. Cirnach ist auch schon da. Sie hat die Hochzeitsrolle und das rituelle Tintenfass und auch den rituellen Federkiel mitgebracht.“ „OK.“, sagte ich. Dann wandte ich mich an Data: „Data, folge Father Fletcher!“ So gingen wir in den Tempel. Dabei durchquerten wir den eigentlichen Raum für den Gottesdienst, an dessen Wänden sich Bilder mit allerlei Darstellungen aus Benevideas Kindheit fanden. In der Mitte war ein großer Altar aus braunem Holz, der auf Füßen stand, die unbeschlagenen Pferdehufen ähnelten. Daneben stand eine Statue der Kindlichen Göttin, deren Horn eine Monstranz, also ein Gefäß für heilige Gegenstände war, die man darin ausstellen konnte. Auf dem Altar lag eine königsblaue Decke mit imperianischen Motiven, wie mir Data beschrieb. Vor dem Altar befanden sich die Sitzreihen aus schlichten weißen Stühlen. Außerdem war alles voller Blumen und Girlanden, was ich persönlich sehr übertrieben und kitschig fand.
An diesem Altar gingen wir nun vorbei und gelangten in einen kleinen Raum mit einem Tisch und zwei Stühlen, der weitaus weniger geschmückt war. Hier erwartete uns tatsächlich bereits Cirnach. „Ich grüße dich, Betsy Scott.“, sagte die Vendar mit ihrer leicht krächzenden für eine Frau recht tiefen Stimme. Kalt und berechnend kam sie mir vor. Ich fand, dass sie gut in Sytanias Gesellschaft passte. Am liebsten hätte ich mich auf dem Absatz umgedreht. Aber ich hatte mich ja vorher anders entschieden. Deshalb musste ich da wohl jetzt auch durch.
Ich machte also gute Miene zum bösen Spiel und sagte diplomatisch: „Auch ich grüße dich, Cirnach. Wie mir scheint, haben wir erneut einen gemeinsamen Job zu erledigen.“
Ich setzte mich auf den freien Stuhl, den Data mir inzwischen angezeigt hatte. „In der Tat, Betsy El Taria.“, sagte die Vendar. „Hoffen wir, dass dieser genauso gut ausgeht.“ Ich nickte nur, denn ich wollte die Worte, die mir gerade durch den Kopf gingen, auf keinen Fall laut aussprechen. Wenn ich das getan hätte, dann hätte das auf der Stelle einen Eklat ausgelöst und das wäre ja auch ein Verstoß gegen die Oberste Direktive gewesen. Also hielt ich lieber den Mund und lenkte sie stattdessen auf ein ganz anderes Thema: „Ich hoffe, dass uns Father Fletcher hereinrufen wird, wenn es so weit ist. Ich habe nämlich keine Lust, die Hochzeit meiner Präsidentin dadurch zu verderben, dass ich meinen Auftritt verpasse.“ Ich grinste. „Hab vertrauen, Betsy El Taria.“, tröstete die Vendar. „Bei dir klingt das, als hättest du es schon einmal mitgemacht.“, sagte ich. „In der Tat.“, erwiderte Cirnach. „Du weißt, dass dies nicht Sytanias erste Hochzeit ist und die Priester haben uns immer Bescheid gegeben.“ „OK.“, nickte ich erleichtert.
In diesem Augenblick fiel mir ein, dass es da noch etwas gab, das ich nicht verstanden hatte. „Warum ist es eigentlich so wichtig, dass auf der Erde und im Dunklen Imperium gleichzeitig Vollmond ist?“, fragte ich. „Weil meine Herrin offenbar eine hoffnungslose Romantikerin geworden ist, seit sie mit Nugura El Fedaria eine Beziehung führt.“, sagte Cirnach. „Aha.“, sagte ich und versuchte zu verhehlen, dass ich ihr das nicht glaubte. Meine eigene Theorie zu dem Thema besagte nämlich, dass Sytania nur deshalb so darauf gedrängt hatte, da der Zeitpunkt, an dem sie die Föderation ihr Eigen nennen würde, für sie nicht schnell genug kommen konnte. Das hübsch romantisch zu verpacken, damit Nugura einwilligte, war meiner Meinung nach nichts als eine Masche, um ihr Ziel zu erreichen. Wenn ich doch nur einen Weg finden könnte, Nugura zu warnen! Ich hoffte so sehr, dass die Fürbitte, deren Inhalt ich jetzt auswendig gelernt hatte, dafür ausreichen würde.
