Das @Blind_Guardian Konzert in Düsseldorf: No, I did not miss this moment, my friend!

Beyond the Red Mirror heißt das aktuelle Album von Blind Guardian. Und man hört schon aus den ersten paar Takten heraus, dass dies keine fröhliche Geschichte erzählt. Nun bin ich nicht so jemand, der viel Booklets liest, vielleicht, weil es totes Holz mit durch Chemikalien aufgebrachte Muster sind, deren Informationsgehalt sich für mich jetzt nicht so sehr erschließt. 🙂 Daher nur in Stichworten:

Es geht um zwei Welten, zwischen denen es früher mehrere Wege gab, jedoch gibt es jetzt nur noch einen, den roten Spiegel. Dieser muss gefunden werden, das ist so in ganz groben Zügen die Story hinter dem Album.

Für einen kleinen Eindruck könnt ihr euch ja mal das Musikvideo zu „Twilight of the Gods“ ansehen:

Ich persönlich mag ja eigentlich so ziemlich jedes Album von Blind Guardian, das eine mehr, das andere weniger. Aber das letzte Mal, dass mich ein Album regelrecht auf dem Sessel festgenagelt hat, war bei „Nightfall in Middle Earth“, wo die Geschichten aus dem Silmarillion aufgearbeitet werden. Dieses Album hatte von Anfang an eine Atmosphäre erschaffen, die ich durch zu viel Bewegung oder Geräusche nicht zerstören wollte. So hörte ich mir das Album mehr oder weniger in Starre durch. 🙂 Etwa den gleichen Effekt hat „Beyond the Red Mirror“ bei mir ausgelöst. Die Musik reißt einen mit den ersten choralen Takten mit, du stehst da, kannst dich nicht rühren, der Chor wird größer und bombastischer, das Orchester setzt ein, und du siehst regelrecht, wie sich eine Wand vor dir aufbaut, bis dann „The Ninth Wave“ wie ein Tsunami über dich hereinbricht und du dich nur noch von der Musik mitreißen lassen kannst. Keine Chance, die Hand nach der Fernbedienung auszustrecken, denn du willst ja nix verpassen. Was ja blöde ist, ist ja eine CD, die man jederzeit zurücklaufen lassen könnte, aber … 🙂

Und zum wer weiß wievielten Mal dachte ich mir, jetzt wird’s doch mal wirklich Zeit, auf ein Blind Guardian Konzert zu gehen, oder? Und während ich das so denke, brüllt es aus meinen Lautsprechern:

Now as my time’s passing by
What am I waiting for?
Who’ll grant me wings to fly?
And will I have another try?
‚Cause I would not miss my moment again
Yes, I would not miss my moment my friend

Das ist aus dem Lied „At the Edge of Time“. Die Lyrics habe ich mir bei Dark Lyrics ausgeliehen. Hoffentlich verklagt mich dafür keiner … 🙂 Weiß man ja nie, heutzutage. 🙁 Daraus ergab sich dann auch der Titel zu dem Post.

Zugegeben, ich habe das Textfragment etwas aus dem Zusammenhang gerissen, aber die Frage bleibt, worauf warte ich eigentlich? Und werde ich eine weitere Gelegenheit bekommen? Ich riskiere es lieber nicht, dachte ich, und bestellte endlich, nach 23 Jahren, ein Ticket!

Rückblick 1990

Ich bezog also mein Zimmer im Internat der Blindenstudienanstalt Marburg, und traf fast sofort einige Freunde wieder, die ich zuvor während der Orientierungswoche kennengelernt hatte. Und völlig enthusiastisch kommt Christian ins Zimmer und kann kaum noch aufhören zu reden. Alles, was ich verstehe, ist: „LP… Blind Guardian… voll geil… wirst du mögen“.

Für die Jüngeren unter euch: LPs, das sind diese schwarzen runden Dinger mit einem winzigen Loch in der Mitte und einem spiralförmigen Rillenmuster, welches man mit einem speziellen Abspielgerät mit einer Nadel abtasten lassen musste. Voll retro… 🙂 Der Witz ist, dass man damit nicht nur die Musik, sondern auch seine Fingerabdrücke hörbar machen konnte. Die Weiterentwicklung davon heißt TouchID und ist in den Home-Buttons Eurer iPhones verbaut… 🙂

Hm, denke ich, ist sicher wieder so ein Heavy Metal Ding, was ich sowieso nicht mag. Ja, Metal mochte ich da gar nicht. Aber, ich tat ihm den Gefallen und machte die Kassette an…

