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Erst nachdem die letzten Mungāwas verschwunden waren, wagten sich die Belluraner auf die freie Ebene hinaus. An mehreren Stellen war das Gras niedergebrannt und zahlreiche tote Tiere lagen auf dem Feld. Einige von ihnen waren gänzlich verbrannt, andere dagegen nur teilweise. Von einigen verkohlten Kadavern stieg noch Rauch auf. Etliche Knochen lagen verstreut herum. Auch mehrere Skelette von Xularis und Mungāwas waren zu sehen. Die Belluraner erschauerten bei dem grauenhaften Anblick der toten Tiere. Es war nicht zu übersehen, dass hier vor kurzem ein Kampf auf Leben und Tod statt gefunden hatte.

„Werden wir trotzdem hier die Nacht über bleiben, mein Gebieter?”, wollte Kejtar von dem Anführer wissen, der sich ebenfalls das Schlachtfeld ansah. Kelūru nickte. „Ja, mein Freund, wir bleiben heute Nacht hier.”, antwortete Dilāras Vater mit sehr ernster Miene, „Da hier vor kurzem Xularis und Mungāwas gegeneinander gekämpft haben und von ihnen hier auch noch einige tote Tiere rumliegen, wird sich momentan kein einziges Tier mehr in die Nähe unseres Lager trauen. Das Gebiet wird für alle anderen Tiere ein gefährliches Terrain sein, da es seit heute ebenfalls zum Jagdrevier der Mungāwas gehören wird. Momentan sind wir so sicher wie in Zātuls Schoß.” Nachdenklich betrachteten alle das freie Feld mit den toten Überresten der Raubtiere, die sich hier noch vor kurzer Zeit bekämpft hatten.

Am nächsten Morgen brachen die Belluraner ihr Zeltlager wieder ab und setzten anschließend ihre Reise fort. Am frühen Vormittag ließ Kelūru wieder einige seiner Männer als Kundschafter ausschicken. Pelto schloss sich ihnen wieder an und folgten den Xendavas auf ihrer Erkundungstour. Aufmerksam nahmen sie jede Fährte in Augenschein, die ihrer Auffassung von den überlebenden Xularis sein könnte. Doch es war nicht einzige Fährte der Xularis dabei, die sie fanden. Erleichtert über diesen Umstand kehrten sie zu Kelūru zurück und erstatten ihm Bericht. Wortlos hörte Dilāras Vater seinen Leuten zu. Als sie geendet hatten, sandte er sie erneut aus, damit sie die Anhöhe, die einen guten halben Tagesritt vor ihnen lag, ebenfalls erkunden sollten. Rasch machten sich die Männer wieder auf den Weg, um den Befehl ihres Herrn auszuführen. Auch Pelto ritt wieder mit ihnen mit. Aufmerksam sahen die anderen Belluraner den davon reitenden Kundschaftern nach, während ihre Kojn-Kojns ihre mächtigen Schwingen wieder ausbreiteten und langsam von Boden abhoben. Lautlos flogen sie davon, bis sie am Horizont nicht einmal mehr als kleine Pünktchen zu sehen waren.

Als sie nach einigen Stunden die Anhöhe erreichten, befahl Kejtar anzuhalten und abzusteigen. Rasch kamen alle Anwesenden seinem Befehl nach. Auch Pelto stieg von seinem Kojn-Kojn, das etwas unruhig mit seinen Vorderläufen auf dem Boden scharrte und schnaubte. Mehrmals hob und senkte das Reittier seinen mit einem Horn bewehrten Kopf und schüttelte immer wieder dabei kräftig seine Mähne. Ähnlich verhielten sich auch die anderen Kojn-Kojns. Vorsichtig trat Kejtar in Peltos Begleitung langsam an den Abgrund. Kurz bevor sie ihn erreichten, legten sich beide Männer auf den Bauch robbten solange vorwärts, bis sie hinunter sehen konnten.

Deutlich konnten sie erkennen, dass nicht weit weg von der Anhöhe ein kleines Holzhaus stand, das von einem großen Holzzaun umgeben war. Auf der Rückseite waren mehrere Bäume zu sehen, die bereits Früchte trugen. Direkt daneben war eine kleine Koppel, auf der mehrere Wūlunžidis und Kuš-Kuš friedlich grasten. Zahlreiche Kundos waren über den gesamten Hof verteilt. Es war eine sehr friedliche Idylle, die sie dort sahen. Der Eigentümer des Hofes war weit und breit nicht zu sehen. Vorsichtig zogen sich Pelto und Kejtar zurück, bis sie außer Sichtweite waren. Vor den anderen Kundschaftern blieben die beiden stehen, die Kelūrus engsten Freund und Vertrauten und den Aldoraner neugierig ansahen.

„Da unten in der Senke befindet sich ein kleines Anwesen.”, teilte Sāmoš den anderen mit, „Allerdings ist dort niemand zu sehen.” „Verlassen ist es definitiv nicht, denn auf der Koppel werden verschiedene Nutztiere wie Wūlunžidis und Kuš-Kuš sowie Kundos gehalten.”, fügte Pelto mit ernster Miene auf Xendavu hinzu, „Also, der Besitzer oder auch Eigentümer kann nicht sehr weit weg sein. Es ist sogar möglich, dass er uns schon vor einiger Zeit entdeckt und sich aus Angst versteckt hat, weil er uns möglicherweise uns für oskonische Soldaten gehalten hat.” „Deshalb ist es besser, wenn wir wieder zu unseren Leuten zurückkehren und unserem Herrn und Gebieter entscheiden lassen, wie wir nun weiter vorgehen wollen.”, sagte Kejtar und schritt forschen Schrittes auf sein Reittier zu, dass in seiner Nähe stand und ein wenig graste, „Also los! Wir kehren um und werden den anderen berichten, was wir unterwegs alles gesehen und beobachtet haben.” Als Pelto und Kejtar wieder in ihren Sätteln saßen, wendeten sie rasch ihre Reittiere und gab ihnen die Sporen. Sofort breiteten sie ihre Schwingen aus und hoben nach kurzer Zeit vom Boden ab. Der Rest der Kundschafter folgte ihrem Beispiel und flog auf ihren Kojn-Kojns hinterher.

