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„Heißt das etwa, dass die Xendavas bereits auf den Befehl ihres Anführers angefangen haben, Saatgut von den Larunos zu sammeln?”, vergewisserte sich Tabrun bei Simdu, nachdem er den Bericht des Aldoraners übersetzt hatte. Arankas Mann gab die Frage an Pelto weiter. Dieser nickte. „Ja.”, sagte er in einem Sprachgemisch aus Aldoranisch und gebrochenem Ulanisch, „Er hatte sie in kleine Gruppen einteilen lassen, die nun schon seit Sonnenaufgang den anliegenden Wald durchstreifen und fleißig sammeln.” „Tja, dann schlage ich vor, dass wir uns gleich mal an die Arbeit machen und uns zu ihnen gesellen.”, meinte Mandrak, „Je früher wir anfangen, desto eher sind wir fertig.” „Und können anschließend so schnell wie möglich wieder nach Hause zurückkehren.”, fügte Tabrun hinzu, wobei er die Anwesenden nacheinander ansah, „Dann mal los.”

Kaum hatten sie das Gästezelt verlassen, begannen sich die vier Männer unter die Xendavas zu mischen. Nach und nach drangen die Belluraner immer weiter in den dichten Wald vor und sammelten alles an Saat ein, was sie finden konnten. Der Vormittag war rasch vergangen, als Mandūri eine Pause anordnete. Mit vollen Taschen und Körben kehrten die Belluraner aus dem dichten Wald ins Lager zurück, wo sie das Saatgut sorgfältig in der Mitte des Platzes abstellten. „Ich hätte nicht gedacht, dass sich soviel ansammelt, wenn alle mitmachen.”, japste Simdu, er sichtlich aus der Puste war, „Unsere Xendava-Freunde sind nicht nur fleißig, sondern auch ganz schön flink.” Tabrun und Mandrak pflichteten Jakodos bei, der sich gerade mit dem Unterarm den Schweiß von seiner Stirn abwischte. In diesem Augenblick trat Kelūru zu den drei Ulani und dem Aldoraner.

„Ich hoffe, die Menge reicht euch, edle Freunde.”, sagte er und lächelte freundlich, „Wenn nicht, dann werde ich noch mal meine Leute ausschicken, um weiteres Saatgut zu sammeln.” Rasch begann Pelto zu übersetzen. Arankas Mann wandte sich mit einem fragenden Blick zu Tabrun und Mandrak um. „Kelūru möchte wissen, ob euch die Menge an Larunos-Saatgut reicht oder nicht.”, sagte er zu Gūrads Söhnen, „Ansonsten will er noch mal seine Leute ausschicken, damit sie noch weitersammeln.” Unsicher sahen sich Tabrun und Mandrak an. Beide traten näher an das gesammelte Saatgut heran und umrundeten den Stapel von Taschen und Körben. „Was meinst du, Bruder?”, sagte der Schwarzhaarige, „Reicht uns die Menge?” Der Hellbraunhaarige zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht.”, gab Mandrak zu, „Ich kann sowas nicht abschätzen.” „Denkt daran, dass ihr einiges davon auch als Zahlungsmittel auf der Rückreise benutzen müsst.”, gab Simdu zu Bedenken, „An den Grenzen kann es durchaus passieren, dass die Zöllner einiges davon behalten werden.” „Dann sollten wir auf jeden Fall noch mehr einsammeln, wenn es geht.”, entschied Tabrun, „Ich möchte nicht, dass wir irgendwo festsitzen, nur weil wir nichts bezahlen können.” Sofort übersetzte Simdu Tabruns Entscheidung ins Aldoranische und Pelto übersetzte es sofort ins Oskonische. Aufmerksam hörte Mandūri zu. Als der Aldoraner geendet hatte, nickte dieser und ging mit raschen Schritten davon, während er seinen Leuten weitere Anweisungen erteilte.

Sofort machten sich die Belluraner ans Werk. Auch die drei Ulani und der Aldoraner halfen wieder beim Einsammeln der Larunos-Samen. Dabei drangen die Belluraner immer tiefer in den dichten Wald vor. Je tiefer sie in den Wald vordrangen, umso deutlicher konnten sie das Rauschen eines Wasserfalls hören. Niemand von ihnen achtete während ihrer Arbeit darauf, während sie dabei dem tosenden Fluss immer näher kamen. Tabrun hatte sich wieder einer kleinen Xendavas-Gruppe angeschlossen, die hauptsächlich aus jungen Kriegern bestand. Simdu hatte sich wie Pelto währenddessen einer gemischten Gruppe angeschlossen, die vorwiegend aus jungen Frauen und jungen Männern bestand. Mandrak dagegen schloss sich keiner Gruppe an. Stattdessen half er bei jeder Gruppe, auf der er während des Sammelns traf. Dabei tauschte er mit ihnen immer wieder seine vollen Taschen gegen leere aus. Nach einiger Zeit wurde der dichte Wald wieder etwas lichter und die Belluraner erreichten nach einiger Zeit den Waldrand. Die ersten Xendavas traten aus dem schützenden Wald ins Freie. Kurz darauf folgten auch schon die drei Ulani und der Aldoraner. Vor ihnen sahen sie eine Gras bewachsene Landschaft und in einiger Entfernung war ein Abgrund zu erkennen, von dem sie deutlich das Getöse des Wasserfalls hörten. An einige Stellen ragten vereinzelte Felsen aus dem Boden, die schon stark verwittert waren.

