- Schriftgröße +
Hinweise zur Geschichte:

Anthologie zu der Science-Fiction-Fantasy-Mini-Serie "Die Arimus-Missionen"

Hell schien die Sonne vom blauen wolkenlosen Himmel auf die zahlreichen Gestalten herab, die sich auf dem großen Innenhof versammelt hatten. Sie waren in Kando und Manda aufgeteilt, die zwei verschiedene Völker waren. In der Mitte des Hofes stand ein Pfahl, an dem ein ausgemergelter Manda angekettet war. Vor dem Gefangenen stand eine muskulöse Kreatur, die ein sehr dichtes Fell hatte. In seiner rechten Hand hielt die dunkle Gestalt mit den türkisfarbenen Augen eine Peitsche mit einigen Knoten darin. Das tiefschwarze Fell des Kando glänzte seidig im Sonnenlicht. Bei jedem Hieb zuckte der blutende Mann zusammen, ohne einen Schmerzenslaut von sich zu geben. Mit wutverzerrter Miene schlug Temesh Komush auf sein Opfer ein. Deutlich sah der gefangene Manda die riesigen Reißzähne des Kando, der bei der Bestrafung seines Opfers immer wieder die Zähne fletschte. Das blaue Blut floss dem Manda dem wundgeschlagenem Rücken herab. Immer tiefer fraß sich die Peitsche in sein Fleisch und der Schmerz wurde von Hieb zu Hieb unerträglicher. Doch der Gefangene hatte sich geschworen, dass er seinen Peinigern gegenüber keine Schwäche zeigen wollte. Er wusste genau, wie sehr es seinem Herrn und Gebieter wütend machte, wenn ein ungehorsamer Sklave bei der Bestrafung Stärke zeigte.

Immer zorniger schlug Temesh auf den Gefangenen ein, der weiterhin keinen einzigen Laut von sich gab. „Bei allen Göttern!”, rief er wutschnaubend, „Nun schrei endlich, Sklave!” Doch Narul Tingal dachte nicht im Traum daran, der Aufforderung seines Gebieters nachzukommen. Inzwischen schlug der kräftige Kando wie ein Besessener auf den gefesselten Manda ein. Wütend ließ er nach weiteren Minuten die Peitsche auf den Boden fallen und griff nach einem Eimer, der mit salzigem Wasser gefüllt war, und schüttete den gesamten Inhalt über den hilflosen Mann aus. Trotz der höllischen Schmerzen schwieg der Manda beharrlich. Nicht ein einziger Laut des Schmerzes kam über seine Lippen. Fassungslos ließ Temesh den Eimer ebenfalls fallen, der laut scheppernd auf dem Steinboden aufschlug. Ungläubig sah er den Mann an. Es war das erste Mal, dass ein Sklave bei seiner Bestrafung nicht vor Schmerzen schrie und ihn um Gnade anflehte.

Temesh trat ein paar Schritte zurück und betrachtete den Bestraften nachdenklich. „Wie kann das sein?”, fragte er verständnislos, „Wie ist das möglich, dass du keine Schmerzen empfindest?” Dann packte er Narul an seinen struppigen Haaren und riss seinen Kopf nach oben. Er zwang den Manda, ihn anzublicken. Unverwandt sah er dem Manda ins Gesicht. „Sprich, Sklave!”, brüllte er zornig, „Warum schreist du nicht?” Es dauerte einen kurzen Augenblick, bevor Tingal antwortete. „Ich habe keine Schmerzen, weil ich es so will.”, krächzte Narul mühsam, „Du wirst mich niemals bezwingen, Temesh Komush. Weder heute noch sonst irgendwann.” Wutschnaubend ließ der Kando den Kopf des Sklaven los. „Das wirst du mir büßen!”, schnaubte Temesh, „Ich werde deinen Stolz schon brechen, Sklave. Den deinigen und auch den deines Volkes.” Dann wandte er sich seiner Tochter zu, die ebenfalls das ganze Schauspiel schweigend mitverfolgt hatte. Ihre Blicke trafen sich und wenig später brachte sie ihrem Vater ein sehr scharfes Messer…

