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Bis zum Morgengrauen hatte Kate an dem Bericht über den seltsamen Fall gearbeitet. Immer noch kam ihr alles höchst merkwürdig vor, was sie hier gesehen hatte. Sie konnte sich überhaupt nicht mit dem Gedanken anfreunden, derart von ihrer neuen Partnerin ins kalte Wasser gestoßen worden zu sein, aber anscheinend hatte sie ja auch sehr gut schwimmen gelernt. Sonst hätte Sedrin sie sicher getadelt, so wie sie ihr von einigen Leuten beschrieben worden war. Aber nichts dergleichen war geschehen und so dachte Kate sich, dass sie sich bestimmt irgendwann an die schräge Situation in Little Federation gewöhnen würde.

Sie hatte also ihre Arbeit beendet und war danach mit dem Jeep auftragsgemäß zum Haus der Huxleys gefahren, wo sie von Jaden bereits erwartet wurde, der auf seiner Terrasse saß und frühstückte. Der Terraner sah kurz von seinem Teller auf und musterte die kleine Gestalt, die sich ihm näherte. Dann lachte er ihr entgegen: „Du hast dich verändert, Jinya!“ „Ich fürchte, da liegt ein Missverständnis vor, Mr. Huxley.“, sagte Malcovich freundlich. „Ich bin nicht Ihre Frau. Mein Name ist Agent Kate Malcovich. Ich bin Sedrins neue Partnerin.“ „Interessant.“, sagte der Amerikaner flapsig. „Hätte nicht gedacht, dass Tamara Sedrins Antrag so schnell bearbeitet.“ „Na ja.“, sagte Kate. „Es ist Prüfungssaison. Anscheinend war ich gerade frei.“ „Prüfungssaison, he?“, wiederholte Huxley. „Sie meinen also, Sie sind noch ’n echtes Greenhorn in dem Geschäft. Dann muss Ihnen Sedrin aber noch viel beibringen.“ „Das glaube ich nicht!“, sagte Kate und versuchte dabei, sehr selbstbewusst zu klingen. „Ich habe meine Prüfung mit der Note 1,0 abgeschlossen und …“

Der ehemalige Sternenflottencommander gab einen verächtlichen Laut von sich. „Das wird Ihnen da draußen im Weltraum nur wenig helfen, wenn Sie Sytania oder den Genesianern gegenübertreten müssen. Theorie is’ schön und gut, aber die Praxis läuft oft genug ganz anders. Setzen Sie sich, Malcovich. Ich erklär’ Ihnen mal, wie der Hase in der Realität da draußen läuft.“

Leicht irritiert, aber bereitwillig tat Kate, was Jaden von ihr verlangt hatte. Jetzt sah sie auch sein Frühstück und ein neben seinem Teller liegendes Pad, auf dem sie die Titelseite einer Ausgabe der Tageszeitung von Little Federation erkennen konnte. „Woher wissen Sie denn so genau, wie der Hase in der Realität bei der Sternenflotte läuft, Mr. Huxley?“, fragte Kate neugierig. „Erstens heißt es Commander Huxley.“, sagte Jaden. „Und zweitens können Sie sich den Rest jetzt ja wohl denken.“ „Sie sind auch Sternenflottenoffizier?“, kombinierte Kate. „Richtig.“, sagte Jaden. „Meine jetzige Ehefrau war mein erster Offizier auf einer Mission, bei der wir es sowohl ab und zu mit den Genesianern, als auch mit Sytania zu tun hatten. Also da mussten wir oft genug improvisieren. Erzählen Sie mir also nichts!“ „Tut mir leid, Commander Huxley.“, sagte Kate mit einem beschwichtigenden Blick in seine Richtung. „Muss es nicht, mein kleiner Grünschnabel.“, sagte Jaden. „Sie konnten das ja nich’ wissen.“

Sie saß ihm gegenüber und sah zu, wie er sich zuerst einen Teller Eier mit Speck und dann einen ganzen Haufen Pfannkuchen mit Ahornsirup einverleibte. „So eine wie Sie.“, meinte Huxley dann schmatzend. „Die isst morgens sicher nur Müsli mit Rosinen drin. Sie haben doch mit Sicherheit noch nichts im Magen, Kate. Lassen Sie mich mal.“ Er stand auf. „Mit einem irren Sie sich aber, Commander.“, sagte Kate. „Ich mag keine Rosinen.“ „Na schön.“, flapste Huxley. „Dann einmal Müsli ohne Rosinen.“ Er ging in Richtung Wohnzimmer davon.