Bei Einbruch der Dunkelheit erreichten sie die anderen Belluraner, die inzwischen in Flussnähe ein neues Lager aufgeschlagen hatten. Unverzüglich suchten sie den Anführer der Xendavas am Lagerfeuer auf, um ihm zu berichten, was sie gesehen hatten. Pelto wartete geduldig in einem gebührenden Abstand auf Kelūrus Reaktion und Entscheidungen, um diese gleich seinen eigenen Arbeitsherren weitergeben zu können. Ausführlich berichteten seine Kundschafter von ihren neuen Erkenntnissen. Dilāras Vater hörte aufmerksam zu. Als Kejtar seinem Freund von dem Anwesen in der Talsenke berichtete, zog Mandūri überrascht seine Augenbrauen in die Höhe. „Ihr seid verblüfft, mein Gebieter?”, fragte Sāmoš ernst. Dilāras Vater nickte. „Ja, mein Freund, das habt Ihr gut erkannt.”, bestätigte Kelūru, „Es wundert mich, dass jemand den Mut hat, so weit draußen inmitten eines Jagdreviers der Xularis und Mungāwas einen Hof zu betreiben. Entweder ist derjenige leichtsinnig oder vollkommen lebensmüde.” „Ich hoffe nur, dass der Oskonier, dem das Anwesen gehört, in dem Bürgerkrieg neutral ist.”, meinte Kejtar besorgt, „Immerhin könnte das auch für uns gefährlich werden, wenn wir an die falschen Leute geraten, mein Gebieter.”

Leise plätscherte das Wasser des Flusses, als Mandrak sich am Flussufer ins hohe Gras setzte. Nachdenklich sah der junge Ulani aufs Wasser hinaus. Er merkte nicht, wie sich ihm jemand von hinten mit fast lautlosen Schritten näherte. Erst als der Ankömmling sich neben ihn ins Gras setzte, erkannte er seinen Bruder Tabrun.

„Ich hätte nie gedacht, dass wir einmal eine so weite Reise machen würden, um Vaters Farm zu retten.”, begann Tabrun das Gespräch und riss dabei Mandrak aus seien Gedanken, „Hoffentlich finden wir bald die Larunos. Es wäre schön, wenn wir bald wieder heimkehren könnten. Immerhin sind wir schon wesentlich mehr als ein halbes Jahr von zu Hause weg.” „Wir müssten diese Reise gar nicht machen, wenn Vater auf dich gehört hätte.”, erwiderte der Hellbraunhaarige, „An dem Tag, als wir in der drauffolgenden Nacht aufbrachen, habe ich bei unserem Kontrollgang durch unsere Felder mit Vater gesprochen und ihn vorgeschlagen, dass er sich die Sache mit der Bewässerungsanlage noch mal überlegen sollte. Aber er wollte partout nichts davon hören. Stattdessen hat er sich sehr darüber aufgeregt, dass ich dich damit unterstützt habe.” Er sah mit finsterer Miene Tabrun an, als er fortfuhr. „Du wirst es nicht glauben, aber Vater hat mich doch allen Ernstes in seinem Zorn gefragt, ob wir schon beschlossen hätten, wann er denn abzutreten habe.”, erzählte Mandrak weiter, „Ich war sehr erschüttert über Vaters Wutausbruch.” „Davon wusste ich ja gar nichts, dass du mittlerweile auch mit ihn über die Anlage gesprochen hattest.”, gestand Tabrun, „Ich hatte mich schon gewundert, was er damals bei der Familienversammlung im Wohnzimmer mit seiner Bemerkung eigentlich bezweckt hatte.” „Tja, ich denke, Vater hatte das nicht böse gemeint, aber er macht sich halt große Sorgen um die Farm, die seine Familie aufgebaut hatte und er schon als kleiner Junge dabei kräftig mithelfen musste.”, antwortete Mandrak, „Es muss ihn ganz schön mitnehmen, wenn er hilflos mit ansehen muss, wie alles den Bach runtergeht. Das frustriert ja auch.” Tabrun seufzte. „Trotzdem hätte Vater ruhig auf uns hören können.”, meinte der schwarzhaarige Ulani ernst, „Immerhin wäre das doch eine gute Chance, die Farm zu retten und zum modernisieren. Weil aber unser Nachbar und Kojn-Kojn-Züchter Arānos Marak mit der Modernisierung seines Hofes gescheitert ist, heißt es doch noch lange nicht, dass es uns ebenso ergehen muss. Die Fehler, die Marak und seine Familie gemacht haben, hätten wir auf alle Fälle vermeiden können.” „Ich vermute, dass Vater nur Angst vor den damit verbunden Veränderungen hatte.”, meinte der Hellbraunhaarige. „Aber trotzdem hatte er kein Recht, uns deswegen so anzufahren.”, platzte es aus Tabrun heraus, „Arānos Marak und seine Kinder sind doch nur deshalb mit der Anlage gescheitert, weil sie zuviel in zu kurzer Zeit erwartet hatten. Hätten die das sorgfältiger gemacht, dann wäre ihnen nichts passiert und ihre Farm würde heute besser denn je florieren.” „Es hat keinen Sinn darüber nachzudenken, wie die Farm von Arānos Marak und seiner Familie heutzutage laufen würde.”, meinte Mandrak, „Das werden wir nie erfahren. Wir können es nur selbst ausprobieren, wenn Vater es zuließe.” Tabrun nickte. „Ganz genau.”, sagte dieser düster, „Das ist eben das Problem. Er wird es niemals zulassen.” Seufzend stand Tabrun auf und blickte auf seinen jüngsten Bruder hinab. „Ich kehre jetzt wieder ins Lager zurück.”, sagte er müde, „Willst du noch hierbleiben?” Mandrak nickte in Gedanken versunken. „Gut.”, sagte Tabrun und gähnte herzhaft, „Dann wünsche ich dir noch viel Spaß und denk’ nicht mehr so viel nach. Wir werden die Larunos schon finden und dann die Farm unseres Vaters retten, sobald wir wieder zu Hause sind.” Mandrak sah seinem Bruder nach, bis dieser zwischen den Büschen verschwand.

