Kleinstadt-Kabarett: Arnulf Rating in Stadtallendorf

Man muss von vorne herein sagen: der Stadtallendorfer Kulturverein hat es nicht leicht. Die westhessische Stadt hat rund 19.000 Einwohner und erfüllt geradezu bilderbuchartig gängige Klischees einer Arbeiterstadt: rund 20% Ausländeranteil, Subkulturenrudelbildung und jedes Viertel bleibt unter sich. Deutsche und Ausländer sowieso. Die REP haben es in die Stadtverordnung geschafft und die AfD hatte dort ihren Parteitag.

Unnötig zu sagen, dass politisches Kabarett dort nicht gerade auf fruchtbaren Boden fällt. Und so war es wohl kaum verwunderlich, dass sich genau 38 Leute in die Stadthalle am gestrigen Samstagabend zu Arnulf Rating verirrten.

Für mich war diese Zahl allerdings peinlich und zum Fremdschämen, denn der 64jährige Rating gehört zweifellos zur Elite der deutschen Kabarettisten. Er tourt seit Anfang der 90er Jahre durch Deutschland (ist aber seit den 70ern schon aktiv), gilt als „Kabarettist der alten Schule“. Im Vorbeigehen hat Rating die wichtigsten deutschen Preise abgeräumt.  Er ist also bei Weitem kein kleines Licht in der Szene.

Rating bewies gestern Abend auch wieder, dass sein Ruf ihm nicht umsonst vorauseilt. Andere Kollegen hätten sich vielleicht angesichts der kleinen Zuschauermenge nicht sonderlich angestrengt, aber für Rating (und das spürte man deutlich) galt der Kodex der Berufsehre.

Und so fackelte er in dem eineinhalbstündigen Programm „Ganz im Glück“ ein kabarettistisches Feuerwerk ab, unterlegt mit einem ganzen Arm voller Tageszeitungen (vor allen Dingen an der BILD biss er sich fest), deren Schlagzeilen dann kommentiert wurden: „Jedes dritte Kind in der Hauptstadt lebt von H4 – na ja, immerhin lebt es“.  – Thema: Pegida: „Da laufen Menschen, die tragen das T-Shirt aus Bangladesh, haben ihr Handy aus China, den Coffee to go vom Starbucks – und das Brett vorm Kopf von IKEA.“- „Die BILD-Zeitung vor drei Jahren: nehmt dem Griechen den Euro weg -wieso, hab ich mich gefragt? Haben die noch einen?“- „Rentner muss als Osterhase arbeiten. Weil das Geld nicht reicht. Da muss der für die Kleinen seine Eier verstecken“.

Zum Thema Jugend und Zeitungen: „Wenn Jugendliche in der Bahn eine Zeitung finden, wissen die doch gar nicht, was sie machen sollen. Sie wischen erst drüber, wundern sich, warum das Display nicht verändert, stellen die Zeitung hochkant, sind verwirrt, dass das Display sich nicht mitdreht und versuchen dann, ein Aufladekabel anzuschließen, weil vielleicht der Akku leer ist Ich weiß gar nicht, wie die auf dem Klo zurechtkommen.“

Im wilden Ritt ging es dann über Uschi von der Leyen – das blonde Gift – hin zu Merkel (die Lady Gaga aus der Uckermarck): „Sie belauschte jüngst Planungen von Obama und Putin, 20 Millionen Muslime und einen Zahnarzt umzubringen. Merkel, empört: Wieso einen Zahnarzt?“ Obama: Ich hab´s Dir doch gesagt, Vladimir: wer fragt schon nach 20 Millionen Muslimen?“. Rating ließ sich über die „Merkel-Raute“ aus – die typische Handgeste der Kanzlerin, „das umhüllte Nichts, in dem die ganze FDP verschwunden ist“.

Zum Thema Islam: mehr  als 50% der dt. Bürger hätten Angst vor dem Islam – nicht vor dem Islamismus. O-Ton-Rating: „Ach? Etwa Angst vor dem türkischen Gemüsehändler? Was soll der machen? Mit Gurken schmeißen?“.

Mit im Programm waren drei Charaktere: Schwester Hedwig, Dr. Mabuse und Fred Ferkelmann. Der schrullige Dr. Mabuse hat es sich zum Ziel gesetzt, die deutschen Patienten gesund zu machen. Er hatte eine Praxis in Berlin neben dem Bundestag – aber, so Schwester Hedwig – es sein kein Abgeordneter gekommen. Aber die Kränksten kämen ja meistens nicht.

Der Doktor derweil züchtet Schnitzel aus Stammzellen, um sie im 3D-Drucker auszudrucken und die Bevölkerung zu ernähren. Die BRD sei durch die Wende fett geworden, habe Rückenprobleme, seit Mitterrand die DM entfernte und den Euro einführte. Waigel und Kohl hätten ihr Übriges getan und das Volk in das kollektive Wachkoma versetzt. Merkel und Gauck knüpfen – mit guter Ausbildung in der DDR-Komaklinik – da an.

Schwester Hedwig – selbst jenseits der 50ig – steht dem Doktor zur Seite, gibt ihm öfters eine Spritze – und wird am Ende entsorgt, als Fred Ferkelmann auf der Bildfläche erscheint. Ein Unternehmensberater,  der herumhüpft wie Hans Rosenthal auf Speed und dessen erklärtes Ziel es ist, aus Mabuses Praxis einen „Global Player“ zu machen, indem er die Praxis wie Doc Morris ins Netz verlegt, der von „power“ und „perfection“ redet und vom „local business“. Der vom Publikum fordert, Opfer zu bringen – mit bösem Seitenhieb auf den deutschen Praktikanten, der in GB an Überarbeitung starb. Wenn Stadtallendorfs Bürger sich nicht aufraffen würden, müssten sie sich nicht wundern, wenn sie keinen unterirdischen Bahnhof wie in Stuttgart, keinen Berliner Flughafen und keine Autobahn bekämen. Dann könnten sie ja weiter Regionalbahn fahren.

Mabuse erhält am Ende 3 Mio für die Praxis, die er allerdings nie sieht, weil – dies sei sowieso gängige Vorgehensweise – die Franchisepraxis erst mal beliehen wird, so dass der Doktor am Ende, von der Heuschrecke sichtlich gezeichnet, erkennen muss, dass der deutsche Patient nicht heilbar ist, weil ein unrettbares, duldsames Arbeitstier.  „Das Geld ist weg und wir sind glücklich.“- „Die schlimmsten Feinde der Freiheit sind glückliche Sklaven“ – „Früher gab es keine Jobs, heute haben viele sogar zwei!“ Er, Mabuse, würde Deutschland zwei Wochen komplette Ruhe verordnen.  Aber da würde ja sowieso keiner mitmachen.  Und warum fordere keiner mal zur Abwechselung die Rente ab 67?  Der deutsche Patient, so das bittere Resümee des Abend, steht kurz vor dem Kollaps.

Das politische Kabarett in Stadtallendorf ist da weniger gefährdet: das ist sowieso schon tot.