Kates Blick war auf das Pad gefallen. Genau sah sie jetzt, wo der Cursor stand. Offensichtlich interessierte sich Huxley sehr für eine Artikelserie zum Thema seltsame Statuen auf allen möglichen Planeten, die seit einiger Zeit durch den „Daily First Contact“, die Tageszeitung von Little Federation, geisterte. Die Artikelserie war von einer Journalistin Namens Karen Malcovich verfasst worden, die Kate sehr gut kannte. Sie war nämlich ihre ältere Schwester.

Mit stolzem Ausdruck auf dem Gesicht, als hätte er das Müsli selbst zubereitet und nicht der Replikator, kam Jaden zurück und stellte die große Schale vor Kate ab. Dann sagte er: „Hauen Sie rein, Agent! Das ist ein Befehl!“ Unbewusst rutschte Kate ein: „Aye, Commander!“, heraus, als sie den Löffel in die Hand nahm. Jaden musste grinsen.

Während des Essens beobachtete Kate immer noch aus dem Augenwinkel, wie sich der Terraner mit dem Pad befasste. Er las sich den Artikel durch, aber dann wurde er auf einmal ganz blass. „Da brat’ mir doch einer ’n Storch!“, sagte er. „Das Photo is’ eindeutig unser Stadtpark! Darum wette ich mit Ihnen! Also jetzt hier bei uns auch.“ Bedient ließ er das Pad sinken.

Kate hatte seine letzte Äußerung mit viel Aufmerksamkeit verfolgt. „Sir?“, fragte sie. „Was meinen Sie mit: Also jetzt bei uns auch.“ „Die Malcovich schreibt.“, sagte Jaden. „Dass es auf diversen Planeten schon ähnliche Statuen gibt. Zuerst habe ich das für eine neue Story zur Unterhaltung der Leser gehalten. Aber jetzt …“ „Ich kann Ihnen den Tatort sogar zeigen.“, sagte Kate. „Brauchen Sie nich’.“, sagte Jaden. „Sonst kriegen Sie nachher noch Ärger mit meiner Frau und der kann ziemlich heftig sein. Das kann ich Ihnen sagen. Ach übrigens: Sind Sie mit der Schreibmieze etwa verwandt?“ „Ja.“, sagte Kate. „Sie ist meine ältere Schwester.“ „Oh, dann Entschuldigung!“, sagte Huxley. „Schon gut.“, sagte Malcovich. „Sie wird ja nie erfahren, dass Sie etwas abfällig über sie geredet haben.“

Auch Kate hatte jetzt ihr Frühstück beendet. „Ich muss wieder zum Dienst.“, sagte sie. „Vielen Dank, Commander.“ „Gern geschehen.“, sagte Huxley und sah ihr noch nach, wie sie in Richtung Enterprise Lane davon schritt. Was für Folgen die Begegnung noch für den Fall haben würde, ahnten weder Huxley noch Malcovich zu jenem Zeitpunkt.

Zirell hatte mit ihrer Freundin Darell von der Zusammenkunft ein langes Gespräch über die Vorkommnisse um die Nidari-Travelers geführt. Die Politikerin hatte versprochen, die Sache dem Rest der tindaranischen Regierung vorzutragen und dann würde man abstimmen, wie man damit umgehen sollte. Diese Abstimmung wartete Zirell jetzt in der Kommandozentrale gemeinsam mit Joran und Maron ab. „Wie denkst du, wird sich die Zusammenkunft entscheiden, Zirell?“, fragte der erste Offizier nachdenklich. „Immerhin wissen sie, dass sie von den Nidari-Travelers, wenn es sie gibt, ebenfalls für einen Mythos gehalten werden. Wenn ich mir deine Reaktion von vorhin ins Gedächtnis rufe, dann …“

