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Für den Jungen mit den lockigen braunen Haaren begann in dem kleinen Kloster eine harte Zeit. Viele Jahre gingen ins Land und in dieser Zeit lernte Hamarud die Sprachen Kando, Xendavu und Ustāri. In diesen Sprachen lernte er zusätzlich die Entwicklungsgeschichte und die Kulturen dieser drei Völker kennen und verstehen. Erst im Laufe der Jahre begriff Hamarud, wie eng die Geschichte der Manda besonders mit denen der Kando, Xendavu und Ustāri miteinander verbunden war. Zusätzlich studierte er Heilkunde, Mathematik und noch zahlreiche andere Fächer, von denen er teilweise erst in dem Kloster etwas erfuhr. Parallel lernte Hamarud Tingal, wie man mit dem Schwert und auch mit dem Speer richtig umging. Ferner lernte er auch, wie man mit Pfeil und Bogen umging und wie man diese Waffen schnell selbst herstellen konnte. Der Junge aus Mandušolva erwies sich als ein sehr guter Schüler, der alles Wissen in sich nur aufzusaugen schien. Während dieser Zeit besuchte ihn der alte Bogenmacher in unregelmäßigen Abständen. Voller Stolz zeigte Hamarud Tingal Sigusīn Tēlak, was er in den Zeiträumen gelernt hatte, so lange der alte Bogenmacher fort war. Zum Schluss wurde der junge Mann aus Mandušolva in der Anwesenheit des alten Bogenmachers dem Waffenritus unterzogen. Voller Stolz leistete Hamarud Tingal, Sohn von Narul Tingal und Dilana Tingal den heiligen Eid, der ihn als Krieger dazu verpflichtete, zu jeder Zeit jedem beizustehen und mit seiner Kriegskunst zu verteidigen, wenn man ihn dazu aufforderte. Wenige Tage später machten sich Sigusīn und Hamarud auf den Heimweg.....

In den ersten beiden Wochen verlief die Reise ereignislos. Ohne Hast zogen die beiden Männer in südöstlicher Richtung, bis sie das Ufer des Talušari erreichten. Es war bereits später Nachmittag, als der alte Bogenmacher plötzlich sein Reittier stoppte und aus dem Sattel sprang. Hamarud tat es ihm gleich und folgte dem Alten. Lautlos schlichen die beiden Männer an das Ufer. An einer Böschung am Flussufer angelangt, ging Tēlak in die Knie und spähte zwischen den zahlreichen Zweigen hindurch auf die andere Seite des Stromes. Beide erschraken zutiefst, was sie dort sahen.....

Auf der anderen Seite des Flusses befand sich ein Dorf der Manda, von dem zahlreiche Rufe und Schreie erklangen. Metall klirrte. Sowohl der alte Bogenmacher als auch Hamarud Tingal wussten, was dort vor sich ging. Jemand griff das Dorf an. Ein kräftiger Mann kämpfte gegen zwei Gestalten, die beide ein sehr dichtes Fell hatten. Sigusīn stieß einen leisen Fluch aus. Mit einer Handbewegung wies er Hamarud an, ihm zu folgen. Als sie wieder bei ihren Reittieren waren, schwangen sich die beiden Männer wieder in ihre Sättel. „Komm, junger Krieger!”, zischte Tēlak aufgebracht zwischen seinen zusammengebissenen Zähnen, „Jetzt kannst du mir zeigen, was du alles gelernt hast, Hamarud. Die Kando überfallen gerade ein Manda-Dorf auf der anderen Seite des Flusses. Heute ist der Tag, an dem dein Schwert zum ersten Mal das Blut des Feindes trinken darf!” Dann gab der Alte dem Kojn-Kojn die Sporen. Mit gezogenem Schwert stieß er zornig einen Kriegsschrei aus, den der junge Tingal noch nie zuvor von dem alten Bogenmacher gehört hatte. Auch Hamarud zog sein Schwert und gab seinem Reittier ebenfalls die Sporen. Kurz bevor die beiden das Flussufer erreichten, breiteten die beiden Kojn-Kojns ihre mächtigen Schwingen aus und hoben fast lautlos vom Boden ab. Rasch überflogen sie den Fluss und griffen in das Kampfgeschehen ein.....