Mandrak ließ seine beiden Taschen auf den Boden sinken, als er fasziniert die Landschaft betrachtete. Hinter ihm begann es im Unterholz zu rascheln. Der Hellbraunhaarige warf einen kurzen Blick nach hinten und sah, wie in diesem Augenblick Dilāra aus dem Dickicht ins Freie trat. Sie begann sofort zu lächeln, als sie Gūrads jüngsten Sohn erblickte. Rasch ließ sie ihre schweren Taschen von ihren Schultern gleiten. „Hier sehr schön das ist.”, sagte sie im gebrochenem Ulanisch zu Mandrak. Dieser nickte. „Tawažu.”, antwortete er auf Xendavu mit starken Akzent, „Mekk ōlaj rūšlom lējnoš panangol.” Sofort schmiegte sich die Braunhaarige an Mandrak. Gemeinsam betrachteten sie schweigend jene Landschaft, die sich vor ihnen erstreckte.

Nur wenige Augenblicke später löste sie sich von dem Hellbraunhaarigen und schritt auf einen kleinen Felsen zu. Dort angekommen ging die junge Xendava in die Hocke und begann etwas auf dem Boden genauer anzusehen. Neugierig trat Mandrak zu Dilāra und blickte nun auf dieselbe Stelle herab, die Kelūrus Tochter gerade in Augenschein genommen hatte. Gūrads jüngster Sohn sah, weshalb sich der Ausdruck im Gesicht von Mandūris Tochter sehr ernst wurde. Langsam richtete sie sich wieder auf und blickte sich aufmerksam nach allen Seiten um. Dann sah sie Mandrak an. Sie hatten eine Fährte entdeckt. Es waren die Fußspuren mehrerer ausgewachsenen Xularis. Dann hörten sie bereits laute Warnschreie von einigen Xendavas. Sofort rannten Dilāra und Mandrak in jene Richtung los, aus der sie die Warnrufe gehört hatten.

Tabrun fluchte laut, als er vor einem Xulari stand, der ihn böse anfauchte. Vor dem schwarzhaarigen Ulani richtete sich die Raubechse zu ihrer vollen Größe auf. Hinter dem Xulari waren drei weitere, die Tabrun erst in diesem Moment erblickte. Jetzt bin ich erledigt!, dachte er, als er sah, wie sich die Raubechse zum Sprung bereitmachte. Mit weit aufgerissenem Maul schnellte das Tier auf dem jungen Schwarzhaarigen zu. Instinktiv riss Tabrun einen Stock hoch, den er gerade in seiner Hand hielt. Es knackte, als die Kiefer den Ast zu fassen bekam und zermahlte ihn mühelos mit seinem scharfen Zähnen, währenddessen das Raubtier direkt vor Tabrun stand. Unwillkürlich musste der Ulani schlucken, als er sah, wie der traurige Rest des Stock zu Boden rieselte. Dabei sah ihn der Xulari mit seinen giftgrünen Augen an.

Vorsichtig trat der Farmersohn einen kleinen Schritt zurück, während die Raubechse ihn immer noch aufmerksam beobachtete. Erneut riss sie wieder ihr Maul auf und gab ein weiteres bedrohliches Fauchen von sich. Deutlich konnte Tabrun die zahlreichen Zähne erkennen, die wie unzählige Dolche aus den Kiefern ragten. Er machte einen kleinen Schritt rückwärts. Rasch warf Tabrun einen kurzen Blick nach hinten, bevor er den nächsten Schritt nach hinten machte. Gūrads ältester Sohn wusste, dass er jetzt keinen Fehler machen durfte, wenn er diese Begegnung irgendwie überleben wollte. Inzwischen hatten mehrere Belluraner die Xularis entdeckt und eilten so schnell herbei, um dem schwarzhaarigen Ulani zu helfen, der in Lebensgefahr schwebte. „Tabrun!”, rief Mandrak entsetzt, als er sah, in welchen Schwierigkeiten sein Bruder steckte.

„Hier! Nimm das!”, rief Simdu und warf Tabrun ein Kurzschwert zu, das Mandraks Bruder geschickt auffing, „Und mach’ der verdammten Bestie den Garaus!” Tabrun fletschte entschlossen die Zähne. „Das mach’ ich doch glatt, wenn Mūruks Geschöpfe mich lassen.”, antwortete er und richtete die scharfe Klinge auf die Brust des Tieres. „Komm schon, du Biest!”, knurrte der schwarzhaarige Ulani, „Komm und lass dich von mir ins Jenseits befördern und dann kannst du zu deinem Herrn zurückkehren.” Die Raubechse richtete sich zu ihrer vollen Größe auf und fauchte abermals. Mit ihren krallebewehrten Klauen versuchte sie nach Tabrun zu greifen, doch dieser sprang schnell einen kleinen Sprung nach hinten. Er fluchte leise, als er hinter sich einen kleinen Felsen spürte, der etwas größer war als der Schwarzhaarige. Entschlossen griff das Raubtier an.

Inzwischen hatten die restlichen Belluraner die anderen Xularis angegriffen, um sie von Tabrun abzulenken. Aber aus dem Wald tauchten weitere Xularis auf. Als Kelūru das bemerkte, rief er seinen Leuten weitere Befehle zu, die von den Xendavas sofort ausgeführt wurden. Sofort teilten sie sich in kleinere Gruppen auf.

Der Xulari stieß einen markerschütternden Schrei aus, als Tabruns Kurzschwert sich in die Brust des Tieres bohrte. Sofort drehte Tabrun knurrend die Klinge in der blutenden Wunde herum. Bei jeder Bewegung wurde der Schrei des Xularis lauter. „Das hast du nun davon.”, sagte Gūrads ältester Sohn zornig, „Hat dir denn noch keiner beigebracht, dass ich generell nicht auf deinem Speiseplan stehe?” Zitternd torkelte die Raubechse langsam zurück. Sofort setzte der junge Ulani nach, ohne den Griff des Schwertes loszulassen. Kraftvoll versuchte Tabrun die Waffe zuerst nach unten und anschließend nach oben zu ziehen, wobei er das schmatzende Geräusch ignorierte. Der Schrei des Xularis war ohrenbetäubend, als der Ulani die Klinge in der Wunde bewegte. Blut quoll aus der Wunde und tropfte auf den Boden. Tabrun zog das Schwert heraus. Die Echse schaute an sich herunter und starrte mit ihren giftgrünen Augen auf die klaffende Wunde, die stark blutete. Der Xulari gab einen undefinierbaren Laut von sich, als das Tier wieder den schwarzhaarigen Ulani ansah. Dann brach das Geschöpf zusammen und blieb zitternd und röchelnd liegen. Ohne den verletzten Xulari weiter zu beachten, schritt Tabrun davon.