Schweigend saß der hellbraunhaarige Ulani weiterhin am Flussufer, als bereits der erste Mond aufging. Zahlreiche Sterne funkelten am Firmament und auf dem Wasser des Flusses spiegelte sich etwas verschwommen einer der Monde wieder. Nachdenklich blickte er in die Ferne. Nach einiger Zeit hörte er leise Schritte hinter sich, die sich ihm von hinten näherten. Als er sich umdrehte, dachte Mandrak an seinem Bruder Tabrun, der vielleicht zu ihm zurückkehrte. Doch er war es nicht. Stattdessen setzte sich Dilāra dicht zu ihm ins Gras. Sie sagte nichts und schaute in die Ferne. Mandrak hatte das Gefühl, dass sie auch über etwas nachdachte. Ohne etwas zu sagen zog er die junge Xendava zu sich heran. Bereitwillig legte Dilāra ihren Kopf auf seine Schulter und gab einen tiefen Seufzer von sich, als sie sich an den jungen Ulani ankuschelte. Schützend legte er seinen Arm um ihre kleine Schulter. Sofort griff sie nach seiner freien Hand und hielt sie fest. Leise flüsterte Dilāra seinen Namen und kuschelte sich enger an ihn.

Am nächsten Morgen stand Tabrun auf und trat aus dem Zelt ins Freie. Direkt vor dem Zelteingang standen Simdu und Pelto, die sich auf Aldoranisch über etwas unterhielten. Simdu war der erste von beiden, der Gūrads ältesten Sohn sah. Sofort winkte er diesen zu sich heran. „Komm zu uns und höre, was es Neues gibt.”, sagte Arankas Mann ernst, „Unser Tegoš hat mir gerade von seiner gestrigen Erkundungstour berichtet.” Interessiert sah Tabrun erst Simdu dann Pelto an. „Was hat er dir denn erzählt?”, wollte der schwarzhaarige Ulani wissen. Rasch erzählte Jakodos Mandraks Bruder, was Pelto ihn erst von wenigen Augenblicken berichtet hatte. Tabrun hörte aufmerksam zu. „Und was sagt der Anführer der Xendavas zu der ganzen Geschichte?”, erkundigte sich der Farmersohn, „Hat er denn schon eine Entscheidung getroffen, wie wir nun weitermachen wollen?” Simdu übersetzte sofort die Frage in Peltos Muttersprache und sah ihn dabei fragend an. „Kelūru Mandūri sagt, dass wir gleich weiterreisen werden.”, antwortete der Aldoraner mit ernster Miene, „Er geht davon aus, dass wir heute unsere Ruhe vor Mūruks Geschöpfen haben werden. Nach dem gestrigen Schauspiel auf der freien Ebene würde mich das auch nicht wundern, edle Herren.” „Na das ist doch schon mal eine gute Nachricht.”, meinte Tabrun trocken, „Immerhin hätten wir dann zunächst erst einmal nichts mehr vor diesen grässlichen Viechern zu befürchten und könnten in aller Ruhe nach den Larunos suchen.” „So ist es.”, erwiderte Simdu, „Wir sollten uns etwas beeilen und unser Zelt abbauen, denn die Xendavas haben schon fast alles wieder abgebaut.” Unwillkürlich ließ Tabrun seinen Blick durch das fast abgebaute Lager schweifen, wovon nur vereinzelte Zelte standen. Dann nickte er. „Na dann lasst uns mal keine Müdigkeit vorschützen.”, sagte Gūrads ältester Sohn, „An die Arbeit.” Es dauerte nicht lange, bis die Belluraner das komplette Lager wieder abgebaut und die Ausrüstung vollständig auf ihren Lasttieren verstaut hatten.

Nachdem alle für die Weiterreise bereit waren, setzte sich der Treck wieder in Bewegung. Stundenlang zogen sie durch das große Tal am Fluss entlang. Erst, als sie am späten Nachmittag die Anhöhe erreicht, befahl Kelūru anzuhalten. Fragend blickte er Kejtar an. Dieser verstand sofort den fragenden Blick des Anführers und stieg von seinem Reittier ab. Kelūru tat es ihm gleich. Zusammen gingen sie die Anhöhe hinauf, bis sie von dort aus in die Senke heruntersehen konnten. Das Holzhaus stand da immer noch und auch die Tiere des Unbekannten grasten friedlich auf ihrer Koppel. Aber der Eigentümer war nirgends zu sehen. Nachdenklich runzelte Mandūri die Stirn. „Ist dies jenes Holzhaus, von dem Ihr mir berichtet habt?”, wollte er von Sāmoš wissen. Dieser bejahte sofort. Der Anführer warf noch einmal einen prüfenden Blick nach unten, dann traf er einen Entschluss.

„Wir werden zusammen weiterziehen und dort einen kleinen Zwischenstopp einlegen.”, sagte Kelūru mit fester Stimme und trieb sein Kojn-Kojn mit den Sporen an, „Wenn der Eigentümer daheim ist, werden wir mit ihm sprechen und vielleicht erfahren wir von ihm noch ein paar Neuigkeiten, was den oskonischen Bürgerkrieg betrifft.” Langsam setzte sich der belluranische Treck wieder in Bewegung. Zielsicher führten jene Männer, die Kelūru zuletzt als Kundschafter ausgesandt hatte, die gesamte Gruppe auf einen kleinen Umweg in die kleine Talsenke, wo sich das Holzhaus mit den Nutztieren befand. Aufmerksam beobachteten alle die nähere Umgebung, als sie gemeinsam auf die kleine Farm zuritten. Die Tiere auf der Koppel blieben ruhig und grasten friedlich weiter. Kurz vor dem Gatter ließ Mandūri die Gruppe anhalten.

„Du wirst mich begleiten, mein Freund.”, sagte Dilāras Vater zu Sāmoš gewandt, „Falls der Eigentümer zu Hause ist, ist es gut, in der Überzahl zu sein.” Kejtar machte vor dem Anführer der Xendavas eine tiefe respektvolle Verbeugung. „Ihr ehrt mich mit Eurer Entscheidung, mein Gebieter.”, sagte er beflissen, „Die Götter werden uns beschützen.” Kelūru nickte zufrieden und trieb sein Reittier an. Sofort folgte ihm sein bester Freund und Vertrauter auf den Hof. Nur wenige Meter von dem Haus entfernt hielten sie an und stiegen von ihren Kojn-Kojns. Die Tür war geschlossen und auch die Fenster waren zu.

Nach wenigen Augenblicken öffnete sich die Tür laut knarrend und ein alter bärtiger Mann trat ins Freie. Misstrauisch sah er die fremden Ankömmlinge an. Er trug die typische Kleidung eines Oskoniers. Etwas verwundert erkannten Kelūru Mandūri und Kejtar Sāmoš, dass der Fremde unbewaffnet war. Wortlos sah der Oskonier die beiden Männer an.