Überrascht sahen die drei Kämpfenden zu den beiden Manda-Kriegern auf ihren Kojn-Kojns hinüber, die sich mit gezogenen Schwertern in das Kampfgetümmel stürzten. Deutlich war der Kampfschrei der Neuankömmlinge zu hören. Rasch sprangen Tingal und Tēlak von ihren Reittieren und stürmten auf die gegeneinander kämpfende Dreiergruppe zu. Kurz darauf kreuzten der junge Krieger und der alte Bogenmacher gemeinsam mit den beiden Kando ihre Klingen. Laut klirrte das Metall, als die Schwerter gegeneinander schlugen. Hamarud kämpfte gegen den größeren der beiden Kando-Krieger, der sich als ein sehr geschickter Kämpfer erwies. Er war viel kräftiger, als der junge Tingal annahm. Zweimal in kürzester Zeit lag Hamarud bereits am Boden, doch er konnte jedes Mal die Hiebe seines Gegners gut parieren, wenn dieser seinen tödlichen Stoß ausführen wollte. Wenig später stieß einer der Kämpfenden einen Schmerzensschrei aus, der durch Mark und Bein ging. Ein Schwert fiel laut klirrend zu Boden und eine Gestalt sankt auf die Knie. Alle sahen in jene Richtung, aus der der Todesschrei zu hören war…..

Es war der kräftige Mann aus dem Dorf, der auf dem Boden kniete und sich verzweifelt mit seinen beiden großen Händen den verwundeten Bauch hielt. Blaues Blut quoll zwischen den Fingern des Mannes hervor, der bereits zur Seite wegkippte. Dumpf schlug sein kräftiger Körper auf. Seine Lippen zitterten und er gab ein schmerzerfülltes Stöhnen von sich. Vor ihm standen zwei weitere Kando, die dem Sterbenden teilnahmslos anstarrten. Kurz darauf zischte etwas durch die Luft und einer der beiden Kando brach von einem Pfeil durchbohrt zusammen. Auch er ließ sein Schwert fallen. Überrascht blickte er auf den Pfeil, der aus seinem Leib herausragte. Kurz darauf brach auch der zweite Kando von mehreren Pfeilen getroffen zusammen. Laut klirrte sein Schwert, als die blutverschmierte Waffe auf dem Boden fiel. Als sein Körper aufschlug, war er bereits tot.

Der kleinere Kando zuckte erschrocken zusammen, als er ebenfalls von mehreren Pfeilen getroffen zusammensackte. Rasch stieß der alte Bogenmacher seine Klinge in den Leib des Feindes, der ab diesen Moment nicht mehr handlungsfähig war. Als Sigusīn sein Schwert in der Wunde herumdrehte, brüllte der Kando vor Schmerz auf und ließ seine beiden Schwerter fallen. Der weißhaarige Manda sah in die türkisfarbenen Augen seines Gegners, als er seine Klinge wieder herauszog. Der kleine graue Kando verdrehte kurz die Augen und sackte in sich zusammen. Er zuckte mehrmals, bevor er starb.

Hamarud schwitzte bereits, denn der Kampf mit dem großen beigefarbenen Kando war kraftraubend. Immer wieder trafen die Klingen der beiden Kämpfenden aufeinander. Nach weiteren Minuten gelangt es dem Kando seinen Gegner zu entwaffnen. Keuchend blickte Tingal zu seinem Schwert, das auf dem Boden gefallen war. Rasch trat Hamaruds Feind die Waffe weg. Das Metall klirrte, als das Schwert über den Boden rutschte. Der junge Manda mit den lockigen Haaren war auf einer Finte hereingefallen, die er bis dahin noch nicht kannte. Der Kando nickte anerkennend.