Zufrieden betrachtete er die Klinge in den Händen seiner Tochter. Dann nickte er. „Bringt mir die andere Gefangene!”, befahl er, „Wenn du schon nicht vor Schmerz schreien willst, dann wollen wir mal sehen, ob wir das nicht doch ändern können.” Wenig später brachten zwei kräftige Kando eine Manda-Frau, die sich verzweifelt wehrte. Laut klirrten die Ketten aus Stahl, mit denen sie gefesselt war. Ihre zerrissene Kleidung hing in Fetzen herab. Dicht vor Temesh und Narul blieben die beiden Kando mit ihrer Gefangenen stehen. Die zierliche Manda-Frau sah erst zu dem gefesselten und zerschundenen Tingal, anschließend blickte sie Temesh an. Sie begann zu weinen, als sie den Bestraften als ihren Sohn erkannte. „Mutter!”, krächzte der Gefangene kaum hörbar. In diesem Moment begriffen beide gefangenen Manda, dass der Kando etwas Schlimmes mit ihnen vorhatte. Tingal sah den grausamen Blick von Komush. „Ich sehe, du hast sie erkannt.”, sagte Temesh höhnisch. „Was hast du mit ihr vor?”, krächzte Narul kaum hörbar. „Ich werde ein Exempel statuieren.”, antwortete der Kando kalt. Fragend blickte ihn der gefangene Manda an. Komush rief ein paar Namen und die Gerufenen eilten sofort zu ihm. Es waren ebenfalls Kando, die nun vor Komush standen und auf seine Anweisungen warteten. Temesh wies mit seiner Hand direkt vor ihnen auf den Boden. „Treibt genau hier vier Pflöcke im jeweils gleichen Abstand in den Boden.”, befahl er. Rasch befolgten sie seine Anweisung. Es dauerte nicht lange, bis sie den Befehl ausgeführt hatten. Fragend sahen die Gestalten Temesh an, als sie mit ihrer Aufgabe fertig waren. „Und jetzt legt sie auf den Boden und fesselt sie an den vier Pflöcken.”, sagte er. Als die vier Kando die Gefangene packten, begann sie vor Angst zu schreien. Die Stahlketten klirrten laut, als die Manda an den Pflöcken festgebunden wurde. Verzweifelt und voller Zorn zerrte Narul an seinen Fesseln. „Mutter!”, rief er immer wieder. „Narul, mein Sohn!”, antwortete sie vor Angst weinend, „Egal, was die jetzt mir antun werden. Bleib dabei und lass dich nicht von ihnen brechen. Die Kando dürfen niemals siegen. Hörst du?” Inzwischen hatte Temesh das scharfe Messer genommen und betrachtete erneut zufrieden die schwarze Klinge. Temesh stieß ein Hohngelächter aus, als er das Messer an seinem ältesten Sohn weiterreichte. „Häutet die Manda-Frau und wenn ihr damit fertig seid, verbrennt sie danach lebendig!”, befahl Komush kalt und sah dabei Narul hasserfüllt an. Tingals Mutter begann vor Todesangst an zu schreien, als der junge Kando damit auf sie zuschritt.....

Laut schreiend und schweißgebadet schoss Narul aus dem Schlaf. Die Todesschreie seiner Mutter und das triumphierende Hohngelächter von Temesh Komush hallten in seinem Kopf nach. Keuchend sah er sich in dem Zimmer um. Sein Puls raste. Jemand fasste ihn vorsichtig von hinten an seine Schulter. Als Narul sich umdrehte, blickte er in das Gesicht seiner Frau Dilana. Deutlich fühlte sie seine angespannten Muskeln. „Du hast wieder schlecht geträumt.”, sagte sie sanft, um ihn wieder zu beruhigen. Er nickte kurz und nahm einen kräftigen Schluck Wasser aus dem Krug, den ihm Dilana reichte. Das kühle Nass holte ihn endgültig wieder in die Wirklichkeit zurück. Nach ein paar weiteren Schlucken Wasser, gab er den Krug an seine Frau zurück, dankte ihr und stand auf. Als er das Fenster erreichte, öffnete er es fast lautlos mit schnellen Griffen. Gierig sog Narul die frische Nachtluft in seine Lungen. Hinter ihm begann es zu rascheln und er wusste, dass Dilana ebenfalls das Bett verließ. Wenig später spürte er bereits ihren Atem in seinem Nacken.

Beide blickten schweigend aus dem Fenster. Es war eine sternenklare Nacht und die beiden Monde Bellura und Būrallus schienen hell am Firmament. Die nähere Umgebung war bei dieser Helligkeit nur schemenhaft zu erkennen. In der Ferne erklang das Geheul mehrere wilder Mivukus.

„Geht es wieder?”, fragte die junge Frau fürsorglich ihren Mann. Dieser nickte. „Ja, es geht schon wieder, Liebes.”, antwortete Narul mit immer noch leicht bebender Stimme, „Danke sehr, Dilana.” Prüfend sah sie ihn an. Dilana wusste, dass der junge Tingal wegen des Traumes immer noch sehr aufgewühlt war. Sie spürte das lodernde Feuer des Zorns in ihm aufsteigen. Sie schmiegte sich vorsichtig an Narul. Er fühlte die Wärme Dilanas. „Es war wieder derselbe Traum, nicht wahr?”, fragte sie mitfühlend. Narul bejahte. Mitfühlend wurde ihre Umarmung enger. „Vergiss den Traum wieder.”, flüsterte sie leise, „Es ist vorbei.” Narul löste sich aus ihrer Umarmung. „Nein, das ist noch nicht vorbei.”, erwiderte er, „Das wird nie vorbei sein.” „Ständig sehe ich diese Bilder vor mir.”, fuhr Narul fort, „Und jedes Mal höre ich ihre Schreie, obwohl das schon über achtzig Jahre her ist. Trotzdem habe ich immer wieder das Gefühl, als wäre das alles erst heute passiert.” Dilana hörte schweigend zu, als Tingal fortfuhr. „Aber dafür haben wir damals auch in der darauf folgenden Nacht das gesamte Anwesen niedergebrannt und alle Kando umgebracht. Keiner von ihnen hätte jemals gedacht, dass wir Sklaven eines Tages einmal zurückschlagen würden.” „Aber dadurch wurde deine Mutter auch nicht wieder lebendig.”, konstatierte Dilana. „Nein, das wurde sie nicht wieder.”, antwortete Narul, „Stattdessen mussten wir alle fliehen. Von da an mussten wir uns in den tiefen Wäldern verstecken. Wir lebten von der Jagd und dem Sammeln von Beeren. An den Ufern der Flüsse fischten wir, wenn es möglich war. Viele Monate lang haben uns die Kando gesucht, aber sie haben nur sehr wenige von uns wieder einfangen können und die, die sie erwischen konnten, nahmen sich selbst das Leben.” Er seufzte. „Nein, Dilana.”, sagte er, „Es wird erst dann vorbei sein, wenn die Manda von dem Joch der Unterdrückung durch die Kando erlöst sind. Erst wenn Zātul und alle anderen Götter ihren Zorn über die Kando ausgeschüttet haben, werden wir frei sein.” Schweigend blickten beide weiterhin aus dem Fenster. Inzwischen war auch der dritte Mond Bellus aufgegangen. Das Geheul der wilden Mivukus war mittlerweile verstummt. Stattdessen begannen die Muvangos in den angrenzenden Wäldern zu brüllen. Wortlos zog sich Dilana wieder in das Bett zurück. „Komm wieder ins Bett.”, flüsterte sie, „Du musst dich ausruhen, denn morgen wird wieder ein harter Tag.” Es dauerte nicht lange und Narul legte sich ebenfalls wieder ins Bett. Kurz darauf waren beide fest eingeschlafen.....

