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Aber jene Situation war auch auf Logars Seite der Dimension nicht unbeobachtet geblieben. Derjenige, der sie jedoch gesehen hatte, traute seinen eigenen Augen nicht und glaubte eher an eine Fehlfunktion der Sonde, die er in Iranachs Auftrag in eine hohe Umlaufbahn über Sytanias Schloss geschickt hatte. Da sich die Sonde von fern optisch kaum von einem Stern am Himmel unterschied, hatten die Wachen sie auch nicht bemerkt und selbst wenn, dann hatten Sytanias Vendar sie stillschweigend toleriert. Sich gegenseitig auszuspionieren, gehörte schließlich zwischen Sytania und ihrem Vater fast schon zum guten Ton, wie sich eine celsianische Politikerin kürzlich gegenüber der Presse der Föderation zu der Situation im Dunklen Imperium geäußert hatte.

Talan, der die Sonde fernsteuerte und auch ihre Telemetrie sowie ihre Bilder auswertete, traute aber wie gesagt seinen Augen nicht, als er sehen musste, wie sich das Schloss der Königstochter mitsamt dem Park in die Luft erhob und dort über seinem eigentlichen Standort schwebte. Darunter gähnte ein großes Loch. Von den Dingen, die sich im Schloss abgespielt hatten, wusste er ja nichts. Deshalb beschloss der Novize auch, den Computer eine Selbstdiagnose der Sonde durchführen zu lassen. Sollte deren Ergebnis ihn nicht zufriedenstellen, würde er auch den Computer selbst einer solchen Diagnose unterziehen. Er wusste zwar, dass er für so etwas eigentlich die Erlaubnis seiner Ausbilderin benötigte, aber seiner Ansicht nach blieb keine Zeit mehr, Iranach zu fragen. Von den Bildern der Sonde hing zu viel ab. Wenn sie ihnen falsche Daten lieferte, konnte das unter ganz bösen Umständen zu einem Krieg führen und das durfte auf keinen Fall passieren. Was Talan gesehen hatte, war aber für ihn derart unmöglich, dass er auf jeden Fall die Situation klären wollte, bevor Iranach oder gar Logar aufgrund der Daten falsche Schlüsse ziehen konnten.

Der Novize, der erst vor kurzer Zeit in den Kreis der älteren Novizen aufgestiegen war, drehte sich also dem Computermikrofon zu und sagte fest: „Mishar, der mit dir gerade in Verbindung stehenden Sonde den Befehl zur Selbstdiagnose übermitteln!“ „Befehl wird ausgeführt.“, kam es nüchtern zurück. Dann sah Talan einige technische Zahlen auf dem Schirm, die sich ständig veränderten. Er wusste, das könnte jetzt eine Weile dauern.

Iranach hatte den Raum betreten. Sie streifte immer durch die Kontrollräume, wenn sie wusste, dass einer ihrer Schüler heute zum ersten Mal eine der Spionagekonsolen bediente. Die Vendar war für ihre Gründlichkeit bekannt und wollte auf jeden Fall sicherstellen, dass sich bei ihren Schülern keine Fehler in deren Bedienung einschlichen.

Jetzt war sie auch an Talans Platz vorbeigekommen und hatte die Werte seiner Konsole gesehen. „Kannst du mir mal verraten, was du da machst?!“, fragte sie streng. „Unser Gebieter hat eine lückenlose Überwachung Sytanias auf technologischem Wege angeordnet! Er will das, weil sich Sytania ja telepathisch gegen ihn abschirmen könnte. Aber dein Platz stellt jetzt gerade eine Lücke im Netz dar. Wenn die Sonde sich selbst diagnostiziert, kann sie ihre Arbeit nicht machen! Hast du darüber schon einmal nachgedacht?! Brich sofort diese Diagnose ab! Überprüfen kannst du sie später!“ „Aber, Ausbilderin, es ist doch bestimmt auch nicht gut, wenn wir aufgrund falscher Daten handeln und falsche Schlüsse ziehen.“, widersprach Talan, was Iranach offensichtlich nicht von ihm gewohnt war. Die sonst so taffe Vendar musste nämlich gewaltig nach Luft schnappen. „Was genau meinst du bitte damit?!“, fragte sie schließlich.