„Alle Achtung!”, sagte er auf Manda, „Du bist ein würdiger Gegner, junger Krieger.” Hamarud sah den Kando wortlos an. „Sage mir deinen Namen, damit ich dich ehren kann, wenn du durch meine Klinge stirbst.”, sagte er und bleckte die Zähne, „Diese Ehre bekommen nur sehr wenige, wenn sie gegen mich kämpfen dürfen und dabei ihr Leben verlieren.” Tingal sah den Kando weiterhin wortlos an, der inzwischen mit seinem Schwert zum tödlichen Hieb ausholte. Hamarud rang nach Atem. Er konnte nicht glauben, dass sein Leben bereits zu Ende sein sollte. Im nächsten Augenblick zuckte der hünenhafte Kando, als er von einem Speer getroffen wurde. Sein Schwert glitt ihm aus der Hand und fiel zu Boden. Dann kippte der Kando nach vorne. Der Schaft des Speeres ragte aus dem breiten Rücken des Kriegers…..

Wenig später war bereits der alte Bogenmacher bei Hamarud. „Ist alles in Ordnung mit dir?”, wollte er wissen. Hamarud nickte. Tēlak half dem jungen Manda mit den lockigen Haaren wieder auf die Beine. Rasch hob Hamarud sein Schwert wieder auf und steckte es in die Scheide, nachdem er es von dem Blut der getöteten Kando gereinigt hatte. Zusammen gingen die beiden zu dem kräftigen Mann aus dem Dorf, der stöhnend am Boden lag. Mehrere Dorfbewohner hatten sich bereits um den Sterbenden versammelt. Eine junge Frau kniete vor ihm und hielt seine blutverschmierte Hand. Ihr Bogen und der Köcher, in dem noch weitere Pfeile steckten, lagen neben ihr auf dem Fußboden. Ihre roten Haare hatte sie zu einem langen Zopf gebunden. Sie schluchzte. Seine Lippen formten ein paar Worte, doch niemand konnte sein schwächer werdendes Krächzen verstehen. Als sein Körper erschlaffte, begann das Mädchen herzzerreißend zu weinen. Der alte Bogenmacher und der junge Tingal aus Mandušolva seufzten beide und kehrten gemeinsam wieder zu ihren Reittieren zurück. Ein junger Mann folgte ihnen. Als der alte Bogenmacher und der junge Mann mit den lockigen Haaren auf ihre Kojn-Kojns stiegen, sprach er sie an.