„Wer seid Ihr?”, fragte der alte Farmer, „Und was wollt Ihr hier auf meinem Land?” „Wir sind Xendavas und sind auf der Durchreise.”, antwortete Dilāras Vater mit ernster Miene, „Ich bin Kelūru Mandūri, der Anführer der Xendavas.” „Und das hier ist mein bester Freund und Krieger.”, fuhr Dilāras Vater fort, „Sein Name lautet Kejtar Sāmoš.” Wortlos machte der Vorgestellte eine respektvolle Verbeugung dem Farmer gegenüber. „Und wie lautet Euer Name?”, wollte Kelūru wissen. „Ich bin Demūdin Čāduk.”, stellte sich der Mann vor dem Holzhaus vor, „Ich bin ein oskonischer Farmer.” „Seid Ihr allein?”, fragte Kejtar interessiert. Das Gesicht Demūdins verfinsterte sich. „Ja.”, gestand der Oskonier mit leicht bebender Stimme, „Ich lebe allein hier, seit dem der Bürgerkrieg in unserem Lande meine Söhne geraubt hat. Meine Gemahlin starb am gebrochenen Herzen, nachdem wir erfahren mussten, dass unsere beiden Söhne aus dem Krieg nicht mehr heimkehren werden.” Kelūru und Kejtar sahen sich gegenseitig betroffen an. Dann wandte sich der Anführer wieder rasch dem alten Farmer zu. „Wir bedauern zutiefst von dem Schmerz über den Verlust Eurer gesamten Familie hören zu müssen.”, erwiderte Dilāras Vater mitfühlend, „Es muss sehr grausam sein, wenn die Götter einem alles nehmen, was einem am meisten bedeutet.” Čāduk nickte seufzend. „Ihr sprecht weise Worte, edler Herr.”, antwortete der alte Farmer, „Die Farm hier ist alles, was mir noch geblieben ist. Wobei ich erwähnen muss, dass die Soldaten unseres Königs, schon eine ganze Menge von meinem Vieh bereits mitgenommen haben.” Er machte eine weite Armbewegung, mit der er auf seinen gesamten Hof deutete, als er fortfuhr. „Ich frage mich schon jeden Tag, wann man mir den Rest nehmen wird.”, gestand Demūdin düster, „Also, wenn Ihr mir den Rest nehmen wollt, was ich hier noch habe, dann tut es. Ich bin des Kampfes müde und werde daher auch nicht kämpfen.” Mandūri schüttelte energisch mit dem Kopf. „Wir sind nicht gekommen, um Euch irgendetwas zu nehmen.”, versicherte der Anführer der Xendavas in einem sehr ruhigen Tonfall, „Wir sind hier nur auf der Durchreise, denn wir suchen nach Larunos für unsere Freunde, die wir begleiten.” „Wenn Ihr nach Larunos sucht, dann ist es besser, wenn Ihr in diese Richtung weiterzieht.”, sagte der Farmer und wies dabei mit seiner Hand in südwestlicher Richtung, „Am besten orientiert Ihr Euch an dem Lauf des Flusses, der euch direkt zu einem großen Mischwald hinter der nächsten Anhöhe führt, wo der Strom besonders weit und stark ist. Ihr könnt den Wald nicht verfehlen. Dort stehen auch jede Menge Larunosbäume. Aber ich muss Euch warnen. Dort leben jede Menge Xularis und Mungāwas.”

„Was ist mit Euch?”, fragte Kejtar interessiert, „Wieso bleibt Ihr hier, wenn Ihr doch alleine seid?” „Wo soll ich denn hin?”, fragte der Alte zurück, „Das hier ist das Land meiner Väter. Ich wurde in diesem Haus geboren und hier wuchs ich auf. Mein ganzes Leben habe ich hier in diesem Tal verbracht. Wenn die Götter beschlossen haben, dass die Linie meiner Familie mit mir enden soll, dann soll das auch hier geschehen, wo sie auch einst mal begonnen hat.” „Mit anderen Worten.”, konstatierte Kelūru, „Ihr habt überhaupt nicht die Absicht fortzugehen und woanders von vorne anzufangen. Ihr könntet sogar mit uns kommen.” Demūdin schüttelte traurig mit dem Kopf. „Nein.”, antwortete er, „Für einen alten Mann gibt es kein Platz mehr, irgendwo noch einmal von vorne anzufangen. Es ist besser, wenn ich hier den ewigen Schlaf antrete, wo ich einst mal geboren wurde.” Mandūri sah den oskonischen Farmer nachdenklich an. „Also, wenn es Euer Begehr ist, hierzubleiben, dann bleibt mir nur noch eine Frage an Euch.”, sagte Dilāras Vater mit fester Stimme, „Gibt es etwas, was wir noch für Euch tun können bevor wir weiterreisen?” Der Oskonier schüttelte mit dem Kopf. „Nein, edler Herr.”, antwortete der Farmer, „Es wäre schön mit Euch zu reisen, aber dafür bin schon viel zu schwach. Es ist besser, dass ich hierbleibe und niemanden zur Last falle. Aber ich danke Euch für Euer gütiges Angebot. Die Götter haben Euch ein reines Herz geschenkt. Mögen sie immer mit Euch sein und schützend ihre Hände über Euch und Euer Gefolge halten.” Der Anführer nickte. „Wohlan.”, sagte Kelūru, „So sei es. Mögen die Götter Euch ebenfalls gnädig gestimmt sein und Eure Wünsche erhören.” Dann machten die beiden Xendavas vor dem Farmer eine respektvolle Verbeugung, die der Oskonier ebenso respektvoll erwiderte. Dann zog der belluranische Treck weiter und Demūdin Čāduk sah ihnen noch sehr lange nachdenklich nach.

Den restlichen Tag über zogen die Belluraner weiter in jene Richtung, die ihnen Demūdin Čāduk mit der Hand gezeigt hatte. Das Landschaftsbild war von Wäldern, Wiesen und Feldern geprägt. Gelegentlich bekamen sie auch auf ihrer Reise hin und wieder mal Wildtiere zu sehen, die rasch davonstoben, sobald sie die Belluraner gewittert hatten. Der Himmel war fast wolkenlos und die Sonne schien herab. Es war immer noch sehr warm, aber bei weitem nicht mehr so heiß wie in der Honduš-Wüste. Zusätzlich wehte noch ein schwacher Wind, den die Reisenden als sehr angenehm empfanden. In regelmäßigen Abständen sandte Kelūru Kundschafter aus, die auf mögliche Gefahrenquellen achten sollten. Besonders auf Fährten von Xularis und Mungāwas sollten sie achten und sofort Mandūri umgehen informieren, wenn sie welche fanden.