Talan wechselte das Bildschirmfenster. Trotz der Diagnose war im Hintergrund immer noch der Datenstrom der Sonde zu sehen. Allerdings waren das, was sie jetzt ihren Benutzern bot, eingefrorene Bilder. Iranach hatte nämlich mit ihrer Belehrung durchaus Recht gehabt, was die Arbeitsfähigkeit der Sonde anging. „Das sieht tatsächlich etwas merkwürdig aus.“, sagte die Vendar und deutete auf den Schirm. „Ich denke, du hast richtig gehandelt. Ich muss mich bei dir entschuldigen. Gut, dass du so umsichtig bist. Wenn wir Logar dies ungefiltert gemeldet hätten, dann hätte er eventuell ganz falsche Schlüsse ziehen können und hätte seine Tochter eventuell Taten beschuldigt, die sie gar nicht begangen hat. Das hätte Sytania durchaus das Recht zur Vergeltung gegeben und wir beide wissen nur zu gut, wie die aussehen kann.“ „In der Tat, Ausbilderin.“, bestätigte der Novize.

Ein Signal vom Computer ließ die beiden Vendar aufhorchen. Dann sagte die nüchterne Stimme des Rechners: „Selbstdiagnose der Sonde beendet. Sie ist zu 100 % funktionsfähig. Die vor der Diagnose gestarteten Prozesse werden fortgesetzt.“ „Soll ich auch den Mishar selbst einer Diagnose unterziehen?“, fragte Talan. „Nein.“, sagte Iranach. „Ich denke, das ist nicht nötig. Obwohl ich auch noch keine Erklärung für diese Bilder habe. Aber die könnten wir vielleicht sehr leicht bekommen. Befiehl der Sonde, nach verstärkter telepathischer Aktivität zu suchen. Ich bin sicher, sie wird fündig werden. Sie soll die Aktivität auch gleich zuordnen.“ „Hast du einen Verdacht, Ausbilderin?“, fragte Talan und er fühlte sich dabei sehr beklommen. „Den habe ich tatsächlich.“, sagte seine Lehrerin. „Und die Götter mögen geben, dass wir uns irren. Wenn wir uns nicht irren sollten, dann haben wir ein Problem. Aber vielleicht ist ja auch alles in Ordnung und es war nur eine Luftspiegelung, auf die unsere Sonde hereingefallen ist.“ „Deine Andeutungen machen mir Angst, Ausbilderin.“, sagte Talan. „Unter diesen Umständen traue ich mich gar nicht, den Befehl an die Sonde selbst zu übermitteln. Könntest du das bitte übernehmen?“ „Na gut.“, seufzte Iranach. „Dann geh bitte zur Seite.“

Talan stand erleichtert von seinem Stuhl auf und ließ sie seinen Platz einnehmen. Der Novize war sehr froh, dass sie sich erbarmt hatte, diesen doch sehr schwierigen Teil zu übernehmen. Ihre Andeutungen hatten ihn so sehr geängstigt, dass er das Ergebnis eigentlich gar nicht erfahren wollte. Deshalb wünschte er sich gerade, er hätte vier Hände statt der zwei, die er sein Eigen nannte. Dann hätte er sich nämlich durchaus Augen und Ohren gleichzeitig zuhalten können. So aber ging dies mehr schlecht als recht, denn er hatte nur eine Hand für jeweils ein Auge und ein Ohr.

Er hoffte so sehr, er würde von dem Ganzen nicht so viel mitbekommen. Aber leider war das nicht so. Trotz der Tatsache, dass er von dem Gespräch zwischen Iranach und dem Mishar nur die Hälfte mitbekam, reichte dies doch aus, um einiges in seinem Kopf anzustoßen. In diesem Moment wünschte er sich nichts mehr, als einmal nur für einige Sekunden seine doch sehr große Intelligenz ablegen zu können und nicht zu verstehen, was das, was Iranach herausgefunden hatte, bedeuten würde. Leider funktionierte das aber nicht und er hörte genau, auch wenn es nur Teile von Sätzen waren, dass seine Ausbilderin und der Computer bestätigten, dass Sytania selbst es war, die ihr Schloss zum Schweben gebracht hatte. Zweifelsfrei war das eine Machtdemonstration, auf die Logar, würde er davon erfahren, sofort antworten würde. Würde er das gleiche versuchen, dann würde auch er sehr viel Energie benötigen, um auch sein Schloss und dessen gesamte Umgebung für länger schweben zu lassen. Er durfte dann nicht in seiner Konzentration nachlassen, um diejenigen, die sich in seinem Schloss befanden und auch das Schloss selbst nicht zu gefährden.