„Ich danke euch für euren Beistand, den Ihr mir, meinem Vater und damit auch unserem Dorf Rānos gegenüber geleistet habt.”, begann er, „Aber wer seid Ihr und warum habt Ihr das getan?” Der Weißhaarige begann zu lächeln, als er antwortete. „Wir helfen jedem, der unsere Hilfe gebrauchen kann, zumal die Kando unsere Feinde sind.”, sagte der Alte, „Ich bin Sigusīn Tēlak, Sohn von Najla und Alānos, und das ist Hamarud Tingal, Sohn von Dilana und Narul aus Mandušolva.” Der junge Mann sah die beiden nachdenklich an. „Ich habe nie von euch gehört.”, gestand er, „Auch der Name eures Dorfes ist mir unbekannt.” Der alte Bogenmacher nickte verständnisvoll. „Das ist verständlich.”, sagte er, „Mandušolva ist auch sehr weit weg von hier und die Reise selbst auf Kojn-Kojns dahin dauert viele Wochen.” Der Mann trat etwas näher an die beiden heran. Inzwischen versammelten sich auch die restlichen Dorfbewohner um die beiden Fremden auf ihren Reittieren. Interessiert verfolgten sie schweigend das Gespräch zwischen dem Sohn des Getöteten und den beiden Fremden. „Aber was verschlägt euch dann in diese Gegend?”, fragte er. Tēlak begann erneut zu lächeln. „Es waren wichtige Geschäfte in der Stadt Masindo in Ulanizaruš, die uns in die Nähe eures Dorfes führten. Hamarud Tingal wurde dort nach jahrelangem Studium dem Waffenritus unterzogen, während ich einigen sehr wichtigen Geschäften nachgehen musste. Wir waren gerade auf unserem Heimweg von Masindo in Ulanizaruš nach Mandušolva, als wir am Fluss unsere Tiere tränken wollten.” Der junge Mann nickte. „Aha, verstehe! Und dann habt Ihr gehört, dass in unserem Dorf gekämpft wurde und seid eingeschritten.”, stellte der Dorfbewohner fest. Sigusīn nickte abermals. „So ist es.”, antwortete er, „Aber wie lautet dein Name, junger Krieger?” Erschrocken zuckte der Angesprochene zusammen. „Verzeiht mir meine Unhöflichkeit, edle Herren.”, sagte er, „Ich bin Skārud Nāmur, Sohn von Aranka und Kurus.” Der Alte nickte kurz, während Hamarud wortlos zuhörte. „Wird euer Dorf oft von den Kando angegriffen?”, wollte der junge Tingal wissen. Nāmur schüttelte mit dem Kopf. „Eigentlich wird unser Dorf nie angegriffen, weder von den Kando noch von sonst jemandem. Dafür hatte bisher auch niemand einen Grund gehabt.”, sagte er, „Es ist das erste Mal, dass sie Rānos überfielen.” „Und warum haben sie gerade heute euer Dorf überfallen?”, fragte der alte Bogenmacher, „Was für einen Grund hatten sie dafür?” „Ich bin der Grund, warum die Kando das Dorf Rānos angegriffen haben.”, gestand jemand, der kurz darauf aus einem der Häuser ins Freie trat, „Ich bin Prinz Teyu Lumeyn, der jüngste Sohn von Tayazu Lumeyn, dem mächtigsten König des Kando-Reiches, das sich jenseits der Berge im Westen erstreckt.” Sigusīn und Hamarud sahen sich erstaunt an. „Ihr habt einem Kando in eurem Dorf Schutz gewährt?”, fragte Tingal verblüfft, „Warum?” „Weil wir freie Manda sind und wir schon seit drei Generationen im Frieden mit den Kando leben.”, erklärte Skārud ruhig, während der schwer bewaffnete Kando näher kam, „Alle Manda hier im Dorf tragen das Siegel der Freiheit und wir tragen es mit Stolz.” Überrascht schnappte der alte Bogenmacher nach Luft. Seit dem Sklavenaufstand im Kando-Reich hörte Sigusīn Tēlak zum ersten Mal, dass es Manda gab, die von den Kando selbst aus der Sklaverei freigelassen wurden. „Aber wie ist das möglich?”, fragte der Alte, der es kaum glauben konnte und sah den Kando an, der seinen Blick gelassen erwiderte. „Das ist eine Geschichte, die sie euch am besten ein anderes Mal erzählen sollten, denn momentan gibt es viel Wichtigeres als das zu besprechen.”, antwortete Teyu Lumeyn mit Nachdruck in seiner Stimme, „Ich bin hier, um euch alle zu warnen.” Alle Manda sahen den graugetigerten Kando an, der ein paar Schritte auf die versammelte Menge zutrat. „Mein Vater hat eine Armee mit fast zweihunderttausend Soldaten aufgestellt, mit der er gegen die Manda in den Krieg ziehen will. Sein Ziel ist es, euch zu unterwerfen, beziehungsweise alle Manda auszurotten.” Zutiefst geschockt sahen die anwesenden Manda den jungen Prinzen an. „Aber warum warnt Ihr uns davor? Ihr seid doch selbst ein Kando!”, meinte Hamarud verwundert. „Die Sache ist ganz einfach, junger Manda.”, antwortete Teyu Lumeyn, „Ich halte weder von der Sklaverei etwas noch halte ich etwas davon, dass mein Vater ein komplettes Volk auslöschen will. Schließlich stammen wir alle von den Ustāri ab, wie Ihr es selbst in dem Xendavu-Kloster vor den Toren der Stadt Masindo in Ulanizaruš während eures Studiums erfahren habt. Auch ich habe dort viele Jahre studiert.” Hamarud sah den alten Bogenmacher an. „Habt Ihr das gewusst, Sigusīn?”, fragte er den Alten. Dieser schüttelte den Kopf. „Nein, mein Junge, darüber war mir nichts bekannt.”, antwortete er, „Davon wusste ich auch nichts. Selbst Kurud Haugas hat darüber kein einziges Wort verloren. Ich wusste nur, dass dort die Besten ausgebildet und dem Waffenritus unterzogen werden.” „Und wann wird er mit seiner Armee gegen uns zu Felde ziehen?”, fragte Skārud den Prinzen. „Sobald er alle Orte, in denen Manda leben aufgespürt hat, wird seine Armee angreifen. Sie haben Order, keine Gefangenen zu machen.”, antwortete dieser ungerührt, „Seine Kundschafter sind schon seit einiger Zeit im gesamten Land unterwegs. Sobald sie Städte und Dörfer der Manda ausfindig machen, kehren sie heim, um meinem Vater Bericht zu erstatten.” Hamarud ließ laut die Luft aus seinen Lungen entweichen. „Bei allen Göttern!”, rief er entsetzt, „Die Kando in unserem Tal!” Der alte Bogenmacher nickte erneut. „Dann waren das auch Kundschafter eures Vaters gewesen.”, stellte der junge Manda mit den lockigen Haaren fest, „Und die haben damals garantiert unser Dorf entdeckt. Deshalb haben sie uns auch nicht angegriffen!” Der Kando nickte ebenfalls. „Dann sollten wir keine Zeit mehr verlieren und sofort unseren Weg fortsetzen.”, fuhr Tingal fort, „Wir müssen los, um die Leute in unserem Dorf vor der drohenden Gefahr zu warnen.” Der alte Bogenmacher pflichtete Hamarud bei. Auch er war derselben Ansicht wie der Sohn von Narul und Dilana. „Du hast Recht, Hamarud.”, sagte er entschlossen, „Wir sollten sofort aufbrechen und alle Manda warnen, denen wir begegnen. Wir danken euch für eure Warnung, Prinz Teyu Lumeyn.” Zu allen Anwesenden gewandt fuhr er fort. „Mögen die Götter mit euch sein und ihre Hände schützend über euch halten!”, sagte er zum Abschied, „Wir stehen in eurer Schuld, Prinz Teyu Lumeyn!” Dann gaben die beiden ihren Kojn-Kojns die Sporen und die Tiere preschten rasch davon. Kurz vor dem Flussufer breiteten die Kojn-Kojns ihre mächtigen Schwingen aus und hoben leicht von Boden ab. Schnell gewannen sie an Höhe. Die Dorfbewohner und der Prinz des Kando-Reiches sahen den beiden noch lange nach.....