Vor dem Tempel hatte sich inzwischen ein großes Aufgebot an Sicherheitskräften versammelt. Unter ihnen war auch Barnaby. Er hatte seine Lederkluft gegen einen feinen schwarzen Anzug getauscht. Das war, wie er selbst fand, dem Anlass wohl angemessener. Auf seine Sicherheitsweste hatte er dennoch nicht verzichtet. Der Grund dafür schob sich auch bald über die Straße heran. Es handelte sich um eine Kolonne von Fahrzeugen. In einem von ihnen, das jetzt direkt vor dem Tor hielt, saß Nugura mit Saron und ihrem klingonischen Fahrer, der den Jeep jetzt ordnungsgemäß parkte und der Präsidentin und Mr. Saron dann das Zeichen zum Aussteigen gab, das aus einem Winken mit der rechten Hand bestand.
Nugura wandte sich dem direkt neben ihr sitzenden Saron zu: „Helfen Sie mir mit meinem Kleid, Mr. Saron! Sie wissen ja, wie es geht. Wir haben das ja oft genug geübt.“ „Ja, Madam President!“, sagte der Sekretär und sah sie danach fragend an: „War das in Ordnung, oder soll ich Sie schon jetzt Mitregentin nennen?“ „Wie Sie wissen, Mr. Saron, werde ich diesen Titel erst nach meiner Hochzeit mit Sytania tragen!“, belehrte ihn Nugura. „Die Anrede Madam President ist also nach wie vor total ausreichend!“ „Verstehe, Madam President.“, sagte der Sekretär und betonte Madam President noch besonders, ohne dabei seine Stimme stärker zu heben. Er wusste, dass deutlich nicht immer etwas mit laut zu tun hatte, sondern auch eine langsame leise gut gewählte Sprache sehr deutlich klingen konnte.
Die Präsidentin drehte sich zur Tür und Saron, der links neben ihr saß, griff nach ihrer Schleppe und dem Saum ihres Kleides, um beides nur so weit zu heben, dass es nicht mehr den Boden oder einen Teil des Fahrzeugs berühren konnte, wenn sie dieses verlassen würde. Nuguras Kleid und ihre Schleppe waren schwarz. Das Kleid musste auch deshalb von einer zweiten Person getragen werden, da es sehr lang war. Im Ausschnitt befanden sich imperianische Muscheln, die auf den Stoff, einen schweren dicken Brokat, mittels kleiner Löcher, die in sie gebohrt worden waren und Fäden aufgebracht worden waren. Außerdem trug Nugura eine kleine silberne Krone, die auch ihren Schleier, der ebenfalls schwarz war und aus dem gleichen Stoff wie ihr Kleid bestand, hielt. Ihre Schuhe waren ebenfalls schwarz. Diese Kleidung hatte sich Nugura ausgesucht, weil sie die Haar- und Augenfarbe Sytanias wiederspiegelte. Es war außerdem durchaus üblich, wenn nach dem Ritus der Könige im Dunklen Imperium geheiratet wurde, Die Hochzeitskleidung nach den Vorlieben des Herrscherpaares auszusuchen. Auch Sytania würde in Schwarz erscheinen. So huldigte sie nicht nur sich selbst, sondern zeigte meiner Meinung nach auch sehr genau, was für eine Farbe ihre Seele hatte. Nur Nugura schien das immer noch nicht verstanden zu haben.
Die Präsidentin stand auf und im gleichen Moment stand auch Saron auf, um ihr das Kleid gewissermaßen hinterherzutragen. So gingen sie dann schreitend in Richtung des großen Eingangstors zum Tempel.
Kurz davor hieß Nugura Saron halten und blieb auch selbst stehen. „Hier werden wir warten!“, sagte sie und klang dabei doch recht entschlossen. „Sytania wird gleich auftauchen. Da bin ich mir sicher!“ „Das mag sein, Madam President.“, sagte Saron und sah auf seine Uhr. „Aber Father Fletcher und die Trauzeugen werden schon warten. Ich hatte gehofft, Sytania sei schon da.“ „Es ist das Recht einer jeden Braut, etwas zu spät zur Hochzeit zu erscheinen!“, wies Nugura ihn harsch zurecht. „Da wir hier aber zwei Bräute haben, hätte selbstverständlich auch ich dieses Recht gehabt, aber ich halte sehr viel von Pünktlichkeit. Sytania aber darf das, Mr. Saron. Schließlich muss sie auch noch ein Reich beherrschen.“ Saron nickte ihre Worte nur ab. Ihm war natürlich klar, dass Sytania nur einen Teil eines Reiches beherrschte, aber diese Haarspalterei wollte er ihr dann doch nicht mehr antun. Er hatte bereits festgestellt, dass sie sehr nervös war und er wollte diese Nervosität nicht noch steigern.