Und wieder mal für die Jüngeren: Kassetten sind Dinger, die zwei Spulen mit einem Band enthalten, auf dem magnetisch Musik gespeichert ist, analog natürlich. Wesentliches Merkmal von Kassetten ist, dass sich vorzugsweise die Lieblingsmusik entscheidet, dass das Plastikgehäuse zu beengend für es ist und herausquillt, und in einem Akt der Rebellion das Abspielgerät lamlegt und dabei meistens Selbstmord begeht. 🙂 Bandsalat nannte man das damals, und die Lieblingsmusik war oft futsch danach… 🙂

Erste Strophe und Refrain von „Banish from Sanctuary“, und es war um mich geschehen! Ich musste diese Kassette besitzen!

Vinyl war jetzt nicht so mein Ding, aber nach und nach habe ich, wie es mir möglich war, die CDs gekauft. Und ja, ich weiß, ich habe in der Zeit wirklich genervt, weil ich es fast immer mit voller Lautstärke gehört habe… 🙂 Andererseits, Blind Guardian leise hören, also wirklich! 🙂 Wer macht denn so was? 🙂

Rückblick 1992

Boa, war ich stinkig! Ein ganzer Haufen meiner Freunde konnten nicht zur Party kommen, wo ich meinen 18. Geburtstag gefeiert habe. Ich bin nicht sauer auf die Jungs und Mädels, sondern darauf, dass ich selbst auf die Geburtstagsparty gehen musste. Ich wäre nämlich lieber mit denen gegangen, zu einem Blind Guardian Konzert. Das regt mich heute noch auf, wenn ich drüber nachdenke… Aber so einfach von der eigenen Geburtstagsparty wegbleiben ist ja auch eher nicht so … nett. 🙂

Und seit dem versuche ich, auf ein Konzert zu kommen. Aber entweder stecke ich in der Ausbildung, habe kein Geld, keinen Urlaub, keine Begleitperson… Irgendwas war immer!

Heute!

Ich habe kaum Geld, und da Heike jetzt nicht so der Blind Guardian Fan ist, keine Begleitperson, aber ich gehe trotzdem! Sonst wird das nie was! Mal gucken, wie das so wird, denn da habe ich mir ganz schön was vorgenommen, ohne Begleitung in eine vergleichsweise unbekannte Situation reinzustolpern. Aber, wie ich so bin, no surrender, no retreat!

Das Konzert

Alles, was schiefgehen konnte … ist nicht schiefgegangen! 🙂 Dieser Tag war auf so vielen Ebenen ein voller Erfolg, dass ich noch heute nicht so recht dran glauben kann. Egal, wie gut etwas lief, irgend etwas war immer. Aber hier? Hier hat einfach alles gestimmt!

Die Fahrt nach Düsseldorf, etwas essen am Bahnhof und dann die Weiterfahrt zur Haltestelle, wo es zur Mitsubishi Electric Halle geht, das ist kaum der Rede wert, so was mache ich sowieso ständig. Aber an der S-Bahn-Haltestelle geht es schon los. Eine Frau sieht, wie ich mit Handy und Navi versuche mich zu orientieren und bietet mir ihre Hilfe an. Und da die Mitsubishi Electric Halle jetzt nicht so weit von der Haltestelle weg ist, bin ich auch in sehr kurzer Zeit dort.

Es standen schon eine ganze Menge Leute draußen, da noch keiner reingelassen wurde. Also hat man sich etwas mit den Umstehenden unterhalten. Schnell kam man da auch ins Gespräch, ob es jetzt das Blind Guardian Album war oder die Vorgruppe, die hier noch recht unbekannt ist. Fast wie selbstverständlich haben insbesondere die beiden, mit denen ich mich am meisten unterhalten habe, sich meiner angenommen. Ob es die Jacke war, die bei der Garderobe abgegeben werden sollte, Getränke an den Ständen beschaffen oder in die Halle kommen, die beiden waren dabei einfach großartig.

Wir drei, also Stephan, Dominik und ich, sind sofort in die Halle ganz nach vorne gerannt, weil es für den vorderen Abschnitt solche Bändchen fürs Handgelenk gibt. Und wenn man da nicht schnell genug ist, bekommt man keins mehr.

Man muss sich die Halle einfach als eine große freie Fläche vorstellen. Zwar gab es seitlich und im hinteren Bereich auch Sitzplätze, aber egal. Diese Fläche wurde mit Wellenbrechern in mehrere Abschnitte unterteilt. Das ist, damit bei einer Panik sich die Leute nicht gegenseitig erdrücken oder von hinten nach vorne geschubst wird. Dabei ist der Bereich vorne an der Bühne recht klein gehalten, weswegen man sich dafür Bändchen holen musste.