„Hoffentlich können wir noch unser Dorf vor dieser Gefahr warnen.”, sagte Tingal besorgt und trieb sein Tier zur Eile an. Der alte Bogenmacher pflichtete ihm bei. „Wir müssen auch die anderen Dörfer in unserem Tal warnen.”, sagte er grimmig, „Ich hoffe nur, dass wir nicht zu spät kommen. Denn Prinz Teyu Lumeyn hat uns ja nicht sagen können, wann die Truppen seines Vaters angreifen werden.” Hamarud stieß bei diesem Gedanken einen herzhaften Fluch aus. „Wir sollten so wenig Pausen wie nur möglich machen und die gesamte Strecke am besten heimwärts fliegen.”, sagte der Alte, „Sonst schaffen wir das nicht.”

Tagelang flogen die beiden Manda auf ihren Kojn-Kojns. Nur an kleinen Seen oder Flüssen machten sie kurze Rast. Dicht über den Baumkronen überflogen sie riesige dichte Wälder. Nach einigen Wochen erreichten sie endlich das Tal, in dem Mandušolva lag. Es war früher Vormittag, als Tēlak und Tingal dichten Rauch über dem Tal entdeckten. Als das erste Dorf in Sicht kam, sahen die beiden, dass sämtliche Gebäude von Parangwa bereits in Flammen standen. Unzählige Tote lagen in den leeren Straßen des Dorfes. Es waren Manda und Kando. „Wir kommen zu spät, mein Freund.”, sagte Hamarud kaum hörbar, „Der Krieg gegen unser Volk hat bereits begonnen.” Der Alte antwortete nicht. Beide flogen auf ihren Kojn-Kojns weiter. Als sie nach einigen Stunden die nächste Lichtung erreichten, kam Mandušolva in Sicht. Sowohl der alte Bogenmacher als auch Hamarud atmeten erleichtert auf, als sie sahen, dass ihr Heimatdorf noch unversehrt war. Auf einer der breiteren Straßen am Ortseingang landeten die Reittiere und Sigusīn und Hamarud ritten gemeinsam in das Dorf…..