Ein Wink von Joran, der an der SITCH-Konsole saß, hatte ihn gerettet, bevor er noch unter Umständen etwas gesagt hätte, das er dann bitter bereut hätte. „Anführerin Zirell.“, sagte der Vendar. „Darell El Tindara meldet sich!“ „Auf den Hauptschirm, Joran!“, befahl Zirell. Der Vendar nickte und ließ IDUSA den Befehl ausführen. „Jetzt bin ich aber mal gespannt!“, sagte Maron leise zu seiner Vorgesetzten, während beide beobachteten, wie sich das Bild der älteren Tindaranerin vor ihren geistigen Augen auf den Neurokopplern aufbaute. „Zirell, ich werde jetzt dir und deinen Leuten das Ergebnis unserer Abstimmung mitteilen.“, kam Darell gleich zur Sache. „Wir glauben nicht an eine Existenz der Nidari-Travelers. Die meisten Mitglieder der Zusammenkunft denken eher, dass es eine Falle von Sytania ist, für die auch diese arme Kommunikationsoffizierin missbraucht werden soll. Es passt einfach alles zu gut zusammen, um wahr zu sein. Es ist einfach zu perfekt. Sicher. Einige waren auch entrüstet, weil sie uns offenbar für einen Mythos halten, aber wer weiß, ob das nicht alles zu Sytanias Strategie gehört. Denkbar wäre es. Du musst das also nicht weiter verfolgen. Gib das bitte auch so an Allrounder Betsy und Agent Sedrin auf der Erde weiter.“ Sie beendete die Verbindung.

Joran machte ein Handzeichen und wiederholte dreimal den gleichen Satz auf Vendarisch. Seine Stimme wies dabei auf starke Verzweiflung hin. „Kannst du mir dein merkwürdiges Verhalten vielleicht mal erklären, Joran?!“, fragte Zirell. „Das will ich gern tun, Anführerin.“, sagte der Vendar. „Aber wenn ich ehrlich sein soll, musst du dich wohl wappnen.“ „Na.“, sagte Zirell mit einem Lachen in der Stimme. „So schlimm wird’s schon nicht werden. Komm mit! Wir besprechen das am besten in meinem Raum! Maron, du hast die Station!“ Damit ging sie Joran voraus aus der Kommandozentrale.

In Zirells Bereitschaftsraum angekommen setzten sich beide gegenüber an den Schreibtisch. Dann fragte die ältere Tindaranerin: „Was hast du denn nun auf dem Herzen? Du musst kein Blatt vor den Mund nehmen. Sag es einfach frei heraus.“ „Ich muss deine Regierung einen Haufen Narren schelten.“, sagte der Vendar betroffen und zugleich sehr wütend. „So.“, sagte Zirell. „Und warum musst du das?“ „Weil sie kurz davor sind, den Fehler ihres Lebens zu begehen.“, sagte Joran. „Wenn sie meine ehemalige Gebieterin eines Vorgehens bezichtigen, das sie nie gewagt hat, geben sie ihr damit jede Legitimation, sich zu wehren und du weißt, wie das bei Sytania aussehen wird, Anführerin. Sie wird Tindara angreifen!“

Sein letzter Satz hatte Zirell aufhorchen lassen. „Wie sicher bist du?“, fragte sie. „Ich bin zu 100 % sicher, dass sie genau so handeln wird!“, sagte der Vendar fest. „Bedenke! Ich kenne sie schon über 90 Jahre! Und das Argument, das Betsy El Taria benutzt hat, kommt mir auch stimmig vor. Oder hast du etwa einen Gegenbeweis? Ich denke viel eher, dass die Zusammenkunft so entschieden hat, weil sie wegen der Sache mit dem Mythos jetzt die beleidigten Bratwürste spielen!“ „Es sind Leberwürste, Joran!“, verbesserte Zirell, der zum gleichen Zeitpunkt ihr eigenes Verhalten wieder bewusst wurde. „Ach, du hast ja vielleicht Recht. Jedenfalls müssten wir eigentlich weiter ermitteln, um wirklich sicher zu sein. Aber die Zusammenkunft …“