Auf einem kleinen Felsvorsprung kämpfte Mandrak mit einem Schwert in der Hand, das ihm Sejloš Mūnax gegeben hatte, gleichzeitig gegen zwei Xularis. Gūrads jüngster Sohn saß in der Falle, denn er stand sehr nah an einem Abgrund. Tabrun war entsetzt, als er die Gefahr erkannte, in der Mandrak schwebte und rannte, so schnell er konnte, seinem Bruder zu Hilfe. Die beiden Xularis näherten sich ihm unaufhaltsam. Immer wieder schnappten sie nach den Ulani, der sie mit einem Schwert von sich fernzuhalten versuchte. Die Klinge glänzte jedes Mal im Sonnenlicht, wenn der Hellbraunhaarige die Angriffe der beiden Tiere abwehrte. Als Tabrun entschlossen laut brüllend auf die beiden Xularis zustürmte, wandte sich der kleinere der beiden Tiere zu Tabrun um und fauchte wütend. In gleichen Moment griff ein weiterer Xulari von der Seite her Mandrak an.

Bevor er noch reagieren konnte, wurde Tabruns jüngster Bruder von den Füßen gerissen. Die scharfen Krallen bohrten sich in Mandraks Körper, währenddessen sich sein Schwert in den Bauch der großen Raubechse bohrte. Das Gewicht des Tieres trieb ihm die Luft aus den Lungen. Schmerz breitete sich explosionsartig in seinem Körper aus. Er stöhnte vor Schmerzen. Dann krachte es laut und der Boden, der schon kurz vorher unter Mandrak und seinem Gegner bereits Risse bekommen hatte, gab nach. Der Xulari, der auf ihm stand, verlor das Gleichgewicht. Zusammen stürzten sie in die Tiefe und verschwanden in den tosenden Fluten des Flusses.

Sowohl Tabrun als auch Dilāra, die gerade auf einen kleineren Felsen stehend einen Xulari niedergestreckt hatte, stießen einen Schrei des Entsetzen aus, als sie hilflos mit ansehen mussten, wie Mandrak zusammen mit der Bestie auf ihn aus ihrem Blickfeld verschwanden. In kürzester Zeit gelang es Tabrun, den kleineren Xulari sofort zu töten, während Kelūrus Tochter ihm half, anschließend der dritten Raubechse den Garaus zu machen. Als der Xulari röchelnd und blutend im Gras lag, wandten sich bereits die beiden dem Abgrund zu. Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen, als sie weit und breit keine Spur von Mandrak in den Fluten entdecken konnten. Er war verschwunden. Ebenso der Xulari. Nur ein paar blaue Blutspuren an der Felswand zeugten von einer Tragödie, die sich hier gerade ereignet hatte.

Laut riefen sie gemeinsam nach dem Hellbraunhaarigen, ohne eine Antwort von Mandrak zu erhalten. Nur ihre Rufe wurden von den Felswänden zurückgeworfen, währenddessen der Fluss weiterhin unter ihnen toste. Verzweifelt sahen Tabrun und Dilāra in allen Richtungen. Beide hofften, dass Mandrak sich irgendwo an den Felsen festkrallen konnte und nun auf ihre Hilfe wartete. Doch ihre Hoffnungen erfüllten sich nicht. Mandrak blieb verschwunden.

Inzwischen hatte der Kampf zwischen den Xularis und den Belluranern ein Ende gefunden. Es waren nicht mehr viele von den Raubechsen übrig geblieben, die rasch flohen, nachdem sie begriffen hatten, dass es hier nichts zu holen gab. Die Xendavas stießen ein Siegesgeheul aus, das noch sehr weit zu hören war. Nachdem die Siegesschreie verstummt waren, hörten sie die verzweifelten Rufe von Tabrun und Dilāra, die immer noch am Abgrund standen.

Rasch eilten die ersten zu ihnen und fragten was passiert sei. Mandūri war als erster bei seiner Tochter, die sofort detailliert erzählte, was passiert war, während Tabrun erneut nach seinem Bruder rief. Zusammen mit Kejtar blickte er ebenfalls in die Schlucht, wo die gewaltigen Wassermassen laut tosend in die Richtung des Wasserfalls strömten. Einige mussten unwillkürlich schlucken, als sie in die Tiefe sahen.

„Bei allen Göttern!”, meinte er zu Sāmoš, „Den werden wir da nie finden.” Kejtar nickte wortlos. „Die Strömung hat ihn fortgerissen, mein Gebieter.”, konstatierte er, „Ich glaube nicht, dass er sich da irgendwo festhalten konnte.” Der Anführer der Xendavas blickte erneut in den tiefen Abgrund. Sein Blick folgte dem reißenden Fluss, bis dieser hinter einer kleinen Biegung verschwand.