Vor Hamaruds Elternhaus hielten die beiden an. Ein kleines Mädchen ließ erschreckt einen Eimer fallen und rannte ängstlich ins Haus, während dessen der alte Bogenmacher und der junge Tingal mit den lockigen Haaren von ihren Reittieren stiegen. Wenig später erschienen Narul und Dilana neugierig an der Tür. Fassungslos sahen sie ihren Sohn an, den sie viele Jahre lang nicht mehr gesehen hatten. Freudig eilten ihm beide entgegen und schlossen Hamarud in ihre Arme. Dilana begann zu weinen, als sie ihren Sohn nach vielen Jahren wieder an sich drücken konnte. Inzwischen begrüßte Narul Sigusīn Tēlak, der Hamarud nach Hause begleitet hatte. Ängstlich verfolgte das kleine blonde Mädchen an der Haustür, wie ihre Eltern die Neuankömmlinge begrüßten. Als sie sich gemeinsam der Haustür näherten, wich es mit ängstlichen Blicken auf die furchterregenden Waffen von Hamarud und dem Alten zurück. „Wer ist denn das hübsche Mädchen?”, wollte Hamarud von seinen Eltern wissen. „Das ist deine kleine Schwester und heißt Damala.”, antwortete Dilana, „Sie wurde geboren, als du schon fast ein Jahr von zu Hause fort warst.” Schutzsuchend klammerte sich das Mädchen an Dilana, die wiederum versuchte, das Mädchen zu beruhigen. „Du brauchst keine Angst vor den beiden zu haben, Damala.”, sagte sie mit einem strahlenden Lächeln, „Das ist dein Bruder Hamarud und der alte Mann mit dem weißen Rauschebart ist Sigusīn Tēlak, der Bogenmacher. Du kannst ruhig zu ihnen hingehen und ,guten Tag’ sagen. Die tun dir nichts.” Vorsichtig schob Dilana ihre kleine Tochter in Hamaruds Richtung, doch das Mädchen löste sich von der Mutter, um sofort zu ihrem Vater zu rennen. Narul begann zu lachen und nahm seine Tochter auf den Arm. Auch Hamarud und der Alte begannen zu lächeln, als sie sahen, dass das kleine Mädchen immer noch sehr scheu die beiden ansah. „Lasst sie nur.”, sagte der junge Tingal, „Ich glaube, die Scheu verliert meine kleine Schwester erst, wenn sie uns beiden besser kennen gelernt hat.” Narul nickte. „Ja, damit könntest du durchaus Recht haben.”, antwortete er und drückte Damala an sich. „Aber legt doch nun eure Waffen ab, damit die Kleine vor euch beiden nicht mehr soviel Angst hat.”, sagte Dilana. Im nächsten Augenblick wurden Sigusīn und Hamarud ernst. „Das würden wir sehr gerne tun, aber das können wir im Augenblick nicht.”, antwortete der Alte ernst. Überrascht sahen Narul und Dilana den alten Bogenmacher an. „Was soll das heißen?”, erkundigte sich Narul, „Warum könnt ihr eure Waffen nicht ablegen?” Hamarud legte seine starke Hand auf die Schulter seines Vaters. Unverwandt sah er seinem Vater in die Augen. „Wir müssen sofort alle in unserem Dorf zusammenrufen und miteinander reden, Vater.”, sagte Hamarud düster, „Was die Kando betrifft, bringen wir keine gute Nachricht.” Dilana und Narul sahen sich gegenseitig kurz an. „Was ist los mit den Kando?”, fragte Narul nichts Gutes ahnend. Der alte Bogenmacher trat auf Narul zu. „Tayazu Lumeyn, der König des mächtigen Kando-Reiches, hat vor, das gesamte Volk der Manda auszulöschen. Er hat inzwischen eine gewaltige Armee zusammengestellt, die fast zwei Millionen Soldaten umfasst.” „Woher wisst ihr das?”, fragte Narul. Rasch berichteten der Alte und Hamarud von ihrer Begegnung mit dem Kando-Prinzen Teyu Lumeyn. Fassungslos hörten Hamaruds Eltern zu. Als Hamarud seinen Eltern erzählte, dass die Kando bereits das Dorf Parangwa überfallen und niedergebrannt haben, packte sie das kalte Grauen. Damala begann auf den Armen des Vaters zu weinen, als Hamarud und Sigusīn von den zahlreichen Toten berichtete, die sie auf ihrer Heimkehr in den leeren Straßen des brennenden Nachbardorfes gesehen hatten. Dilana nahm behutsam ihre kleine Tochter aus Naruls Armen. Tränen und Angst stand in ihren Augen. Auch Naruls Blick wurde düster. Seine Stimme klang hart, als er den Anwesenden seine Entscheidung mitteilte. „Na schön. Wir werden alle zusammenrufen und gegen die Kando in den Krieg ziehen.”, sagte er eisig, „Wenn die Kando unbedingt einen Krieg haben wollen, dann sollen sie ihn auch bekommen.” Entsetzt sah Dilana ihren Mann an, in dessen Augen sie deutlich den nackten Hass sah, den Narul für die Kando empfand. Entschlossen griff er nach seinen Waffen und legte sie an. Als er damit fertig war, verließ er in der Begleitung seines Sohnes und des alten Bogenmachers das Haus.....