Dem Novizen gingen tausend Szenarien durch den Kopf, was dann hätte passieren können. Er überlegte sogar ernsthaft, Logar die Situation zu verschweigen und seine Ausbilderin dazu anzustiften. Er hoffte nur, dafür die richtigen Argumente finden zu können. Dass es dazu aber bereits zu spät war, ahnte er nicht.

Er hatte plötzlich begonnen, eine Präsenz wahrzunehmen. Eine Präsenz, die er sehr gut kannte. Ihr gemeinsamer Gebieter musste den Raum betreten haben. Sofort war Talan hellwach, seine Hände aber nahm er nicht von Auge und Ohr. Logar, der dies durchaus gesehen hatte, war darüber etwas verwundert. „Kannst du mir mal verraten, was dein Schüler da tut, Iranach?“, wandte er sich seiner Vertrauten und damit auch der Anführerin seiner Vendar zu. „Ist das eine neue Übung zum Schärfen seiner Sinne?“

Die immer noch schwer mit den Anzeigen auf der Konsole beschäftigte Vendar hatte ihren Herrn erst jetzt wirklich bemerkt und drehte sich um. „Bitte vergebt mir, Gebieter.“, bat sie. „Aber wovon sprecht Ihr?“ „Ich vergebe dir, Iranach.“, sagte Logar. „Das, was du und Talan hier gesehen habt, scheint euch beide ja sehr in Anspruch zu nehmen. Aber ich spreche davon.“ Er zeigte in Talans Richtung. „Das habe ich nicht angeordnet, Milord.“, sagte Iranach. Dann drehte sie sich ihrem Novizen zu: Talan, Es wird die Dinge nicht verbessern, wenn du die Realitäten ignorierst. Sag seiner Majestät und mir doch bitte, was dich so bedrückt.“

Ob der Anweisung seiner Ausbilderin nahm Talan die Hände vom Gesicht und drehte sich nun auch seinerseits Logar und ihr zu. „Wir haben gesehen, dass Eure Tochter ihr Schloss mittels ihrer Kräfte in die Luft erhoben hat.“, sagte der Novize. „Erst habe ich es nicht glauben wollen und hatte dem Mishar befohlen, unserer Sonde den Befehl zur Selbstdiagnose zu übermitteln. Jetzt sind wir sicher, dass es nicht an der Technik liegt. Es ist wohl die Wahrheit. Aber es ist auch Wahnsinn, wie ich finde. Sytania wird immer mehr Energie benötigen und ihre Vendar werden …“

Logar hatte eine Bewegung auf Talan zu gemacht, die den Novizen sofort seinen Satz unterbrechen und zurückschrecken lassen hatte. „Lass mich sehen, Junge!“, ordnete der König an. Talan nickte und ging einige Schritte zurück und auch Iranach verließ den Platz und bot mittels eines Fingerzeigs Logar den Stuhl an, der sich auch gleich setzte. Dann sah der Herrscher auf den Schirm. Sicher wäre das für ihn nicht nötig gewesen, aber er wollte sich ja schließlich von dem überzeugen, was seine Vendar ihm gerade gemeldet hatten und dafür musste er die gleichen Mittel wie sie benutzen, damit alle auf dem gleichen Stand waren.

Schließlich drehte sich Logar erneut Iranach zu. Seine Augen waren voller Wut. Das konnte die Vendar gut sehen. Sie hoffte nur, dass er aus dem gleichen Grund Wut empfinden würde, aus dem auch sie dieses Gefühl empfand. Iranach hoffte, auch Logar würde den Wahnsinn in jener Tat erkennen und sich nicht ebenfalls auf solche Muskelspiele der Macht einlassen. Sie hoffte sehr, ihr König wäre vernünftiger als die Prinzessin. Bald darauf musste sie aber sehen, dass all ihre Hoffnung zunichte gemacht wurde.