„Die Strömung ist sehr stark und das Gelände ist sehr unübersichtlich.”, meinte Mandūri nachdenklich, „Ich frage mich, ob eine Suche nach dem jungen Ulani da unten noch Sinn macht. Wenn die Strömung ihn nicht mitgerissen hat, dann ist er inzwischen höchstwahrscheinlich schon ertrunken und sein Körper liegt vermutlich auf dem Grund.” „Aber wir müssen ihn suchen!”, sagte Dilāra mit Nachdruck in der Stimme, die sich nicht vorstellen konnte, das Mandrak tot sein könnte, „Er lebt bestimmt noch und hat sich an einen der zahlreichen Felsen im Fluss geklammert. Wir dürfen ihn nicht im Stich lassen. Mandrak ist irgendwo da unten und hofft nun auf seine Rettung. Irgendeiner von uns muss da runter.” Tabrun sagte etwas auf Ulanisch was sofort von Simdu ins Aldoranische übersetzt wurde und Pelto es wiederum ins Oskonische übersetzte. Nachdenklich sah er Gūrads ältesten Sohn an.

„Das ist keine schlechte Idee.”, meinte der Anführer mit ernster Miene, „Die Frage ist nur, wer das machen soll. Immerhin ist das nicht ungefährlich auf einem Kojn-Kojn da runterzufliegen und nach Mandrak zu suchen.” „Ich werde selbst da runterfliegen.”, antwortete Tabrun fest entschlossen, „Es ist mein Bruder, der da unten ist und Hilfe braucht. Auf keinen Fall werde ich ihn im Stich lassen.” Simdu trat auf den Schwarzhaarigen zu und sah ihn ernst an. „Bist du dir sicher, dass du das tun willst?”, wollte er wissen, „Das ist sehr gefährlich. Du riskierst dein Leben. Dein Kojn-Kojn braucht nur einmal durch irgendetwas in Panik geraten, dann kann dir keiner von uns helfen.” „Ich muss, Simdu.”, insistierte Tabrun in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete, „Ich habe keine andere Wahl. Es ist mein Bruder und ich werde ihn da rausholen. Egal wie.” Rasch übersetzte es Arankas Mann in Peltos Muttersprache und der Aldoraner übersetzte es weiter ins Oskonische. Gebannt hörten die Xendavas zu.

„Dann wollen wir keine Zeit mehr verlieren.”, entschied Kelūru und erteilte sofort seinen Leuten die Anweisung, so schnell wie möglich ein paar Kojn-Kojns zu holen. Rasch machten sich einige der Xendavas auf den Weg ins Lager und kehrten später mit einigen Kojn-Kojns zurück. Mandūri befahl einigen der Männer abzusetzen, die sofort gehorchten. Kelūru zeigte mit der Hand auf eines der Kojn-Kojns, das Tabrun für seine Rettungsaktion nehmen sollte. Kaum saß der schwarzhaarige Ulani im Sattel, befahl der Anführer seinen besten Reitern ebenfalls auszusetzen. Sofort gaben sie den Tieren die Sporen und mit ausgebreiteten Schwingen hoben die Kojn-Kojns vom Boden ab. Wortlos sahen die restlichen Belluraner Tabrun und den Anderen hinterher, die sofort mit waghalsigen Flugmanövern das nähere Gebiet in der Schlucht in Augenschein nahmen. Besonders Dilāra beobachtete die Belluraner, die auf den Kojn-Kojns nach Mandrak suchten. Immer wieder riefen sie nach dem Hellbraunhaarigen, ohne eine Antwort zu erhalten. Er blieb verschwunden.

Mit einem sorgenvollen Blick wandte sich Dilāra zu einen der Männer um, der sie gerade angesprochen hatte. An seiner Hand hielt er die Zügel eines braun-schwarzweiß gescheckten Kojn-Kojns. Er lächelte entschuldigend, als er ihr die Zügel reichte. „Ich war eben im Lager und habe für Euch ein Kojn-Kojn geholt, damit Ihr Euch an der Suche beteiligen könnt, Herrin.”, sagte er mit seiner rauen Stimme, während er eine kurze Verbeugung vor ihr machte. Entschlossen nahm sie die Zügel an die Hand und trat neben das Reittier, das sofort bereitwillig seine Flügel ausbreitete. Rasch schwang sich Mandūris Tochter in den Sattel. Das Kojn-Kojn gab ein zufriedenes Schnauben von sich und schabte mit seinen beiden Vorderläufen auf den Boden. „Vielen Dank.”, sagte sie kurz und gab ihrem Reittier die Sporen. Wenig später flog sie bereits zu den anderen hin und suchte nun ebenfalls nach Mandrak.

Viele Stunden lang suchten sie gemeinsam nach Tabruns Bruder, der weiterhin verschollen blieb. Nach Einbruch der Dunkelheit kehrten die Belluraner auf ihren Reittieren zurück. Kelūru trat mit raschen Schritten auf Tabrun zu und blickte in seine Augen. Der Ulani brauchte nicht zu fragen, denn er sah schon im Blick des Anführers der Xendavas, dass sie seinen Bruder nicht gefunden hatten. Gūrads ältester Sohn nickte nur und ging mit hängenden Schultern davon. Pelto und Simdu folgten dem Schwarzhaarigen.

„Werden wir Morgen weitersuchen, mein Gebieter?”, wollte Kejtar wissen, der neben Kelūru stand. Dilāras Vater gab einen leisen Seufzer von sich. „Ich weiß es nicht.”, antwortete er, „Die Wahrscheinlichkeit ist mittlerweile sehr gering, dass wir ihn noch retten können. Falls er den Sturz in den Fluss überlebt haben sollte, dann wurde er durch die Strömung bereits soweit von uns weggetrieben, dass wir ihn hier nicht mehr finden werden. Leider ist es inzwischen auch schon viel zu dunkel geworden, um noch weitersuchen zu können. Deshalb ist es besser, dass wir ins Lager zurückkehren.” Kejtar nickte und machte eine tiefe Verbeugung. „Ich werde es sofort veranlassen, mein Gebieter.”, antwortete Sāmoš mit ausdrucksloser Miene. Dann machte er kehrt und stapfte davon. Laut erteilte er wenig später an alle Anwesenden die entsprechenden Befehle.