Am nächsten Morgen herrschte große Aufregung in dem kleinen Dorf namens Mandušolva, in dem auch Narul mit seiner Frau lebte. Als Tingal sein Haus verließ, eilten ihm bereits mehrere Dorfbewohner entgegen. An ihren Gesichtern erkannte Narul, dass ihm diese Männer keine gute Kunde brachten. In ihren Augen sah Tingal die nackte Angst. Dicht vor ihm blieben die vier Manda stehen und berichteten Narul von ihrer Entdeckung. In der Nähe des Dorfes hatten zwei der Dorfbewohner, während sie Kundos und Wūlunžidis jagten, auf einer kleinen Waldlichtung eine Feuerstelle entdeckt, die nicht von den Dorfbewohnern herrührte. „Und warum regt ihr euch darüber so auf?”, fragte Narul verständnislos die vier Männer, „Wenn da draußen auf der Waldlichtung keine Manda aus unserem Dorf die Nacht verbracht haben, dann waren es mit Sicherheit welche aus einem der Nachbarorte.” „Eben nicht.”, widersprach der Älteste von ihnen, „Die dort kampiert haben, waren eindeutig keine Manda. Sieh her.” Rasch holte er zwei zerbrochene Pfeile aus einer weiten Tasche heraus und hielt sie Narul hin. „Diese Pfeile sind nicht von unseren Leuten.”, fuhr er fort, währenddessen Narul die beiden Pfeile in seine Hände nahm und eingehender betrachtete, „Sie stammen von den Kando.” Geräuschvoll ließ Tingal die Luft aus seinen Lungen entweichen. „Dann haben sie uns also gefunden.”, stellte Narul fest, „Ruft sofort alle zusammen. Wir müssen uns vorbereiten, bevor die Kando unser Dorf angreifen.” Rasch eilten die vier Männer in verschiedene Richtungen davon.....

Eine Stunde später hatten sich alle Bewohner des Dorfes auf dem Marktplatz versammelt. Das Gemurmel in der Menge verstummte sofort, als Narul Tingal an das Podium trat. Neben Narul baute sich Beleš Dōlad, der hünenhafte Dorfschmied, auf. In einer großen kräftigen Hand hielt er die beiden zerbrochenen Pfeile der Kando. In der anderen Hand hielt er ein frisch geschmiedetes Langschwert, deren Klinge das Sonnenlicht reflektierte. „Diese Pfeile wurden heute Morgen auf einer kleinen Waldlichtung in der Nähe unseres Dorfes gefunden.”, begann Tingal und gab dem Schmied ein Zeichen, damit dieser die beiden Corpus delicti in die Höhe hielt, „Sie stammen nicht von unseren Leuten und auch nicht von den Leuten aus den umliegenden Nachbardörfern. Sie stammen von den Kando!” Narul machte eine kurze Pause, um seine Worte wirken zu lassen. Ein lautes Gemurmel ging durch die Menge. „Das bedeutet also, dass sie uns nach über achtzig Jahren gefunden haben.”, fuhr der Braunhaarige fort, „Wir müssen uns auf einen baldigen Angriff seitens der Kando vorbereiten.” Demonstrativ hoben einige Männer ihre Waffen in die Höhe. „Im Namen Zātuls und allen anderen Göttern: Tod den Kando!”, brüllten sie voller Hass, „Mögen Mūruk und Fazul das Blut unserer Feinde trinken! Ihr Blut für unseres!” „Sollen sie kommen! Für diese Slokks ist die Zeit gekommen, für ihren Karāmu, die sie uns gegenüber begannen haben, zu bezahlen!”, brüllte der hünenhafte Schmied neben Tingal stehend, „Wir haben keine Angst! Wir sind bereit!” Schweigend beobachtete Narul, wie die Menge ihre Waffen in die Höhe hielt und dabei ihr Kriegsgeheul ausstieß. Im gesamten Dorf waren ihre Schlachtrufe zu hören. „Bamate!”, rief die Menge immer wieder, „Bumate! Mögen die Kando wegen ihrem Kunžuk nach ihren Müttern wimmern, wenn wir die Seen im Glandāku mit ihrem Blut auffüllen!” Nach einigen Augenblicken hob Tingal seine Hand und die Dorfbewohner wurden wieder still. Er begann zu lächeln. Es war ein eisiges Lächeln und auch in seinen Augen glitzerte der blanke Hass. Entschlossenheit und Endgültigkeit schwang in seiner Stimme mit, als er fortfuhr. „Seit dem wir in dieses Tal gezogen sind und uns hier niedergelassen haben, leben wir in Freiheit!”, sagte Tingal mit fester Stimme, „Bis zum heutigen Tage hatte es nie ein Kando gewagt, in dieses Tal zu kommen. Dieses Tal ist inzwischen unsere Heimat geworden. Hier haben wir uns ein neues Leben aufgebaut und hier wurden auch unsere ersten Söhne und Töchter in Freiheit geboren. Wir dürfen nicht zulassen, dass sie uns das alles wieder nehmen!” Erneut machte Narul eine kurze Pause und ließ somit seine Worte auf die Menge wirken. Die versammelte Menge murmelte zustimmend. „Aber wie wollen wir verhindern, dass noch mehr von ihnen in unser Tal gelangen?”, wollte der kräftige Schmied wissen, der neben Narul stand, „Die Kando, die in unserer Nähe kampierten, waren bestimmt nur eine kleine Vorhut und ich bin mir sicher, dass noch mehr von ihnen folgen werden, wenn wir das nicht unterbinden.” Tingal nickte. „Das ist wahr, Beleš Dōlad.”, antwortete der Braunhaarige finster, „Und deshalb werden wir sie angreifen. Bevor die Kando begreifen, wie ihnen geschieht, werden sie bereits im Glandāku sein und in Mūruks Flammen lodern!” Dōlad nickte. „Ich verstehe.”, sagte er, „Aber wie willst du so schnell die Kando finden, die letzte Nacht in unserer Nähe waren? Laut den Aussagen unserer Jäger sind sie auf Kojn-Kojns unterwegs und die hinterlassen nun mal keine Spuren auf dem Waldboden, wenn sie fliegen.” Tingal lächelte wieder. „Auch das wäre wahr, mein Freund. Aber die Kando reiten grundsätzlich auf Kuš-Kuš, weil sie mit den Kojn-Kojns nicht klarkommen.”, sagte er immer noch eisig lächelnd, „Das ist unser Vorteil und deshalb werden wir uns selbst auf die Suche nach ihnen machen. Also sattelt unsere Kojn-Kojns. Wir teilen uns in mehrere Gruppen auf. Jede Gruppe soll zehn Mann umfassen. Wir müssen sie finden, bevor sie zu ihren Leuten zurückkehren und Bericht erstatten.” „Also, Männer, an die Waffen!”, rief er der versammelten Menge zu, „In einer Stunde treffen wir uns wieder hier auf dem Markplatz und dann beginnt die Jagd.” Sofort kehrten die Aufgerufenen in ihre Häuser zurück, holten ihre Waffen und sattelten ihre Reittiere.....