Es gab einen weißen Blitz und Iranach und Talan spürten, wie sich das gesamte Gebäude mit ihnen erhob. Sofort stürzte der Novize zum Fenster und sah hinaus. Was er aber dort sah, ließ ihn für einen kurzen Moment fast das Gleichgewicht verlieren und er wäre sicher zu Fall gekommen, wenn er sich nicht an der steinernen Fensterbank hätte festhalten können. „Ausbilderin!“, stammelte er. „Wir scheinen fast genauso hoch wie der Himmel zu sein. Bitte komm her und sieh es dir an.“

Mit ungläubigem Staunen kam Iranach seiner Bitte nach. Sie marschierte ebenfalls hinüber zum Fenster und sah jetzt auch, was ihren Novizen so in Angst und Schrecken versetzt hatte. Dann warf sie sich vor Logar auf die Knie und flehte: „Gebieter, bitte lasst uns wieder herunter! Ihr habt das Schloss höher gehoben als das Eurer Tochter! Das sollte doch ausreichen, um ihr Eure überlegene Macht zu demonstrieren. Alles andere ist Wahnsinn! Auch Ihr werdet immer mehr Energie benötigen, wenn Ihr das hier aufrechterhalten wollt. Die können auch wir nicht allein von uns freundlich gesinnten Telepathen aus dieser Dimension besorgen. Was wir hier bekommen, wird einfach irgendwann nicht mehr reichen! Habt Ihr darüber nachgedacht? Sicher, Sytanias Vendar werden ohne Skrupel jeden Telepathen überfallen, dem sie habhaft werden können. Aber das werden wir nicht tun! Bitte zwingt uns nicht dazu, Majestät! Bitte! Bitte! Bitte! Lasst doch ab, Milord! Lasst doch ab! Bitte lasst ab! Lasst ab!“

Logar sah sie streng an. „Steh auf, Iranach!“, befahl er. „Damit ich dir in die Augen sehen kann und dir sagen kann, wie ich darüber denke!“ „Ja, Gebieter.“, sagte die Vendar, in deren Augen schon wieder das Licht der Hoffnung erglühte und stand auf. Was sie aber dann zu hören bekam, ließ sie niedergeschlagen den Kopf senken. „Was sagst du da?!“, fragte Logar sehr laut und sah sie streng an. „Du sagst, ich soll aufgeben und das Schloss wieder absetzen?!“ Nein! Diesen Sieg werde ich meiner Tochter nicht gönnen! Solange sie das Spiel nicht aufgibt, werde auch ich es nicht tun! Ihr werdet eben solange nach Energie suchen müssen, wie ich sie benötige! Dafür dürft auch ihr vor nichts zurückschrecken, Iranach. Deine Leute und du, ihr dürft vor nichts zurückschrecken! Wir werden meiner Tochter schon zeigen, wer hier die Macht hat! Hast du mich verstanden?!“ „Das habe ich, Gebieter!“, sagte Iranach, die aber stark mit sich selbst rang. Sie hätte ihrem Herrscher am liebsten ganz andere Dinge gesagt, wusste aber, dass es sie Amt und Kopf kosten konnte, wenn sie es tat. Deshalb hatte sie beschlossen, ihre wahre Meinung erst einmal für sich zu behalten. „Dann ist ja alles gesagt.“, sagte Logar und verließ wieder den Raum und die gesamte vendarische Garnison.

Talan dachte nach. Er hatte zwar sehr große Angst und konnte die Situation selbst nicht wirklich einordnen, er hatte aber sehr wohl wahrgenommen, wie verzweifelt seine Ausbilderin war. Vielleicht konnte es ihm, einem einfachen Novizen, aber auch gelingen, ihre Verzweiflung wieder in Mut zu verwandeln. Er hatte sie noch nie so gesehen. Sonst war immer sie diejenige gewesen, auf die er sich hatte verlassen können. Sie war immer sein Fels in der Brandung und er hatte das Gefühl, ihr in dieser Hinsicht jetzt einiges zu schulden. Deshalb überlegte er so angestrengt er konnte. Sie würden Hilfe benötigen. Das war ihm klar. Nicht nur, dass sie Freiwillige brauchten, die ihnen Tag und Nacht als Spender telepathischer Energie zur Verfügung standen, nein, sie würden auch Hilfe benötigen, wenn es darum ging, Logar wieder Vernunft einzureden. Ihnen allein würde das nicht gelingen. Das wusste der Novize nur zu gut. Auch wenn die Vendar sozusagen die Elitekrieger der Mächtigen waren, so waren sie immer noch Diener und niemals auf der gleichen Ebene wie Logar selbst. Das war auch der Grund, aus dem Logar Iranach so abkanzeln konnte. Es musste aber doch jemanden geben, der sehr großes diplomatisches Geschick besaß und der oder die auf gleicher politischer Ebene mit Logar verhandeln konnte. Dem Novizen fiel da zum Beispiel Dill ein. Er war ein König wie Logar selbst und wusste nur zu gut über die Situation bezüglich seiner Tochter Bescheid. Außerdem gab es da noch die Bewohner des Raum-Zeit-Kontinuums oder die Tindaraner, die Aldaner, oder … Plötzlich fiel es dem Novizen wie Schuppen von den Augen. All diese Leute hatten einen gemeinsamen Nenner, eine gemeinsame Verbündete nämlich. Sie war zwar sterblich, würde aber genau deshalb die Not der Vendar am ehesten nachvollziehen können. Außerdem war sie für ihr diplomatisches Geschick über alle Grenzen hinaus sehr bekannt. Schließlich war sie das Oberhaupt eines Staates, der sich die Lösung all seiner Probleme durch Diplomatie und nicht durch Kriege auf die Fahnen geschrieben hatte. Wenn man mit ihr Kontakt aufnehmen würde, dann konnte man sicher mit Hilfe rechnen.