Sobald die Belluraner das Lager der Xendavas erreichten, zog sich Tabrun in das Gästezelt zurück. Er wollte niemanden sehen. Auch Hunger verspürte er keinen. Tabrun lag mit verschränkten Armen auf seinem provisorischen Nachtlager und dachte nach. Eine unbeschreibliche Leere erfüllte ihn und er konnte es immer noch nicht glauben, dass er Mandrak, seinen kleinen Bruder, niemals mehr wieder sehen sollte. Er hatte das Gefühl, als hätte jemand eine tonnenschwere Last auf ihn abgeladen, die er nicht tragen konnte. Sobald er die Augen schloss, sah er Mandrak vor sich. Wie konnte das nur passieren?, fragte er sich, Warum habe ich es zugelassen, dass er mitkommt? Deutlich hörte er den Hilfeschrei seines Bruders, der mit einem Xulari zusammen in den Abgrund stürzte. Tränen rannen über sein Gesicht. Tabrun weinte leise. Du hättest ihn davon abbringen müssen!, hämmerte eine Stimme erbarmungslos in seinem Kopf, Dein Vater wird dich dafür hassen, weil du deinen kleinen Bruder mitgenommen hast und jetzt einfach sterben ließ! Er zuckte zusammen, als zwei Gestalten wortlos das Zelt betraten. Es waren Simdu und Pelto. Der Aldoraner hielt zwei Amphoren Wein in seinen beiden Händen. Arankas Mann stellte einen vollen Bierkrug auf den kleinen Tisch ab und sah Gūrads ältesten Sohn mitfühlend an. Pelto öffnete die erste Weinamphore und reichte sie Tabrun. Sofort nahm der schwarzhaarige Ulani das Gefäß und begann gierig zu trinken. Wortlos und mit ausdrucksloser Miene sahen die beiden Männer zu.

Am späteren Abend betraten Kelūru und Kejtar das Gästezelt. Rasch erkannten sie, dass Tabrun inzwischen betrunken war, während Simdu und Pelto nüchtern waren. Fragend sah der Anführer den Aldoraner an, der nichts von dem, was Tabrun vor sich hinlallte, übersetzen konnte. „Am besten wäre es, wenn Ihr Eurem Freund nichts mehr zu trinken geben würdet.”, sagte Mandūri mitfühlend auf Xendavu, „Wenn er einen richtigen Brummschädel morgen früh hat, wird er wohl kaum in der Lage sein, sich an der Suche nach seinem Bruder zu beteiligen. Sorgt also dafür, dass er sich ausruht.” Nach diesen Worten verließen die Xendavas wieder das Zelt. Anschließend übersetzte Pelto dem blonden Ulani, was die Xendavas gesagt hatten. Simdu nickte. „Ja, der Ansicht bin ich auch.”, sagte er auf Aldoranisch zu dem alten Tegoš, „Wir sollten versuchen, ihn dazu zu bringen, dass er sich hinlegt und seinen Rausch ausschläft, damit er morgen wieder fit ist.” Als die beiden entschlossen aufstanden und auf Tabrun zugingen, blickte dieser ihnen nur mit glasigen Augen an, sagte aber nichts. Nachdem der blonde Ulani und der Aldoraner Tabrun dazu brachten, sich schlafen zu legen, verließen sie gemeinsam das Zelt und setzten sich zu den Xendavas ans Lagerfeuer.

„Nun?”, meinte der Anführer mit sorgenvoller Miene, „Wie geht es Eurem Gefährten?” „Er schläft inzwischen.”, antwortete Pelto, „Der Verlust seines Bruders hat ihn sehr mitgenommen.” Kelūru nickte verständnisvoll. „Das ist auch verständlich.”, erwiderte er, „So würde es wohl jedem ergehen, wenn er einen lieben Menschen verliert.”

„Werdet Ihr mit Euren Männern morgen früh weiter nach seinem Bruder suchen?”, fragte der Aldoraner. Mandūri zuckte unschlüssig mit den Schultern. „Ehrlich gesagt, frage ich mich nach dem Sinn.”, gestand er mit ernster Miene, „Einerseits könnte er wirklich noch am Leben sein, denn seine Leiche haben wir bisher nicht finden können. Das Problem aber ist die starke Strömung des Flusses, die ihn bereits sonst wohin getrieben haben kann. Außerdem ist da auch noch der Xulari, mit dem er in die Tiefe stürzte. Was ist, wenn zwar beide überlebt haben, aber der Xulari es irgendwie geschafft hat, ihn zu töten? Dann würden wir ihn vermutlich ebenso wenig finden können, wie jetzt.” „Aber es ist auch nicht ausgeschlossen, dass er überlebt hat, während Mūruks Geschöpf im Wasser ertrank.”, gab Pelto zu Bedenken, „Die Frage ist nur, wie hoch sind die Chancen für Mandrak, dass er überlebt hat?” „Ich denke, wir werden morgen früh die Suche fortsetzen.”, entschied Kelūru, „Auch wenn Euer Freund nicht fit sein sollte, nachdem er heute Abend in unserem Wein Vergessen gesucht hat.” Gōlad nickte. „Ihr seid ein weiser Mann, edler Kelūru.”, meinte der Aldoraner, „Mein Arbeitsherr wird es Euch nie verdenken.”