Im gleichen Augenblick gab es einen schwarzen Blitz und vor ihnen erschien Sytania. Auch sie trug ein langes fast mittelalterlich anmutendes Kleid mit Rüschen. Auch dieses war schwarz und bestand aus Samt. An den Füßen trug die Prinzessin schwarze Schnabelschuhe wie Nugura. Ihr schwarzer Schleier wurde von einer weitaus imposanteren goldenen Krone gehalten, die noch dazu mit dem Wappen der Königstochter und diversen Edelsteinen verziert war. Alle, die von so etwas auch nur einen Bruchteil verstanden, konnten sehr gut sehen, wer in dieser Ehe das Sagen haben würde. Sytanias Kleid und ihre Schleppe wurden von Telzan gehalten.
„Ach, wie gut du doch aussiehst, Nugura, mein Liebling!“, heuchelte Sytania. „Du siehst aber auch sehr gut aus, meine allerliebste Sytania.“, lächelte Nugura zurück und hätte sie am liebsten geküsst. Saron aber flüsterte ihr nur zu: „Jetzt noch nicht, Madam President. Jetzt noch nicht.“ „Dein Sekretär hat Recht.“, sagte Sytania, die ihn zwar akustisch nicht wirklich verstanden hatte, sich aber das Recht genommen hatte, einfach in seinen Geist einzudringen. So hatte sie jeden seiner Gedanken in diesem Moment nachvollzogen. „Der Brautkuss soll ja schließlich ein wirkungsvoller Moment werden, nicht wahr? Deshalb sollten wir wirklich warten, bis die Zeremonie ihn vorsieht, findest du nicht? Dann sind auch alle Augen auf uns gerichtet. Wenn wir uns jetzt küssen, sieht das doch keiner!“ „Wie Recht du doch wieder hast.“, sagte Nugura. Dabei bekam sie einen sehr verklärten Blick. Sie hätte zu allem ja gesagt, das Sytania ihr befohlen hätte.
Cirnach und ich hatten einige letzte Abläufe für die Zeremonie besprochen. Die Vendar hatte sehr großes Verständnis für die Tatsache gezeigt, dass ich nicht wirklich Bescheid wusste. Ich hatte mir zwar die Informationen grob angelesen, aber in unserem Konkreten Fall war ich über einiges nicht ganz sicher gewesen. „Der Priester wird mich auffordern, Nugura und Sytania mit dem rituellen Dolch in den rechten Arm zu stechen. Derweil werden sie ihre Liebesschwüre leisten.“, erklärte die Vendar. „Ihr Blut wird in das Tintenfass tropfen. Das werde ich verschließen und es dir dann in die Hand geben. Das ist das Zeichen für den Chor, ein altes gesungenes Gebet in unserer Muttersprache anzustimmen, während dessen gesamter Dauer du das Fass schütteln wirst. Wenn sie verstummt sind, wirst du das Fass wieder an mich übergeben. Ich rolle dann die Hochzeitsrolle auf dem Altar aus und Nugura und Sytania unterschreiben mit dem Blut aus dem Fass. Dazu benutzen sie den Federkiel, den ich ebenfalls bei mir habe. Das Gebet dauert übrigens um die fünf Minuten. Glaubst du, dass du es schaffst, das Fass so lange zu schütteln?“ „Ich denke schon!“, sagte ich zuversichtlich. „Und falls ich doch einen Tennisarm bekommen sollte, weiß ich ja, an wen ich die Rechnung für meine Behandlung zu schicken habe.“ Bei meinem letzten Satz grinste ich sie an. „Du willst einen Scherz machen, Betsy El Taria.“, verstand Cirnach. „Du willst die Situation auflockern. Aber das ist wirklich nicht nötig. Schließlich sind wir heute schon zu einem sehr fröhlichen Anlass zusammengekommen! Meine Herrin und deine Präsidentin heiraten! Was kann es da denn Schöneres geben?!“
Durch die halb geöffnete Tür des Räumchens bekam ich mit, wie Father Fletcher dem Hausrechner des Tempels das Abspielen eines alten imperianischen Stückes Musik befahl, das ich als den imperianischen Hochzeitsmarsch identifizierte. Danach folgte die in der Föderation übliche Version.
„Gehen wir, Betsy El Taria!“, sagte Cirnach. „Es ist so weit!“ Dann stand sie auf und bot mir ihren Arm an. Ich aber verneinte und wandte mich Data zu: „Data, Schutz- und Führmodus ein! Folge Cirnach!“ So reihten wir uns hinter der Vendar ein, die uns auch in die richtige Lücke in der Prozession gleich hinter Nugura und Sytania führte.