Talan wandte sich Iranach zu. „Wie wäre es, wenn wir Kontakt mit Nugura El Fedaria aufnehmen, Ausbilderin!“, schlug er lächelnd vor. „Ich bin sicher, sie wird Logar ins Gewissen reden.“ „Ach, das kannst du vergessen, mein Schüler.“, sagte die Vendar resignierend. „Die Föderation wird sich niemals in unsere internen Konflikte einmischen. Auch nicht dann, wenn wir sie noch so nett bitten. Sie haben eine Klausel, die es ihnen verbietet und …“ „Aber die greift doch hier gar nicht, Ausbilderin!“, fiel ihr Talan ins Wort, etwas, das er sonst eigentlich nie tat. Deshalb war seine Lehrerin auch so überrascht. So überrascht sogar, dass sie offenen Mundes dastand und seinem weiteren Vortrag lauschte: „Wenn wir so viel Energie besorgen müssen, dann bedeutet das, dass wir auch außerhalb der eigenen Heimat danach suchen müssen. Das Gleiche werden Sytanias Vendar tun und die sind skrupellos. In der Föderation und unter ihren Verbündeten gibt es viele Telepathen, von denen Nugura sicher nicht wollen wird, dass sie demnächst ausgesaugt werden. Um deren Schutz weiterhin gewehrleisten zu können, wird sie sich also einmischen müssen! Außerdem darf die Föderation auf Notrufe aller Art reagieren. Wir müssen es eben so formulieren, dass es wie ein Notruf von uns Vendar ankommt! So kompromittieren wir auch Logar zunächst nicht!“

Das Gesicht der Vendar hellte sich auf. „Oh, mein kluger Talan!“, sagte sie. „Du hast ein sehr gutes Verständnis für politische Dinge und ein sehr großes diplomatisches Feingefühl noch obendrein. Zum Lohn für deinen Vorschlag darfst du es sein, der Nugura El Fedaria unsere Bitte um Hilfe übermittelt. Ich vertraue dir da voll und ganz und lasse dieses Unterfangen ganz in deinen geschickten Händen. Nimm am besten so schnell wie möglich Kontakt mit ihr auf!“ „Ja, Ausbilderin.“, sagte Talan und wandte sich der Konsole des Sprechgerätes zu, um dort Nuguras Rufzeichen einzugeben. Er ahnte noch nicht, dass er dort gleich eine merkwürdige Überraschung erleben würde.

Wie jedes Mal rief er also die Maske auf und tippte das Rufzeichen, das er mittlerweile auswendig gelernt hatte, ein. Talan hatte dies für besser erachtet. Schließlich war die Föderation die politische Verbündete seines Herrn und man wusste ja nie, wozu es einmal wichtig sein konnte.

Statt einer Verbindung bekam er allerdings eine Meldung vom Mishar, die ihm durch ein Signal angekündigt wurde, das ihn aufhorchen ließ. Halblaut begann er, sich den Bildschirm durchzulesen: „Das angegebene Rufzeichen wurde zweimal gefunden. Bitte schalten Sie auf Konferenzmodus um oder wählen Sie eines aus!“ Dann sah er eine Liste, die aus den zwei Rufzeichen bestand.