Als die Männer in kleinen Gruppen das Dorf Mandušolva verließen, übertrug Narul die Verantwortung für das Dorf an seine Frau Dilana. Sorgenvoll sahen die Frauen, Kinder und die Alten den davonziehenden Männern nach.....

Als die restlichen Dorfbewohner allein waren, rief Dilana die ältesten Jungen des Dorfes zusammen. Erwartungsvoll sahen sie die junge blonde Frau an, die während Naruls Abwesenheit die Verantwortung übernommen hatte. „Ich habe für jeden von euch einen sehr wichtigen Auftrag, den ihr so schnell wie möglich erledigen müsst.”, begann sie und sah dabei jeden Jungen sehr ernst an, „Geht in alle Nachbardörfer, die uns am nächsten liegen und warnt sie vor den Kando. Rasch, beeilt euch und seid vor der Abenddämmerung wieder zurück!” Die Anwesenden nickten wortlos und eilten jeweils zu zweit so schnell sie konnten in verschiedene Richtungen davon. Hoffentlich kommt die Warnung für die anderen rechtzeitig!, dachte Dilana besorgt, Sonst sind wir verloren! Nur selten hatte sie die Dorfjungen so schnell laufen gesehen wie an diesem Tage.....

Unwillkürlich zuckte die junge Frau zusammen, als jemand ihre Hand umklammerte. Als Dilana hinuntersah, blickte sie in das Gesicht ihres einzigen Kindes. „Hamarud!”, sagte sie leise, „Wo kommst du denn auf einmal her?” „Von zu Hause!”, antwortete der Junge mit den lockigen Haaren wahrheitsgemäß. „Hatte ich dir nicht gesagt, du solltest zu Hause bleiben?”, fragte sie und sah dabei den Jungen scharf an, „Momentan ist es besser, wenn du im Haus bleibst. Draußen ist es jetzt viel zu gefährlich.” Verständnislos schaute der Junge seine Mutter an. „Aber warum denn?”, fragte er, „Ich bin schon groß und habe keine Angst, Mama! Sollen die Kando doch kommen. Wir machen sie schon fertig.” Fassungslos über die Worte ihres Sohnes schnappte Dilana nach Luft. „Das fehlte noch.”, sagte sie streng, „Für den Kampf bist du noch zu jung, Hamarud.” Dilana wandte sich um, als sie hinter sich ein leises Kichern vernahm. Es war Sigusīn Tēlak, der alte Bogenmacher, der hinter ihr stand und verständnisvoll lächelte. „Aus ihm wird noch ein großer Krieger werden, Dilana.”, sagte er mit verschmitztem Lächeln. Die junge Mutter schüttelte energisch mit dem Kopf. „Nein, das werde ich auf keinem Fall zulassen.”, entgegnete sie entschieden, „Er ist noch viel zu jung für ein Leben als Krieger.” „Aber danach richtet sich das Leben nicht immer, meine Liebe!”, antwortete der alte Bogenmacher, „Du kannst ihn nicht davor bewahren, auch wenn du es noch so sehr wolltest. Manchmal kommt die Zeit, in der wir um unsere Rechte kämpfen müssen, schneller, als einem lieb ist. Glaube mir, Dilana, ich weiß, wovon ich spreche. Ich habe das selbst durchgemacht.” Dilana schüttelte weiterhin mit dem Kopf. „Nein!”, antwortete sie entschieden, „Solange ich es verhindern kann, werde ich es auch tun.” Die Stimme des Alten wurde eindringlicher, als er zu einer Erwiderung ansetzte. „Dilana, unterziehe deinen Sohn so schnell wie möglich dem Waffenritus, bevor es zu spät ist.”, sagte Sigusīn und hob dabei beschwörend seine Hände, „Bitte, tu es Hamarud zuliebe. Wie soll er sich und das Dorf verteidigen können, wenn er nicht gelernt hat, mit Waffen umzugehen?” Dilana seufzte, als sie die Worte des alten Mannes vernahm. Sie wusste, dass der alte Bogenmacher Recht hatte. Trotzdem sträubte sich alles in ihr, ihr einziges Kind für den baldigen Kampf vorzubereiten. Die junge Mutter hatte das Gefühl, als würde bei dem Gedanken jemand ihre Seele zerreißen, dass aus ihrem Sohn ein Krieger werden sollte und in einer der Schlachten sein Leben verlieren könnte. Hamarud hatte alles schweigend mitangehört. „Und wer soll das mit dem Waffenritus mit ihm machen?”, fragte die junge Mutter, „Unsere Krieger sind doch alle ausgezogen, um die Kando