Während der Reise ritten Simdu, Pelto und Tabrun nebeneinander und unterhielten sich, wobei Pelto ihnen von seinen anderen Expeditionen berichtete, an denen er schon im Laufe seines Lebens teilgenommen hatte und dabei zum Teil auch schon einige Jahre deshalb von zu Hause fort war. Mandrak ritt hinter den Dreien her und lauschte teilnahmslos ihrem Gespräch. Er musste in diesem Augenblick sehr viel an seine Eltern und Geschwister denken, die nun ohne Tabrun und ihn die Farm bewirtschaften mussten. Der hellbraunhaarige Ulani war sich sicher, dass ihr Vater außer sich war, als er am folgenden Morgen feststellen musste, dass Tabrun und er zusammen ohne seine Einwilligung für dieses Unternehmen, einfach bei Nacht und Nebel sich klammheimlich davonmachten, um nach den Larunos zu suchen.

Mandrak merkte nicht, als er von Dilāra angesprochen wurde. Erst als sie ihn ein zweites Mal ansprach, riss die Braunhaarige Tabruns Bruder aus seine Gedanken. Fragend sah er die hübsche junge Xendava an, die sofort zu lächeln begann. Mandrak warf einen raschen Blick nach vorne zu Tabrun, Simdu und Pelto, die sich immer noch angeregt unterhielten. Sie hatten nicht bemerkt, wie Temkas und Kelūrus Tochter sich hatte zurückfallen lassen, um an der Seite von Gūrads jüngstem Sohn nebenher reiten zu können. „Čumāda lējnoš damūžu jāčungol?”, wiederholte sie erneut ihre Frage und warf Mandrak einen fragenden Blick zu. Der junge Ulani war sich im ersten Moment immer nicht sicher, ob er ihre Frage richtig verstanden hatte. Die junge Xendava wiederholte geduldig ihre Frage noch einmal, wobei sie jedes einzelne Wort sehr langsam und deutlich aussprach. Langsam wiederholte Mandrak nachdenklich den Satz, wobei er ihn aber nicht ganz korrekt aussprach. Dann schoss es ihm wie ein Blitz durch den Kopf und der junge Ulani wusste wieder, was die Frage in seiner Muttersprache übersetzt bedeutete. Als Dilāra ihn erneut fragend ansah, begriff er, dass sie immer noch auf eine Antwort von ihm in ihrer Muttersprache wartete. „Kojuna tāžu, hamidu.”, sagte er mit starkem ulanischen Akzent und erkundigte sich anschließend nach ihrem Befinden. Anhand seiner Reaktion sah die junge Xendava, dass Gūrads jüngster Sohn ihre Antwort schon recht gut verstanden hatte. Die Braunhaarige nickte zufrieden, denn Mandrak lernte ihre Muttersprache relativ schnell. Aber auch Dilāra lernte das Ulanische von Mandrak sehr schnell. Schon seit einiger Zeit versuchten sich die beiden sich gegenseitig ihre jeweilige Sprache beizubringen. Während der Reise hatten sie mehr als genug Zeit dafür, was beide auch reichlich nutzten.

Inzwischen verstummten Simdu, Tabrun und Pelto, als sie Dilāra und Mandrak miteinander reden hörten. Interessiert blickten die Drei nach hinten. Tabruns Bruder versuchte in diesem Moment etwas nachzusprechen, was Kelūrus Tochter ihm gerade vorgesagt hatte. „Ich muss schon sagen.”, bemerkte Arankas Mann nicht ohne Bewunderung in seiner Stimme, „Dein Bruder lernt verflixt schnell die Zunge der Xendavas.” Tabrun nickte. „Das sieht ganz so aus, als ob du Recht hättest.”, erwiderte er und sah dabei Jakodos an, „Ich hätte nie gedacht, dass Mandrak irgendwann einmal eine andere Zunge lernen würde. In unserem Heimatdorf hatte er immer einen Dolmetscher gebraucht, wenn er in Vaters Auftrag bei den fremden Händlern auf dem Markt im Nachbardorf für uns einkaufen sollte. Bisher hatte er sich nie die Mühe gemacht, irgendeine andere Zunge zu lernen. Ich sehe ihn das erste Mal dabei, dass er sowas macht.” Pelto hatte zwar bei weiten nicht alles verstanden, von dem was Tabrun und Simdu miteinander auf Ulanisch gesprochen hatten, aber er konnte sich gut vorstellen, worüber sie miteinander redeten. Trotzdem ließ er sich das Gesagte von Simdu ins Aldoranische übersetzen.

„Ich habe Dilāra und Mandrak schon mehrmals dabei gesehen, wie sie sich miteinander zu verständigen versuchten.”, sagte Gōlad schmunzelnd, „Und ich habe dabei den Eindruck gewonnen, dass die beiden sich gegenseitig ihre Zungen beibringen. Sowohl Mandrak als auch Dilāra habe ich bereits in der Zunge des anderen sprechen gehört, allerdings nur brockenweise.” „Was hat er gesagt?”, wollte Tabrun wissen und blickte Jakodos fragend an. Rasch übersetzte er das, was ihm Pelto vorher erzählt hatte ins Ulanische. Der schwarzhaarige Ulani warf einen kurzen Blick nach hinten zu seinem jüngsten Bruder. Dann gab er einen anerkennenden Pfiff von sich und sah danach Simdu und Pelto an, die beide grinsten. Also, wenn ich nach unserer Heimkehr zu Hause darüber berichten würde, dann würde mir niemand ein Wort davon glauben!, dachte Tabrun, Mein Bruder lernt die Zunge eines anderen Volkes! Dann drehte er sich noch einmal kurz zu Mandrak um, der gerade wieder etwas nachsprach, was Dilāra ihm gerade vorgesagt hatte. „So, wie ich das momentan sehe, werdet Ihr nicht zu dritt wieder heimkehren, edle Herren.”, fügte der Aldoraner hinzu und verzog dabei sein Gesicht zu einem breiten Grinsen. Arankas Mann sah kurz nach hinten zu Mandrak und der jungen Xendava zurück. Dann verstand er, was Pelto meinte. „Ja, edler Tegoš.”, antwortete er, „Ich glaube, ich weiß, was Ihr meint.” Anschließend übersetzte er Tabrun, was Pelto zu ihm gesagt hatte. Nachdem er verstanden hatte, was der Aldoraner damit sagen wollte, sah er noch einmal zu seinem Bruder zurück, wobei er nachdenklich die Stirn runzelte.