Am nächsten Morgen machten sich die Belluraner wieder auf die Suche nach dem verschollenen Mandrak. Doch an diesem Morgen war das Wetter dafür nicht sonderlich geeignet, denn über dem Fluss in der Schlucht hing sehr dichter Nebel. Selbst im Lager konnte keiner die eigene Hand vor Augen erkennen. Deshalb befahl der Anführer, die Suche für diesen Tag einzustellen. Diese Umstände hinderte Tabrun nicht daran, sich ein Kojn-Kojn nehmen und sich allein auf die Suche zu machen. Immer wieder gab das unruhige Tier Laute von sich, während er nach Mandrak rief. Oh Zātul und all Ihr anderen Götter!, flehte er verzweifelt in seinen Gedanken, Hilft mir meinem Bruder lebend zu finden! Als er die Schlucht erreichte, konnte er außer dem Getöse des Wassers gar nichts hören. Seine Rufe gingen im Rauschen der Flussschnellen unter. Ich werde alles tun, was Ihr von mir verlangt!, versprach er auf mentalem Wege den höheren Mächten, Aber habt Erbarmen mit Mandrak! Er ist doch noch viel zu jung zu Sterben!, betete er innerlich weiter, Oh Ihr Götter, lasst es nicht zu spät für meinen Bruder sein! Immer wieder flog er auf dem Kojn-Kojn über die Schlucht hinweg und rief verzweifelt nach seinem Bruder. Mehrmals streife das Kojn-Kojn einige Zweige, die aus den Felswänden ragten. Tabrun merkte, wie ihn rasch der Mut und auch die Hoffnung verließen. Er brauchte nicht sehr lange, um zu begreifen, dass er in diesem dichten Nebel keine Chance hatte, seinen Bruder zu finden. Niedergeschlagen und mit Tränen in den Augen kehrte er zu den anderen zurück.

Als er aus dem Sattel stieg, eilte auch schon Kejtar herbei und gab dem schwarzhaarigen Ulani ein Handzeichen, dass er ihm folgen sollte. Tabrun verstand zwar nicht, was Sāmoš ihm sagte, als er ihn zum Zelt des Anführers brachte, aber er folgte ihm. Gemeinsam betraten sie jenes Zelt, in dem Tabrun bereits von Mandūri erwartet wurde.

„Meine Männer haben mir berichtet, dass Ihr Euch allein mit einem Kojn-Kojn auf die Suche nach Eurem Bruder begeben habt und Ihr seid ohne ihn wieder zurückgekehrt, werter Freund.”, begann der Anführer der Xendavas, während Tabrun sich vor Kelūrus Vater tief verneigte, „Anscheinend haben die Götter entschieden, dass es für Euren Bruder Zeit war, ins Najangu heimzukehren.” Als Tabrun sich wieder aufrichtete sah er dabei Dilāras Vater direkt in die Augen. „Ja, edler Herr der Xendavas.”, antwortete der Ulani, der von Simdu und Pelto übersetzt wurde, „Zātul und alle anderen Götter haben sich entschieden, meinen Bruder zu sich zu holen.”

„Es ist immer schwer, die Entscheidungen der Götter zu akzeptieren, wenn es sich hierbei um jemanden handelt, der einem sehr viel bedeutet, den sie unerwartet zu sich rufen.”, bemerkte Mandūri mit nachdenklicher Miene, „Auch wenn es Euch schwerfällt, den Schmerz ertragen zu müssen. Aber Ihr müsst mit diesem Verlust leben. Ihr dürft Euch auf gar keinen Fall gegen den Willen der Götter auflehnen, damit sie Euch keine weiteren schweren Lasten aufbürden.” Tabrun nickte. „Ihr sprecht weise Worte, edler Herr der Xendavas.”, antwortete Gūrads ältester Sohn, „Trotzdem schmerzt mich der Verlust meines Bruders sehr.” Mitfühlend sah Kelūru den schwarzhaarigen Ulani an. „Ich verstehe Euren Schmerz.”, sagte er, „Mein Volk und ich teilen Euren Schmerz. Die Götter haben entschieden, Euren jungen Bruder zu sich ins Najangu zu holen. Damit ihn niemand mehr suchen kann, haben sie das gesamte Gebiet in Nebel gehüllt.” Einen kurzen Augenblick lang sah er Tabrun prüfend an. „Sobald sich dieser Nebel wieder gelichtet hat, bin ich sehr gern bereit, noch einmal meine Männer auf die Suche nach Eurem Bruder zu schicken, falls Ihr es wünscht.”, bot Mandūri dem jungen Ulani an, dessens Schmerz er deutlich in Tabruns Augen sehen konnte, „Und damit Ihr Euch an der Suche wieder beteiligen könnt, stellen wir Euch auch Kojn-Kojns zur Verfügung.” „Ihr seid zu gütig, edler Herr der Xendavas.”, antwortete Tabrun gerührt, „Eure großen Taten ehren Euch und Euer Volk.” Dilāras Vater begann zu lächeln, als er die Antwort von Simdu und Pelto übersetzt bekam.

Am nächsten Morgen war der Nebel wieder vollkommen verschwunden und die Belluraner machten sich erneut auf die Suche nach Mandrak. Auch Tabrun flog auf einem Kojn-Kojn. Zielsicher lenkte er das Reittier zur Schlucht. Neue Hoffnung hatte ihn erfüllt, als er beim Verlassen des Zeltes die Sonne am Morgenhimmel gesehen hatte. Er wusste, dass dies die letzte Chance war, seinen Bruder lebend zu finden. Hoffentlich hat die Strömung Mandrak nicht zu weit fortgetrieben!, dachte er, als er dicht über den Wassermassen hinweg flog, Es wäre schön, wenn ich ihn lebend finden könnte! Ein weiteres Mal schickte er innerlich ein Gebet an die Götter und er hoffte inständig, dass sie ihn erhörten. In regelmäßigen Abständen flogen die Belluraner die Schlucht entlang, ohne ein Lebenszeichen von Mandrak zu finden. Erst, als die Sonne bereits hinter dem Horizont verschwunden war, kehrten alle ins Lager zurück.