Die Idee war, was sich hinterher auch als richtige Entscheidung herausgestellt hat, dass ich mit dem Rücken am ersten Wellenbrecher stehe. So bin ich nahe genug an der Bühne, um etwas sehen zu können, aber nicht zu nahe. Und die Masse kann mich nicht von hinten zerquetschen. Und die, die vor mir sind, nun, die wollen ja nicht nach hinten zu mir, sondern eher zur Bühne… Also stand ich da, das ganze Konzert über, frei und ungehindert. 🙂

Die Vorgruppe Orfaned Land

Das ist eine Heavy Metal Band aus Israel. Ich hatte von denen bisher noch nichts gehört, aber vor dem Konzert habe ich mir mal paar Songs auf Youtube reingezogen. Das ist total interessant und spannend, wie man Metal mit orientalischen Klängen mischen kann. Das klingt richtig gut. Und sie konnten, wenn das auch anfangs nicht leicht war, doch gut mitreißen.

Der Haupt-Akt, Blind Guardian!

Und es ging gleich mit „The Ninth Wave los. Und hier hat der Song genau die gleiche Wirkung, wie auf dem Album. Du siehst die Welle auf dich zurasen, wie sie größer wird, der Chor, das Orchester, … Aber wenn die Band einsetzt, die Scheinwerfer von der Bühne schwenken, die Stroboskoplichter, die Leute um dich rum, … Wahnsinn! Man hat einfach keine Chance und wird mitgerissen!

Oh, hier sieht es ja fast aus, wie letztes mal. Du standst etwas weiter da drüben, komm, rutsch mal. Und manche von euch sind gewachsen…

Humor hat er ja, der Hansi! 🙂

Ab dann, keine Atempausen mehr! „Banish From Sanctuary“, ihr erinnert euch? Meine Einstiegsdroge! Ab da habe ich völlig die Kontrolle verloren! 🙂

Die Setliste war ein buntes Gemisch aus allem, was für mich Blind Guardian ausmacht. Und in vielerlei Hinsicht war das Konzert für mich auch eine Zeitreise. Ich verbinde mit so gut wie allen Songs wirklich gute Erinnerungen, Orte, Freunde, Ereignisse, so dass es auch emotionell der Wahnsinnskick war. Ob „Lost in the Twilight Hall“, „Lord of the Rings“, „Prophecies“, „Valhala“, einfach der Wahnsinn!

Und während dessen wurde mir klar, dass ich mich schon so lange nicht mehr so frei gefühlt habe. Hier war ich weder Mann noch Frau, weder Türke noch Deutscher, weder Blind noch sehend, hier war ich einfach! Keine Vorurteile, Erwartungen oder sonstige Dinge, die mich immer so sehr auf die Palme bringen. Hier ist jeder ein Fan, ich war Teil des Ganzen, bedingungslos und absolut! Ich konnte die Texte mitgröhlen, tanzen oder headbangen, ohne mir Gedanken darüber machen zu müssen, ob ich mich gerade zum Affen mache. Denn die anderen waren genau mit dem gleichen beschäftigt, was hat die das schon interessiert, was ich da mache? Es war eine Wohltat, einfach mal unter Gleichen zu sein!

Und natürlich durfte „The Bards Song – In the Forest“ nicht fehlen. Boa, wäre ich enttäuscht gewesen, wenn ich das verpasst hätte. Die Halle war sicher so gut wie voll. Etwa 7000 oder 8000 Läute passen da rein. Könnt ihr euch die Gänsehaut vorstellen, wenn 8000 Leute zusammen mit dir das gleiche Lied singen? Klar habe ich das auf einem Life-Album schon mal gehört, klar habe ich mir gewünscht, auch mal bei so was dabei zu sein. Aber wenn du da stehst, und es geht los… Unbeschreiblich!

Fast 2,5 Stunden haben sie gespielt. Immer wieder sind sie zurückgekommen und haben noch mal paar Stücke durchgezogen, und ich habe mich schon gefragt, wie weit wir das wohl treiben können? Wie oft schaffen wir es wohl, sie zurück auf die Bühne zu bekommen? Aber OK, nach knapp 2,5 Stunden war ich auch fertig. Meine Beine taten weh, ich werde halt auch nicht jünger, und die Stimme war mir zwischenzeitlich auch abhanden gekommen. Die wollte sich lieber noch das Düsseldorfer Nachtleben ansehen… 🙂

Während wir drei also draußen erst mal gewartet haben, biss die Masse sich verflüchtigt und ich einigermaßen sicher zur S-Bahn-Haltestelle komme, haben wir uns noch etwas unterhalten. Da war noch ein weiterer im Bunde, aber von dem weiß ich den Namen nicht mehr.