Nach einer knappen Stunde waren alle Dorfbewohner wieder auf dem Markplatz versammelt und Narul ließ Hamarud noch mal berichten, was er und der alte Bogenmacher zusammen auf der Heimreise nach Mandušolva erfahren hatten. Entsetzt hörten die Bewohner zu. Als der junge Tingal geendet hatte, herrschte auf dem Markplatz eine beklommene Stille. „Und was sollen wir jetzt tun?”, fragte jemand in der Menge. „Wir werden das tun, was wir am besten können.”, antwortete Narul fest entschlossen, „Wir werden gegen die Kando in die Schlacht ziehen und gegen sie kämpfen.” „Und wann sollen wir in die Schlacht ziehen?”, wollte eine junge Frau wissen, die direkt vor dem Podium stand. Naruls Stimme wurde noch frostiger, als er antwortete. „Die Kando wissen nicht, dass wir bereits gewarnt wurden und deshalb werden wir noch in dieser Stunde aufbrechen.”, erklärte Hamaruds Vater voller Hass, „Heute wird ein Festtag für Mūruk im Glandāku sein. So viele Seelen, falls die Kando überhaupt welche haben, hat Mūruk schon lange nicht mehr an einem Tag erhalten. Also zu den Waffen! Noch in dieser Stunde brechen wir auf!” „Bamate! Tod den Kando!”, begann die Menge zu rufen, „Mögen unsere Feinde für alle Ewigkeit im Glandāku schmoren!” Zufrieden betrachtete Narul die aufgebrachte Menge, deren Bamate- und Bumate-Rufe immer lauter wurden. Entschlossen hielten einige ihre Waffen in die Höhe.

Es dauerte nicht lange, bis sich die meisten Einwohner von Mandušolva schwerbewaffnet wieder auf dem Markplatz einfanden. Alle standen in Formation und warteten nun auf die ersten Befehle von Narul, der sie entschlossen in die Schlacht führen wollte. Zufrieden stellte er fest, dass die meisten Manda seinem Ruf gefolgt waren. Entschlossenheit und blanker Hass glitzerte in den Augen der schwerbewaffneten Manda. Viele von ihnen saßen auf ihren Reittieren. Unruhig begann jenes Kojn-Kojn, auf dem Narul saß, mit seinen Hufen zu scharren. Instinktiv spürten die Tiere, dass an diesem Tag etwas Schlimmes in der Luft lag.....

Fest entschlossen führte Narul Tingal die bewaffneten Manda aus dem Dorf. Unter lauten Schlachtrufen begann die kleine Truppe zu marschieren. Narul schickte einige Kundschafter auf Kojn-Kojns in die umliegenden Nachbardörfer, um sie ebenfalls zu den Waffen zu rufen. Unterwegs unterhielt sich Narul ausführlich mit seinem Sohn und mit dem alten Bogenmacher, von denen er sich haargenau schildern ließ, wie die beiden in Rānos gegen die Kando gekämpft hatten. Tagelang zog Narul mit seiner kleinen Armee durch das große Tal, bis sie endlich ein freies Feld erreichten, wo sie mit weiteren Einheiten aus den umliegenden Dörfern zusammentrafen und gemeinsam weiterzogen.