Eine Leuchte an zweien der Ports für Neurokoppler machte ihrer Unterhaltung schlagartig ein Ende. Sofort steckten Joran und Zirell ihre Koppler an. Dann sahen sie IDUSA, deren Avatar sie mit alarmiertem Gesicht ansah. „Was ist los, IDUSA?!“, fragte Zirell. „Die Zusammenkunft hat eine Sonde ins Dunkle Imperium geschickt.“, sagte der Rechner. „Man beschuldigt Sytania jetzt offen, der Föderation eine Falle gestellt zu haben. Die gleiche Nachricht, die sich auch auf der Sonde befindet, wird zur Stunde auf allen Frequenzen des tindaranischen Militärs gesendet.“ „Lass hören, IDUSA!“, befahl Zirell blass. Der Avatar nickte und machte vor ihrem und Jorans geistigem Auge einen Schritt zurück. Dann rückte das Bild von Darell in den Vordergrund, die mit entschlossenem Gesicht verkündete: „Auf unsere Verbündeten, die Föderation der vereinten Planeten, ist ein übler Anschlag verübt worden. Aber wir, Sytania, wir, die Tindaraner, werden Euch damit nicht durchkommen lassen! Wir werden nicht zulassen, dass Ihr die wohlgemeinten Gesetze der Föderation derart für Eure Zwecke missbraucht und sie beschmutzt! Ihr habt einen großen Fehler gemacht! Es ist alles zu perfekt. Seid gewiss! Wir werden alles tun, um die Föderation vor Eurer Schliche zu schützen!“ Die Nachricht endete. „Ich glaube, den Fehler macht eher die Zusammenkunft selbst.“, sagte Joran. „Sie übersehen nämlich, dass die Föderation auch starke telepathische Verbündete , wie zum Beispiel auch euch, hat, die sofort merken würden, wenn Sytania …“ „Aber natürlich!“, sagte Zirell, der es wie Schuppen von den Augen gefallen war. „Bei allen Göttern! Die Zusammenkunft lässt sich doch nicht etwa von ihren verletzten Gefühlen derart blockieren! Gib mir sofort Betsy und Sedrin auf der Erde, IDUSA!“ Der Avatar nickte und der Rechner schaltete die Verbindung.