Der Heimweg

Generell habe ich den Fehler gemacht, keine Kontaktdaten mit den Jungs auszutauschen. OK, ist jetzt nicht so, als hätte ich bei dem Lärm die Sprachausgabe meines Telefons verstanden, aber versuchen hätte ich es können… Denn so hilfsbereit, wie die beiden waren, hätte ich mich schon ganz gerne mit ein paar Drinks erkenntlich gezeigt. Wie es Londo Molari in Babylon 5 schon so schön sagte…

Let me buy you a drink, no, let me buy you an entire fleet of drinks!

Ich hoffe, dass der Zufall freundlich gesinnt ist und man sich spätestens auf dem nächsten Konzert wieder begegnet. 🙂

Und nachdem wir uns verabschiedet hatten ging es auch schon weiter. Die S-Bahn-Station war dermaßen überfüllt, auch hier hatte ich freundliche Helfer, die es mir etwas leichter gemacht haben.

Und dann? Ich habe keine Ahnung! Wie genau ich dann noch nach Hause gekommen bin, ich weiß es nicht. Ich kann mich daran erinnern, dass ich am Hauptbahnhof eine Verbindung mit dem iPhone rausgesucht habe, paar dunkle Ahnungen, aber der Rest. Ich war mit den Gedanken ständig noch im Konzert. Dauernd hatte ich Flashbacks, die Lichteffekte, Songs, vor allem „The Bards Song“, Wuppertaler Bushaltestelle, „Banish from Sanctuary“, Straße, Treppenhaus, …

Gut zu wissen, dass ich sogar im Autopilot-Modus noch den Weg nach Hause finde! 🙂

Fazit

Was mit einer gewissen Skepsis begonnen hat, ob ich wohl mit einer derart großen Menschenmenge klarkomme, endete in einem Abend, den ich so schnell nicht mehr vergessen werde! Ich habe viele Leute kennengelernt, wenn auch nur so im Vorbeigehen, aber dennoch, es hat richtig Spaß gemacht, vor allem, weil ich den Leuten begegnet bin.

Auch wenn mir nach dem Konzert wieder klar wurde, dass es wohl wieder eine Weile dauern kann, bis ich diese Freiheit wieder habe, so weiß ich doch, es ist möglich. Und wie Hansi schon sagte,

in zwei, drei jahren, Selber Ort, selbe Zeit!

Ich mit Sicherheit! So was lasse ich mir nicht nochmal entgehen!

I’m alive, my friend, I’m alive!

Ach und noch was: Alle Konzerte der Tour werden aufgezeichnet. Am Ende kommt dabei wohl ein Life-Album bei raus. Ich nehme mal an, die werden dann die besten Stücke aus jedem Konzert rauspicken. Natürlich werde ich mich nicht raushören können, wenn Stücke aus Düsseldorf dabei sind. Aber allein das Wissen, ich war dabei, ist so was von geil! 🙂

Von Kamil Günay

Ich bin an allem, was zu SF und Fantasy gehört, interessiert. Außerdem interessiere ich mich für Astronomie, Technik im Allgemeinen und Luft- und Raumfahrt im Besonderen, Computer, Netze und Musik. Ich lese viel, höre viel Musik und gehe gelegentlich auch auf Konzerte. Dabei ist mein Musikgeschmack recht weit gefächert, von NDW bis Hip-Hop, von Klassik bis Metal, ich mache da keine Einschränkungen. Es gibt viele gute Musiker da draußen, da möchte ich mich nicht auf einen Stil einschränken. Auf die Fedcon gehe ich auch seit einigen Jahren regelmäßig. Und noch ein kleines Detail am Rande, ich bin stark sehbehindert, aber das hat mich bisher auch nie aufgehalten. :-)

Ein Kommentar

  1. Klasse geschrieben. 🙂 Man spürt in jedem Satz deine Begeisterung. Für mich ist der Name „Blind Guardian“ untrennbar mit Dir verbunden und das, obwohl ich mit der Musik nie wirklich was anfangen konnte, aber ich erinnere mich daran, dass Du mir Texte übersetzt hast, die ganze Geschichten ergaben, die wiederum fand ich schön.

    Schön, dass Du Dir diesen Traum erfüllen konntest. 🙂

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