aufzuspüren.” Der Alte begann listig zu lächeln. „Wer sagt denn, dass es in Mandušolva keine Krieger mehr gibt?”, fragte er und wies dann auf sich selbst, „Bin ich denn kein Krieger mehr, nur weil ich alt geworden bin? Denkst du wirklich, ich könnte Hamarud nicht dem Waffenritus unterziehen, Dilana?” Er trat einen weiteren Schritt auf die beiden zu. „Nein, mein Kind, ich bin noch lange nicht zu alt, um einem Knaben die Kriegskunst zu lehren, meine Liebe.” Die junge Mutter sah den alten Bogenmacher nachdenklich an. „Vertrau mir! Wenn du es nicht machst, dann wirst du es später bereuen, wenn die Männer nicht von ihrer Suche zurückkehren und unser Dorf schutzlos den Feinden ausgeliefert ist.”, fuhr er fort, „Der Junge lernt alles bei mir, was er wissen muss, um ein guter Krieger zu werden.” Dilana ließ ihre Schultern sinken. „Also gut. Vielleicht habt Ihr sogar Recht.”, sagte sie immer noch skeptisch, „Unterzieht meinen Sohn dem Waffenritus. Macht aus ihm einen guten Krieger.” Der weißhaarige Alte mit dem Rauschebart begann freundlich zu lächeln. „Ich danke dir für dein Vertrauen, Dilana.”, antwortete Sigusīn nicht ohne Stolz in seiner Stimme, „Ich verspreche dir, dass du es nicht bereuen wirst. Ich werde aus Hamarud einen Krieger machen, auf den du und Narul stolz sein könnt.” Vorsichtig hielt der alte Bogenmacher dem Jungen seine schwielige Hand hin. Fragend blickte er seine Mutter an. Sie nickte. „Geh mit ihm, Hamarud!”, sagte sie und drückte zum Abschied ihren Sohn noch einmal zärtlich an sich, „Geh und lerne von ihm.” Zögernd nahm Hamarud die Hand des Alten und beide verließen den Marktplatz. Dilana blieb allein zurück und sah ihrem Sohn und dem Bogenmacher noch lange nach. „Möge Zātuls Gnade mit euch sein und seine starke Hand immer über euch halten.”, flüsterte sie kaum hörbar, „Lerne von ihm so viel du kannst, mein Sohn!” Als die beiden außer Sichtweite waren, begann sie zu weinen.....

Am frühen Abend kehrten die Jungen alle wieder ins Dorf zurück und übermittelten Dilana den Dank für die Warnung aus den anderen Dörfern. Zufrieden, dass die Nachbardörfer nun vor den Kando gewarnt wurden, entließ sie die Jungen wieder nach Hause. Sie wusste, dass die Manda in den Nachbardörfern sich nun auf den bevorstehenden Kampf vorbereiteten. Mandušolva hatte nun wichtige Unterstützung, womit die Kando bestimmt nicht rechneten.....

Nach einigen Wochen kehrten die Männer ohne einen einzigen Kando gesehen, geschweige denn gefangen zu haben, wieder nach Mandušolva zurück. Narul wunderte sich sehr, als bei seiner Heimkehr sein Sohn ihm nicht freudig entgegenrannte, wie es sonst immer der Fall war, wenn er für einen längeren Zeitraum von zu Hause wegging. „Wo ist denn unser Sohn?”, fragte Tingal seine Frau, die gerade dabei war, Wäsche zu waschen, „Ist er schon wieder bei irgendwelchen Tierzüchtern in unserem Dorf?” Dilana ließ das Kleidungsstück ins Wasser zurückgleiten und richtete sich auf. Fest sah sie ihren Mann in die Augen. Narul begriff in diesem Augenblick, dass sich etwas verändert hatte. Dies sah er in dem Blick seiner Frau. Der Braunhaarige trat auf die Blonde zu und packte sie an den beiden Armen. „Wo ist unser Sohn?”, fragte er noch einmal, „Wo ist Hamarud?” Dilana begann zu schluchzen, als sein Griff etwas fester wurde und sie in das sorgenvolle Gesicht ihres Mannes sah. „Ich habe ihn weggeschickt.”, brachte sie mühsam heraus. Fassungslos ließ er Dilana los. „Du hast was?”, fragte er ungläubig, „Du hast Hamarud weggeschickt?” Die junge Mutter setzte sich auf einen kleinen Schemel, der neben ihr stand. Tingal setzte sich ihr gegenüber auf einen kleinen Hocker und sah sie verständnislos an. „Was ist passiert?”, wollte er wissen, „Warum hast du ihn fortgeschickt und vor allen Dingen wo hast du ihn hingeschickt?”