Talan wusste, dass der Rechner in den interdimensionalen Modus geschaltet hatte, sobald er erkannt hatte, dass ein Rufzeichen außerhalb der Dimension angesprochen werden sollte. Dennoch konnte er sich nicht wirklich einen Reim auf die Situation machen. Das Rufzeichen der Präsidentin im allseits bekannten Spiegeluniversum konnte es nicht sein, was der Mishar dort entdeckt hatte. Die dort herrschenden geschichtlichen Bedingungen machten sicher ihre Regierung unmöglich und um ganz sicher zu gehen, waren alle Rufzeichen, die dort beheimatet waren, in sämtlichen Sprechgeräten, also auch in denen der zu Nuguras Verbündeten gehörenden Vendar, gesperrt. Spätestens das interdimensionale Relais würde erkennen, wohin der Ruf gehen sollte und den Sperrbefehl wirksam werden lassen. Das wusste auch Talan. Es musste eine Situation entstanden sein, auf die jegliche Technik noch nicht vorbereitet gewesen war.

Er wandte sich zu Iranach: „Ausbilderin, ich benötige deine Hilfe. Bitte komm her und sieh dir das hier an.“ „In Ordnung.“, sagte Iranach etwas verwundert und ging in seine Richtung. Es wunderte sie sehr, dass ihr Schüler bei so einer einfachen Tätigkeit ihrer Hilfe bedurfte. Als sie aber den Grund dafür sah, wurde auch sie nachdenklich. „Warum findet er auf einmal zwei völlig identische Rufzeichen? Der einzige Unterschied scheint zu sein, dass sie sich in zwei unterschiedlichen Dimensionen befinden. Sonst wäre das ja auch technisch unmöglich!“, sinnierte sie. „Gib Acht, Talan! Wir wählen eines aus und du sprichst die dortige Nugura einfach an. Ich bleibe in deiner Nähe und höre mit. Wenn mir etwas auffällt, lasse ich es dich wissen oder flüstere dir Anweisungen zu. Wir müssen die seltsamen Dinge erforschen, die hier passieren. Das sind wir auch unserem Gebieter Logar schuldig. Schalte das Gerät auf Lautsprecher!“ „Wie du wünschst, Ausbilderin.“, sagte der Novize und führte die Anweisungen seiner Lehrerin aus.

Er hatte sich für das erste Rufzeichen auf der Liste entschieden, welches er durch einen Fingerzeig auf den Monitor bestätigte. Das Bild mit der Fehlermeldung war daraufhin der Kulisse eines kleinen Büros gewichen, in welchem Talan im Bildhintergrund einen kleinen braunen hölzernen Schreibtisch erkennen konnte, an dem ein freundlich lächelnder Demetaner seinen Ruf entgegennahm: „Büro der Präsidentin der Föderation der vereinten Planeten, Sie sprechen mit Sekretär Saron!“ „Saron El Demeta, ich bin Talan, ein Schüler der Iranach, der Vertrauten des Logar El Imperia. Meine Ausbilderin hat mich beauftragt, in ihrem Namen mit Nugura El Fedaria zu sprechen. Ist das möglich?“ „Ich denke ja, mein Junge.“, sagte Saron freundlich zu dem Teenager, dessen Bild jetzt auch er sehen konnte. „Sie wird im Thronsaal sein. Ich stelle dich durch.“

Talan wollte noch etwas fragen, aber bevor er dies tun konnte, erklang schon die Hymne der Föderation als Wartemusik. „Hast du das auch gehört, Ausbilderin?“, flüsterte Talan verwirrten Ausdrucks im Gesicht seiner Lehrerin zu. „Hat er gerade wirklich Thronsaal gesagt?“ „Das hat er, Talan.“, sagte Iranach. „Aber auch wenn dich das noch so sehr verwirrt und ängstigt, darfst du jetzt nicht weichen. Gerade jetzt müssen wir dranbleiben.“