„Es ist hoffnungslos.”, meinte Simdu auf Aldoranisch zu Pelto, als er sich zu dem alten Tegoš ans Lagerfeuer setzte, „Keiner hat Mandrak finden können. Nicht einmal ein Fetzen von seiner Kleidung war zu finden. Anscheinend muss Tabrun allein nach Hause zurückkehren.” Gōlad nickte nachdenklich. „Ich habe auch nichts finden können.”, gestand der Aldoraner bedrückt, „Das Problem ist, dass die Xendavas mittlerweile auch nicht mehr daran glauben, dass der Bruder Eures Freundes noch lebt. Ich frage mich schon, wie lange Kelūru Mandūri noch weitersuchen lassen wird.” „Das habe ich mich auch schon gefragt.”, bekannte der blonde Ulani, „So, wie die Dinge momentan stehen, wird er die Suche vermutlich morgen für beendet erklären.” Pelto erwiderte nichts. Er starrte nur noch wortlos in die Flammen.

Am nächsten Morgen ließ Kelūru die Xendavas zusammen rufen. Als sie sich alle in der Mitte des Zeltlagers versammelt hatten, trat er aus dem seinigen und setzte sich auf einen Stuhl. Sein Blick war sehr ernst, als er seine Stimme erhob. „Wie alle wissen, stürzte Mandrak während des Kampfes gegen die Xularis in die Schlucht, die sich auf der anderen Seite dieses Waldes befindet.”, begann er mit fester Stimme, „Gemeinsam haben wir alle nach diesen mutigen jungen Mann gesucht. Aber die Götter ließen es nicht zu, dass wir ihn finden. Um uns die Suche zu erschweren, schickten sie uns sogar noch einen dichten Nebel, der es für uns unmöglich machte, überhaupt etwas zu finden. Trotzdem gab sein Bruder Tabrun nicht auf. Jeder von uns ist immer wieder auf einem Kojn-Kojn über die Schlucht und manche von uns auch in sie hinein geflogen, um ihn zu finden. Aber auch das hat nichts genützt. Es fehlt nach wie vor jede Spur von Mandrak. Anscheinend haben die Götter entschieden, dass Mandrak nicht mehr zu uns zurückkehren soll. Auf Grund dessen haben ich beschlossen, die Suche sofort zu beenden.” Dann sah er direkt zu Tabrun hinüber, der in der vordersten Reihe stand und sich die Ansprache von Simdu und Pelto übersetzen ließ. „Es tut mit sehr Leid, dass wir Euren Bruder nicht finden konnten.”, sagte Mandūri mit Bedauern in seiner Stimme, „So, wie das zurzeit aussieht, haben die Götter wohl beschlossen, dass Ihr Eure Reise ohne Euren Bruder fortsetzen und auch ohne ihn wieder nach Hause zurückkehren müsst. Keiner von uns vermag es, Euch Euren Schmerz zu nehmen. Aber wir teilen ihn mit Euch. Mögen die Götter ihn Euch so rasch wie möglich wieder nehmen.” „Ich danke Euch für Eure Anteilnahme, edler Herr der Xendavas.”, antwortete Tabrun mit leicht zitternder Stimme und verneigte sich tief vor Kelūru. Anschließend gab Mandūri den Befehl, das Lager abzubauen, um ihre Reise fortzusetzen.

Dilāra folgte ihrem Vater in das Zelt, wo er sich in einem gemütlichen Sessel setzte. Direkt vor ihm blieb sie stehen und verneigte sich. „Vater, ich muss mit dir sprechen.”, begann sie mit fester Stimme. Fragend sah Kelūru seine Tochter an.

„Sprich, mein Kind.”, sagte er und blickte sie erwartungsvoll an. Die junge Xendava atmete mehrmals tief durch, bevor sie weitersprach. „Ich habe eine Bitte an dich.”, gestand sie, „Ich möchte mit ein paar Leuten noch etwas hierbleiben, um weiter nach Mandrak Nandor zu suchen.” „Glaubst du denn, dass er noch lebt?”, fragte Mandūri, der seine Zweifel nicht verbergen konnte. Die junge Frau nickte. „Ja, ich weiß, dass Mandrak noch lebt.”, antwortete sie überzeugt, „Ich fühle es.” Kelūru stand auf und trat vor seine Tochter, die ihn hoffnungsvoll ansah. Sie hielt seinem prüfenden Blick stand. „Ich fühle es nicht nur.”, fügte sie hinzu, „Ich weiß es. Er lebt noch und braucht ganz dringend unsere Hilfe.” „Du liebst ihn, nicht wahr?”, fragte er unvermittelt, als ihr Blick flehend wurde. „Ja, Vater, ich liebe Mandrak.”, sagte sie, „Bitte, hilf mir und lass mich weiter nach ihm suchen.” Nachdenklich nahm der Anführer der Xendavas wieder in seinem Sessel Platz. Er seufzte.

„Ich lasse nicht gern jemanden zurück.”, gestand Kelūru mit nachdenklicher Miene und sah dabei seine Tochter verständnisvoll an, „Das habe ich schon zu oft tun müssen. Deshalb werde ich dir deinen Wunsch erfüllen und dich mit zwanzig unserer besten Männer hierlassen. Du hast genau eine Woche Zeit, ihn zu finden.” Sein Ton wurde strenger, als er fortfuhr. „Wenn die Woche um ist, kommst du sofort mit den Männern hinterher, auch wenn ihr Mandrak noch nicht gefunden habt.”, sagte er, „Wir werden nach Kešando weiterziehen und dort vor den Toren der Stadt unser Lager aufschlagen. Falls ihr innerhalb dieser Woche uns nicht einholt und auch nicht im Lager auftaucht, werde ich mit ein paar Männern zurückkehren und euch suchen. Ich werde dir Kēloš Surgan an deine Seite stellen und ihm eine entsprechende Order geben. Du wirst seinen Befehlen gehorchen, bis du mit den Männern wieder bei uns bist.” „Ja, Vater.”, sagte sie sehr erfreut und erleichtert über Mandūris Entscheidung. Dankbar umarmte sie Kelūru, der sie liebevoll anlächelte. Nachdem sie sich wieder voneinander gelöst hatten, ließ er nach Kēloš Surgan rufen. Glücklich und erleichtert verließ Dilāra das Zelt ihres Vaters.