Detailliert berichtete Dilana ihren Mann von ihrer Begegnung mit dem alten Bogenmacher auf dem Marktplatz und von seinem Angebot, Hamarud dem Waffenritus zu unterziehen. „Vielleicht ist das gar nicht so verkehrt, dass du Hamarud dem alten Bogenmacher anvertraut hast.”, sagte Narul nachdenklich, „Solange unser Sohn bei Sigusīn ist, ist er in Sicherheit.”

Zufrieden betrachtete der alte Bogenmacher das Lagerfeuer. Er nickte. „Das hast du gut gemacht, Hamarud.”, sagte Tēlak, „Wenn das Fleisch gar ist, können wir essen.” Sofort schnitt Tingals Sohn etwas Fleisch ab und reichte ein größeres Stück dem Alten. Genüsslich biss dieser hinein. Nach mehreren Bissen nickte der alte Bogenmacher anerkennend. „Ja, das ist gut.”, sagte er kauend und griff nach seinem Wasserschlauch, „Für das erste Mal ist es fast exzellent.” Hamarud begann zu grinsen und schnitt sich nun ebenfalls ein Stück heraus. Eine Weile lang aßen die beiden schweigend. „Sage mal, Hamarud, was weißt du denn über die Kando?”, fragte der Alten nach dem Essen. Der junge Tingal zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht.”, antwortete er unsicher, „Ich weiß nur, dass sie unsere Feinde sind und wir sie unbedingt vernichten müssen. Zumindest sagt das mein Vater immer. Sie haben seit vielen Jahrhunderten unser Volk unterdrückt und versklavt.” „Ist das alles?”, wollte Sigusīn wissen, „Oder hat dir dein Vater noch mehr als das gelehrt?” „Er hat mir auch von seiner Zeit als Sklave auf dem Anwesen von Temesh Komush erzählt und wie er dort hilflos mit ansehen musste, wie die Kando seine Mutter vor seinen Augen bei lebendigem Leibe gehäutet haben und anschließend bestialisch ermordeten, indem sie sie anschließend lebendig verbrannten. Vater sagte, die Kando wären ein sehr grausames Volk, die die Manda nur als Tiere ansehen würden.” „Was noch?”, hakte der alte Bogenmacher nach, „Was hat er dir noch erzählt?” Hamarud zuckte erneut mit den Schultern. „Ich weiß nicht.”, erwiderte der Junge mit den lockigen Haaren, der weiterhin unsicher war, worauf der Alte hinaus wollte, „Er hat auch sehr viel von der schweren Arbeit erzählt, die die Manda als Sklaven für die Kando machen mussten und jeder Sklave sofort hart bestraft wurde, wenn er etwas falsch machte oder etwas tat, was er nicht durfte.” Wortlos hörte der weißhaarige Mann mit dem Rauschebart dem jungen Tingal zu, als dieser fortfuhr. „Viele Sklaven wurden auf sehr grausame Art bestraft, sagte Vater.”, berichtete Hamarud, „Die Sklaven, die sie mit dem Tod bestraften, wurden vorher erst sehr lange gefoltert. Dabei mussten alle anderen Sklaven und auch die Kando selbst anwesend sein, damit niemand vergessen sollte, dass die Manda nur Sklaven seien und man mit ihnen nur so verfahren könne, wenn sie lernen sollten, gehorsam zu sein.” Der Alte nickte. „Und? Was denkst du darüber?”, fragte er Hamarud, „Kannst du dir vorstellen, dass es auch andere Kando gibt, die im Frieden mit den Manda leben und sie nicht als Sklaven halten?” Hamarud schüttelte entschieden mit dem Kopf. „Nein.”, antwortete er, „Irgendwie kann ich mir das nicht vorstellen. Ich habe zwar noch nie einen Kando gesehen, nur von ihnen durch die Bewohner unseres Dorfes gehört. Alle sagen dasselbe über die Kando. Die Leute haben unheimlich viel Angst vor ihnen, glaube ich.” Tēlak nickte verständnisvoll. „In der Tat.”, sagte er, „Die Manda fürchten die Kando. Aber die Kando fürchten sich noch viel mehr vor unserem Volk, als wir uns vor ihnen. Wusstest du das?” Tingal verneinte. „Nun gut.”, sagte Sigusīn, „Dann werde ich dir mal die ganze Geschichte erzählen.” An diesem Abend erfuhr Hamarud von dem alten Sigusīn Tēlak einen kleinen Teil der wahren Geschichte über die Manda, die Kando, den Xendavu und den Ustāri…..