Mehr konnte sie nicht sagen, denn die Wartemusik war verstummt und auch das Bild hatte sich erneut verändert. Die beiden Vendar sahen jetzt das Bild eines großen Saals vor sich. In seiner Mitte stand ein goldener Thron, der mit allerlei Ornamenten verziert war. Talan erinnerte dieser Thron sehr an den von Logar oder Sytania. Die Ornamente waren nämlich allesamt imperianisch. Der Bezug des Throns schien aus mit Goldfäden durchwebtem Samt zu bestehen. Die Wände und die Decke des Saals waren mit Malereien geschmückt, die neben Blumenmotiven auch Sytanias Wappen zeigten, wie der kundige Vendar sofort erkannt hatte. Es handelte sich um das Bildnis zweier geflügelter Schlangen, die zwei geflügelte Löwen umschlungen hatten und die ihre gut sichtbaren grünen Giftzähne in deren Hälse versenkt hatten. Talan kam allerdings etwas daran sehr seltsam vor. In Sytanias eigentlichem Wappen war es nur eine Schlange, die es gleich mit zwei Löwen aufnahm. Wer also war hier mit der zweiten Schlange gemeint? Den Drudenfuß, der Sytanias Wappen außerdem noch zierte und der auch ihr Feldzeichen in der Schlacht war, hatte der junge Vendar ebenfalls erkannt. Er war auf allen Möbeln zu sehen, die sich sonst noch im Saal befanden. Dort gab es nämlich auch noch einen kleinen Audienztisch, an dessen Kopfseite außerdem eine imperianische Krone eingeschnitzt war. Dies ließ keinen Zweifel daran aufkommen, wem dieser Platz gehörte. Auf diesem ovalen braunen Tischchen, das von vier schweren ebenfalls mit weißem Samt bezogenen Stühlen gesäumt war, stand eine Konsole mit einem Sprechgerät. Vor diesem, auf dem Platz, der sich links neben dem mit der Krone befand, saß Nugura und lächelte ihn an: „Hallo, mein Junge! Mein Sekretär hat mich bereits informiert. Du musst ein sehr guter Schüler sein, wenn dir deine Lehrerin bereits eine selbstständige diplomatische Mission erlaubt. Was ist denn nun dein Begehr, hm?“ „Bitte helft uns, Nugura El Fedaria!“, sagte Talan, der ja bekanntlich jedes Staatsoberhaupt so ansprach, als handle es sich um einen König oder eine Königin. Für einen Vendar war das ohnehin ein ganz normales Verhalten. „Logar und Sytania haben mittels ihrer geistigen Kräfte ihre Schlösser in die Luft erhoben. Das bedarf sehr viel mentaler Energie. Wenn diese nachlässt, werden die Schlösser mit allem, was sich darin befindet, zu Boden fallen und es gibt Tote und Verletzte! Das bedeutet für uns Vendar, wir müssen immer neue Energie besorgen, damit die Quelle nicht versiegt. Unsere Gebieter können das auf die Dauer nicht ohne unsere Hilfe durchhalten. Wir würden Euren Völkern nie etwas tun, aber Sytanias Vendar sind skrupellos! Sie würden auch Eure Leute angreifen!“

Nugura gab einen beruhigenden Laut von sich und nahm das Mikrofon aus der Halterung. Da es drahtlos war, konnte sie damit auch zum Fenster gehen. Dann hielt sie es bei gedrückter Sendetaste kurz hinaus, so dass Talan die Umgebung sehen konnte und sagte, als sie es wieder an den Mund genommen hatte: „Du wirst sehen, Junge, dass unser Schloss immer noch mit allen vier Wänden auf dem Boden steht. So etwas Gefährliches würde meine geliebte Sytania ihren Untertanen nie antun. Niemals würde sie das! Auch nicht, um sich mit Ihrem Vater im Machtkampf zu messen. Dafür seid ihr uns alle viel zu lieb und teuer. Überprüft doch mal eure Technik. Vielleicht seid ihr ja nur auf eine Spiegelung hereingefallen.“ Das Gespräch endete.

Erneut sah Talan Iranach fragend an: „Was war das, Ausbilderin?“ „Ich weiß es nicht.“, sagte die Vendar und entschied dann: „Aber in einem hat Nugura Recht. Wir werden in der Tat etwas überprüfen. Sag unseren Technikern, sie sollen eine zweite Sonde startklar machen. Die schicken wir zur Quelle dieses Rufzeichens. Ich wüsste zu gern, was sich dahinter verbirgt. Du, Talan, wirst das zweite Rufzeichen ansprechen und die dortige Nugura mit dem konfrontieren, was wir hier erfahren haben. Mal sehen, wie sie darauf reagiert!“ „Zu Befehl, Ausbilderin!“, sagte Talan schmissig und nickte. Gegenüber ihr hatte er ja noch immer den Status eines Untergebenen und er war heilfroh, dass sie ihm diese Entscheidung abgenommen und ihn somit aus seiner Verwirrung geführt hatte.

 

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