Am frühen Nachmittag erreichten die Belluraner eine kleine Anhöhe. Mandūri ließ sofort alle anhalten. Vor ihnen erstreckte sich eine hügelige Landschaft, die von weiten Feldern und Wäldern geprägt war. Wie kleine blaue Bänder schlängelten sich mehrere Flüsse durch die Landschaft. Nur die Berge am Rande des Tales rahmten die Landschaft ein. Ihre Gipfel waren zum Teil wegen der tief hängenden Wolken zum Teil nur schwach zu erkennen. Es war ein herrlicher Ausblick. „Das sieht unheimlich schön aus, mein Gebieter.”, ließ sich Kejtar neben dem Anführer vernehmen, „Das Land scheint sehr fruchtbar zu sein.” Temkas Mann nickte nur. Er zeigte auf den dichten großen Wald, den sie in der Ferne erkennen konnten. „Das dürfte der Wald sein, vom dem der alte Farmer gesprochen hat.”, sagte Kelūru etwas nachdenklich, „Dort müssten nach seinen Worten die Larunos-Bäume zu finden sein.” Surgan und Mūnax hatten zu Kelūru Mandūri und Kejtar Sāmoš aufgeschlossen. Auch sie betrachteten die atemberaubende Landschaft.

„Wann werden wir diesen Wald erreichen, mein Gebieter?”, wollte Surgan wissen. „Wenn wir rasch vorankommen, dann können wir ihn nach Einbruch der Nacht erreichen.”, antwortete der Anführer, „Reitet zu unseren neuen Freunden und sagt ihnen, dass wir anscheinend ihre Larunos gefunden haben.” Sowohl Kēloš als auch Sejloš verneigten sich respektvoll tief vor Dilāras Vater. Dann wendeten sie ihre Kojn-Kojns und preschten rasch davon. Entschlossen gab Mandūri seinem Reittier die Sporen und der gesamte Treck setzte sich wieder in Bewegung.

Direkt vor Simdu, Tabrun und Pelto hielten Mūnax und Surgan an und verneigten sich respektvoll vor ihnen. „Wir bringen neue Kunde von unserem Herrn und Gebieter.”, sagte Surgan, „Er sagt, dass wir den von Demūdin Čāduk angegebenen Wald mit den Larunos anscheinend gefunden haben und ihn nach Einbruch der Nacht erreichen können, wenn wir rasch vorankommen.” Fragend sahen Tabrun und Simdu den Aldoraner an, der sofort zu übersetzen begann. Als Tabrun die Worte des alten Tegoš von Arankas Mann übersetzt vernahm, begann er zu lächeln. „Dann können wir doch hoffentlich bald mit dem Einsammeln der Saat beginnen und anschließend so schnell wie möglich nach Hause zurückkehren, um die Farm unseres Vaters zu retten.”, meinte er zufrieden. „Heute werden wir bestimmt keine Saat mehr einsammeln können, weil es bis dahin schon dunkel sein wird.”, erwiderte Simdu trocken, „Damit wirst du wohl bis Morgen früh warten müssen.” Tabrun sah Jakodos an. „Es ändert aber nichts an der Tatsache, dass wir bald wieder heimkehren können.”, gab er zurück, „Besonders darüber freue ich mich.” Dann wandte sich Tabrun zu seinem Bruder um.

„Mandrak!”, sagte er zu ihm, „Hast du eben gehört, welche Neuigkeiten uns die Xendavas gerade brachten?” Fragend sah der hellbraunhaarige Ulani seinem Bruder an, der direkt vor ihm her ritt. „Die Xendavas haben anscheinend die Larunos gefunden.”, fuhr Tabrun zufrieden fort, „Wir können endlich Vaters Farm retten. Sobald wir den Wald mit den Larunos erreicht haben, können wir mit dem Einsammeln der Saat beginnen und anschließend so schnell wie möglich wieder nach Hause zurückkehren.” „Wann werden wir den Wald mit den Larunos-Bäumen erreichen?”, wollte er von Tabrun wissen. „Nach Einbruch der Nacht.”, antwortete Simdu an Tabruns Stelle, „Das heißt, dass ihr erst Morgen früh anfangen könnt, die Saat einzusammeln.” Mandrak nickte. „Ich verstehe.”, meinte der Hellbraunhaarige, „Dann können wir uns an diesem Abend nach einmal richtig ausruhen, bevor wir Morgen früh mit der Arbeit beginnen und danach die Heimreise antreten.”

Wie Kelūru es vorausgesehen hatte, erreichte der Treck den großen Wald erst nach Einbruch der Nacht. Dicht am Waldrand schlugen die Belluraner ihr Lager auf. Rasch wurden die ersten größeren Lagerfeuer entfacht, um gefährliche Tiere von ihnen fernzuhalten. An diesem Abend saßen die Belluraner am Lagerfeuer und schauten zum Teil ziemlich müde die Flammen. Einige Xendavas kümmerten sich dabei um das Abendessen, die sie über mehreren Feuern zubereiteten. In der Zwischenzeit ließ der Anführer der Xendavas Wein ausschenken. Tabrun und Simdu saßen gemeinsam mit Pelto zusammen an einem der Lagerfeuer, an dem auch Sejloš Mūnax und Kēloš Surgan saßen. Mithilfe des Aldoraners unterhielten sich die Männer angeregt, der die ganze Zeit über dolmetschte. Mandrak saß still neben den anderen am Lagerfeuer und hing seinen eigenen Gedanken nach, während er genüsslich sein Essen verzehrte.