Inzwischen war das Feuer fast heruntergebrannt und der alte Bogenmacher schlief bereits tief und fest. Die Atemzüge des Alten gingen regelmäßig. Nachdenklich lag Hamarud auf den Rücken und ließ sich alles, was Sigusīn ihm über sein Volk und den anderen drei Völkern erzählt hatte, durch den Kopf gehen. Warum hat Vater mir nie davon etwas erzählt?, fragte er sich, Wusste er nichts davon oder warum hat er mir das alles verschwiegen? Besonders beeindruckt war Hamarud von der Tatsache, dass sowohl die Kando, die Manda und die Xendavu von den Ustāri abstammten. Warum sind die Kando den Manda gegenüber so feindselig, wenn wir doch alle von den Ustāri abstammen?, fragte sich der junge Tingal, Wäre es denn nicht besser, wenn wir alle in Frieden miteinander leben könnten? Eine Weile lang zerbrach sich Hamarud darüber den Kopf, ohne eine schlüssige Antwort darauf finden zu können. Dann kam ihm noch ein weiterer Gedanke in den Sinn. Woher wusste Sigusīn Tēlak das alles?, fragte sich Hamarud, Hatte er mal eine Zeit lang bei den Kando, den Xendavu sowie bei den Ustāri gelebt und von ihnen die ganze Wahrheit erfahren? Der junge Tingal versuchte sich die Kando, die Xendavu und Ustāri vorzustellen, aber ohne Erfolg. Selbst die detaillierten Beschreibungen von Sigusīn Tēlak ließen nur ein recht vages Bild zu. Unwillkürlich musste er wieder an seine Eltern in Mandušolva denken. Warum haben mir meine Eltern nie etwas darüber erzählt?, fragte er sich abermals und machte sich darüber erneut Gedanken. Während er sich weiterhin mit dieser Frage beschäftigte, blickte er dabei zu den Sternen hoch. Aber die Sterne gaben ihm keine Antwort. Müdigkeit breitete sich in Hamarud Tingal aus Mandušolva aus und er musste herzhaft gähnen. Es dauerte nicht mehr lange und der Schlaf übermannte ihn endgültig. Hamarud wehrte sich nicht länger dagegen und schlief ein…..

Am nächsten Morgen wurde Hamarud sehr früh von dem alten Bogenmacher geweckt. Nach einem spärlichen Frühstück setzten sich die beiden wieder auf ihre Kojn-Kojns und zogen nach Norden. „Wohin reiten wir denn, Sigusīn?”, wollte der junge Tingal wissen. Der Alte begann zu lächeln. „Wir ziehen nach Masindo.”, antwortete er, „Das ist die größte Stadt in Ulanizaruš, die von den Xendavu vor über viertausend Jahren gegründet wurde.” „Und was werden wir dort machen?”, fragte Hamarud weiter, der immer noch nicht wusste, was der alte Bogenmacher im Sinn hatte. „Was heißt denn hier ‚wir’?”, antwortete Tēlak mit einem verschmitzten Lächeln, „Du wirst dort sehr viel lernen und zu gegebener Zeit dem Waffenritus unterzogen.” Hamarud sah den Alten von der Seite an. „Und was werdet ihr in der Stadt machen, wenn ich lernen muss, Sigusīn?”, wollte Hamarud wissen. Tēlak begann zu grinsen. „Nun.”, begann er amüsiert, „Ich werde dort dies und das tun.” Verwirrt blickte der Junge mit den lockigen Haaren den alten Bogenmacher an. „Was meint ihr damit?”, fragte Hamarud, „Ich verstehe euch nicht.” Das Grinsen des Alten wurde breiter. „Wenn es soweit ist, wirst du es verstehen.”, antwortete dieser geheimnisvoll und trieb sein Reittier an. „Komm jetzt! Wir müssen uns etwas ranhalten, wenn wir noch vor Sonnenuntergang die Stadt erreichen wollen.”

Am späten Abend kam erst die Stadt Masindo in Ulanizaruš in Sicht. Staunend sah Hamarud von einer Anhöhe aus auf die große Xendavu-Stadt herab. Auf den Feldern vor der Stadt waren einige Xendavu bei der Feldarbeit zu sehen. Dem jungen Tingal fehlten die Worte, als er die ersten Xendavu in seinem Leben sah. Für ihn stand nur eines fest: Die Xendavu hatte er sich etwas anders vorgestellt. Tēlak grüßte jeden Xendavu in ihrer Sprache, an dem sie auf dem Weg zur Stadtgrenze vorbeikamen. Vor dem Eingang zu einem kleinen Kloster hielt der Alte sein Kojn-Kojn an und stieg ab. Das Tier gab ein zufriedenes Schnauben von sich und schüttelte seine gewaltige Mähne. Mit einer Handbewegung wies er Hamarud an, seinem Beispiel zu folgen. Tēlak klopfte an dem großen Tor, das nach sehr kurzer Zeit bereits geöffnet wurde. Ein alter buckeliger Mönch bat die beiden mit einer wortlosen Geste herein. Im Fackelschein war Hamarud ein wenig überrascht, als er den Mönch als einen Manda erkannte. Ich dachte, hier leben nur die Xendavu!, dachte Hamarud etwas verwundert, Anscheinend habe ich mich da wohl geirrt! Fragend sah er den alten Bogenmacher an, doch dieser sagte nichts. Er nickte ihm nur zu. Hamarud Tingal hatte den Eindruck, dass Sigusīn seine stumme Frage verstanden hatte. Aber Tēlak gab ihm trotzdem keine Antwort. Stattdessen warf er dem jungen Tingal einen Blick zu, der ihm signalisierte, ruhig zu bleiben. Schweigend nahmen die beiden Neuankömmlinge ihr Gepäck von den Reittieren. Während die Kojn-Kojns in einen Stall geführt wurden, um sie dort mit frischen Wasser und Futter zu versorgen, führte ein anderer Mönch die beiden in das Hauptgebäude des Klosters. Neugierig ließ Hamarud seinen Blick durch das Gebäude schweifen, ohne dabei den alten Bogenmacher und den Mönch aus den Augen zu lassen. Zielstrebig gingen die drei auf eine große Tür zu. Die Schritte hallten in dem weiten Flur wieder. Wortlos öffnete der Mönch die Tür und winkte die beiden Neuankömmlinge hinein.