Pelto, Simdu und Tabrun kehrten in das Gästezelt zurück. „Was wirst du jetzt machen, nachdem Kelūru gesagt hat, dass die Xendavas nicht mehr nach Mandrak weitersuchen werden?”, wollte Arankas Mann von Gūrads ältestem Sohn wissen, als sie das Zelt betraten. „Ich weiß es nicht.”, antwortete Nandor nachdenklich, „Einerseits würde ich noch sehr gern nach meinem Bruder weitersuchen, aber ich weiß auch, dass Mandūri Recht hat. Vermutlich hat die Strömung ihn fortgetrieben. Wir haben die ganze Gegend umsonst abgesucht.” „Und andrerseits?”, fragte Simdu nach. Tabrun seufzte. „Andrerseits muss ich wieder nach Hause zurückkehren, um Vaters Farm zu retten. Genügend Saatgut von den Larunos haben wir ja gesammelt.” Der blonde Ulani sah den Farmersohn an. „Wann willst du die Heimreise antreten?”, erkundigte er sich. „Das hängt davon ab, welcher Weg der sicherste Rückweg für uns ist.”, antwortete Tabrun mit ernster Miene, „Am besten wäre es, wenn die Xendavas uns bis an die Grenze des Landes begleiten würden, von wo aus wir dann allein weiterreisen könnten. Vielleicht sollte das Pelto mit Kelūru klären. Vielleicht gibt es da ja Möglichkeiten für uns.” Jakodos nickte. „Gut.”, sagte er, „Ich werde es veranlassen und Pelto zu Kelūru schicken, damit er das ganze klären kann.” Wenig später verließ der Aldoraner das Zelt, nachdem der Blonde dem Alten die entsprechenden Instruktionen erteilt hatte.

Nach einiger Zeit kehrte Pelto zu den beiden Ulani zurück und erstattete ihnen Bericht. „Ich habe mit dem Anführer gesprochen.”, sagte er mit ernster Miene, „Und er bietet uns an, uns bis an den Grenzfluss Kellumšari zu bringen, den wir dann überqueren müssen. Damit würden wir auch das Oskonische Kaiserreich verlassen. Wenn wir diesem Fluss auf dalganischer Seite nordwärts folgen, erreichen wir nach mehreren Wochen eine Stadt namens Kešando. Dort gibt es einen großen Binnenhafen, von dem wir mit einen der Schiffe aus weiterreisen können.”

„Was ist mit den Xendavas?”, wollte Simdu wissen, „Werden sie uns nur bis zur Grenze begleiten oder bis zu dieser Stadt auf der anderen Seite des Flusses?” Pelto schüttelte bedauernd mit dem Kopf. „Das können sie nicht.”, erklärte der Aldoraner, „Die andere Seite des Kellumšari gehört schon nicht mehr zum Oskonischen Kaiserreiches, sondern zum Dalganischen Königreich. Deshalb würden sich unsere Wege dort trennen. Aber, die Xendavas sind gern bereit, uns bis zur oskonischen Stadt Lasundo zu bringen, die sich genau gegenüber von Kešando am Kellumšari befindet. Das hätte den Vorteil, dass wir die ganze Strecke nicht zu dritt reisen müssten. Die Xendavas wären dann immer noch an unserer Seite.” Fragend sah Tabrun den blonden Ulani an, der sofort Peltos Bericht ins Ulanische übersetzte.

„Die Frage ist, ob wir das Angebot der Xendavas annehmen oder nicht.”, fügte Arankas Mann hinzu, „Wenn wir mit den Xendavas zusammen an die Grenze reisen, wären wir sicherer vor den oskonischen Soldaten, denen wir unterwegs begegnen könnten.” Der Schwarzhaarige nickte. „Ehrlich gesagt, neige ich dazu, Kelūrus Angebot anzunehmen.”, gestand Tabrun nachdenklich, „Wir sind offiziell Waffenbrüder der Xendavas. Sie werden uns schon allein der Freundschaft wegen nicht alleine reisen lassen. Das lässt ihre Ehre nicht zu.” Simdu nickte. „Dann sind wir uns einig.”, konstatierte er, „Wir werden das Angebot von Kelūru annehmen und mit den Xendavas zusammen bis zum Kellumšari reisen, wo wir drei anschließend das Oskonische Kaiserreich verlassen werden.” Tabrun nickte. „So ist es.”, antwortete er, „Sobald wir die oskonische Stadt Lasundo erreichen und uns von dort direkt nach Kešando übersetzen lassen, werden wir unsere Heimreise auf einen der Schiffe fortsetzen. So bleibt uns wenigsten die Rückreise durch die Honduš-Wüste erspart.”

Inzwischen war das Lager vollständig abgebaut worden und die Belluraner setzten ihre Reise fort. Nur Dilāra blieb zusammen mit Kēloš Surgan und zwanzig weiteren Männern zurück, um gemeinsam weiter nach Mandrak zu suchen. Wochen lang zogen die Belluraner durch das gebirgige Land des Brondus-Damrajd, das von einer abwechslungsreichen Flora und Fauna geprägt war. Als sie den Kellumšari erreichten, zogen sie in nördlicher Richtung weiter, bis sie die Stadt Lasundo erreichten. Die Kundschafter, die Mandūri ausgesandt hatte, kehrten mit sorgenvoller Miene nach recht kurzer Zeit wieder zurück.

 

Abschlusshinweise zum Kapitel:

keine

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