Gūrads jüngster Sohn dachte darüber nach, was wohl passieren würde, wenn Tabrun und er zusammen mit der Saat nach Hause kämen. Er war sich nicht sicher, ob ihr Vater nicht sehr wütend über seine beiden Söhne sein würde, die es gewagt hatten, gegen seinen Willen die Farm zu verlassen, um zum Brondus-Damrajd zu reisen und dort nach den Larunos zu suchen. Er hoffte, dass zu Hause alles soweit in Ordnung war und sie die lange Reise nicht umsonst gemacht hatten. Wir wären niemals zusammen aufgebrochen, wenn Vater nicht so gegen die Bewässerungsanlage gewesen wäre!, dachte er betrübt, Irgendwie hatte er uns ja keine andere Wahl gelassen! Tabrun und ich taten doch nur, was wir letztendlich tun mussten!, dachte er weiter, Wie sollen wir sonst denn die Farm retten, wenn nicht so!

Nach einiger Zeit berührte ihn etwas an der Seite. Mandrak wandte sich um und sah nach unten. Neben ihm stand ein Kundo mit orangefarbenen Augen, das den jungen Ulani ansah. Zwischen seinen beiden Vorderläufen hielt es eine kleine angeknabberte Vukuva. Das Tier gab einen zufriedenen Laut von sich. Unwillkürlich musste der Hellbraunhaarige lächeln. Seinen buschigen Steert hielt das Tier aufrecht und nagte an der Frucht. Seine großen Ohren hatte Ogon etwas angelegt, damit  der hellbraunhaarige Ulani ihn streicheln konnte. Vorsichtig begann Mandrak das kleine Nagetier mit dem Halsband zu streicheln, das auch sofort zu schnurren anfing und dabei den letzten Rest seiner Vukuva fraß. Das dichte Fell glänzte seidig im Schein des Feuers. Die Gespräche am Lagerfeuer verstummten sofort, nachdem Dilāras Kundo neben Tabruns Bruder aufgetaucht war. Belustigt sahen die Männer dabei zu, wie das kleine Tier mit den orangefarbenen Augen seelenruhig in ihrer Gegenwart die Vukuva weiter fraß. Besonders amüsiert waren die Blicke von Surgan und Mūnax, die genau wussten, dass gleich die Eigentümerin des kleinen Nagtieres auftauchen würde, um den Kundo sofort wieder laut schimpfend mitzunehmen.

„Ogon!”, rief jemand und kam sofort mit raschen Schritten auf den jungen Ulani zugeeilt, hinter dem sich der kleine Kundo mit den traurigen Resten seiner Beute zu verstecken versuchte. Surgan und Mūnax fingen an zu grinsen, als der kleine Nager von seiner Mahlzeit aufschreckte und sich sofort nach einer geeigneten Versteckmöglichkeit umschaute. Als Dilāra direkt neben Mandrak stand, ging sie sofort neben dem Hellbraunhaarigen in die Hocke und griff nach dem Halsband des Tieres. Ogon gab einen protestierenden Laut von sich und legte seine langen großen Ohren an, als die junge Xendava den kleinen Kundo hochnahm. Als sie sich wieder aufrichtete, hielt sie Ogon fest in ihrem Armen. Aufmerksam blickte sie in die Runde, als ihr Blick bei Mandrak hängenblieb, begann sie zu lächeln.

„Vukuva geklaut haben Ogon.”, sagte sie im gebrochenem Ulanisch, „Böse Ogon sein.” Die Anwesenden grinsten amüsiert. „Ich kenne mich zwar nicht besonders gut mit Kundos aus, obwohl wir zu Hause selbst welche haben, aber Futter geklaut haben sie bei uns nie.”, meinte Mandrak belustigt und stand auf, während er fortfuhr, „Bei uns haben sie immer genug zu Fressen gehabt.” Fragend blickte Temkas Tochter in die Runde der Anwesenden. Rasch übersetzte Simdu dem Aldoraner, was Mandrak zu Dilāra gesagt hatte und dieser übersetzte es ins Oskonische. Dilāra hörte Pelto wortlos zu, während sie Ogon weiterhin streichelte. Als Pelto geendet hatte, sah die Braunhaarige von Gōlad zu Tabruns Bruder. „Ein Kundo Ogon ist.”, sagte sie im gebrochenem Ulanisch, „Aber Futter trotzdem nicht klauen darf.” „Aber Ogon ist ein Kundo.”, warf Tabrun ein, „Kundos sammeln Nahrung für schlechte Zeiten. Das ist ihre Natur, auch wenn sie zahm sind. Sie wissen nicht, dass sie klauen, wenn sie etwas Fressbares entdecken. Sie sehen nur, dass es Nahrung ist, die sie sich dann holen müssen, wenn sie entweder Hunger haben oder für schlechte Zeiten einen Vorrat anlegen wollen.” Aufmerksam lauschte Dilāra der Übersetzung von Pelto. „Aber ich habe Ogon selbst aufgezogen.”, erwiderte Kelūrus Tochter mit ernster Miene auf Oskonisch, wobei sie das kleine Nagetier weiterhin liebevoll streichelte, „Ich habe ihm doch selbst beigebracht, dass er das nicht tun darf.” Der Aldoraner übersetzte rasch. „Aber trotzdem wird er immer wieder Nahrhaftes stibitzen.”, antwortete Mandrak, der zuerst wieder von Simdu und dieser von Pelto übersetzt wurde, „Ein Kundo kann zwar sehr viel von einem Belluraner lernen, aber seine Natur kann Ogon niemals ablegen. Der wird immer wieder etwas zu Fressen holen, ob er darf oder nicht.” „Dann noch viel lernen Ogon muss.”, meinte Dilāra wieder im gebrochenem Ulanisch, wobei sie ein wenig schmunzeln musste, „Sonst immer wieder er das tun.” Dann wandte sie sich um und ging mit dem zufrieden schnurrenden Kundo davon.