„Ah, da sind ja unsere Gäste.”, sagte jemand mit gütigem Lächeln, als der alte Bogenmacher und sein Schützling den Raum betraten. Hamarud runzelte die Stirn. Er hatte den Eindruck, dass der Abt von ihrer Anreise bereits wusste. Tēlak begann zu lächeln. „Kurud Haugas!”, rief er erfreut, „Es ist schon eine Weile her, nicht wahr?” Der weißhaarige Abt war aufgestanden und ihnen mit schnellen Schritten entgegen geeilt. Freudig umarmten sich die beiden Alten zur Begrüßung. Neugierig warf Hamarud während dessen einen Blick auf das Buch, das aufgeschlagen auf dem Tisch lag. Dann blickte der Abt den jungen Tingal an, der sich wieder rasch zu den beiden Alten umwandte. „Und du musst Hamarud Tingal, Sohn von Narul und Dilana aus Mandušolva sein.”, sagte er und blieb direkt vor dem Jungen mit den lockigen Haaren stehen, „Sigusīn Tēlak hat mir schon viel von dir, deinen Eltern und eurem Dorf berichtet.” Unsicher sah er den Abt an. Hamarud wusste nicht genau, was er ihm antworten sollte. Der Alte nickte verständnisvoll. „Mach dir nichts draus.”, sagte er zu dem jungen Tingal und sah ihn mit seinen blauen Augen an, „Du bist noch sehr jung. Da ist es keine Schande, wenn man nicht weiß, was man einem fremden alten Mann antworten soll.” Zu dem alten Bogenmacher gewandt fuhr er fort. „Meinst du nicht, dass er für den Waffenritus noch zu jung ist?”, fragte Kurud Tēlak, „Er ist ja fast noch ein Knabe.” Der alte Bogenmacher trat auf den Abt zu. „Ja, er ist noch sehr jung, aber aus seinem Munde kommen jetzt schon die Worte eines großen Kriegers, Kurud.”, antwortete der Alte, „Auch wenn er zurzeit noch für den Waffenritus zu jung ist, ist es bestimmt nicht verkehrt, wenn man ihn bereits in zahlreichen anderen Dingen ausbildet. Er ist ein guter Junge und wird schnell lernen.” Haugas nickte wieder. „Wohlan! So sei es!”, sagte der Abt entschieden, „Dann wird er hierbleiben und dem Waffenritus unterzogen werden. Mögest du viel in unseren Mauern lernen, junger Tingal.” Kurz darauf stieß der alte Abt einen lauten Pfiff aus und wenig später erschien ein junger Mönch mit blonden Haaren in dem Raum und blickte Kurud Haugas fragend an. „Gib dem jungen Tingal ein Quartier.”, wies er den Mönch an, „Er wird für eine lange Zeit bei uns bleiben und ab Morgen früh wirst du ihn ausbilden.” Bevor der Mönch mit Hamarud das Zimmer verließ, trat Tēlak vor den jungen Tingal hin und sah ihn ernst an. „Nutze die Zeit, die du in diesen Mauern bleibst, denn du wirst erst zu gegebener Zeit dem Ritus unterzogen, Hamarud.”, sagte er eindringlich, „Lerne hier, soviel du kannst. Wenn die Zeit gekommen ist, wirst du all dein Wissen, das du dir hier bis dahin angeeignet haben wirst, dringend brauchen. Mögen dir die Götter wohlgesonnen sein und dir viel Kraft geben!” „Und wo werdet Ihr bleiben, Sigusīn Tēlak?”, fragte Hamarud den alten Mann aus seinem Dorf, „Werdet Ihr in der Stadt verweilen und euch hier auch mal sehen lassen?” Der alte Bogenmacher begann zu lächeln. „Wer weiß.”, antwortete er, „Wenn Zātul mich wieder hierher führt. Und nun geh, junger Krieger!” 

Hamarud begleitete den jungen Mönch aus dem Raum. Tingal hatte ein seltsames Gefühl, als er dem Mönch durch die weiten Korridore des Klosters zu seinem neuen Quartier folgte. An der Tür blieben die beiden jungen Manda stehen. Sie quietschte, als sie geöffnet wurde. Der Mönch und Hamarud betraten zusammen das kleine Zimmer. Tingal ließ sein Gepäck auf das Bett fallen und sah sich in dem Raum um. Die Wände waren kahl und in den kleinen Regalen an der Wand standen zahlreiche Bücher. Wortlos beobachtete der Mönch den neuen Gast. Als der Blonde gerade gehen wollte, hielt ihn Tingal zurück. „An wem muss ich mich halten, wenn ich etwas wissen will?”, erkundigte sich Hamarud. Der Mönch sah ihn an. „Wie du eben noch vernommen hast, hat mich der ehrwürdige Vater Haugas angewiesen, dich auszubilden, Hamarud Tingal, Sohn von Narul und Dilana aus Mandušolva.”, antwortete der Blonde, „Ich bin Bruder Daloš Kohid aus Tarušīn.” „Ruh dich von der langen Reise aus, damit du morgen früh bei Kräften bist, wenn die Ausbildung für dich beginnt.”, sagte der Mönch und schritt zur Tür, „Morgen beginnt ein neuer Tag für dich, Hamarud Tingal aus Mandušolva. Mögen Zātul und alle anderen Götter dir einen erholsamen Schlaf schenken.” Bevor Tingal noch etwas erwidern konnte, war der Blonde bereits aus dem Zimmer gegangen und schloss hinter sich die Tür. Hamarud Tingal war allein.....

Abschlusshinweise zum Kapitel:

keine

Du musst login (registrieren) um ein Review abzugeben.
Creative Commons License
Science/Fantasy-Ecke Website von Kamil Günay steht unter einer Creative Commons Namensnennung-Keine kommerzielle Nutzung-Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland Lizenz.