Als sie nach einigen Tagen das Tal verließen, zogen sie einer ungewissen Zukunft entgegen. Niemand von ihnen wusste, wann und wo sie auf die Armee der gefürchteten Kando treffen werden. Sie wussten nur, dass dieser Krieg über die Zukunft der Manda entschied. Die anfänglichen Schlachtrufe verstummten während des Marsches allmählich und die innere Anspannung nahm von Tag zu Tag zu. Als sie außerhalb des Tales die ersten niedergebrannten Mandadörfer erreichten, wurden Narul und seine Leute zornig. „Die Kando können nicht mehr weit sein.”, meinte Hamarud, der ebenfalls innerlich sehr angespannt war. Sein Vater nickte wortlos. „Das Traurige daran ist nur, dass wir diesen Krieg nicht mehr verhindern können.”, erwiderte der alte Bogenmacher. Narul fluchte, als sie durch ein weiteres zerstörtes Dorf marschierten. „Frieden wird es erst dann geben, wenn wir die Kando ein für alle mal ausgerottet haben werden!”, zischte er aufgebracht, „Die sollen für all ihre Verbrechen büßen, die sie uns gegenüber angetan haben.” Hamarud sah entsetzt seinen Vater an. Das er in diesem Ausmaß so voller Hass über jemanden redete, kannte er von ihm nicht. „Aber es gibt doch auch gute Kando, Vater.”, wandte Hamarud ein, doch sein Vater unterbrach ihn barsch. Erschrocken zuckte der junge Manda mit den lockigen Haaren zusammen. „Ja, es gibt gute Kando.”, erwiderte er eisig und sah seinen Sohn zornig an, „Ja, das gibt sie, mein Sohn. Aber nur tote Kando sind gute Kando.” Verständnislos sah er seinen Vater an, der grimmig nach vorne sah. „Aber warum hasst du die Kando so sehr?”, fragte er Narul. Dieser nickte, als ihm klar wurde, dass er Hamarud nie alles erzählt hatte, was er als Sklave der Kando auf dem Anwesen von Temesh Komush alles miterleben musste. „Das ist eine sehr lange Geschichte.”, sagte er und sah seinen Sohn kurz an, „Vielleicht ist es besser, wenn ich dir jetzt mal erzähle, woher mein Hass auf die Kando kommt. Vielleicht wirst du mich dann besser verstehen können als jetzt.” „Dann erzähl sie mir, Vater.”, bat er Narul. Dieser nickte. „Also gut.”, sagte Dilanas Mann, „Dann hör mir jetzt gut zu, mein Sohn.” Schweigend und interessiert lauschte Hamarud den Worten seines Vaters.....

Nach einer weiteren Woche erreichten die Manda eine Anhöhe. Aufgeregt kehrten die ausgesandten Kundschafter zurück. Narul sah sofort an ihren entsetzten Gesichtern, dass sie die Armee vom Tayazu Lumeyn, König der Kando, entdeckt hatten. Schweigend hörte sich Narul den Bericht der Männer an, die er als Kundschafter ausgesandt hatte. „Sie sind bis an die Zähne bewaffnet.”, sagte gerade einer von ihnen, „Ich habe noch nie so viele Kando auf einem Haufen gesehen.” Narul nickte dem Mann dankend zu und entließ ihn wieder zu seinen Kameraden, der sich sofort zurückzog. „Anscheinend hat Prinz Teyu Lumeyn nicht übertrieben, als er euch gegenüber davon sprach, dass sein Vater eine Streitmacht von zirka zweihunderttausend Männern mobilisiert hat, Hamarud.”, sagte er, „So, wie die Dinge momentan liegen, stehen wir gerade einer Kampfkraft gegenüber, die mittlerweile mehr als dreihunderttausend Kando umfasst.” Schweigend blickten die Manda über die Anhöhe hinweg zum Horizont, wo sich langsam eine mächtige Staubwolke aufzutürmen begann. Die riesige Armee der Kando marschierte zielstrebig auf die wesentlich kleinere Armee der Manda zu, die sie bereits erwarteten.....

 

Abschlusshinweise zum Kapitel:

keine

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