Sedrin war die Erste, die an diesem Morgen in meinem Haus erwacht war. Sie hatte bereits Frühstück gemacht und wartete nun auf mich. Derweil hatte sie mein Sprechgerät im Blick. Deshalb fiel ihr auch sofort das nervöse Blinklicht auf, das Zirells Ruf ankündigte. „Hier ist Agent Sedrin.“, meldete sie sich. „Sedrin!“, sagte eine sehr überraschte Zirell. „Ich hatte mit Betsy gerechnet.“ „Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen.“, lächelte die Demetanerin. „Du bist keine Enttäuschung für mich.“, sagte Zirell. „Im Gegenteil! Ich denke, dass ich deine Hilfe sehr gut brauchen kann. Leider hat die Zusammenkunft das Ganze als Falle von Sytania deklariert und man ist nicht gewillt, die Sache weiter zu verfolgen. Gut. Joran hat gesagt, es könnte sich um eine Falle von Sytania handeln, aber wir haben weder für das eine noch das andere Beweise. Wir wissen weder ganz sicher, ob es die Nidari-Travelers wirklich gibt, noch ob Sytania überhaupt etwas hiermit zu tun hat.“ „Noch mal!“, bestand Sedrin auf einer Wiederholung. „Du sagst nur, dass Joran es sich vorstellen könnte, aber dass er auch keine Beweise hat?“ „Genau das.“, sagte Zirell. „Nur die Zusammenkunft scheint das komplett missverstanden zu haben. Sie haben verstanden, dass es definitiv eine ist. Oder wie erklärst du dir ihre Reaktion?“ „Wie ich mir ihre Reaktion erkläre!“, sagte Sedrin und in ihr stieg eine leichte Wut auf. „Das möchte ich dir am liebsten gar nicht sagen, weil ich glaube, damit einen diplomatischen Zwischenfall zu provozieren!“ „Dann sind wir uns ja einig.“, lächelte Zirell und zwinkerte konspirativ in die Kamera ihres Sprechgerätes. „Du denkst also auch, dass …“, vergewisserte sich Sedrin. „Ja, Sedrin.“, sagte Zirell. „Ich denke durchaus auch, dass die Zusammenkunft etwas beleidigt ist wegen der Sache mit dem Mythos. Ich darf das sagen. Ich bin Tindaranerin! Wir haben freie Meinungsäußerung und selbst die Angehörigen des Militärs, wie ich eine bin, sind davon nicht ausgeschlossen. Wenn du das laut in der Öffentlichkeit herausposaunen würdest, wäre das schon etwas anderes, denn du hättest eine andere Kultur womöglich beleidigt und so etwas tut eine Sternenflottenoffizierin ja nicht. Wenn aber jemand sich so über die eigene Regierung äußert, kann das immer noch als Meinung einer unzufriedenen Bürgerin verharmlost werden in den Medien und wird sicher nicht so ausgeschlachtet.“ „Davon gehe ich auch aus.“, sagte Sedrin. „Hast du eine Ahnung, was Sytania tut, wenn sie erfährt, dass wir sie zu Unrecht beschuldigen?“ „Zu Unrecht?!“, fragte Zirell und horchte auf. Sie war wohl heilfroh über den Umstand, dass Sedrin offenbar irgendwas in der Hand hatte, das Sytanias Unschuld beweisen würde. Die Tindaranerin hätte niemals gedacht, dass der Umstand, dass Sytania unschuldig sei, sie so freuen würde. Aber auch für den größten Feind galt nun einmal die Unschuldsvermutung, bis man etwas anderes beweisen konnte. „Hast du etwa Beweise für Sytanias Unschuld?“, fragte Zirell. „Und ob ich die habe!“, lächelte Sedrin triumphierend und schloss ihren Erfasser an mein Sprechgerät an, um die Daten, die ihr Cupernica übermittelt hatte, zu überspielen. „Ich hoffe, du kannst mit den Dateien etwas anfangen.“, sagte die demetanische Agentin. „Sie stammen teilweise direkt aus dem Kopf einer Androidin. Der Rest sind Zeugenaussagen.“ „Oh, das geht schon.“, sagte Zirell, die einen kurzen Blick auf das Verzeichnis mit den Dateien geworfen hatte. „Und notfalls hilft mir sicher Ishan.“ „Das denke ich auch.“, sagte Sedrin. „Ich werde deine Beweise der Zusammenkunft weiterleiten.“, sagte Zirell. „Vielleicht können wir somit noch das Schlimmste verhindern. Ich denke, uns beiden ist klar, wie Sytania auf einen zu Unrecht gegen sie erhobenen Vorwurf reagieren wird.“ „Oh ja!“, sagte Sedrin fest, bevor sie die Verbindung beendete.

Ich war inzwischen auch meinem schönen warmen Bett entstiegen und hatte mich auf den Weg ins Wohnzimmer gemacht, wo mich Sedrin bereits erwartete. „Guten Morgen, Sie Frühaufsteherin.“, lächelte ich. „Sie wissen doch, Allrounder.“, sagte Sedrin. „Der frühe Vogel fängt den Wurm.“ Ich hatte genau jene Anspannung gehört, die in ihrer Stimme lag. „Was ist los?“, fragte ich Anteil nehmend. Sie drehte sich nur hörbar und schnippte mit den Fingern in Richtung Sprechgerät. „Zirell?“, fragte ich, die ich wohl schon ahnte, worauf das hinauslief. „Genau die.“, sagte die demetanische Agentin. „Sie hatte allerdings keine guten Nachrichten für uns.“ „Was meinen Sie damit genau, Agent.“, fragte ich. „Die Regierung der Tindaraner.“, begann Sedrin und wurde dabei ganz aufgeregt. „Glaubt anscheinend lieber, dass die Nidari-Travelers eine Falle von Sytania sind, als an ihre reale Existenz.“