Mandrak sah der braunhaarigen Xendava nach, die wenig später zwischen den Zelten verschwand. Er war sich nicht sicher, ob er ihr hinter gehen sollte oder nicht. „Du weißt nicht, ob du ihr folgen sollst oder nicht, stimmt’s?”, sagte Tabrun, der unbemerkt aufgestanden und zu seinem Bruder getreten war. Der Hellbraunhaarige nickte wortlos. Gūrads ältester Sohn gab einen Seufzer von sich und legte dabei seine Hand tröstend auf dessen Schulter. Mandrak wandte sich zu Tabrun um und sah in dessen Augen. „Es ist schwer, wenn man nicht weiß, wann der geeignete Moment da ist, um das Richtige zu tun.”, gab Mandrak zu, „Am schwierigsten ist es, wenn man nicht die gleiche Zunge spricht.” „Aber sie hat schon recht viel von dir gelernt, was unsere Zunge anbelangt.”, konstatierte Tabrun anerkennend, „Das spricht auch schon für sich. Sie ist eine sehr intelligente Frau.” Der Hellbraunhaarige nickte. „Ja, das ist sie.”, antwortete er mit einer sehr nachdenklichen Miene, „Sie ist nicht nur sehr schön, sondern auch sehr klug.” „Und sie mag dich, mein kleiner Bruder.”, fügte Tabrun mit ein wenig Bewunderung in seiner Stimme hinzu, „Deshalb versucht sie auch so schnell wie möglich, unsere Zunge zu lernen.” „Und ich versuche schon die ganze Zeit über ihre Zunge zu lernen.”, gestand Mandrak, „Seit dem ich Dilāra das allererste Mal sah, hatte sie mir gefallen.” Tabrun nickte. „Das kann ich gut verstehen.”, erwiderte er, „Sie ist bestimmt eine fabelhafte Frau. Ihr würdet gut zusammenpassen.” „Aber Dilāra ist die Tochter des Anführers der Xendavas.”, meinte Mandrak, „Die Götter werden es niemals zulassen.” „Woher willst du das wissen?”, fragte der älteste Sohn Gūrads, „Vielleicht gelten bei den Xendavas etwas andere Gesetze, die das doch ermöglichen. Sprich doch mal mit ihrem Vater. Ich bin mir sicher, dass Pelto und Simdu dir dabei sehr gern dolmetschen werden.” Mandrak warf einen kurzen Blick über seine Schulter zum Lagerfeuer zurück, wo Arankas Mann und auch der Aldoraner mit den Xendavas in einige Gespräche vertieft waren. Dann sah er wieder Tabrun an. „Ich weiß nicht so recht.”, gestand er unsicher, „Eine Bindung zwischen Dilāra und mir wäre doch bestimmt nicht standesgemäß.” „Du solltest es trotzdem mal versuchen.”, meinte Tabrun, „Mehr als es ablehnen kann ihr Vater das auch nicht.” Nachdenklich blickte Mandrak wieder in jene Richtung, in der Dilāra mit Ogon auf dem Arm davongegangen war. Er seufzte. „Ansonsten kann ich dir auch nicht mehr weiterhelfen.”, fügte Tabrun mit ruhiger Stimme hinzu und klopfte dabei seinem jüngsten Bruder mit der flachen Hand auf dessen Schulter, „Letztendlich musst du die endgültige Entscheidung allein treffen. Ich kann dir nur Ratschläge geben. Ob du sie befolgen willst, musst du wissen.” Während Mandrak weiterhin in jene Richtung blickte, in der Kelūrus Tochter davongegangen war, setzte Tabrun sich wieder zu den anderen ans Feuer. Seufzend nahm Gūrads jüngster Sohn ebenfalls wieder am Lagerfeuer Platz. Gedankenverloren begann er in die Flammen zu blicken.

Die Belluraner schliefen bereits tief und fest in ihren Zelten, als eine kleine Gestalt lautlos durch das Lager huschte. Immer wieder blieb sie stehen und reckte schnuppernd ihre feine Nase hoch. Dabei richtete das kleine Geschöpf die Schnurrbarthaare auf, die von der Schnauze weit abstanden. Aufmerksam lauschte es mit den aufgerichteten langen Ohren in die Stille der Nacht. Rasch setzte das Nagetier mit den orangefarbenen Augen seinen Weg fort, bis es das Gästezelt erreichte. Wenig später verschwand es darin.

Im Zelt blieb Ogon direkt vor dem Ausgang stehen. Aufmerksam reckte das kleine Geschöpf seinen Körper empor und lauschte wieder mit seinen großen Ohren, die es hoch aufgerichtet hatte. Deutlich hörte das kleine Nagetier das gleichmäßige Atmen der Belluraner auf ihren Nachtlagern. Lautlos schlich sich Ogon an die Schlafenden heran, bis er Mandrak erreichte. Die feinen Schnurrbarthaare zitterten leicht, als Ogon sich aufrichtete und schnupperte. Wenig später kletterte er schnurrend zu Tabruns Bruder auf die Pritsche und kuschelte sich eng an den jungen Ulani. Kurz darauf war der Kundo schnurrend eingeschlafen.

Als Tabruns Bruder am nächsten Morgen aufwachte, vernahm er das zufriedene Schnurren Ogons, der sich unter seinem Arm eng an ihn geschmiegt hatte. Mandrak sah das Tier mit den großen orangefarbenen Augen an, das seinen Blick gelassen erwiderte. Unwillkürlich musste er schmunzeln, als er Ogon sah, der immer noch schnurrte. „Oh, sieh mal einer an.”, sagte Simdu amüsiert, der ebenfalls gerade aus dem Schlaf aufgewacht war, „Du hast ja nächtlichen Besuch bekommen.” „Oh Brüderchen.”, meinte Tabrun ebenfalls grinsend, als er aufstand, „Ich hoffe, Dilāra weiß, dass du ihr Schmusetier ausgeliehen hast.” „Ausgeliehen ist gut.”, erwiderte Mandrak trocken und stand ebenfalls auf, „Das kleine Kerlchen muss ihr irgendwann in der Nacht ausgebüxt sein und sich in unser Zelt geschlichen haben. Ich habe davon nichts mitbekommen, da ich tief und fest geschlafen habe.” „Das hätte ich jetzt auch gesagt.”, antwortete Tabrun belustigt, „Wenn ihr beiden heiraten wollt, und ich meine damit nicht Dilāra und dich, sondern Ogon und dich, dann lass es mich bitte vorher wissen, damit ich noch so rasch wie möglich flüchten kann. Allerdings frage ich mich, wie du das Dilāra beibringen willst.” Simdu und Tabrun begannen zu lachen. Mandrak erwiderte nichts. Er verdrehte nur die Augen, denn er wusste, dass sein Bruder ihn damit noch eine Zeit lang aufziehen würde. Rasch schob jemand die Plane beiseite und Pelto trat mit forschen Schritten ins Zelt. Er nickte den drei Ulani zur Begrüßung kurz zu. Dann berichtete er von den Neuigkeiten, die er von den Xendavas erfahren hatte.

Abschlusshinweise zum Kapitel:

keine

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