Ich holte tief und erschrocken Luft und fuhr zusammen. Auch mir waren die eventuellen Konsequenzen eines solchen Vorgehens der Zusammenkunft bewusst. „Oh Gott, Agent!“, rief ich aus und begann so stark zu zittern, dass Sedrin mir die Kaffeekanne, die ich in der Hand hielt, schnell abnehmen musste, wenn sie verhindern wollte, dass ich mich verbrühte. „Genau.“, bestätigte Sedrin dann meine unausgesprochenen Befürchtungen. „Ich wusste, dass Sie das kapieren würden, Betsy! Sie wissen genau so gut wie ich, dass Sytania jetzt jedes Recht hätte, Rache für diese haltlose Beschuldigung an den Tindaranern zu nehmen. Ich persönlich glaube nämlich.“, sie machte eine dramatische Pause und fuhr dann fort: „Und ich hätte nie gedacht, dass ich das mal sagen würde! Ja, Allrounder, ich glaube, dass sie dieses Mal wirklich unschuldig ist. Die Indizienlage spricht eindeutig gegen ihre Schuld!“ „Sehe ich genau so.“, sagte ich. „Aber meiner Ansicht nach benimmt sich die Regierung der Tindaraner auch gerade wie ein Haufen beleidigter Leberwürste! Aber ich weiß auch schon, wer daran schuld ist. Vielleicht hätten weder ich noch Shimar die Sache mit dem Mythos erwähnen sollen.“ „Sie zwei trifft überhaupt keine Schuld!“, sagte Sedrin fest. „Sie waren lediglich die Boten für die Nachricht! Was die Empfänger dann damit machen, liegt in deren eigenem Ermessen und Sie wissen ja wohl, dass ein Zeuge nichts weglassen oder erfinden darf, wenn er eine Aussage macht. Es war also Ihre Pflicht, alles wahrheitsgemäß auszusagen und dazu gehört auch Sidars Äußerung über den Mythos. Die haben Sie ja schließlich genau gehört. Spätestens dann, wenn Zirell Ihre Aussage gelesen hätte, wäre es zu Ungereimtheiten gekommen und die hätten Ihre Glaubwürdigkeit empfindlich beeinflusst. Hätten Sie das gewollt?“ „Natürlich nicht, Agent.“, sagte ich. „Na also.“, sagte Sedrin. „Aber wie kommen Sie darauf, dass Zirell meine Aussage lesen sollte?“, fragte ich. „Weil ich ihr alle Daten, die wir gesammelt haben, überspielt habe.“, gestand Sedrin. „Ich hoffe, dass ich die Zusammenkunft so noch zur Vernunft bringen kann, bevor etwas Schlimmeres passiert.“ „Verstehe.“, sagte ich.

Wir frühstückten weiter, aber mir war bei den momentanen Aussichten wirklich der Appetit vergangen. Nur widerwillig stopfte ich mir ein Brötchen mit Käse in den Rachen. Dann folgte noch eine Tasse Kaffee mit viel Milch und noch mehr Zucker, mit der ich hoffte, meinen Ärger und meine Sorgen über das Verhalten der Zusammenkunft herunterspülen zu können, aber leider funktionierte das nicht. Ich wusste eben zu viel über die politischen Zusammenhänge, um einfach so wieder zur Tagesordnung übergehen zu können. Aber ich war ohnehin schon immer als jemand bekannt gewesen, die viel, manchmal vielleicht sicher auch zu viel, nachdachte.

Zirell hatte die Daten, die ihr Sedrin gegeben hatte, gemeinsam mit Joran studiert und wie versprochen an die Zusammenkunft weitergeleitet. Ihrer persönlichen Meinung nach ergab sich aus allem jetzt ein stimmiges Bild und zwar das einer Sytania mit einer weißen Weste. Da waren die Erfasserdaten von Sedrin und Cupernica und auch die Reaktion von Caruso, der ja dafür bekannt war, in der Lage zu sein, den Einfluss eines bösen Telepathen, wie alle Katzen, zu erspüren. Außerdem musste sich Sytania doch denken können, dass ihr das keinen Vorteil brachte, so etwas zu versuchen. Aus meiner Aussage war hervorgegangen, dass die Nidari-Travelers schon mehrere Völker kennen gelernt hatten. Darunter waren sicher auch einige telepathische Vertreter gewesen und spätestens die hätten den großen Schmus bemerkt. Dann wäre sie aufgeflogen und so ein Risiko wäre sie sicher nie eingegangen!

Jetzt saß Zirell immer noch mit Joran in ihrem Bereitschaftsraum zusammen. Gemeinsam wollte man abwarten, ob die Regierung angesichts der neuen Fakten ihre Taktik ändern würde, aber nichts dergleichen geschah. Die Nachricht, von der Zirell insgeheim hoffte, sie würde irgendwann verstummen, wurde sogar in noch kürzeren Intervallen gesendet. „Sie scheinen unbelehrbar, Anführerin.“, stellte Joran traurig und enttäuscht fest. „Von deiner Regierung hätte ich eine solche Torheit nicht erwartet. Die Föderationsregierung, gut, von denen ist man so was ja gewohnt. Aber ich dachte, ihr seid dafür viel zu weise!“ „Wie du siehst, sind wir das nicht, Joran.“, sagte Zirell mit niedergeschlagenem Blick. „Bist du jetzt sehr enttäuscht von uns?“ „Du solltest dich nicht mit diesen beleidigten Narren gleichsetzen, Anführerin.“, sagte Joran tröstend. „Du hast dem Ganzen klar, besonnen und neutral gegenüber gestanden, nachdem es Maron El Demeta gelungen war, deine anfänglich überschäumenden Gefühle wieder zu beruhigen. Du hast dich darauf ja auch schnell einlassen können. Aber deine Regierung … Vielleicht ist es an uns, ihnen zu zeigen, was die Wahrheit ist.“ „Das denke ich auch, Joran.“, sagte Zirell. „Was immer auch geschieht!“, sagte der Vendar. „In dieser Krise werde ich fest zu dir stehen! Ich kenne Sytania wie kein zweiter und wenn sie wirklich angreift, dann …!“ „Lass uns bitte nicht den Teufel an die Wand malen, Joran.“, bat Zirell. „Sag IDUSA, sie soll mich noch einmal mit Betsy und Sedrin verbinden.“ Joran nickte und führte ihren Befehl aus.

Meine Kenntnisse von Shimars Muttersprache hatten mir erlaubt, die Nachrichten zu verstehen und so hatte ich einen tindaranischen Sender eingeschaltet. Dem Sender musste irgendwie der genaue Inhalt der Nachricht an das tindaranische Militär zugespielt worden sein. Jedenfalls standen Sedrin und ich jetzt vor meinem Sprechgerät und ich übersetzte mit zitternder Stimme. Als ich mit den ersten Sätzen des Wetterberichtes beginnen wollte, befahl die Agentin nur kühl: „Ausschalten!“ Ich nickte und schaltete mein Sprechgerät aus. Dann stellte sich Sedrin vor mich und fragte ernst: „Hat die Zusammenkunft denn total den Verstand verloren?!“ „Anscheinend ja, Agent.“, analysierte ich niedergeschlagen und traurig. „Dann sollten wir schleunigst versuchen, ihn ihr zurückzugeben!“, sagte Sedrin. „Und ich weiß auch schon, wie wir das anstellen! Ist Lycira flugbereit?!“ Ich nickte. „Und ich glaube auch zu wissen, warum Sie gerade Lycira nehmen wollen, Ma’am. Sie war das Schiff eines Saloraners, die ja auch erst von den Tindaranern als Mythos abgetan wurden. Sie hoffen auf die psychologische Wirkung.“, sagte ich konspirativ. „Richtig erkannt.“, sagte Sedrin. „Sie sind ein kluges Köpfchen, Allrounder.“

Sie holte den Picknickkorb aus der Kühlung meines Replikators. „So und nun Abmarsch!“, befahl sie. „ Den Rest erkläre ich Ihnen auf dem Flug!“ Sie marschierte voraus in Richtung meines Schiffes und ich folgte vertrauensvoll.

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